Die AfD als ultimativer Heilsbringer: eine Illusion

Anabel Schunke berichtet von Kommentaren von AfD-Anhängern auf ihre Kritik am AfD-Familien-Programm und was sie daraus Neues gelernt hat.

Zwei Tage habe ich nun erlebt, was es heißt, es zu wagen, in konservativen Kreisen die AfD zu kritisieren bzw. auf den eigenen Prüfstein zu stellen. Statt mich argumentativ auf Grundlage meines Textes vom Gegenteil zu überzeugen, wurden nur immer wieder die alten Phrasen wiederholt, die auch schon zuvor immer Bestandteil der Kommentare waren und bei denen ich ausführlich in meinem Text erklärt hatte, weshalb sie für mich kein ausreichendes Argument bilden, um meine Thesen zu widerlegen. Das macht es für beide Seiten zu einer ewig redundanten Angelegenheit, in der man sich keinen Zentimeter vor oder zurück bewegt.

Manchmal wird man auch einfach direkt unsachlich oder beleidigend, womit man der eigenen Partei, die man meint zu verteidigen, letztlich wohl einen Bärendienst erweist. Dabei ist es schade, dass mit dezidiert inhaltlicher Kritik bei den Befürwortern der AfD im Prinzip genauso umgegangen wird wie mit bloß unsachlicher Eiferei. Das verdirbt die Diskussion und bestätigt am Ende nur die Vorurteile.

Im beständigen Abwehrmodus

Dabei kann ich die Wähler und Anhänger der AfD bedingt verstehen. Immer wieder wird man konfrontiert mit unsachlicher Kritik, muss sich in Bezug auf die immer gleichen Positionen rechtfertigen. Wenn man sich stets zu gleichen Sachverhalten äußern muss, dann wird der Mensch irgendwann recht schnell ungeduldig und der Ton schärfer. Aber Politik erfordert eben gerade, solche Dinge auszuhalten, Gelassenheit zu zeigen, auch wenn diese schon lange nicht mehr gegeben ist. Die AfD und ihre Anhänger wirken nur allzu oft vollkommen unentspannt, wenn es um Kritik geht. Es ist, als hätte man seit Lucke nie aufgehört, sich im ständigen Abwehr-Modus zu befinden. Das kostet die Partei neue Wähler und macht sie unsympathisch. Dennoch möchte ich heute mal die Seiten tauschen. Möchte mich vor dem AfD-Wähler für meine Kritik rechtfertigen und dabei zugleich deutlich machen, wie wichtig die Debatte ist.

Zu keinem Zeitpunkt wurde in meinem Kommentar Kritik an der Position der AfD zum Islam und Asylfragen geübt. Dabei handelt es sich hierbei um den Punkt, der mittlerweile traditionell am meisten kritisiert wird. Ferner habe ich in mehreren Beiträgen und zuletzt in meinem Beitrag zur politischen Heimatlosigkeit deutlich gemacht, dass die AfD in Fragen des Umgangs mit dem Islam und der Asylpolitik die einzig wirkliche Opposition zu den restlichen Parteien darstellt. Was ich kritisiert habe, war die Familienpolitik. Und dies ganz sicher nicht, weil ich, ähnlich wie andere Journalisten, das Haar in der Suppe finden möchte, weil ich unbedingt etwas Schlechtes über die AfD schreiben wollte, sondern weil mir dieser Punkt schon damals, als ich aus Interesse das Programm der AfD Baden-Württemberg gelesen habe, negativ aufgefallen war und weil ich immer wieder gefragt wurde, was mich genau an der Familienpolitik der AfD stört.

Keine Medien, kein Artikel, kein anderer Journalist haben mich auf diese Fährte gebracht. Ich bin auch niemand, der sich von einer Mainstream-Meinung anstecken lässt, sonst wäre ich sicherlich nicht so kritisch in Fragen des Islams und der Asylpolitik. Nein, die Kritik an der Familienpolitik der AfD kam aus mir selbst heraus. Sie war meine Empfindung, als ich erstmals das Programm der AfD in Baden-Württemberg las und sie festigte sich durch das Lesen des Grundsatzprogramms der Partei, welches ich mir in vielen Teilen Wort für Wort vorgenommen und anhand dessen beschrieben habe, wie ich diese Zeilen lese.

Hierbei wurde mir in den letzten zwei Tagen nicht selten unterstellt, ich würde mich nicht an ein journalistisches Neutralitätsgebot halten: Mir scheint, als hätten da einige Leute etwas falsch verstanden. Man kann nicht bei dem einen Thema erwünschte Kommentare beklatschen und bei dem anderen Thema zu unerwünschten Kommentaren journalistische Neutralität fordern. Kommentare sind nie journalistisch neutral. Sonst wären es keine Kommentare. Sie offenbaren immer die subjektive Sicht eines Autors bezüglich eines bestimmten Themas. Es war meine subjektive Sicht auf die Familienpolitik der AfD. Diese Sicht kann man kritisieren, man kann versuchen sie argumentativ in der Diskussion mit mir zu widerlegen, aber man kann sie mir ganz sicher nicht absprechen.

Kritik muss jeder aushalten können

Auch eine AfD bzw. ihre Wähler müssen Kritik aushalten können. Vor allem aber sollte man mit sachlicher Kritik nicht so umgehen wie mit unsachlicher. Damit vergrault man auch jene, die es gar nicht böse mit einem meinen.

Sie würden es begrüßen, wenn das Ansehen der Hausfrau und Mutter wieder gestärkt wird, weil sie der Auffassung sind, dass dieses in den letzten Jahren gelitten hat? Sie sehen das anders mit der Abtreibung als ich? Schön. Können und dürfen Sie auch. Aber Sie müssen es ebenso ertragen können, wenn ich das anders sehe. Und klar können Sie mir die Schuld an einer zunehmenden Islamisierung geben, weil Frauen wie ich im Vergleich zu den muslimischen Frauen zu wenig oder gar keine Kinder kriegen. Sie können mir Egoismus, Hedonismus, Kinderfeindlichkeit und andere Dinge unterstellen, aber Sie sollten vielleicht einmal akzeptieren, dass Menschen unterschiedliche politische Ansichten haben. Dass Sie als Konservative kollektivistischer argumentieren als ich als Liberale. Dass Sie da zuallererst eine gesellschaftliche Verantwortung sehen und ich die individuelle Selbstbestimmung. Dass ich mir diese Verantwortung nicht aufbürden lasse, weil sie mir meiner Ansicht nach die freie Selbstbestimmung über meinen Körper nimmt und mich so gegenüber dem Mann benachteiligt. Und dass ich das mit der Natur ein wenig anders sehe als Sie. Dass nicht jede Frau einen angeborenen Mutterinstinkt hat und dass nicht jede Frau voll und ganz nur in dieser Mutterrolle aufgeht und zufrieden ist, sondern viele von uns auch noch etwas anderes brauchen, um glücklich zu sein. Dass ich aber z.B. auch nie gesagt habe, dass ich keine Kinder will. Dass es meiner Ansicht nach aber allein meine individuelle Entscheidung ist und dass ich eben nicht der Meinung bin, dass man junge Frauen wieder mehr für Kinder begeistert, indem man die traditionelle Rolle der Mutter und Hausfrau stärkt, die gerade für junge Studentinnen, zukünftige Akademikerinnen ein Anachronismus ist und bleibt.

Sie sprechen von Wahlfreiheit, die die AfD den jungen Frauen gibt. Dass es für die AfD genauso in Ordnung wäre, wenn junge Frauen Karriere machen wollen. Dass es auch um bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Ja, im Programm steht das in Teilen so und ich habe die guten Ansätze des Programms in Fragen der Familie auch erwähnt. Dass ich dennoch, wie ich dargelegt habe, eine einseitige Tendenz im Programm sehe, welche die Hauptlösung des Problems des demographischen Wandels in einer „Rückbesinnung“ der Frau zu ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau sieht und ich das als Rückschritt werte, können Sie mir jedoch nicht nehmen. Zumal all Ihre Kommentare, die zuvorderst von Männern kamen, in den letzten Tagen eindrucksvoll belegt haben, wie sehr sie eben gerade nicht diese Wahlfreiheit befürworten, sondern sich eine Rückbesinnung auf alte Rollenbilder wünschen, in denen Sie wieder der Chef im Ring sind.

Und nun werden Sie an dieser Stelle wieder damit kommen, dass man eben nie in allen Punkten mit einer Partei übereinstimmt. Dass es nicht um Feinheiten, sondern zunächst einmal um die groben Probleme wie den Islam und die Asylpolitik geht. Und glauben Sie mir, darüber habe ich mir ebenso oft den Kopf zerbrochen wie Sie. Dass ich diese Punkte für mich jedoch nicht als Feinheiten definiere, habe ich ebenso deutlich gemacht.

Bedenkliche Kritiklosigkeit

Was mich all dem jedoch viel mehr schockiert hat als manche Ihrer Ansichten, war die grenzenlose Kritiklosigkeit gegenüber der eigenen Partei bzw. der Partei, die man vorhat, zu wählen. Hat man denn nichts aus der Vergangenheit im Umgang mit anderen Parteien gelernt? Auch im SPD-Programm steht nichts davon, dass man möglichst unsoziale Politik machen will und dennoch tut man das in der Praxis nur allzu oft. Wieso ist man dann bei der AfD so darauf erpicht, nur den genauen Wortlaut gelten zu lassen und nicht zwischen den Zeilen zu lesen und im Kontext mit Politikeräußerungen, wie man es bei den anderen auch tut?

Wieso wird jede Kritik gleich niedergewalzt, während man genau dieses Verhalten, wenn es von anderen politischen Seiten ausgeht, kritisiert? Ich habe nie gesagt, dass die AfD eine Scheiß-Partei ist. Ich habe nie dazu aufgerufen, sie nicht zu wählen und ich habe stets hervorgehoben, wie wichtig ich sie für das politische Gleichgewicht und die Stabilität in diesem Land halte. Ich habe lediglich gesagt, weshalb ich mich schwer mit ihr tue und in einem Dilemma stecke. Weil ich vieles befürworte und zugleich einiges, was jedoch fundamental für mich ist, ablehne. Daran kann man Kritik üben. Sicherlich. Es geht schlicht um die Art und Weise.

Ich glaube, das Geheimnis liegt darin, dass viele Menschen, mit denen ich mich über die AfD unterhalte oder die bei mir kommentieren, so enttäuscht von der etablierten Politik sind, dass man all seine Hoffnung, die man noch hegt, in die AfD setzt. Die AfD wird so für viele zur Antwort auf Alles, zum ultimativen Heilsbringer. Nie ist mir das klarer geworden als in den letzten Tagen. Und wenn es jetzt noch etwas gibt, was mich neben der Familienpolitik und ein paar schrägen Köpfen wie Höcke skeptisch macht, dann genau dieser Umstand.

Frauke Petry sagt immer, dass sie großen Wert auf den ideologiefreien Diskurs legt. Mittlerweile werden ihre Anhänger selbst zu Ideologen. Das ist schade und zugleich gefährlich. Zum einen, weil man kaum noch empfänglich für Kritik ist. Zum anderen, weil gerade dann die Enttäuschung groß sein kann, wenn man bemerkt, dass auch die AfD nicht das Heilmittel für Alles ist, dass auch diese Partei gewissen Strukturen unterliegt und nicht die ganze Welt auf den Kopf stellt.

Denn was kommt, wenn so eine unbedingte Glaubens-Blase platzt?

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