Joachim Gauck besucht ein Übergangswohnheim für Asylbewerber und Angela Merkel ein Flüchtlingswohnheim. Zwei Welten treffen aufeinander: Audi A8 vs. Badelatschen.
Eines der Eigenheime an der Karawane sticht mit seinem giftgrünem Anstrich heraus. Schaut man durch die Schlitze der Stahltore sieht man dahinter diverse Gartenbaumaschinen. Groß und breit steht vorne an der Straße ein Schild mit dem Hinweis „Polnische Firma“. Man baut hier also darauf, dass Vorbeifahrende den Mehrwert solch eines Angebotes erkennen: Der fleißige und preiswerte Pole, der beste Arbeit abliefert. Also ein Beispiel perfekter Integration? Die übrigen Anwohner haben auch Schilder aufgehängt. Als Absender wird allerdings die örtliche Polizei genannt. Gelbe Schilder in 10 x 20 cm warnen: „Vorsicht! Aufmerksamer Nachbar.“
Der Adressat dürfte klar sein, aber auf den Erfolg dieser Warnschild-Kampagne muss man wohl noch warten, bis Deutschkurse diesen nie abreißenden Strom der vorbeiziehenden 3-4 Tausend erreicht haben. Denn vorerst verstehen nur die Anwohner selbst die eigene Warnung. Will man sich gegenseitig Mut machen? Der Dackelfreund erzählt, dass nachts bis zu fünf Blaulichteinsätze die Straße hinunter Richtung LAB-Wald rasen. Jedes Mal schrecke er aus dem nach vier Einbrüchen sowieso schon unruhigen Schlaf hoch. Tagsüber wird an die Zäune uriniert, Müll über den Gartenzaun hinweg entsorgt – das wäre zwar noch sein Haus, aber nicht mehr sein Viertel.
Übergabe geglückt!
Mittags um 12 Uhr wirft allerdings gerade niemand Müll und es pinkelt auch keiner. Es gibt also doch Verschnaufpausen. Eine jüngere Anwohnerin steht mit voller Plastiktüte schon eine Weile zögerlich an der Straße in der mittäglichen Herbstsonne, als sie endlich unter den vielen jungen Männern eine Asylbewerberfamilie mit Kindern entdeckt, sich runterbeugt und zwei kleinen Mädchen jeweils ein Stofftier aus der Tüte in die Hände zaubert. Die Begeisterung ist allerdings zunächst verhalten, die Augen schauen dunkel, die Gesichter bleiben ernst, aber dann drücken die Kinder die Tiere doch eng an ihre Jacken und die Väter bedanken sich knapp und verlegen, während die Schenkende noch eine Weile mit sich und der geglückten Übergabe zu ringen scheint.
Aber es ist noch mehr los auf der Karawanenstraße: Inserate im Internet verweisen auf eine Begegnungsstätte ganz anderer Art, die sich ebenfalls auf der Straße befinden soll: Zunächst ein Haus wie alle anderen. Auch hier ein stahltürenverbauter Vorgarten. Eine goldene Klingel. Dahinter arbeiten allerdings eine Dame aus Thailand, eine aus Russland und noch eine weitere aus dem Ostblock. Die Russin wirbt damit, sie würde ihre Gäste „in ein Reich aus Sinnlichkeit und Lust entführen“. Die Asiatin verspricht eine „Oberweite:75 A, stehend“ und den Service „EL“, aber nur, „wenn rasiert“.
Ein Einkaufsmarkt liegt 200 Meter entfernt. Die martialisch anmutenden schusssicheren Westen der Security sind selbsterklärend: Abschreckung für die Asylbewerber und Sicherheitsgefühl für die Anwohner. Sicherheit ist das Stichwort: Mehrmals die Woche schickt die Polizei ein Infomobil zu den Märkten. Hier bekommen Anwohner hilfreiche Tipps zur Haussicherung. Das Mobil ähnelt einem dieser Marktverkaufswagen für Fisch oder Wurstwaren, nur, dass dieser Blaulicht hat. Das uniformierte Personal punktet mit der Freundlichkeit erfahrener Kontaktbeamter.
Geduldig hört man sich hier die mal hingeflüsterten oder schon empörter geäußerten Beschwerden an. Und die Kulisse bietet mitunter das passende Anschauungsmaterial: Auf den Grünstreifen zwischen den Parklücken, an den Bushaltestellen und vor und zwischen den Hecken sitzen Gruppen Biertrinkender Asylbewerber. Der Grund könnte ganz einfach sein: wo soll man dann auch hingehen, wenn man ein Bier trinken will? Kneipenbier ist teuer. Und im Markt kostet das 0,33l Penny-Adelskronen nur 0,39 Cent.
Alarmiert vom Bierkonsum, bittet die Örtliche Zeitung ihre Leser um ihr Votum in Sachen „Alkoholverbot für die LAB“. Das Ergebnis ist wenig überraschend: 95 Prozent sind dafür. Und das Bündnis gegen Rechts meint sofort, dass man mit solchen Fragen die vorhandenen Ressentiments gegen die Flüchtlinge noch weiter schürt: „Bei jedem Volks-, Dorf- oder Schützenfest kommt es nach zu viel Alkohol oft zu Massenschlägereien … doch deshalb kommt niemand auf die Idee, dort ein Alkoholverbot zu verhängen.“
Friedvolles Multikulti in der Kaserne
Die LAB ist rundherum zwei Meter hoch eingezäunt. Über dem Zaun hängt Stück an Stück die trocknende Wäsche der Bewohner. Dahinter wäre auf einem breiten Grünstreifen zwar Platz für etliche Wäschespinnen, aber auf die Idee solche zu beschaffen, scheint hier noch keiner gekommen zu sein. Vielleicht sogar besser, denn die bunten Bekleidungsstücke wirken fast anrührend friedlich, Moslemjacke an Christenhose, das Shirt von der Elfenbeinküste neben dem Rock aus der Schneiderei in Damaskus. Ganz anders, als diese Einrichtung noch eine militärisch durchdisziplinierte Kaserne war. Was damals undenkbar gewesen wäre, erinnert jetzt an tibetanische Gebetsfahnen im Wind. Mindestens Pazifisten sollten diese Zäsur als Fest empfinden.
Neulich am Abend dann wieder Polizei- und Feuerwehreinsatz. Laut Auskunft einer Nachbarin brennt es wohl im Keller der LAB. Verletzt wurde allerdings niemand. Wohl nur eine weggeworfene Zigarette. Zumindest steht darüber am nächsten Tag nichts in der Zeitung. Auch nichts darüber, wie es den beiden Minderjährigen geht. Sind sie noch in den Landesaufnahmebehörden? Wird die 17-Jährige beim Essen holen in der Mensa wieder auf ihre Peiniger treffen? Einer war zwischenzeitlich immerhin inhaftiert. Wurde der andere verlegt? Oder das Mädchen? Und was macht der Gesundheitszustand des 17-Jährigen in der Gemeinschaftsdusche vergewaltigten Jungen? Stimmt, was der Polizist anonym berichtete? Und wenn ja, wird der Junge psychologisch betreut? Sind seine Vergewaltiger dingfest gemacht worden? Ermittelt eine Sonderkommission?
Fragen über Fragen. Aufgaben über Aufgaben. Betroffene Bürger, die in ihrem Umfeld alles geben, die sich noch über den Rahmen ihrer Möglichkeiten hinaus ehrenamtlich engagieren, aber auch solche, deren Wut über die Arbeitsverweigerung der eigenen Regierung sich gegen Menschen richtet, die für sich und ihre Leben eine Entscheidung getroffen haben, die ihnen keiner verdenken kann. Deren Verzweiflung aber nicht automatisch dadurch beendet wird, indem man sie in überfüllte Kasernen einweist und einem monatelangen Kräfte raubendem Asylverfahren unterzieht, das auch in wenigen Wochen erledigt sein könnte, wenn die Bundesregierung ihre Arbeit auch nur ansatzweise erledigt hätte, anstatt sich hinter einer für die Belange aller Seiten ungenügenden emotional correctness zu verstecken.
Und um noch einen fatalistischen Gedanken als Mahnung an die schärfsten Kritiker der Zuwanderung hinterherzuschicken: Ich halte es da tatsächlich einmal mit Hendryk M. Broder, der jüngst feststellte, das Kind sei in den Brunnen gefallen, die Tatsachen also unumkehrbar. Den engagierten Bürgern in den Ortsteilen sollte also ab sofort mindestens unser Respekt gehören, denn auch das Ergebnis ihrer Arbeit wird in Zukunft ein Stützpfeiler sein können, das mühsame Zusammenleben zwischen alten und neuen Bürgern versöhnlicher zu gestalten. Und Zusammenleben werden wir müssen. Ohne wenn und aber.
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