Der Radfahrer ist der größte Feind des Radfahrers

Straße ist Krieg und voller Gegner für Radfahrer: Hunde, Fußgänger oder Autofahrer. Doch der größte Feind des Radfahrers ist der Radfahrer selbst – das belegt nun eine Studie. Fast die Hälfte der tödlich Verunglückten starben bei einem Unfall ohne weiteren Beteiligten.

picture alliance/dpa | Peter Kneffel

An der roten Ampel. Drei Autos warten bereits. Ein viertes drängelt sich über den Bürgersteig und stellt sich vor die anderen. Ein fünftes macht über die Gegenspur das Gleiche. Bevor die Ampel auf Grün springt, bilden sich mehrere Zweier- und Dreierreihen. Der Start erinnert nicht an die Formel Eins – sondern an ein Crash-Car-Rennen. Eine unvorstellbare Situation? Für Autofahrer schon. Im Radverkehr passiert einem das in Großstädten tagsüber an fast jeder Ampel.

Das Internet ist voll mit Blogs, in denen Radfahraktivisten anklagen. Der Finger zeigt auf alle: auf Hunde, die ihnen boshaft in den Weg springen. Auf Fußgänger, die noch boshafter nicht bereit sind, aus eben diesem Weg zu gehen. Und am schlimmsten von allen – das personifizierte Böse – der Autofahrer, der überholt, ohne genug Abstand zu halten. 1,50 Meter sollten es mindestens sein. Nur auf Radfahrer selbst zeigt der Zeigefinger der Aktivisten eigentlich nie.

Dabei haben sich viele Radfahrer alle drei Finger verdient, die bei einem ausgestreckten Zeigefinger in der Regel auf einen selbst zurück zeigen. Sie fahren auf den Gehwegen mit 20 Stundenkilometern oder mehr und sehen es dort als die Aufgabe der Hunde und Fußgänger an, dass es zu keinem Zusammenstoß kommt. Rote Ampeln sind für sie bestenfalls eine unverbindliche Empfehlung, und wenn der Autofahrer dann bei eigenem Grün trotzdem in die Kreuzung fährt und der Rot-Ignorierer in Gefahr gerät, zeigt das doch nur, welch bedauerliches Opfer der Radfahrer ist.

Tatsächlich ist der Radfahrer ein Opfer. Aber meist von sich selbst. Nicht nur, weil er sich dem anderen Radfahrer vor der Ampel in den Weg stellt. Oder weil er beim Überholen einen Abstand von einem Nanometer für sicher genug hält. Oder weil er bereits einfädelt, obwohl er noch keine ganze Fahrzeuglänge vorbei ist. Und den Schulterblick müsste man dem überholenden Radfahrer erklären. Den halten die meisten für einen medizinischen Test oder eine Übung im Yoga.

Doch der Radfahrer ist nicht nur ein Problem für den anderen Radfahrer. Er ist auch sich selbst der größte Feind. Das belegt nun eine Studie der „Unfallforschung der Versicherer“ (UdV). Demnach hat es 2023 insgesamt 5112 schwerverletzte Radfahrer nach Unfällen mit Autos gegeben. Jeder für sich einer zu viel. Aber in 27.400 Unfällen mit einem Radfahrer als einzigem Beteiligten kam es zu 6400 Schwerverletzten. Der Natur der Sache gemäß ist die Dunkelziffer höher als bei Unfällen mit Autos. Bei denen kommt in der Regel die Polizei oder wird eine Versicherung benachrichtigt. Wer einen Unfall ohne weiteren Beteiligten erleidet, meldet den nicht zwangsläufig.

Es ist die Fahrweise, die zu diesen Unfällen führt. Manche fahren zu schnell, andere bremsen abrupt oder sind insgesamt unaufmerksam. Auch Alkohol ist oft im Spiel. Das sind übrigens keine Klischees gegenüber Radfahrern. Das sagt die Polizei in der UdV-Studie – und zwei Drittel der befragten Unfallopfer bestätigen dieses Fehlverhalten als Ursache für Unfälle. Jeder dritte getötete Radfahrer geht mittlerweile auf Unfälle ohne weitere Beteiligung zurück. Bei den Schwerverletzten ist es fast die Hälfte.

Noch kommt es zu mehr tödlichen Unfällen mit Autos. In solchen starben 2023 insgesamt 178 Radfahrer. 147 Tote gab es nach Unfällen ohne weiteren Beteiligten. Auch hier liegt das in der Natur der Sache. Und zwar der Physik. Höheres Tempo und mehr Masse lassen jeden einzelnen Unfall für sich selbst gefährlicher werden. Genau darin verbirgt sich ein Trend und eine Gefahr, nämlich dass sich Radfahrer künftig selbst noch mehr Schaden antun. Das Stichwort dazu heißt Pedelec.

Die motorisierten Fahrräder sind schwerer, beschleunigen stärker und sind weniger leicht zu handhaben als klassische Räder, sagen die Unfallforscher. Entsprechend liegt die Zahl der schwerverletzten Pedelecfahrer deutlich höher als bei den klassischen Radfahrern. Das hält Pedelec-Nutzer aber nicht davon ab, ebenfalls den Fußweg zu nutzen. Die motorisierten Räder boomen in den letzten Jahren. Das erklärt auch die steigende Rate an Unfällen, an denen niemand außer einem Radfahrer beteiligt war: „Rad-Alleinunfälle haben sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt“, teilt die UdV mit.

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Kommentare ( 33 )

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Fulbert
28 Minuten her

Warum wurden in der Studie eigentlich nicht E-Roller berücksichtigt? Vielleicht deswegen, weil sich auf diesen lächerlich-infantilen Apparaten bevorzugt eine gewisse männliche Klientel im Trainingsanzug mit Handtasche und grimmigem Gesichtsausdruck fortbewegt?

Elmar
37 Minuten her

Der Herr Thurnes hat noch ein paar Kleinigkeiten vergessen. Zum Beispiel Radler, die im Dunkeln ohne Licht unterwegs sind. Dann gibt es auch noch recht viele Radler die in Einbahnstraßen und auf Radwegen gegen die Fahrtrichtung fahren. Das Problem sind aber nicht nur die Radler, sondern auch eine im Wachkoma befindliche Justiz, die Autofahrer regelmäßig am Fehlverhalten der Radler teilhaben lässt in dem es ihnen eine Mitschuld aufbürdet obwohl der Radler eindeutig der Sündenbock ist. Man kann das auch Narrenfreiheit für Idioten nennen.

Asurdistan
37 Minuten her

Ebenso nervig sind auch Lastenräder die teilweise schon Dimensionen eines Kleinwagens haben. Werden gerne auch mal auf dem Gehweg benutzt weil ein Kind mit Fahrrad vorne weg fährt. Fußgänger klingelt man dann penetrant an.

Egge940
11 Minuten her
Antworten an  Asurdistan

Blöd, wenn einem Mal vor Augen geführt wird, wieviel Platz die eigene Blechdose verbraucht, oder?

Mermaid
40 Minuten her

Wenn ich mir all die Reaktionen hier im Forum ansehe, dann haben Sie wohl in ein Wespennest gestochen und ein echtes Problem angesprochen, daß viele umtreibt! Danke nochmals.

epigone
52 Minuten her

Anmerkung #5:

Und kurz und kanpp und zynisch am Schluss: Wenn ich so täglich erlebe, wie risikobereit und rücksichtslos viele mit dem Rad unterwegs sind, so bleibt eigentlich als Erklärung nur Dummheit und die fehlende Fähigkeit sich vorzustellen, was so alles passieren kann! So z.B. wenn sich Radler (auch Fußgänger selbst mit Kinderwagen!) noch kurz vor oder hinter einem rangierenden LKW oder PKW durchschlängeln.

Da gilt dann eben: Survivel of the fittest oder: die Dummen sterben früher und öfter!

epigone
58 Minuten her

Anmerkung #4: Ach ja – und ein gerne gepflegter Mythos ist ja der gesundheitliche Nutzen des E-Bikes. Angeblich per Studie der MHH / Abt. Sportmed. belegt: E-Biken habe keinen negativen Einfluss auf das allgemeine Fitness-Level und körperliche Parameter gegenüber „normalem“ Radfahren, ergo sei gesundheitlich förderlich. Auch hier gilt: Lesen bildet! Denn die Studie sagt nicht, was gerne von schlichten Gemütern in sie hineingelesen wird – E-Biken habe einen positiven Einfluss gegenüber normalem Radfahren. Vielmehr zeigt sie: Wer sonst z.B. mit 150 Watt am Pedal unterwegs ist (mechanische Leistung), der verausgabt auf dem E-Bike nicht weniger. Der einzige Unterschied: Er kommt… Mehr

Egge940
9 Minuten her
Antworten an  epigone

Es mobilisiert nicht nur Alte und Gebrechliche, wie Sie hier fälschlicherweise behaupten. Viele wollen auch einfach nur „unverschwitzt“ ins Büro kommen und fahren deswegen gerne E-Bike. Daher auch der hohe gesundheitliche Nutzen, den Sie hier einfach leugnen.

Marcel Seiler
58 Minuten her

Ich habe als Radfahrer auch zunehmend Angst vor den Lastenfahrrädern. Sie gelten leider als Fahrräder, auch wenn sie sehr breit und schwer sind, und dürfen Fahrradwege benutzen. Auf einem schmalen Fahrradweg verdrängen sie alles andere. Sie haben mehr Gewicht. Ein Aufprall mit dem vorne liegenden hartkantigen Holzkasten kann nach meiner Einschätzung zu erheblichen Verletzungen führen. Gibt es da Unfallstatistiken?

Marcel Seiler
1 Stunde her

Es sind viele Ältere (60+), sie sich Pedelecs zulegen. Die Kombination von erhöhter Geschwindigkeit und erhöhter Bremskraft des Rades mit verringerter mentaler Agilität des Fahrers ist eine nicht ungefährliche Mischung. (Interessant wäre hier eine Altersverteilung der radfahrenden Unfallopfer gewesen.)

FleischmannTV
1 Stunde her

Es gibt hier so Stellen in meiner Stadt, da ist die Sicht um die Ecke von einer Hecke blockiert. Wenn Sie um diese Ecken gehen, wenn ein Elektromotorradfahrer aus der Gegenrichtung kommt und aufgrund seiner Geschwindigkeit die Spur nicht halten kann, dann war es das mit ihnen. Wenn der sie umgenietet hat, begeht er natürlich noch Fahrerflucht, sofern er selbst keinen Schaden genommen hat.

epigone
1 Stunde her

Anmerkung #3: DIe E-Bikerei erreicht mittlerweile auch die klassischen Trainingsziele der Rennradfahrer, v.a. also Mallorca im Frühjahr. Dort zusehends eine Flut von E-Bikern unterwegs, die weder die Regeln des Radfahrens in großen Gruppen kennen noch daran interessiert sind. Sondern sich vielmehr rücksichtslos gegenüber jedermann verhalten und sich selbst damit auch noch in Gefahr bringen. Darum weichen Amateurrennradfahrer (die Profis und Weltstars sind schon seit einer Weile von Malle weiter aufs spanische Festland fürs Trainingslager gezogen) zusehends auf andere Destinationen aus. Was ich meine? Z.B. E-Biker im Tramuntana-Gebirge: Da fahren schon mal – pardon: es waren nun mal Frauen – da… Mehr