Das Skandalurteil des Bundesgerichtshofs zur Meinungsfreiheit

Scheibchenweise, still und leise stirbt die Freiheit. Eines Morgens wacht man auf – und ist in einem anderen Land.

IMAGO / Reiner Zensen

Unter den fundamentalen Grundrechten einer Demokratie gebührt dem Recht auf freie Meinungsäußerung ein besonders hoher Stellenwert. Nicht ohne Grund sind für seine Einschränkung genau festgelegte Kriterien notwendig. Nach bislang unangefochtener Rechtsauffassung sind diese durch das Strafrecht definiert. Niemand soll willkürlich und nach Lust und Laune eine andere Meinung verbieten oder unterdrücken können!

Seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes zur Meinungsfreiheit in der vergangenen Woche ist das nun anders. Die Richter ermunterten die Verantwortlichen bei Facebook geradezu, sogenannte „Hasskommentare“, auch ohne dass eine Verletzung des Strafrechts vorliegt, zu unterbinden. Stellt sich da doch sofort die Frage, wer legt eigentlich fest, was ein „Hasskommentar“ ist. Ein Verantwortlicher von Facebook, der, möglicherweise als Mitglied einer Partei oder einfach wegen seiner Gesinnung, einen Text ganz anders bewertet als sein Kollege von nebenan. Offensichtlich gehen die Richter davon aus, daß „Hasskommentare“ à priori rechtsextremistischem Gedankengut entspringen. Hier mag ein Konsens ja noch schnell gefunden werden können. Wie ist es aber, wenn Vertreter der Antifa (also angeblich die auf der guten Seite) Morddrohungen gegen Andersdenkende absetzen und Gewalt offen anpreisen? Wie schnell bleibt da die soviel gepriesene Gleichheit vor dem Gesetz auf der Strecke?

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Die Grenzen zwischen gut und böse verschwimmen. Die Rechtsfindung wird beliebig, je nachdem, was gerade gewünscht wird. So etwas kannte man in Deutschland bislang nur zwischen 1933 und 1945, und – nicht zu vergessen – in einem Teil Deutschlands unter sowjetischer Herrschaft noch ein bißchen länger, bis 1990. Die von der Staatssicherheit als Grundlage für Ermittlungen herangezogenen Paragraphen des Strafgesetzbuches waren die umgangssprachlich sogenannten Zweihunderter-Artikel, also das politische Strafrecht. Besonders gern bediente man sich dabei des Paragraphen 220 (Staatsverleumdung). Das konnte ein Witz in der Pause gegenüber Kollegen sein, eine kritische Meinung zu Aussagen der SED und vieles andere. Was das so genau war, bestimmte die Staatssicherheit selbst, jeweils abhängig von der vorgegebenen politischen Linie. Auf alle Fälle ging es bei 220 nie unter zwei Jahren Zuchthaus ab, ganz zu schweigen von „staatsfeindlicher Hetze“ und „Herabwürdigung der DDR oder ihrer Repräsentanten“. Die Folge derartiger Rechtsunsicherheit schafft Verunsicherung und Ängste. Es entsteht ein Klima des Duckmäusertums und des Misstrauens gegenüber allem und jedem. Spätestens dann ist die Stunde der Denunzianten und geheimen Lauscher gekommen. Das zwischenmenschliche Klima verändert sich, dauernd schaut man sich um und achtet beispielsweise darauf, wer im Restaurant am Nebentisch sitzt. Es ist so, als ob sich eine bleierne Decke herabgesenkt hätte.

… so verteidigen sich die Faktenprüfer
„Fakten sind nur Meinungen ..."
Man stelle sich vor – ein früheres Verfassungsgerichtsurteil, nachdem die Bezeichnung unserer Soldaten als Mörder möglich ist, könnte dazu dienen, demnach auch unsere Polizei als „staatlich eingesetzte Knüppelrowdies“ im Umgang mit Demonstranten anderer Meinung bezeichnen. Gerade in letzter Zeit hat die Polizei mit unverhältnismäßiger Härte Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung unterbunden, und im Gegensatz dazu sich bei gewalttätigen Ausschreitungen Linksradikaler auffallend zurückgehalten. Nun bin ich kein Jurist, aber für mich ist beides nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Unser Staat und unsere Justiz täten wirklich gut daran, einmal grundsätzlich über diese Fragen nachzudenken.

Merkwürdig muß auch stimmen, dass die Bundesregierung ausgerechnet über in China bereits eingesetzte technische Systeme, die die vorgegebenen sozialen Verhaltensregeln überwachen sollen, forschen lässt. Vielleicht gehört in nicht allzu langer Zeit auch der Gebrauch der Gender-Sprache dazu. In China existiert ein Punkte-System. Wer negativ auffällt, erleidet gesellschaftliche Benachteiligungen vom Verwehr einer Urlaubsreise bis zur Verweigerung eines Studienplatzes. Viele haben die Realität im Unrechtsstaat DDR wieder vergessen, und Merkel selbst sorgt dafür, daß unliebsame Personen, wie der unter fadenscheinigen Umständen gefeuerte langjährige Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, im Nichts verschwinden. Zum Schluß noch ein paar Zahlen. Die DDR hatte etwa 17 Mio Einwohner. Neben der Einbindung in für jede Altersgruppe geschaffenen Organisationen, von den Jung-Pionieren bis zur Volkssolidarität im Alter, wachten 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter, die von 180.000 inoffiziellen Mitarbeitern (Spitzeln) unterstützt wurden, über die Menschen im SED-Staat. Damit entfielen auf 90 Einwohner ein Spitzel. Wenn man dazu bedenkt, daß die Ermittlungen des Geheimdienstes nicht alle Teile der Gesellschaft gleich intensiv erfassten, lässt sich der Verfolgungsdruck ermessen. Er war in der DDR größer als in jedem anderen Land des Ostblocks, einschließlich der Sowjetunion.

Doch bis es wieder soweit ist, ist die Freiheit längst gestorben.


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Kommentare ( 42 )

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Ede Kowalski
3 Jahre her

Die innere Freiheit kann uns keiner nehmen und langfristig hat sie noch immer gesiegt.

Evero
3 Jahre her
Antworten an  Ede Kowalski

Langfristig ja. Kann aber bedeuten, dass es wieder 40 Jahre bis zur Wende dauert.

Judith Panther
3 Jahre her

Ich fürchte, „Frei sein“ kann der Deutsche auch nur auf Befehl von Oben und selbst dann braucht er dafür noch eine Gebrauchsanweisung, die er gehorsam befolgen kann. Das kann dann einer funktionierenden Demokratie eine Weile täuschend ähnlich sehen, doch der Spuk ist auf neuen Befehl von oben und mit neuen Regeln auch genauso schnell wieder vorbei – sieht man ja. Und so absurd können Regeln garnicht sein, daß der Deutsche sie nicht willig befolgen würde. Es geht ja nicht um die Regeln, sondern ums Befolgen. Und darum, dafür zu sorgen, daß auch der Nachbar sie befolgt. Im Dritten Reich haben… Mehr

Evero
3 Jahre her

Wenn es darum geht, das „Kind mit dem Bad auszuschütten“, sind die Sozialisten absolute Weltspitze.
Ich mache mir keine Illusionen, dass diese Spaltung der Gesellschaft, die diese Subjekte zu verantworten haben, nochmal gekittet wird. Nein, der Graben wird noch vertieft werden. Deutschland wird DDR in all ihren Ausprägungen. Dass ich das als frei geborener Westdeutscher erleben muss, stimmt mich traurig. Scheinbar sind die oft gepriesenen demokratischen Fundamente doch so labil, dass quasi über Nacht der Mehltau von Honecker, Mielke und Co. sich über das ganze Land legen konnte.

Eine zweite Befreiung vom Joch des Sozialismus wird dringend nötig sein.

Last edited 3 Jahre her by Evero
HavemannmitMerkelBesuch
3 Jahre her

Man muß ja nicht immer die ganz große Verschwörung glauben, aber man kann. Erschreckend ist die unfassbare Dummheit breiter Teile der Bevölkerung neben denen, die sich darauf freuen, zu glauben, DDR könne nicht wieder werden. Wer will in einem Land leben, in dem Dein Nachbar, zufällig gutbezahlter Regierungsuntertäniger Richtigglauber und Facebookzensierer, Deine Meinung löschen kann und darf,die keineswegs strafbar ist, aber Regierungskritisch. Aber das wäre noch das Kleinste, genauso wie der nicht buchbare Urlaub, weil man mit einer Löschung seiner Meinung unangenehem auffielund seinen Socialcredit löschte. Wann genau wird wieder nicht nur der Credit gelöscht sondern das ganze Konto in… Mehr

Gabriele Kremmel
3 Jahre her

Freiheit stirbt nicht, sie wird einem genommen. Hier fand kein Krieg statt, sie wurde also nicht geraubt. Sie wurde einfach verschachert und einkassiert, und statt Widerstand löst dieser Vorgang Zustimmung aus oder versandet zumindest im Desinteresse.

Axelino
3 Jahre her
Antworten an  Gabriele Kremmel

Die deutsche Passivität, Bräsigkeit und Denkfaulheit, der Hang zu Idealismus und Weltverbesserung gepaart mit einer einzigartigen Konsenssucht und einer masochistischen Untertanenmentalität und meist unangebrachten Opferbereitschaft ist alle paar Jahrzehnte der Grund, warum die Demokratie in der Mitte Europas baden geht. Sie haben völlig recht! Es putscht niemand. Die allermeisten lassen sich ihre Freiheit einfach so beschneiden, weil wieder mal die Welt gerettet werden muss. Ich fürchte, die Deutschen können von allen Völkern Europas am wenigsten mit einem selbstbestimmten Leben in Freiheit anfangen. Jedes Aufbegehren gegen diese Ungeheuerlichkeiten wird von der Masse nur mit gleichgültigem Kopfschütteln quittiert.

Till Kinzel
3 Jahre her

Bitte nicht vergessen, bei solchen Texten auch immer den Stein des Anstoßes, also hier das entsprechende Urteil, mit Aktenzeichen nennen und direkt verlinken. Es ist m.E. gerade ein Kritikpunkt an den Mainstream-Medien, wie auch bei DLF Kultur, FAZ etc., daß so etwas viel zu häufig nicht gemacht wird. Aber wer dazu recherchiert hat und seine Meinung dazu äußert, besitzt ja die Information und kann sie dann bitte auch gleich für alle mitteilen…Danke!

Marcel Seiler
3 Jahre her
Antworten an  Till Kinzel

Danke! Das habe ich auch vermisst: Dass uns mitgeteilt wird, um welches Urteil es sich handelt und was genau entschieden wurde.

Andreas Lange
3 Jahre her
Antworten an  Till Kinzel

Soweit ich es mitbekommen habe, ist das Urteil noch nicht verkündet. Das soll erst in ein bis drei Wochen geschehen. In den Pressemeldungen zum Thema wird jedoch aufgrund der mündlichen Verhandlung davon ausgegangen, dass der BGH auch Löschungen von nicht strafbarer „Hasssprache“ befürwortet, sofern der Betroffene sich schon vorher und nicht erst nachträglich äußern darf. Z. B. zdf.de: „Bei der mündlichen Verhandlung sagte der Senatsvorsitzende Ulrich Herrmann, dass die Richter dazu neigten, Facebook grundsätzlich Löschungen zuzugestehen. Sie hinterfragten aber sehr kritisch, dass es zwar nachträglich die Möglichkeit zur Beschwerde gibt, aber keine vorherige Anhörung der Betroffenen. Das Urteil soll in… Mehr

Marcel Seiler
3 Jahre her
Antworten an  Andreas Lange

Danke.

Sonny
3 Jahre her

Auch wir hier bei TE haben das alles doch kommen gesehen, der eine oder andere auch zweifelnd oder hoffend auf ein gutes Ende.
Und?
Hat irgendjemand etwas unternommen?
Heute verstehe ich, wie unsere Vorfahren in die Nazizeit rutschen konnten. Das verstehe ich mittlerweile sehr gut.

Axelino
3 Jahre her
Antworten an  Sonny

Ja, es ist wirklich Anschauungsunterricht par excellence. Aber die meisten werden einen für solche Äußerungen nur verständnislos angiften. Leider.

Tacitus
3 Jahre her

Die Autokratie in Deutschland ist Fakt und wird sich (vermutlich) weiter ins Negative entwickeln.
Ehrlich gesagt: ich bevorzuge dann doch Länder (z.B. China, Singapur), die sich zumindest nicht die peinliche Blöße geben zu behaupten, dass man demokratisch sei. Deutschland ist es schon lange nicht mehr.

Freigeist030
3 Jahre her

Lieber Herr Gafron,
vielen Dank für Ihren überzeugenden Meinungsbeitrag, wie so oft bin ich bei diesem Thema bei Ihnen.

Allerdings wüsste ich es sehr zu schätzen, wenn Sie einem solchen Kommentar in Zukunft einen Direktverweis auf das entsprechende Urteil des BVerfG beifügen könnten, um ihre Argumente am Wortlaut der Entscheidung nachvollziehen zu können.

Freundliche Grüße

armin wacker
3 Jahre her

Es wäre nicht weiter tragisch, wenn es nur Deutschland beträfe, aber es ist Europaweit, dass sich die Volksveræchter durchsetzen. Daran werden auch Wahlen nichts mehr ändern. Wir Christen können nur das Evangelium verkünden.Das ist die einzige Rettung vor diesem Teufelswerk.