Die Optionen des Friedrich Merz – Will er oder nicht?

Wenn eine rot-grüne Minderheitsregierung eine Minderheitenregierung ist: Eigentlich ist eine so formidable Regierungskrise wie die aktuelle die Stunde der Opposition beziehungsweise des Oppositionsführers. Letzterer ist Friedrich Merz. Er hat zwei Optionen.

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Die „Fortschrittskoalition“ ist fort. Sie war von Anbeginn an eine Fehlkonstruktion, ja eine Gurkentruppe. Mit ihr wurde Deutschland wirtschaftlich in den Abgrund und kriminalstatistisch zu immer neuen Spitzenwerten gehetzt. Es wurden Leute in Ministersessel, Ministerlimousinen und Regierungsflieger gespült, die inkl. Wirecard-/Cum-Ex-skandalverstrickt-vergesslichem Kanzler selbst nach Laissez-faire-Maßstäben nicht ministrabel waren.

Das Einzige, was diese „Ampel“ zustande brachte, waren „woke“ Projekte wie das Selbstbestimmungsgesetz, die Cannabis-Freigabe, dazu immer neue irrsinnige Gender-, Klimaschutz- und Coronaschutz-Projekte, um sich greifende Gängelungen, Gouvernanten- und Zensurmaßnahmen, eine Aufblähung des Regierungsapparates durch die Einstellung von Tausenden von Gefolgsleuten usw. „Deutscher Michel, selber schuld“, könnte man sagen, „du hast am 26. September 2021 so gewählt.“ Man könnte aber auch sagen: Was blieb dem deutschen Michel nach 16 Jahren Merkel und beim damaligen Unionsspitzenkandidaten Armin Laschet anderes übrig? Es war ja nicht die Strahlkraft eines Olaf Scholz (SPD), der die SPD knapp vor der Union siegen ließ.

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Warum sich die FDP Ende 2021 in den Chaoskonvoi einfügte, bleibt auch nach ihrem Ausscheiden aus der „Ampel“ ein Rätsel. Lindners Spruch von 2018, als sich die FDP einer von Merkel geführten Jamaika-Koalition verweigerte, war Rauch von gestern. Er hatte gesagt: „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren.“ Mit dem Eintritt der FDP in die „Ampel“-Koalition von Ende 2021 galt plötzlich: „Lieber mit einem Olaf Scholz miserabel links mitregieren, als sich doch auf eine schwarz-geführte Jamaika-Koalition einlassen.“

Nun ist aus dieser „Fortschrittskoalition“ mit dem 7. November 2024 ein museumsreifer Torso geworden, den ein tricksender Kanzler und ein hypermoralisierend aufblühender Vizekanzler wenigstens noch für drei Monate über den dritten Geburtstag vom 8. Dezember 2024 retten möchte.

Die zwei, Scholz und Habeck, sowie ihre Lakaien tun so, als müssten sie noch mehrere Gesetze über die Bühne bringen. Der wahre Grund für die Verschleppung könnte indes sein, dass man noch ein paar Monate Zeit braucht für eine „Aktion Abendsonne“. Das heißt: Es müssen schnell noch ein paar hundert grüne und rote Schleppenträger fest installiert und/oder befördert werden. Scholz selbst wird damit aber – eine zweite Amtszeit ist wohl ausgeschlossen – nicht dem Schicksal entgehen, zu einem der drei Bundeskanzler mit der kürzesten Amtszeit zu werden. Im Moment hat er 1.065 Tage Kanzlerschaft hinter sich: In den Jahren 1963 bis 1969 waren es bei Erhard 1.142, bei Kiesinger (beide CDU) 1.055 Tage. Zum Vergleich: Bei Adenauer waren es 5.144, bei Kohl 5.870, bei Merkel (alle CDU) 5.860 Tage; bei Brandt 1.659, bei Schmidt 3.060 und bei Schröder (alle SPD) 2.583 Tage.

Minderheitsregierung als Minderheitenregierung

Nun also wird Deutschland seit dem 7. November von einer rot-grünen Minderheitsregierung „regiert“. Statistisch stellen SPD und „Grüne“ (Ex-Mann Volker Wissing hinzugerechnet) derzeit 324 von 733 Bundestagsabgeordneten. Das sind 44,2 Prozent aller MdBs. Wenn man die Ergebnisse der aktuellen „Sonntagsfragen“ als Basis nimmt, dann repräsentieren SPD und „Grüne“ im Moment in der Summe aber nur noch 26 bis 27 Prozent der Wählerschaft: SPD 15,5 Prozent, „Grüne“ 10,9 Prozent. Hier werden die auch von den „Öffentlich-Rechtlichen“ häufig vermischten Begriffe „Minderheitsregierung“ und „Minderheitenregierung“ tatsächlich eins.

Vizekanzler Habeck kann das nicht akzeptieren, deshalb macht er – parallel zu „Abendsonne“ – auf Morgenröte. „Back for good“ (endgültig zurück), schrieb Habeck am 7. November. Und: „Orte wie diesen den Schreihälsen und Populisten zu überlassen ist leicht … Aber es sich leicht zu machen kann nicht die Lösung sein. Nicht heute. Nicht in dieser Woche. Nicht in dieser Zeit. Deshalb bin ich wieder auf X.“

Habeck hatte Twitter und Facebook Anfang 2019 verlassen. Es wird jedenfalls erwartet, dass Habeck am Freitag, 8. November, sich zum Kanzlerkandidaten der „Grünen“ kürt. Annalena Baerbock will das nicht mehr so wie 2021 sein; sie will sich auf die Lösung der weltweit schwelenden oder schon ausgebrochenen Konflikte konzentrieren. Ach ja: Habeck hat auch einen Video-Clip hinaus in die Welt gegeben. Dort trägt er ein Freundschafts-Armband, wie es auch Millionen Taylor-Swift-Fans tun. Bei Habeck steht darauf: „Kanzler Era“, auf Deutsch „Kanzler-Ära“! Typisch Kinderbuchautor!

Kommt jetzt die Stunde der Opposition?

Eigentlich ist eine so formidable Regierungskrise wie die aktuelle – und im Übrigen seit drei Jahren währende – die Stunde der Opposition bzw. des Oppositionsführers. Letzterer ist Friedrich Merz. Über letzteren wird hier auf TE regelmäßig geschrieben. Zuletzt über seine „Beißhemmungen“ im TE-Heft Nr. 9/2024 vom August 2024. TE hatte sich damals gewundert, warum die Union nach der historischen Schlappe bei der Bundestagswahl 2021 so genügsam geworden ist und sich in Umfragewerten um die 30 Prozent sonnt, statt angesichts des (H)Ampel-Desasters 40 Prozent anzupeilen und auf Angriff zu spielen.

Welche Optionen hat Merz?

Option 1: Erst Vertrauensfrage und baldiger Neuwahltermin, dann – vielleicht – Mitwirkung an Gesetzen!

Scholz möchte bis zum 20. Dezember 2024 noch eine Reihe von Gesetzesvorhaben durch den Bundestag bringen. Dann will er am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage stellen. Für seine Gesetzesvorhaben rechnet er auf die Zustimmung der CDU/CSU.

Im Detail sind das – laut SPD-„Vorwärts“ – folgende Vorhaben: der Ausgleich bei der kalten Progression als Teil des Steuerfortentwicklungsgesetzes, die Stabilisierung der gesetzlichen Rente, die Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und Sofortmaßnahmen für die Industrie. Dass der Richtlinien-Kanzler und vormalige Bundesfinanzminister Scholz bislang weder einen Nachtragshaushalt 2024 noch einen Haushalt für 2025 zustandebrachte, hat er schon mal beiseitegeschoben.

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Nun braucht Scholz die CDU/CSU. Diese aber wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie sich auf dieses Spiel einließe. Scholz wird zwar die „soziale“ und die „Ukraine“-Karte spielen, aber das darf Merz nicht beeindrucken. Er muss darauf bestehen: erst die Vertrauensfrage, dann für ganz kurze Zeit eine geschäftsführende Scholz-Minderheitsregierung und dann umgehend Neuwahlen im Januar 2025.

Merz muss die Gunst der Stunde nutzen: CDU/CSU stehen derzeit in der Sonntagsfrage bei 34 Prozent. Geht eine Neuwahl dann mit 34 Prozent für die CDU/CSU und mit 15/16 Prozent für die SPD aus, dann kann (und wird es ohne “Grüne“ und ohne FDP) eine Neuauflage einer einst – zumeist damals schon ungerechterweise sogenannten – „großen“ Koalition kommen. Ohne einen Scholz, der Pistorius als Vizekanzler weichen muss, ohne ein Sicherheitsrisiko Faeser und ohne einen „Gesundheits“-Minister Lauterbach. Und ohnehin ohne einen Vetternwirtschaftsminister Habeck und ohne eine weltweit peinlich auftretende Vielfliegerin Baerbock.

Auf die Reihenfolge (Vertrauensfrage und baldige Neuwahl vor legislativen Entscheidungen) kommt es an. Auch um des internationalen Ansehens Deutschlands wegen. Wenn SPD-Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil am Abend des 7. November erklärt, Rot-Grün sei außen- und sicherheitspolitisch „handlungsfähig“, dann bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Nein, wenn Donald Trump am 20. Januar 2025 als US-Präsident offiziell im Amt sein wird, muss Deutschland sofort oder wenige Tage danach neu aufgestellt sein. Merz darf sich hinsichtlich des Zeitplans von Scholz nicht fesseln lassen, und er kann sich nicht – Ukraine hin oder her – auch nicht auf eine Zustimmung zu neuen 15 Milliarden Schulden und einen Bruch der Schuldenbremse einlassen.

Option 2: Oder doch ein konstruktives Misstrauensvotum?

Rechnerisch könnte Merz kommende Woche Bundeskanzler sein. Wie? Wenn er ein konstruktives Misstrauensvotum anstrengte und sich mit den Stimmen von CDU/CSU (197), der FDP (91) und AfD (76) sowie mit ein paar Stimmen „Sonstiger“ mit Kanzlermehrheit (derzeit 367 Stimmen) wählen ließe. Damit wäre er Kanzler bis zu einer baldigen Neuwahl, er könnte Minister entlassen oder neue ernennen. Eine Koalition bräuchte er nicht. Eine solche müsste erst nach einer Neuwahl formiert werden.

Nun freilich hat Merz soeben gesagt: „Ein konstruktives Misstrauensvotum ist im Moment keine Option.“ Was heißt „im Moment“? Wann dann? Klar, Merz fürchtet, dass ihm einige eigene Leute, einige FDP-Leute die Stimme verweigern, wenn er AfD-Stimmen akzeptierte. Das wiederum wäre das Ende der Merz’schen Kanzlerambitionen. Denn dann steht ein Markus Söder (CSU) Gewehr bei Fuß. Nun gut, so ganz ohne Risikobereitschaft geht es nicht. Das aber scheint Merz über die Jahre hinweg ausgetrieben worden zu sein.


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