Die SPD stellt sich selbst ein Bein

Das liegt mitunter daran, dass der Sozialdemokrat seinen Umgang mit dem Wahlvolk gern von der Warte der überlegenden Moral aus führt, mit dem strengen Bewusstsein, zusammen mit dem Parteibuch auch das Patent eines besseren Menschen erworben zu haben.

© Adam Berry/Getty Images

Vorab sollte ich Ihnen, liebe Leser, gegenüber etwas klarstellen: Ich kann keinerlei Arbeitserfahrung als Politikberater vorweisen, die über das Kaffeekochen im Praktikum hinausginge, ich habe nie einen Wahlkampf gemanagt und ich verfüge nur über abstrakte Vorstellungen darüber, wie man aus der politischen Palette an Gesichtern und Charakteren den einen Kandidaten mit Gewinnerpotential herauspickt.

Nichtsdestotrotz erkenne ich mit großer Wahrscheinlichkeit dennoch eine politische Atombombe, wenn sie innerhalb meiner Sichtweite detoniert. Deshalb bin ich mir auch ziemlich sicher, dass ich dieser Tage Zeuge wurde, wie es ungefähr einen Meter hinter Martin Schulz plötzlich grell aufblitzte und ein Atompilz gen Himmel stieg, dessen radioaktive Wolke sich anschließend über die SPD-Kampagne ausbreitete und alle vielleicht noch lebenden Hoffnungen auf einen Sieg mit ihrem toxischen Fallout bedeckte, gefolgt von einem nuklearen Winter.

— Berliner Morgenpost (@morgenpost) August 20, 2017

Die Rede ist von den nur wenigen Sekunden, in denen der SPD-Kanzlerkandidat gegenüber der Fernsehöffentlichkeit erklärte, wie „fassungslos und bestürzt, wütend und traurig zugleich“ uns die Anschläge in Katalonien mal wieder zurückließen – mit dem dazu passenden Mienenspiel. Für die Atombombe, die die ernsthaften Bemühungen von Martin Schulz um ein moralisch hochwertiges Statement zu grauer, aber hochwertiger Asche verbrennen ließ, sorgte die SPD-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Berlin-Mitte Eva Högl. Frau Högl tat dabei eigentlich nur das, was gute Politiker so tun – lächeln, winken und eifrig die Hände von Parteifreunden schütteln. Unglücklicherweise bemerkte Frau Högl nicht, dass ihr Tun ebenfalls von einigen Fernsehkameras einfangen wurde und sie die Inszenierung damit ad absurdum führte: Die Trauermiene von Martin Schulz im Vordergrund und die strahlende, übermütige Eva Högl im Hintergrund zusammen in derselben Einstellung ergeben eine Wirkung, die man untertrieben als unfreiwillig komisch und vielleicht gar nicht übertrieben als katastrophal bezeichnen kann.

Vor kurzem schrieb ich über die Macht der Überzeugung, Phänomene wie „confirmation bias“ und die Technik, negative Eigenschaften auf einen politischen Gegner zu projizieren. Dieses Bild übt von selbst, ganz ohne Zutun von außen, eine unglaubliche Sogkraft auf den Betrachter aus, denn es zieht alles Negative, was die Menschen jemals über Politiker gedacht und gefühlt haben, an sich und bündelt es in einem alles verschlingenden schwarzen Loch, das sich ein paar Zentimeter hinter Martin Schulz linkem Ohr formiert. Die Scheinheiligkeit, die Doppelmoral, die hintergründige Gleichgültigkeit dessen, was man vordergründig in die Mikrofone spricht – alles ist da und deshalb achtet niemand mehr darauf, was der Kandidat gerade sagt.

Fatalerweise trifft das Bild die SPD auch noch dort am heftigsten, wo diese am verletzlichsten ist, nämlich in ihrer Glaubwürdigkeit. Wer den Wahlkampf in den sozialen Netzwerken verfolgt, stellt schnell fest, dass Martin Schulz dort mit ur-sozialdemokratischen Themen wie Lohnunterschieden und sozialer Gerechtigkeit keinen Fuß auf den Boden bekommt, weil der SPD zuerst ihre Politik unter Schröder und dann ihre Politik unter Merkel um die Ohren gehauen wird. Schulz einziger Strohhalm besteht momentan darin, sich gegenüber Merkel als der emotionalere Kandidat mit echter Herzenswärme zu verkaufen. Abgesehen von der merkwürdigen Idee, einen Mann als tränenrührselige Alternative zu einer Frau aufzubauen, ist mit der der Lächerlichkeit preisgegebenen Barcelona-Trauer jetzt auch dieser Schulzzug aufs Abstellgleis geraten.

Jeder sieht seinen eigenen Film
Trump und die Illusion der Realität
Eva Högl trifft dabei übrigens keine besondere Schuld. Ihr Verhalten entsprach dem, was Politiker eben tun müssen. Zudem gibt es unzählige weitere Fälle, in denen unbemerkte Ton- oder Bildaufnahmen von Politikern für eine unvorteilhafte Außenwirkung gesorgt haben. Allerdings tragen Frau Högls Eingangsworte in ihre ansonsten im Rahmen des Möglichen anständige Erklärung des Vorfalls nicht gerade dazu bei, die Folgen zu lindern: Der „falsche“ Eindruck, den der Filmausschnitt erweckt habe, „entsetze“ sie und mache sie „betroffen“. Das klingt so, als ob nicht sie den Opfern von Barcelona eine Entschuldigung schuldet, sondern die Betrachter des Filmausschnitts ihr.

Die Sozialdemokraten agieren in ihren Wahlkämpfen zu oft glücklos, als dass es sich dabei nur um Zufall handeln könnte. Die SPD hat in etwa seit dem Abtritt von Bundeskanzler Helmut Schmidt das Problem, dass sie auf grundsätzlicher Ebene zwar immer noch Werte und Ideale vertritt, welche ein beachtlicher Teil der Bevölkerung gerne unterstützen würde, sie aber als Partei so unfassbar unsympathisch daherkommt, wenn ihre Funktionäre den Versuch machen, konkrete Überzeugungsarbeit bei den Bürgern zu leisten.

Das Sommerloch wird größer
Wahlkampf-Splitter
Das liegt mitunter daran, dass der Sozialdemokrat seinen Umgang mit dem Wahlvolk gern von der Warte der überlegenden Moral aus führt, mit dem strengen Bewusstsein, zusammen mit dem Parteibuch auch das Patent eines besseren Menschen erworben zu haben. Dadurch sieht er sich legitimiert, im Wahlkampf den politischen Gegner auf Grund dessen Kleidungsstils, Intelligenz, oder Physiognomie zu verspotten. Wenig Verständnis herrscht konsequenterweise dann dafür, wenn die Wähler diese Schläge unter die Gürtellinie nicht entsprechend honorieren.

Vor der Bundestagswahl 2009, als sich der Merkelsche Mehltau noch nicht so schwer über die Öffentlichkeit gelegt hatte, sendete das ZDF eine spannende Reihe, genannt „Die Qual der Wahl“, in der Profis aus Medien, Kultur und Wissenschaft Wahlkampfspots aus den Anfängen der Bundesrepublik bis zur Gegenwart analysierten. Am Clip der Merkel-CDU 2009 monierte übrigens ausgerechnet Claus Kleber, dass inhaltliche Fragen darin völlig ausklammert seien, weshalb er den Wählern rät, sich angesichts solcher Werbung „immer selbst zu misstrauen“. Mit Blick auf die Sozialdemokraten gab sich der Hip-Hopper Jan Delay schließlich geschlagen und attestierte: „Die SPD losen (sic) echt bei jeder Wahl mit jedem Spot. Das ist so hart, die haben’s einfach nicht drauf!“

Die diese Reihe abschließende Empfehlung von Thea Dorn ließe sich unverändert von 2009 in 2017 übertragen: „Die SPD sollte, wenn sie eine Empfehlung noch annimmt für den Wahlkampf, der gerade läuft, dringend aufhören mit heißen Föhnen und Finanzhaien und damit, dass die Kostüme von Frau Merkel schlecht sitzen. Das ist keine gute Idee.“ Als wäre es damit nicht genug, muss die SPD nun auch noch eine Bombe entschärfen, die bereits explodiert ist.

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