„Die Entscheidung muss rückgängig gemacht werden. Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat ein Erdogan-Problem. Das hat sich in der Vergangenheit auch bei Personalien gezeigt“ sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir der Welt am Sonntag. Gemeint ist die neue Entscheidung, mit dem Verein DITIB für Islamunterricht in den Schulen zusammen zu arbeiten. Özdemir spricht an, was gewissermaßen tabu ist, was viele Politiker sich nicht mit deutlichen Worten zu sagen trauen. Denn seit Jahren ist in keinem anderem Bundesland die Unterwanderung von Parteien mit Lobbyisten von Erdogans AK-Partei und Grauen Wölfen so groß wie in NRW, das unter der Führung des Ministerpräsidenten Armin Laschets steht. Und seit Jahren ignoriert die Landes-CDU die Unterwanderung ihrer eigenen Partei. Die Kooperation mit DITIB steht nun ebenfalls in dieser Tradition eines „weiter so“ bezüglich des Einflusses Erdogans – und das unter der Führung Laschets, der selbst sich schon im Umfeld des erdoganschen Lobbyismus bewegte.
Wieso kooperiert die Landesregierung NRW, die sich aus CDU und FDP zusammensetzt, wieder mit der DITIB? Diese Frage muss gestellt werden. Die „Türkische-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB) wurde vom türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten (Diyanet) gegründet und untersteht unmittelbar dem türkischen Präsidenten. Die Anweisungen für DITIB kommen aus Ankara. In der Vergangenheit schrieb DITIB etliche Male große Negativschlagzeilen. So ist seit langem bekannt, dass in den ihr nahestehenden Vereinen Staatspropaganda betrieben wird. 2018 wurde in Moscheen für den Sieg der Türkei nach dem Einmarsch in kurdischen Gebieten Nordsyriens gebetet. Der Vorsitzende der DITIB-Moschee Bielefeld posierte am Grab des rechtsextremen Grauen-Wölfe-Gründers. Etliche Imame standen im Verdacht, für den türkischen Staat Spionage betrieben zu haben. In der Moschee in Herford mussten Kinder in Militäruniform samt Spielzeuggewehren eine Schlacht üben.
Das „Erdogan-Problem“ der CDU NRW wird vertuscht
„Mit Armin Laschet als CDU-Vorsitzenden ist wohl für die CDU nahezu ein Ende des Kampfes gegen türkische Rechtsextreme, Erdogans wachsenden Einfluss und den politischen Islam zu erwarten“, schrieb ich, als Laschet zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. Jetzt scheint sich diese These zu bestätigen. Das „Erdogan-Problem“ in der CDU NRW existiert seit langem – und das Problem umfasst Ministerpräsident Armin Laschet selbst in besonderem Maße. Im Zuge der NRW-Kommunalwahlen 2020 entlarvten einige Medien etliche Erdogan-Lobbyisten in verschiedenen Parteien, nicht zuletzt in der CDU. Auch Armin Laschet stand mit solchen Lobbyisten in Kontakt.
Als der bekannte Graue Wolf und Ex-CDU-Politiker Zafer Topak damals behauptete, dass der Landesvorsitzende Laschet und der NRW-CDU-Landesgeschäftsführer über seine Anhängerschaft bei den türkischen rechtsextremen Grauen Wölfen Bescheid gewusst hätten, dachte man noch, dies sei nur eine Behauptung. Durch das CDU-Schweigen gelang es Topak 16 Jahre in der CDU aktiv Politik mitzugestalten. Im letzten Jahr hat sich dann herausgestellt, dass der Graue Wolf und Erdogan-Funktionär Sevket Avci (CDU) von Laschet persönlich vertuscht wurde. Bereits vor vier Jahren wurde in einem von CDU-Politikern verfassten Papier die Nähe des AKP-Lobbyisten Avcis zu den Grauen Wölfen festgehalten. Der CDU-Politiker Salim Cakmak offenbarte in einer Reportage von Report Mainz, dass das Papier an die nordrhein-westfälische CDU und Armin Laschet persönlich ging – und dass die Reaktion folgende war: Das Papier sollte aus dem Verkehr gezogen werden, mit der Begründung, dass Wahlen anstehen. Armin Laschet hat damit den Erdogan-Lobbyismus in Schutz genommen.
Heute kann man die UdV als ein Forum werten, das direkt türkisch-rechtsradikalen Grauen Wölfen und Lobbyisten der türkischen Regierungspartei AKP zu Kontakten in die CDU verhalf. Dass seine Vertraute in dem Papier vorkommt, könnte ein Grund gewesen sein, wieso Armin Laschet es vertuschen wollte. Doch damit umging Laschet auch das „Erdogan-Problem“ in der NRW-CDU, statt es anzugehen. Diese Ignoranz machte es möglich, dass seit Jahren Erdogans Funktionäre problemlos in der CDU agieren können.
Die nordrein-westfälische CDU schweigt bis heute auch über die von Journalisten offenbarten Verbindungen von Politikern aus den eigenen Reihen zu Erdogan-Funktionären. So standen Cemile Giousouf, ehemalige Referentin im Integrationsministerium NRW, und Oliver Wittke, Ex-Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU und ehemaliger Verkehrsminister, immer wieder im begründeten Verdacht des AKP-Lobbyismus – doch niemals folgten irgendwelche Konsequenzen. So war auch in Duisburg stadtbekannt, dass Ilhan Bükrücü ein AKP-Lobbyist ist. Erst als die Medien letztes Jahr massiv Druck ausübten, musste er seine Ämter in der CDU niederlegen.
Anders als Bükrücü bekam Sevket Avci trotz großer medialer Empörung von der CDU keinerlei Konsequenzen zu spüren. Er durfte sogar bei der NRW-Kommunalwahl 2020 antreten und ist tatsächlich erneut in den Stadtrat eingezogen. Die Autorin zeigte mehrmals belegte Verbindungen von Oliver Wittke zu hochkarätigen Erdogan-Vertrauten bis nach Ankara auf. Wittke befand sich nachweislich im direkten Umfeld von wichtigen AKP-Lobbyisten. Oliver Wittke war in der Kanzlerkandidatenfrage ein bekennender Unterstützer von Armin Laschet.
Es existiert auch ein Foto, das den Grauen Wolf Sevket Avci und Armin Laschet lächelnd zusammen zeigt. Mit auf dem Foto ist auch Gürsel Dogan (CDU) – einer der bekanntesten AKP-Lobbyisten und Grauen Wölfe Deutschlands seit über sieben Jahren, was die nordrhein-westfälische CDU offenbar nie gestört hat. Dogan wurde von der CDU-Duisburg für die Kommunalwahl 2020 auf die Reserveliste gesetzt. Da die CDU jedoch nur 22 Sitze erreichte, hat er mit Platz 26 dieses Mal den Einzug in den Stadtrat verfehlt, zuvor war er jahrelang Ratsherr! Sein Freund Avci bekam Platz 11, wodurch die CDU ihm als Grauer Wolf den Einzug sicherte. Dogan ist derzeit stellvertretender Vorsitzender im Ortsverband Hochfeld, Avci ist Beisitzer. Die CDU-Landesspitze in NRW unternimmt hinsichtlich dieser Unterwanderung und Erdogans wachsenden Einfluss in der CDU nichts. TE stellte vor diesem Hintergrund im November letzten Jahres die Frage: „Gehen die Verbindungen bis in den NRW-Landtag, ja bis zu Ministerpräsident Laschet?“
Laschet und Erdogan – wer unterstützt womöglich wen?
Es ist außergewöhnlich, wenn der türkische Präsident Erdogan einem deutschen Politiker zu einem Wahlsieg gratuliert – dafür muss es bei Erdogan stets einen Grund geben. Um so kurioser ist es, dass Erdogan Laschet gratulierte, als er zum CDU-Vorsitzenden wurde. Auch einige wichtige türkische Abgeordnete, Vertraute von Erdogan, gratulierten Laschet. Vor einem Monat gab es ein Lobby-Gipfeltreffen in Ankara, mit dabei waren auch die Vertreter von DITIB, Milli-Görüs, der UID (größte AKP-Lobbyorganisation), der ATIB und ADÜTÜF (Verbände, die den Grauen Wölfen zugerechnet werden). Das YTB (Amt für Auslandstürken) schrieb auf Twitter: „Wir haben die Aktivitäten [Anmerkung der Redaktion: gemeint ist Lobbyarbeit], die sie mit wertvollen Vertretern durchführen, und die Unterstützung, die unser Ministerium leisten kann, bewertet.“ Man könnte also den Schluss ziehen, dass die türkische Regierung mit ihren Ministerien noch stärker die Lobbyorganisationen in Europa unterstützen will. Wenige Tage danach reiste der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach Deutschland, wo er feste Termine in Berlin mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD) und Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte.
Türkischer Außenminister: „Er ist unser sehr alter Freund“
Während in den deutschen Medien über diesen unbedeutend erscheinenden Besuch des türkischen Außenministers wenig zu finden ist, sind die türkischen Medien gut gefüllt. Gegenüber jenen äußerte Çavuşoğlu über Laschet folgendes: „Er ist unser sehr alter Freund. Ein Freund von uns, der als Freund der Türkei bekannt ist und von den hier lebenden Türken, von allen in der Türkei und von der Türkei geliebt wird.“ Die offiziellen Treffen des türkischen Außenministers in Deutschland stehen vor allem im Kontext der neuen Strategie Erdogans, die Beziehungen zu europäischen Staaten, darunter besonders Deutschland wieder aufzunehmen und zu vertiefen. Erdogan hatte sich unter anderem durch die Invasion in Nordost-Syrien, die Einmischung im Bergkarabach-Konflikt und seine Provokationen im Zypern-Konflikt außenpolitisch isoliert.
Um so deutlicher zeigen diese Zusammenhänge, dass Cem Özdemir hier recht hat: Die Entscheidung zur Zusammenarbeit des Landes mit der DITIB muss rückgängig gemacht werden. Es darf kein „weiter so“ bezüglich des Einflusses Erdogans mehr geben.