Eine Meldestelle für „Steuersünder“ wäre nur der erste Schritt

In Baden-Württemberg haben die Grünen eine Stelle eingeführt, bei der man anonym mutmaßliche „Steuersünder“ melden kann. Annalena Baerbock möchte das auch für ganz Deutschland. Und in weiteren Schritten könnte das Modell auf andere Politikfelder übertragen werden.

IMAGO / Revierfoto

„Der Zweck heiligt die Mittel“ – dies war schon das Motto des SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans, der mit Steuergeldern Hehlerware einkaufte, um Steuersünder zu überführen. Der Denunziant bekommt einen schönen, modernen englischen Namen und heißt heute „Whistleblower“.

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszudenken, wohin das führt: Im nächsten Schritt könnte es anonyme Meldeplattformen geben, wo Menschen angezeigt werden, die gegen die Grundsätze „gendersensibler“ Sprache verstoßen oder verbotene Worte („Indianerhäuptling“, „Zigeunerschnitzel“) ausgesprochen haben. Und natürlich müsste es eine Meldestelle geben für Menschen, die gegen „Nachhaltigkeit“ verstoßen und zum Beispiel dabei ertappt werden, dass sie den Müll nicht richtig getrennt haben. „Klimasünder“ wäre dann bereits derjenige, der den „Klimawandel leugnet“, und Leugner wiederum wäre natürlich jeder, der auch nur minimal abweichende Ansichten von der herrschenden Sichtweise äußert. 

Und dann könnte in privaten Unternehmen ein regelrechtes Spitzelnetz implementiert werden. Alles nur weithergeholte Fantasien? Mitnichten! 

Die Grünen und ihr Denunziationsportal
Die Steuersünder-Denunziation als Probelauf für weitere Bereiche
Der britische Ökonom Paul Collier hat in einem Buch „Sozialer Kapitalismus!“, für das er 2019 den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis verliehen bekam, Vorschläge formuliert, wie der Kapitalismus „reformiert“ werden solle. „Die beste Methode, um diese Unzulänglichkeiten zu überwinden, besteht nicht darin, die Regulierung zu verstärken, sondern dem öffentlichen Interesse dort eine Stimme zu geben, wo die Entscheidungen getroffen werden: Es muss in den Leitungsgremien eines Unternehmens, in Vorstand und Aufsichtsrat direkt repräsentiert sein.” Im ersten Moment könnte man an „Politkommissare“ denken, wie es sie in totalitären Systemen gibt, die über die Einhaltung politischer Richtlinien wachen. Aber Collier hat eine andere Idee. Er fordert, die Gesetze so zu ändern, dass die Unternehmensführer gezwungen werden, nicht nur nach dem Interesse ihrer Firma zu entscheiden, sondern nach dem „Gemeinwohl“. So will er den Egoismus und die Gier eindämmen.

Wer das Gemeinwohl („public interest“) nicht beachte, so Collier, solle bestraft werden: „Wie kann dem öffentlichen Interesse in den Leitungsgremien am besten Geltung verschafft werden? Das entsprechende Gesetz könnte so geändert werden, dass die angemessene Berücksichtigung des öffentlichen Interesses für alle Mitglieder der Leitungsgremien verpflichtend vorgeschrieben würde. Aufgrund ihrer gesetzlichen Haftpflicht könnten Vorstands- und Aufsichtsratmitglieder, die sich über einen wichtigen Aspekt des öffentlichen Interesses hinwegsetzen, zivil- und/oder strafrechtlich belangt werden.“

Damit wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet. Denn „Gemeinwohl“ ist ein vager und dehnbarer Begriff, unter dem sich jeder vorstellen kann, was er will. Bei Collier ist nicht gemeint, dass sich das Management an gesetzliche Vorschriften halten soll (das ist ja auch heute schon so), sondern dass in seinem „sozialen Kapitalismus“ bei jeder unternehmerischen Entscheidung geprüft werden müsse, ob diese auch im „Gemeinwohl“ liege, was heute wohl heißt, dass sie in Übereinstimmung mit „Nachhaltigkeit“ steht, nicht den Klimawandel befördert und natürlich „Gender“-Gesichtspunkte berücksichtigt. Collier möchte, dass die ganze Gesellschaft einem „sozialen Maternalismus“ verpflichtet sein soll. Doch Collier hat sogar noch radikalere Ideen. Er will, dass Bürger die Rolle von „Polizisten“ spielen, die darüber wachen, dass die Unternehmen im öffentlichen Interesse handeln. Er meint damit nicht die staatliche Polizei, sondern durch von niemandem legitimierte, also selbsternannte Aktivisten, die die Unternehmen bespitzeln und kontrollieren sollen. „Jede Regulierung kann durch kluges förmliches ‚Abhaken von Kästchen’ unterlaufen werden; jede Steuerlast kann durch geschickte Buchführung verringert werden; jedes Mandat kann durch eigennütziges Denken manipuliert werden. Der einzige Schutz gegen derartige Handlungsweisen ist eine alles sorgfältig beobachtende ‚Polizei’… Die sanfte Aufsichtsfunktion erfordert nicht, dass sich alle daran beteiligen: Wenn eine kritische Masse Teilnehmer überschritten wird, werden die Risiken, die durch das Fehlverhalten von Unternehmen entstehen, untragbar hoch.“ Collier setzt darauf, dass sich in jedem Unternehmen genügend selbst ernannte Aktivisten finden, die diese Kontroll- und Spitzeltätigkeit mit Freude übernehmen: „Alle Unternehmen haben einen großen Pool an Mitarbeitern mit feinem ethischem Gespür, die bereit wären, eine zusätzliche Aufgabe zu übernehmen, und stolz darauf, Hüter des öffentlichen Interesses zu werden… Es besteht kein Mangel an hochmotivierten Menschen, die in Großunternehmen arbeiten und sich der Gesellschaft verpflichtet fühlen.“

Baerbock: Meldeplattform für ganz Deutschland
Willkommen in der "DRD", der Denunzianten-Republik Deutschland
Obwohl Collier sich in seinem Buch immer wieder zum Pragmatismus bekennt und gegen Ideologen und Populisten wettert, ähneln seine Ideen in erschreckender Weise totalitären Systemen. Wenn private Personen ohne jede Legitimation die Rolle einer „all-seeing police force“ (so die verräterische Formulierung in der englischen Originalausgabe des Buches) spielen sollen, die darüber wacht, dass die Eigentümer bzw. die Eigentümervertreter im Unternehmen im „public interest“ handeln, dann hat dies auf jeden Fall mit Marktwirtschaft und Kapitalismus nichts mehr zu tun. Vom Kapitalismus bleibt am Ende nichts mehr übrig als das bloße Wort: Zwölf Buchstaben, die aber ihrer eigentlich Bedeutung beraubt wurden.

Antikapitalismus führt immer zu Freiheitsbeschränkungen – und ich könnte mir gut vorstellen, dass eine Linksregierung in Deutschland sehr gerne Vorschläge wie die von Collier aufgreifen würde. Deshalb gilt: Der „Gemeinwohl“-Zweck heiligt nicht die Mittel und es gilt, den Anfängen zu wehren. 

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Kommentare ( 17 )

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17 Comments
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Reader
3 Jahre her

Steuerhinterzieher und Steuerverkürzer dürfen sich in Deutschland nicht sicher fühlen.
Deutschland darf kein „safe heaven“ für Wirtschaftskriminelle sein.
Ist jemand, der bei der Polizei eine Anzeige wegen Bankraub, wegen Kindesmisshandlung, wegen illegalen Autorennen,Wegen Brandstiftungbude anderer im Strafgesetzbuch bezeichnet der Straftaten stellt, auch ein Denunziant? Oder ist er nicht vielmehr ein wichtiger -notwendiger- Zeuge, der erst den Anlass für strafrechtliche Ermittlungen gibt?
Ohne Insiderwissen – oder Whistleblower – wäre die Aufdeckung von vielen Straftaten gar nicht möglich.
Keine Sonderregelung für Steuerhinterziehungen, verfolgen mit allen legalen Mitteln.
Auch die Ankauf so genannte Steuer-CDs stand im Einklang mit unserer Rechtslage.

Juergen Waldmann
3 Jahre her

Die Grünen wollen wohl , dass wir uns vor der Steuer ehrlich machen ! Wie wäre es , wenn die Grünen der Kriminalpolizei helfen , gerne such anonym , wer von ihnen den FDP Minister Heinz Herbert Karry vor fast 40 Jahren erschossen hat !? Die Tatwaffe lag im PKW von Joschka Fischer , der erklärte , dass er das Auto an Hans Joachim Klein zur Reparatur abgegeben habe . Der erste Mord in der BRD an einen Politiker , der in seinem eigenem Haus von Linksextremen erschossen wurde . Seltsame Pannen bei der Spurensuche haben dazu geführt , dass… Mehr

Silverager
3 Jahre her

Ich frage mich die ganze Zeit, wie das praktisch vonstatten gehen soll. Wie soll der Denunziant an die Steuerergebnisse seines Nachbarn kommen?
Wird er bei seinem Nachbarn einbrechen, um die Steuerunterlagen einsehen zu können?
Oder wendet er sich an das Finanzamt, das ihm die Steuererklärungen des verdächtigen Nachbarn zur Überprüfung seines Verdachtes übermittelt?
Oder meldet er seinen Verdacht mal prophylaktisch, wenn der Nachbar sich einen „dicken Mercedes“ anschafft?
Das muss jetzt der grüne Opa in Baden- Württemberg seinen potentiellen Denunzianten erst mal erklären. Motto: Richtig denunzieren.

Guddy
3 Jahre her

Ein Whistleblower im eigentlichen Sinn ist eben kein Denunziant, sondern jemand, der unter großem sozialen Risiko und mit viel Mut Dinge ans Licht bringt, welche die Mächtigen gerne unter den Teppich kehren wollen. Also eine „David gegen Goliath“- Konstellation. Das Endziel der Grünen ist genau das Gegenteil! Nämlich die Züchtung von Denunzianten, die dann in gemeinsamer Sache mit dem Staatsapperat unliebsame und kritische Bürger auf Linie bringen wollen. Wohin das führt kennen unsere Ostdeutschen Mitbürger zu Genüge: zu einer brutalen und paranoiden Bespitzelungskultur, die mit fortwährender Dauer immer brutaler und pathologischer wird. Leider ist es so: Die neuen Faschisten werden… Mehr

Karl Schmidt
3 Jahre her

Das Gemeinwohl wird in (geheimen) Wahlen und Abstimmungen (immer neu) definiert. Solche finden in Unternehmen nicht statt. Wer sich dort anmaßt, das Gemeinwohl zu vertreten, ist ein überheblicher Wichtigtuer ohne demokratische Legitimation. Das (öffentliche) Rudelverhalten vertritt keine (so bestimmte) Mehrheit, sondern setzt auf Gruppenzwang und Terror (also eine Form von Gewaltausübung). Das Unternehmen gehört zudem in den Privatbereich, der gerade keiner Kontrolle oder Herrschaft durch Nichteigentümer untersteht. Er ist Teil des Freiheitsraums jedes einzelnen Bürgers. Die Gesellschaftsform ändert daran nur wenig, denn das Unternehmen hat im Regelfall keinen politischen Zweck, der ihm hier aber aufgezwungen wird. Der Kern der Grundrechte… Mehr

Lars Baecker
3 Jahre her

Ernstgemeinte Frage an den Autor zu seinem abschließenden Satz: Wie wehrt man in einer Parteiendemokratie denn den Anfängen, wenn nahezu alle Parteien im Grunde dasselbe wollen und jede prinzipiell mit jeder (außer mit einer) zu koalieren bereit wäre, dazu noch wichtige Posten (Verfassungsgericht) mit Parteigängern politisch besetzt sind, sprich, die Spinnenfinger der Parteien bis in die kleinste Verästelung der Gesellschaft reichen? Wir sind doch über die Anfänge, derer wir „wehren“ sollen längst hinaus. Der Bürger ist de facto machtlos. Klar, man könnte auf die Straße gehen, aber steht ja bekanntlich der „Freund und Helfer“ mit Wasserwerfer, Schlagstock und Pfefferspray, der… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Lars Baecker
JamesBond
3 Jahre her

Eine Meldestelle für eine Steuerverschwendung und Verteilung von Steuergelder in aller Welt wäre sinnvoller. Heute bei NTV:
„Deutschland hat für die Versorgung der Menschen in Afghanistan und den angrenzenden Ländern 600 Millionen Euro bereitgestellt. Die EU will 300 Millionen Euro in diesem und dem nächsten Jahr für die Aufnahme von rund 30.000 Afghanen bereitstellen, braucht dafür jedoch die Zustimmung der 27 EU-Staaten. Etliche von diesen wollen entweder keine oder nur die Ortskräfte aufnehmen.“
Aber die Hinterblienenenrenten bei vor 65 Jahren Verstorbenen um bis zu 10,8 % heimtückisch kürzen. Was ist das für eine Regierung?
Deshalb wähle ich AfD!

Last edited 3 Jahre her by JamesBond
Por La Libertad
3 Jahre her

„Und natürlich müsste es eine Meldestelle geben für Menschen, die gegen „Nachhaltigkeit“ verstoßen und zum Beispiel dabei ertappt werden, dass sie den Müll nicht richtig getrennt haben.“

Da gibt es immer noch Steigerungsmöglichkeiten.
Lese gerade bei BILDOnline, dass ein Engländer seine deutsche Frau
(Rechtsanwältin) erschossen hat, weil Sie Taschentücher falsch entsorgte.
Ja, wir leben wahrlich in verrückten Zeiten.

Susanne H.
3 Jahre her

Na dann fröhliches Denunzieren. Ob dieser Schuss nicht nach hinten los geht? Da werden wohl auch viele Fakes die Leitungen zum Glühen bringen und die Denunziantenbehörden ins Schwitzen bringen. Haben die Grünen in BW nun völlig durchgedreht? Unter dem grünen Pol Pot scheinen sämtlich Dämme zu brechen!

Peterchens Mondfahrt
3 Jahre her

Die Frage ist natürlich: Was wollen die Grünen wirklich? Die Möglichkeit Steuerhinterzieher zu melden gibt es längst. Jedes Finanzamt freut sich über entsprechende Hinweise. Dies ausgerechnet über eine politische Partei laufen zu lassen ist schon ÄUSSERST verdächtig.