Die Fragen unserer Zeit lassen sich nicht entlang parteipolitischer Grenzen oder weltanschaulicher Konzepte aus vergangenen Jahrhunderten beantworten. Das bietet die Chance, Andersdenkende nicht mehr zu dämonisieren und gerade im Dissens neu zueinander zu finden.
Wer die Grünen kritisiert, betreibt pro-russische Propaganda – das ist der neueste Kniff in Sachen Polarisierung, auf den jene zurückgreifen, die sich Argumente sparen, und ihre Ansichten gegen Kritik immunisieren wollen. Denn pro-russisch, das ist das neue „Rechts“, seit der Vorwurf des Rechts-Seins niemanden mehr schreckt.
Trotz des krachenden Scheiterns dieser Strategie hält man offenbar daran fest, jegliche Widerrede moralisch zu delegitimieren. Dabei wäre angesichts der politischen Situation jetzt der Zeitpunkt, um den überfälligen Schritt zu gehen, unangemessene Polarisierung zurückzufahren. Sich wieder der Sache und der Kraft des besseren Arguments widmen, der Komplexität der Fragen, die uns bewegen, gerecht werden wollen: Wäre das nicht Ausgangspunkt für die Rückkehr einer echten Debatten- und Diskurskultur? Wo der Gegner nicht Feind ist, sondern Mit-Streiter im Ringen um das stärkste Argument und die beste Vorgehensweise?
Nicht nur, dass das moralische Ross immer lächerlicher wirkt: Wir stehen am Beginn gewaltiger Umbrüche, die sich durch ideologische Positionierung nicht bewältigen lassen. Es bräuchte eine Gesellschaft, die Dissens nicht als Ausschlusskriterium für Zusammenhalt betrachtet: Solidarität mit dem politischen Gegner, wo ihm Unrecht erfährt, Widerspruch auch gegen (vermeintliche) Irrtümer im eigenen Lager. Nur eine Gesellschaft, die sich nicht auseinandertreiben lässt, kann den außen- und gesellschaftspolitischen, den demographischen und kulturellen Herausforderungen begegnen, die uns ins Haus stehen.
Um diese Herausforderungen meistern zu können, wäre es an der Zeit, darauf zu verzichten, einander jeweils in die rechte Ecke zu stellen oder als „links-grüne Gutmenschen“ zu verspotten. Denn seit der Covid-Krise erleben wir fast durchgehend, dass die Themen des öffentlichen Diskurses durch althergebrachte Muster nicht mehr abbildbar sind. Ob man sich nämlich vor der Krankheit oder vor der Impfung mehr gefürchtet hat, ob man die eigenen Enkel als Gefahr gesehen hat, oder die erzwungene Trennung von ihnen: Hier war es die strikt persönliche Dimension des eigenen Erlebens, die eine Einordnung an parteipolitischer Verortung entlang völlig unmöglich machte. Zum ersten Mal seit Jahren, so schien es, kam der Mainstream in die Bredouille, denn es war selbst für Profis der verzerrten medialen Darstellung ein Husarenstück, auch medizinskeptische Esoteriker, kategorische Impfgegner, die immer schon gegen jede Form von Impfung waren, und altgrüne Nonkonformisten irgendwie ins rechte Lager zu pressen.
Ähnliches gilt für den Nahostkonflikt und den aufflammenden Antisemitismus: Sowohl links als auch rechts finden sich glühende Streiter für Israels Recht auf Selbstverteidigung und Antizionisten gleichermaßen.
Kurz: Sichergeglaubte Allianzen und Erbfeindschaften zerbrechen; die Gesellschaft ist mittlerweile so fragmentiert, dass sie durch ideologische Vorgaben nicht mehr zusammengehalten werden kann. Im Gegenteil: Diese Vorgaben fesseln und lähmen dort, wo die Gesellschaft sich tatkräftig und sachorientiert Problemen zuwenden müsste.
Wenn am 3. Oktober von Einigkeit gesungen wird, dann muss man konstatieren, dass Deutschland selten so zertrennt war wie heute. Und das nicht in erster Linie wegen realer Differenzen, so grundlegend diese auch sein mögen, sondern wegen der Lust an der Dämonisierung Andersdenkender, wegen einer aufgezwungenen Meinungshegemonie, die Dialog unmöglich macht, damit aber ironischerweise genau das Gegenteil des Beabsichtigten zur Folge hat: Dissens wird nicht verhindert, sondern schlicht nicht mehr ausgefochten. Dafür setzt er sich in Form von tiefen Ressentiments, Misstrauen und gegenseitiger Verachtung fest. Es wäre an der Zeit, diese fatale Strategie der Polarisierung hinter sich zu lassen.
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„Wo der Gegner nicht Feind ist, sondern Mit-Streiter im Ringen um das stärkste Argument …“
Und wie soll der Wett-Streit ausgetragen werden wenn eine Seite keine Argumente hat?
„Es wäre an der Zeit, diese fatale Strategie der Polarisierung hinter sich zu lassen.“
Die Zeit ist dafür noch nicht reif. Dafür brachts gebildeter Menschen. Und das gegenwärtige Bildungssystem fördert solche nicht, wenn es sie nicht gar verhindern will. Die Reifezeit schätze ich mal auf ca. 70 – 80 Jahre. Denn zunächst einmal muss es einmal die Lehrer geben die Schülern auch lehren können. Zur Zeit ist nur Indoktrination gefragt.
Also ich merke in meinem Alltag nichts von einer „zerrissenen Gesellschaft“. Ich begegne höflichen bis freundlichen Menschen. Hier in der Provinz grüßen schon die Kinder einen Fremden. Werde beim Einkaufen ehrlich und zuvorkommend behandelt. Handwerker erscheinen pünktlich wie vereinbart, liefern gute Arbeit, schreiben nachvollziehbare Rechnungen…
Das Volk ist eben viel resilienter, als man angesichts einer desaströsen Herrschaft befürchten könnte.
Sie leben in Ungarn, stimmt’s?
Nein. Aber die wohl typisch deutsche Neigung, Politik einfach hinzunehmen wie Sonne und Regen, hat auch ihr Gutes.. Das Leben muß ja weitergehen – trotz Habeck. Baerbock. Lauterbach…
Wirklich?
Wenn die Großeltern und Enkel unterschiedliches Wahlverhalten zeigen, IST das Zerrissenheit. Wie kann es sein, dass diese Gruppen unterschiedliches Interesse haben???
Wenn Leute Parteien wählen, die Mörder und Vergewaltiger ins Land holen, und dann den betroffenen Familien kondolieren, ist das keine Zerrissenheit für sie?
Was fühlt jemand, der CDU wählt und dessen Tocher vergewaltigt wurde???
Was für ein Riss liegt in den Familien, die sich über Corona zerstritten hatten?
Was Sie sehen ist einfach nur einstudierter Hoffprotokoll, Höfflichkeit. Mehr ist es nicht.
Es gibt keine gesellschaftliche Spaltung, es gibt Rechtsbrüche der Regierenden, zum Beispiel bei Corona oder Migration. Weil sie keine Mehrheiten für die Änderungen beim Grundgesetz und Dublin III haben. Und dann gibt es Gruppen, die das gut finden wie die taz, Gruppen, denen es egal ist wie RTL und Gruppen, die dagegen sind wie beispielsweise Tichys Einblick, um nur mal die Medien und ihre Konsumenten zu nennen. Und das endet jetzt entweder im innenpolitischen Grosskonflikt wie im Thüringer Landtag oder im Versuch einer Lösung wie bei der Regierungsbildung in Schweden, Italien oder den Niederlanden.
Tja, sieht ganz danach aus, dass es in Deutschland giftiger zugeht als anderswo.
In anderen Ländern gibt es einen unausgesprochenen, nirgends verfassten Grundkonsens im Umgang mit anderen. Man lebt einfach so natürlich, ohne es ständig zu reflektieren. Hingegen muss die Entwicklung in Deutschland über längere Zeit schiefgegangen sein. Es wird hier zunehmend schlimmer.
Was Sie „natürlich“ nennen, ist ja in Wirklichkeit eine unbefragte, wie selbstverständlich gültige Kultur im Umgang miteinander, die sich in langen Zeiträumen, oft unter Kämpfen herausgebildet hat.
Zur Zeit erleben wir wohl einen Kulturbruch von innen her (Stichwort Massenimmigration absolut anders sozialisierter Menschen).
Wir erleben nicht. Teile der Gesellschaft, große Teile, finden es gut so.
Wir – große Teile der Gesellschaft – machen aktiv mit. Die anderen müssen erleben…
Die Zerrissenheit der Gesellschaft ist vollendet. Was vor Corona durch die unsägliche Merkel angefangen hat, wurde während der Coronazi Zeit vollendet. Da gibt es nichts mehr zu kitten, auch nicht durch halbgare Aufklärungen, Relativierungen. Ich werde dem MSM und den Altparteien nie wieder vertrauen. Ich werde nie wieder Grünen, Sozen oder Kommunisten meine Stimme geben, geschweige denn sie unterstützen.
Komische Wahrnehmung, Ich kritisisere die Vorschreiberitis der Grünen auch – aber niemand wirft mir Russlandtreue vor, weil ich eben auch den Krieg offen kritisiere. Interessant, aus welcher Ecke das sicher wünschenwerte Ziel einer abnehmenden Spaltung herbei geschrieben wird. Man muss sich nur die Hetzjagden hier auf Harbeck und Co., alle anderen Parteien außer der AFd anschauen, was ich gerne regelmäßig tue. Komisch, Kritik an der AFD, auch nur an einzelnen Politikern, sucht man hier vergeblich. Ach, ich vergaß: Die machen ja alles richtig und wenn die regierten, ginge es Deutschland gut. Natürlich allen in Deutschland. Oder zumindest vielen. Den Deutschen.… Mehr
Es gibt so etwas wie Deutschland seit dem Kaiserreich nicht mehr. Und die Lösung sowie ein wirkliches Ende des zweiten Weltkrieges wäre die Aufteilung dessen Staatsgebietes unter seinen Nachbarstaaten.
„Wäre das nicht Ausgangspunkt für die Rückkehr einer echten Debatten- und Diskurskultur? Wo der Gegner nicht Feind ist, sondern Mit-Streiter im Ringen um das stärkste Argument und die beste Vorgehensweise?“ So wie in Thüringen, Frau Diouf? Wünschenswert, aber machen wir uns nichts vor. Die übervollen Tröge wollen mit allen Mitteln verteidigt werden. Da ist ein Mitstreiter, sei er noch so beliebt, nur hinderlich, erst recht ein Diskurs mit starken Argumenten. Da ist es hilfreich, wenn in der obersten Justiz Helfershelfer installiert wurden, damit der Mitstreiter keine Krume abbekommt und man sich nicht mit Sachargumenten, wohlmöglich auch noch Zutreffende, auseinandersetzen muss!
Wollen Spalter die Spaltung? Naturlich nicht! Niemand will mehr Einheit als die Spalter. Zu ihren Konditionen. Zur Spaltung gehören immer zwei. Aber einer von ihnen hat begonnen, den bestehenden Grundkonsens zu verlassen, und meint, dass man ihm unbedingt folgen müsse. Die Frage bleibt, was er Besseres anzubieten hat. Kann er über 80 MIllionen Menschen oder die ganze Menschheit nachweislich glücklich machen, und warum haben es die anderen seiner Meinung nach die ganze Zeit falsch gemacht und lehnen seinen Weg immer noch ab? Dürfen sie das etwa nicht? Wer beweist im Voraus, dass der neue Weg, in den alle eingespannt werden… Mehr
Die Gesellschaft muß nicht wieder zusammenfinden – die Gesellschaft muß die Machtfrage klären. Der Untergang des deutschen Volkes – oder die Wiederauferstehung.
Wenn ich auf mein Leben zurück blicke dann sind da einige Momente die mir viel abverlangt haben, was das Miteinander, insbesondere mit Andersdenkenden betraf. Ich hatte eine Stasiakte im zarten Alter von 15 Jahren, mein Vater hatte 8000 Seiten davon. Es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen wie unser Leben in der DDR aussah. Dennoch kann ich mich nicht an Hass erinnern, im Gegenteil. Unmittelbar nach der Wende machte ich während meiner Arbeitslosigkeit ehrenamtliche Sozialarbeit an Jugendlichen, zusammen mit einer der führenden Köpfe von der damaligen PDS, vormals SED, im Ort. Und das war eine sehr gedeihliche und von… Mehr