Ist es richtig die Täter-Gemeinsamkeiten hinter Einzelfällen verschwinden zu lassen? Man spürt den Gewöhnungseffekt. Hat man früher den Skandalisierungseffekt von Medien kritisiert, üben sich nun viele im Schweigen oder Umschreiben.
Als die ersten Meldungen über einen Mord auf offener Straße in Ahaus (Kreis Borken) am vergangenen Samstag auf den Nachrichtenseiten erscheinen, weiß man noch nicht viel über den genauen Hergang und die Hintergründe der Tat. Anwohner hatten laut BILD-Zeitung kurz nach Mitternacht am vergangenen Freitag Hilferufe einer Frau gehört. Ein Zeuge wollte danach einen Mann erkannt haben, der sich über eine am Boden liegende Frau beugte. Während der Zeuge Polizei und Notarzt verständigte, flüchtete der Unbekannte. Die Frau verstarb nur wenig später, trotz sofortiger notärztlicher Versorgung im Krankenhaus.
Später erfahren wir, dass es sich bei der jungen Frau um Soopika P., Tochter indischstämmiger Einwanderer handelt und dass der Täter bei seiner Tat äußerst brutal vorgegangen ist. Zeitgleich gibt es erste Hinweise auf den mutmaßlichen Mörder von Soopika. Es soll sich um einen 27-jährigen Asylbewerber aus Nigeria handeln, der in den letzten Wochen immer wieder Kontakt zu Soopika gesucht haben soll. Wir erfahren zudem, dass Soopika äußerst beliebt war und viele Freunde hatte. Dass sie mit Kindern arbeiten wollte und schon mehrere Jobs in der Jugendhilfe hatte. Und dass sie Instrumente spielte. Violine und Keyboard. Ihr mutmaßlicher Mörder ist zu diesem Zeitpunkt unterdessen weiter auf der Flucht. Dann kam die Nachricht, dass dieser in der Schweiz am Bahnhof Basel am Dienstagmorgen festgenommen wurde. Erst vor drei Tagen hatte die Staatsanwaltschaft aufgrund des bestehenden Haftbefehls die europaweite Ausschreibung zur Festnahme veranlasst. Noch sei unklar, wie der Verdächtige nach Basel gereist ist. Bei einer Kontrolle in Basel hätte er sich mit seiner deutschen Asylbescheinigung ausgewiesen. Eine Befragung kann erst nach der Auslieferung erfolgen.
Soweit die Informationslage. Und nun? Geht die Öffentlichkeit wieder zur Tagesordnung über wie schon nach dem Mord an Maria L. und dem Terroranschlag in Berlin? Ist die Nachricht von der Festnahme das Letzte, was wir hören werden? Ist es richtig die Täter-Gemeinsamkeiten hinter den Einzelfällen verschwinden zu lassen? Die Aufmerksamkeit jedenfalls ist gering. Man spürt den Gewöhnungseffekt. Hat man sich früher über den Skandalisierungseffekt von Medien aufgeregt, üben sich die allermeisten nun im Schweigen. Ist Ruhe wieder erste Bürgerpflicht, Wegschauen, Weghören die neue Kultur?
Mich beunruhigt, dass der mutmaßliche Täter in der Schweiz festgenommen wurde. Es zeigt erneut, dass jeder Asylbewerber und Migrant, frei durch Deutschland und von hier aus über die Grenze aus und selbstverständlich auch einreisen kann. Dass Festnahmen, wie schon bei Anis Amri, zumeist erst dann gelingen, wenn Täter und Tatverdächtige sich bereits im europäischen Ausland befinden und nicht mehr hier in einem Land, in dem keine Behörde zu wissen scheint, wer hier eigentlich unterwegs ist. Müssen wir uns zukünftig darauf verlassen, dass französische und schweizerische Polizisten das leisten, wozu unsere Sicherheitsbehörden nicht mehr in der Lage sind?
Soll es eine Beruhigungspille sein, über solche Verbrechen möglichst zu schweigen? Damit alle schnell wieder zur Tagesordnung übergehen? Als wäre nichts passiert? Als wäre all das normal und schon immer da gewesen. Weil Medien nicht hartnäckig bleiben und ihrer Aufgabe immer weniger gerecht werden. Weil es nicht darauf ankommt, dass berichtet wird, sondern wie, damit ein Thema nicht in Vergessenheit gerät und für die notwendige darauffolgende Diskussion sorgt. Weil man drei Wochen jedes Detail von Trump kritisch anmerken kann, aber kein einziges Mal einen Mordfall, der zu verhindern gewesen wäre. Weil es nicht nur um die bloße Information, sondern auch um den Kommentar und die Unnachgiebigkeit geht, damit ein Thema in den Fokus der Bürger rückt.
So ändert sich an der Politik nichts. Wenn auch dieses Mal keine Lehren daraus gezogen werden. Weil wir immer noch nicht kontrollieren, wer zu uns kommt und niemanden wirklich abschieben, der kein Recht auf Asyl hat und/oder kriminell geworden ist: Solche Politik ist Vortäuschung von handeln. Das geht, weil und solange der öffentliche Druck fehlt. Würde Soopika noch leben, wäre die Politik eine andere? So bleibt nichts anderes, als eine tatsächliche Politik-Änderung weiter anzumahnen. Schweigen ist keine Antwort auf die Ungeheuerlichkeiten. Ruhe ist keine Bürgerpflicht, und Selbstzensur drückt Verachtung gegenüber den Opfern aus.
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