So wie man einen Fußballer an Toren, so misst man den Satiriker an seinen Treffern, die Sprachlosigkeit erzeugen müssen, keinen Konsens.
Dieter Nuhr auf einen Shitstorm im Netz aufgrund seiner Absage eines Auftritts reagierend: „Den Irren, die mir Rassismus unterstellen, weil ich darauf hingewiesen habe, dass mein Auftritt in GE ausfällt, sei gesagt: ich habe nur darauf hingewiesen, dass mein Auftritt ausfällt. Es handelt sich dabei um eine Tatsache. Ich wusste, dass sich hier viele Bekloppte rumtreiben, aber dass man eine Auftrittsabsage zum Rassismusvorwurf missbrauchen kann, war mir neu.“
Wie naiv darf ein Satiriker sein?
Nuhr erlebte die Schwierigkeit, die Harald Schmidt einmal als das Ende der Satire bezeichnete, wenn der Kritiker einer Religion von dieser mit dem Tode bedroht werden kann. Denn der Rechts-Staat ist ja bekanntlich auf seinem toleranten Auge völlig machtlos. Dieter Nuhr möchte den neuen Religionskrieg durchstehen, denn er wurde wegen seiner Islamkritik immer wieder übelst bedroht und erleidet seit langem Personenschutz. Aber auch nicht alle seine Fans wollen ihm seine Religionskritik durchgehen lassen, also erklärt er begütigend, eine neue Mitte suchend: „Mich stört, wenn ein Salafist meint, ich dürfe über ihn und sein Verhalten keine Witze machen, weil er einem bestimmten religiösen Glauben anhängt. Das finde ich lächerlich.“ und landet so mitten im Mainstream, denn wer wollte ihm da widersprechen?
Er will es aber als Komiker auch nicht riskieren als islamophob verschrieen zu werden. Also sucht er die versöhnliche Mitte, da die alte im technokratischen Kauderwelsch irgendwo in einen dichten Nebel geraten ist. Er versucht die alten Flügelschlachten wieder anzufachen, im Kampf gegen rechts den Mainstream zu bestärken, aber auch gegen anscheinend scharf links den Tapferen zu geben. Sein Witz: „Stalin hätte nicht für die Linkspartei zur Verfügung gestanden, deshalb habe man Sahra Wagenknecht genommen“ ist schal, nicht weil er zu undeutlich gegen die Linke gemeint wäre, sondern weil er sie nicht trifft. So wie man einen Fußballer an Toren, so misst man den Satiriker an seinen Treffern, die Sprachlosigkeit erzeugen müssen, keinen Konsens.
Etwas kann mit dem alten Satirebegriff also nicht mehr stimmen, wenn ein netter Typus wie Dieter Nuhr vor Tausenden von Fans seinen gut gemeinten Sozialkundeunterricht erteilt – diesen sicher mit ein paar Witzen anwürzend, anreichernd – so dass Opa samt Enkelin dazu einmütig applaudieren und in leicht schadenfroher Stimmung dazu lächeln können. Sein Jahresrückblick ergab sich beinah wie ein Koreferat zu Merkels Neujahrsansprache.
Damit er nicht ganz so ausgeglichen wirkt, wie er redet, trägt er unterm Jackett kein Hemd. Aber er schimpft nicht, wie der zauselige Priol, der ebenfalls am allerbesten weiß – auf der Bühne hin und her wieselnd – , was zu tun wäre, wenn alle so ethisch sauber dächten wie eben leider nur er – so als bräuchte die authentische politische Gesinnung seine Freak-Klamotte zur verborg‘nen Offenbarung.
Politisch korrektes Kabarett?
Anders Nuhr, ihn trägt die alte Atlantikbrücke der Vernünftigen über seine Suada politisch korrekter Meinungspolitik. Was soll am Korrekten denn falsch sein, wenn es halt doch korrekt ist, versichert uns Nuhr tautologisch und bestärkt damit das heile Gewissen der Bessergestellten. Das hören sie gern, die um den Optimismus ihrer Kundschaft bangen. Nein, die Welt hier drinnen ist schon in Ordnung, beruhigt der Dieter sein Klientel, das sehr wohl auch zum Volk gehört. Mögen die Pöbelhorden an den Rändern doch schreien, was sie wollen. Sie profitieren von der Freiheit, die sie verhöhnen. Versaute, hemmungslose Hirne. Nein, nein flüstert Nuhr in sein Mikrofon, es ist schlimm ja, aber überall anders ist es noch viel schlimmer. Deshalb ist doch verständlich, dass so viele zu uns wollen. Hier fährt der Satiriker ganz auf der Merkelschiene. Ist ihm da etwas verrutscht oder erzeugte die Angst vor dem Terror die Konsensmilch für sein Publikum?
Den rechten wie den linken Rand lehnt er naturgemäß ab, um eine neue Mitte zu fingieren, wenn die dort so undankbar sind, nur weil es ihnen ein bisschen schlechter geht als dem Nuhr und seinesgleichen. Dabei greift er mit seinen Beispielen weit hinaus in die globale Welt, ja er betreibt geradezu Weltpolitik im Gewande des Spaßmachers, als ob er nie gehört hätte, dass Satire doch immer konkret, bestenfalls lokal vor der eigenen Türe den Kehrricht abzuräumen hätte. Nuhr bricht solche Regeln, weil er dazu gehören will, die alt liberale Heimeligkeit sucht. Es gilt jetzt die Rettungskräfte der Demokratie zu mobilisieren, meint er wie die Röttgens und Kauders, dazu brauchen gerade auch diese das sog. Comedy-„Kabarett“ des D. Nuhr.
Vorbei die Zeiten deshalb, als das Kabarett noch überhaupt Opposition sein wollte, weil die Welt und alles grundverkehrt ist. Nein, nicht vergessen, mahnt er: Wir hatten noch einmal Schwein und wollen nie mehr zu einem solchen verkommen. Diesen alten Trostgottesdienst – freilich vollkommen säkular gestaltet – zelebriert der von der Islamangst gewendete Nuhr. Selbstredend auch nach der Trompete der Quotenpolitik des ZDF und anderer Agenturen des Wertekonsenses.
Klar, die Ungeheuer aus den seichten Tiefen der Virtualität sind Schrecken-erregend. Doch ob man ihnen mit den biederen Benimmweisheiten der Parteiendemokratie Herr werden kann, darf bezweifelt werden. Und diesen Zweifel hätte echte Satire am normalen Bürger und seiner Nachbarin ins Bild zu setzen und zu verifizieren. Jenseits aller bloß korrekten Meinungshuberei.
Wim Setzer ist Kabarettist, Kunstkritiker und Journalist.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein