Deutschland steht vor schweren Entscheidungen

Die satte und harmoniesüchtige Bundesrepublik sieht sich jetzt einer ganz und gar unharmonischen Wirklichkeit ausgesetzt.

IMAGO / STPP

Über Nacht scheint Deutschland ein anderes Land geworden zu sein. Vergessen schien mit einem Mal das Damoklesschwert der gluckenhaft über der Gesellschaft drohenden Glocke einer Pandemie, von der bis heute niemand so richtig weiß, was er aufgrund der vielen widersprüchlichen Informationen halten soll. Auch die durch den Klimawandel so unheilsschwanger gewordene Natur hat an Bedeutung verloren. Themen, die gerade noch kontrovers diskutiert wurden, wie die Verhunzung der Sprache durch Gender-Blabla, rückten im Pegel des Interesses nach hinten.

Völlig überraschend tauchte ein schauriger Geist aus längst vergangenen Zeiten wieder in Europa auf – die grausame Fratze des Krieges. Nicht nur, dass niemand damit gerechnet hatte, die plötzliche Herausforderung löste einen andauernden Schockzustand aus. Krieg, das war für die jüngeren Generationen etwas für senile, alte weiße Männer, die uns zu später Stunde mit Geschichten der Vergangenheit langweilten. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine brachte eine Besonderheit mit sich, die man aus den Gemetzeln vergangener Zeit nicht kannte. Der Tod von Frauen und Kindern, die rücksichtslose Zerbombung jeglicher Infrastruktur, die endlosen Trecks entwurzelter und verzweifelter Menschen auf der Flucht, flimmerten nur kurz zeitversetzt in die Wohnzimmer unserer satten und gelangweilten Wohlstandskultur.

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Die erste Reaktion war eine echte Welle von Entsetzen und Mitgefühl. Je mehr man aber begriff, dass das schreckliche Geschehen da draußen auch uns ereilen könnte, fächerte sich das Meinungsbild auf. Für die einen war plötzlich der Westen der Schuldige. Man habe über Jahre zu wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten Russlands und seines Diktators Wladimir Putin genommen. Das „absprachewidrige“ Heranrücken der Nato an die Grenzen der slawischen Großmacht habe Moskau provoziert. Besonders gelte das für die Führungsmacht des Westens, die Vereinigten Staaten von Amerika.

Alles Behauptungen, die einer ernsthaften Analyse nicht standhalten. Nicht Waffen sind es, vor denen sich die russische Führung, ebenso wie die Politbüro-Clique in Peking, fürchtet. Es ist die Idee der freien Entfaltung des Individuums mit all ihrer Dynamik, ihren kreativen Widersprüchen und eines optimistischen Fortschrittsglaubens. Deren größter Feind ist die Idee der kollektivistischen Zumutung von selbsternannten Priesterschichten, die sich als moralisch höherwertig betrachten. Nicht, dass bei rationalem Denken auch die Deutschen dies nicht erkennen würden. Sie sind nur ganz einfach von der Situation total überfordert. Am liebsten würde man sich in einer geschützten Ecke verkriechen und sich in das ergeben, was da eben so komme.

Ein Beleg für diese These sind die Ergebnisse einer ganzen Reihe von Studien des Instituts für Demoskopie in Allensbach zur Befindlichkeit der Deutschen aus jüngster Zeit. Zwar bekennt sich eine Mehrheit zur Notwendigkeit einer zur Verteidigung fähigen Bundeswehr. Doch irgendwie will man persönlich nichts damit zu tun haben! Wie in so vielen anderen Bereichen besteht das Verlangen, dass irgendwer – die Amerikaner, die EU oder die UNO – das Ganze schon richten würde. Dass dies eine realitätsferne Vorstellung ist, liegt auf der Hand.

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Hinzu kommt, dass jedes militärische Denken über die vergangenen drei Jahrzehnte, aber auch in der Zeit davor, verpönt und in die Tradition des Dritten Reiches verortet wurde. Es entwickelte sich im Bewusstsein die Vorstellung von einem Deutschland, dass es sich, ungeachtet der schrecklichen Dinge dieser Welt, auf einer „Insel der Glückseligen“ bequem machen könnte, geprägt durch eine Kultur, die jede Art tradierter Männlichkeit als toxisch brandmarkt und neben dem Ziel einer Feminisierung des Männlichen ein maskulines Frauenbild propagiert.

Als einzig wirkliche Bedrohung werden abstrakte und, wenn überhaupt, in weiter Ferne lauernde, imaginäre Ängste gepflegt. Angeprangert wird der Kapitalismus als Verursacher der Ungleichheit, beschwört wird der baldige Weltuntergang durch die Klimakrise, angeklagt wird der tägliche Geschlechterkampf, der aus jeder Beziehung eine Shakespeare’sche Tragödie werden lässt.

Wirklich berechtigt sind diese Horrorszenarien nicht. Niemand in den vielen „bunten Bewegungen“ glaubt ernsthaft, dass das Furchtbare noch in seiner Lebenszeit eintreten werde. Das alles wird begleitet durch die Vorstellung, aufgrund eigener moralischer Überlegenheit die gesamte Gesellschaft einer Kulturrevolution zu unterwerfen.

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Bislang reagiert die politische und sinnstiftende Elite in Deutschland aufgescheucht und verwirrt. Nicht wirklich von ihrem Handeln überzeugt, setzt sie dennoch die alten Mechanismen wie Stärkung der Wehrkraft und Appelle an die Verantwortungsbereitschaft jedes Einzelnen in Gang. Ob dies gelingen wird, ist keinesfalls sicher. Schon ist zu beobachten, dass die „Großväter und Väter“ des links-pazifistischen Milieus in den Medien, den Gewerkschaften und in den Kirchen dabei sind, das Entsetzen über den Krieg als Wirklichkeit mit einem allgemeinen und folkloristischem Friedensbekenntnis à la „Ostermarsch-Bewegung“ zu kanalisieren und an der zentralen Frage des Gegensatzes von Freiheit und Unfreiheit vorbeizuführen.

Man muss kein Pessimist sein, um an den Kräften noch verbliebener bürgerlicher Weltsicht, sich diesem entgegenzustellen, zu zweifeln. Die Bundesrepublik Deutschland steht heute vor der Alternative, sich auf ihre eigene Kraft zu besinnen, zu der auch – wie überall sonst auf der Welt – der Stolz auf die eigene Nation gehört, oder sich in einem Akt der Schwäche und vorauseilender Unterwerfung aus der Reihe führender europäischer Nationen zu verabschieden.

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Kommentare ( 144 )

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Lizzard04
2 Jahre her

„Nicht Waffen sind es, vor denen sich die russische Führung, ebenso wie die Politbüro-Clique in Peking, fürchtet. Es ist die Idee der freien Entfaltung des Individuums mit all ihrer Dynamik, ihren kreativen Widersprüchen und eines optimistischen Fortschrittsglaubens.“ Na wenn das wirklich so ist, ist der ganze Aufwand Putins umsonst, denn die hier beschriebene Idee wird von den Links-Grünen Transformatoren hierzulande schon von selbst zu Grabe getragen.

Frank70
2 Jahre her

Zitat:“…Die Bundesrepublik Deutschland steht heute vor der Alternative, sich auf ihre eigene Kraft zu besinnen, zu der auch – wie überall sonst auf der Welt – der Stolz auf die eigene Nation gehört, oder sich in einem Akt der Schwäche und vorauseilender Unterwerfung…“ Stimmt nicht! Die Entscheidung ist schon längst zu unseren Ungunsten gefallen. Und man hat dafür Sorge getragenen, daß das auch so bleibt. Und wozu auch? Thilo Schneider hat es sehr gut auf den Punkt gebracht: „Bedingt abwehrwillig!“ Viele ehemalige Zeitsoldaten liebäugeln durchaus mit der Idee der Berteidigung des Vaterlandes. Aber wen und was soll man verteidigen? Die… Mehr

Return
2 Jahre her

Nach der Lektüre dieses Artikels habe ich den Eindruck, dass Gafron dieses System, welches im heutigem Westen herrscht – seine Ziele, seine Ideologie, seine Akteure – nicht wirklich versteht. Er versteht nicht, dass der Feind des „Westens“ nicht Putins Russland ist (und auch nicht China) sondern seine eigenen feindlichen Eliten. Daher erkennt er auch nicht, dass die Freiheit, die „freie Entfaltung des Individuums“, im Westen schon lange nur noch eine Illusion ist. Die Freiheit in weiten Teilen des Westens ist heute die „Freiheit“, einer radikalen Ideologie und Politik, die sämtliche traditionellen Normen der europäischen Kultur bekämpft und die weißen Völker… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Return
Donostia
2 Jahre her

Diese Gesellschaft stellt sich als offen und solidarisch dar. Einige Bürger sind das auch. Aber die Mehrheit ist eher egoistisch. Es wird immer gefordert, dass der Staat oder die Gesellschaft helfen soll. Die wenigsten Bürger legen aber selbst Hand an, oder geben Geld aus ihrem privaten Vermögen ab. Es sind sehr viele Scheinheilige unter den Gutmenschen.

Thorsten
2 Jahre her

Der Westen hat sich vor einigen Jahren auch von einigem verabschiedet: a) von der „freien Entfaltung“ durch Frauen und Minderheitenförderung verabschiedet. b) vom Leistungsprinzip durch „Gleichstellung“ und „Anti-Diskriminierung“ c) vom Leistungsprinzip die hohen Steuern und Sozialagaben und „leistungslosen Einkommen“ wie Hartz4 oder NGO-Karrieren d) „Mainstream“ in den Massenmedien Wenn die „Boomer“ in 10 Jahren endgültig in Rente gehen, dann wird es echt brenzlig. Corona war ein weltweites Problem war, während der Westen im Ukraine-Krieg die totale Eskalation gegenüber der Weltmacht Russland betreibt. Dies schlägt in vielen Nachteilen (vulgo „Preiserhöhungen“) nieder: teure Rohstoffe, Flüchtlinge oder Rüstung. Den russischen Markt übernehmen die… Mehr

Hoffnungslos
2 Jahre her

Besonderheiten des russischen Angriffskrieges? 77 Jahre nach dem Waffenstillstand in Europa und schon alles vergessen, nie gekannt, nie dagewesen? Man sollte schon wissen, worüber man schreibt, Herr Gafron.

Frau U.
2 Jahre her

Die selbsternannten alternativen Medien versagen in den von den Politik erzeugten Krisen, ob Pandemie oder Ukraine Krise.
Deutschland braucht neue, freie Medien.

Olaf W1
2 Jahre her

Es wird immer anstrender, solche Artikel wie Ihren Herr Gafron, zu lesen. Immer wieder wird suggeriert, wir im Westen hätten das überlegene Gesellschaftssystem und wären im Recht. Sie schreiben: „Es ist die Idee der freien Entfaltung des Individuums mit all ihrer Dynamik, ihren kreativen Widersprüchen und eines optimistischen Fortschrittsglaubens.“ Davor würde sich Russland und das Reich der Mitte fürchten. Überheblich und herabblickend führen Sie aus, dass wir dadurch, dass wir 7425 Geschlechter haben, sich jede pervertierte Randgruppe als Zentrum der Gesellschaft sehen und ausleben darf und wir der Diktatur von Idiotie wie Ideologie unterworfen sind – das sind alles die… Mehr

nachgefragt
2 Jahre her
Antworten an  Olaf W1

Gleich mehrfach falsch! Der Westen krankt ja nicht daran, dass es zu viel Meinungsfreiheit gibt, sondern zu wenig. Es ist kein Problem, wenn Idioten den ganzen Tag lang gendern, sondern wenn Minderheiten den Mehrheiten Idiotismen aufzwingen und vor allem schon die Gegenrede verbieten. Diese Minderheiten sind aber die, die große Sympathien für die Instrumente der Diktaturen, wie China und Russland haben, um ihre Ideologien durchzusetzen. China und Russland zeigen den Ideologen, wie sie noch kompromissloser andere Meinungen, berechtigte Einwände und Interessen, die persönliche Freiheit unterdrücken können. Für einen Schwab vom WEF mit seinen Ideen von Transformation bis Smart City ist… Mehr

Return
2 Jahre her
Antworten an  nachgefragt

Aber unsere „grünen Bessermenschen“ sind doch mittlerweile die treuesten Freunde der USA und der NATO und der schlimmsten Gegner Russlands – schon lange vor dem Krieg!!!

Sie tun irrigerweise so, als würden unsere linken Ideologen in Russland oder China irgendwie Verbündete sehen, während heute große Teile der Linken gerade mit großem Furor zum Kampf gegen Russland aufrufen.

Ali
2 Jahre her

Ich finde das gut.   Dieses sicherlich schmerzhafte, entbehrungsreiche Aufwachen bei einem Großteil der Bundesbürger, die uns all diese LinksGrünen, zutiefst sozialistisch ideologisierten Fanatiker seit über Jahren in den Bundestag und an die Macht wählen ist mehr als angebracht.   Anders wird hier kein Umdenken mehr stattfinden. Anders kriegen wir diese moderne SED aus SPD*Innen/Grün*Innen/Link*Innen, CDU und FDP nicht mehr aus diesem korrupten Berliner Stall. Nicht das ich noch daran glauben würde. In Deutschland wird zwischenzeitlich ja sogar schon bei Wahlen vorsätzlich betrogen (z.B. Berlin). Aber dennoch, man soll die Hoffnung bekanntlich niemals aufgeben. Nun, das derzeitige Double eines Wirtschaftsministers,… Mehr

teacher32
2 Jahre her

„Der (west-) deutsche Pazifismus ist das Ergebnis der von außen initiierten Reeducation nach WK II – das ist ein Sonderfall, den es sonst nirgends auf der Welt in dieser Form gibt“.

Dazu könnte man jetzt eine Menge schreiben. Allerdings ist diese Aussage formal z.T. politisch auch falsch:
So verbietet die japanische Verfassung expressis verbis bis heute den Unterhalt von Streitkräften.
Dass diese schon seit geraumer Zeit unter der sprerrigen Bezeichnung „Japanese Self-Defense-Forces“ existieren, ändert an dem oben angeführten Zusatand zunächst einmal nichts.