Emanzipation ist kein Zuckerschlecken. Besonders, wenn das Bestreben um Gleichberechtigung und eine andere Wahrnehmung der Frau auch im Jahr 2016 noch regelmäßig aus den eigenen Reihen torpediert wird.
Nein, heute geht es nicht um „Männergewalt, um dem Tenor des linken Neofeminismus treu zu bleiben, sondern um „Frauengewalt“. Jener psychischen Gewalt, die sich Frauen gegenseitig antun und die sowohl direkt als auch indirekt vollzogen wird. Direkt in Form von aktiven verbalen Angriffen durch andere Frauen und indirekt durch Frauen, die von all dem Feminismus-Gequatsche nichts halten und deren Haltung in Sendungen wie „Germany’s next Topmodel“ und „Der Bachelor“ ihren Höhepunkt findet.
Beginnen wir bei Heidi Klums Model-Bootcamp. Läuft das überhaupt noch? Ja, tut es. Zum 11. Mal dreht Heidi Klum, wie Antje Hildebrandt in der WELT bemerkte, nun schon das Rad der Emanzipation zurück in die Steinzeit. Und obgleich die Sendung, wie Hildebrandt ebenfalls treffend bemerkte, ihr Überleben zuvorderst mit horrenden Werbeeinnahmen sichert, scheint es immer noch genug jungen Frauen zu geben, die in „Kleiderständer mit möglichst wenig Persönlichkeit“ einen ehrbaren Beruf sehen.
Der Klum’sche Kosmos, ein Trauerspiel
Die Frau als hübsches Gestell, das ein Produkt anpreist oder gleich als Produkt selbst. Was junge Mädchen in der Show und vor dem Fernseher lernen, ist, dass es im Leben einer Frau vor allem darum geht, „professionell“ zu sein. Im Klum’schen Kosmos heißt das so viel wie die Klappe zu halten und bloß nicht auf die Idee zu kommen, so etwas wie Selbstbestimmung einzufordern, wenn es darum geht, einen Job zu ergattern. Eine Sendung, die suggeriert, dass du als Frau etwas (nicht jemand) bist, wenn du geradeaus einen Laufsteg entlang laufen kannst. Eine Sendung, die jungen Mädchen und Frauen weismachen will, dass der Wert einer Frau sich in erster Linie anhand ihrer Optik bemisst und dass das doch letztlich auch so viel einfacher ist, als den Anspruch zu entwickeln, wirklich etwas erreichen zu wollen.
Wie fest dieses Bild in den Köpfen vieler junger Frauen verankert ist, lässt sich nur erahnen. Zum Beispiel anhand der Feststellung von Wissenschaftlern und jungen magersüchtigen Frauen, dass Germany’s next Topmodel krank macht, die bereits letztes Jahr durch die Presse ging. Oder anhand der Frauen, die mir immer wieder schreiben und fragen, wie ich es denn schaffen würde, so dünn zu sein und ob ich ihnen Tipps zu Ernährung und Sport geben könne. Frauen, die nicht wissen, dass ich aufgrund einer Autoimmunkrankheit so dünn bin. Frauen, die hübsch und schlank sind und sich trotzdem nicht mögen. Frauen, die vergessen oder nie erfahren haben, dass die Attraktivität eines Menschen sich nicht zuvorderst an einer optischen Hülle manifestiert.
Ich glaube, dass sich daran ein entscheidendes Problem des heutigen Feminismus ablesen lässt. So erleben wir nicht nur eine Stagnation der Emanzipation, sondern eine Rückentwicklung. Das, wofür Frauen in den 1960er und -70er-jahren noch gekämpft haben, ist heute im Ozean der Selbstverständlichkeit elendig ersoffen. Die strukturelle Gewalt, die uns in unserer Gesellschaft heutzutage manchmal mehr noch als die direkte Gewalt ereilt, macht es für viele Frauen so schwer, sie überhaupt als Gewalt zu erkennen. Damit will ich Frauen jedoch nicht zu bloßen Opfern der äußeren Umstände erklären. Es spricht auch nichts dagegen, hübsch sein zu wollen bzw. seine optische Schönheit selbstbewusst zu zeigen. Es geht darum, diese optische Attraktivität nicht zum wichtigsten oder gar einzigen Kriterium zu machen, an dem sich der eigene Wert bemisst. Darum, dass es Frauen wichtiger sein sollte, eine Persönlichkeit denn eine bloße Hülle zu sein
Freiheit verlangt Selbstverantwortung und Eigenleistung
Aber das ist nicht nur aufgrund der strukturellen Gewalt ein Problem. Da ist wie bei vielen Menschen heutzutage die Sehnsucht nach festen Regeln und Orientierung. Die absolute Freiheit über das eigene Frau-Sein fernab von archaischer Rollenverteilung geht mit einer Selbstverantwortung und Eigenleistung einher, die für manche Frauen zu anstrengend geworden zu sein scheint. Selbstbewusste, selbstbestimmte Frau zu sein, bedeutet vor allem nicht abhängig von einem Mann zu sein. Für diese Unabhängigkeit haben nicht zuletzt Frauen wie Alice Schwarzer gekämpft. Was aber, wenn es Frauen gibt, denen genau diese Selbstbestimmung und Unabhängigkeit Angst macht, weil sie Eigenleistung erfordert? Was, wenn man immer noch tagtäglich als junge Frau gezeigt bekommt, dass es so viel leichter ist, für hübsche Bilder, für Geradeauslaufen auf einem Laufsteg und für einen Auftritt beim Bachelor Anerkennung und ein Hauch Bekanntheit zu erhaschen als für intellektuelle Leistungen?
Und klar höre ich jetzt wieder die Stimmen, die mir das Recht auf eine Meinung zu diesem Thema aufgrund meiner eigenen Modeltätigkeit absprechen wollen. Die Frauen, die mich anschreiben und um Ernährungs- und Sporttipps bitten, würden dies ja auch nur tun, weil ich auf meinen Bildern so schlank und hübsch aussehe. Als Model sei ich doch damit selbst Teil des Problems. Das war nach meinem Kommentar zu den Gefühlen der Frauen nach Köln, der hier und in der EMMA erschien, nicht anders. Auch da waren es Frauen und nicht Männer, die mir das Recht auf eine Meinung absprachen, da man sich in der Vorstellung mancher Frauen nur für den Feminismus und die Emanzipation einsetzen darf, wenn man einem gewissen Stereotyp entspricht. Ich sei doch selbst nur eine Frau, die nichts von der strukturellen Gewalt des Systems merkt. Sonst fände ich es ja wohl kaum gut, Model zu sein. Ein Stück weit verstehe ich diesen Einwand. Deshalb möchte ich das kurz erklären.
Da wäre als Erstes der Fakt, dass ich in erster Linie Studentin und freie Journalistin bin. Dass das Modeln eigentlich immer mehr so etwas wie ein Nebenjob war. Das heißt nicht, dass ich das klein reden will, aber es ist mir wichtig, zu erwähnen, dass ich eben nicht „nur“ Model bin. Seit 8 Jahren mache ich das nun schon. Mit Germany’s next Topmodel hat das indes nicht viel zu tun. Ich suche mir meine Jobs selbst aus und bin alles andere als ein mobiler Kleiderständer. Ich arbeite kreativ und selbstbestimmt. Die Fotografie bzw. das Arbeiten als Model ist für mich Möglichkeit, meine Persönlichkeit auch bildlich festzuhalten. Die Bilder, die ich mache, sind eine Hommage an uns Frauen und nichts, was uns reduziert. Sie zeigen Stärke, Persönlichkeit und die Schönheit des weiblichen Körpers. Sie zeigen, dass Frau schön, selbstbewusst und geistreich zugleich sein kann. Sie zeigen das Frau-Sein in allen seinen Facetten.
Nicht selten sind sie dabei auch Rebellion. Gegen das Lieb-und-Nett-Sein-Müssen, was uns Frauen nicht selten seit der Kindheit eingetrichtert wird. Gegen Einflüsse, von außen, die uns diktieren wollen, wie viel Kleidung wir zu tragen haben, um nicht als Schlampen zu gelten und gegen graue Abziehbildchen von Frauen ohne Tiefgang. Insofern ist das, was ich mache, das genaue Gegenteil vom Modeln wie es bei Heidi Klum verkauft wird und dem Frauenbild, was „Der Bachelor“ vermittelt. Ich bin in erster Linie Frau und nicht Model. Das Modeln ist dabei lediglich eine Möglichkeit von vielen, mich als Frau auszudrücken. Und gerade weil ich bin, wie ich bin und nicht trotz dessen habe ich das Recht, mich zu diesem Thema zu äußern. Ferner bin ich mir sicher, dass es dem Feminismus sogar gut tut, wenn mehr Frauen, wenn ganz unterschiedliche Frauen sich zu ihm und für ihn äußern.
Weil ich genauso und vielleicht manchmal in besonderem Maße erfahre, wie es ist, aufgrund der eigenen Optik auf sein Aussehen reduziert zu werden. Weil es eine Gradwanderung ist, zwischen dem Bestreben, als Frau ernst genommen und für seine Persönlichkeit, seinen Geist geschätzt zu werden und dennoch das eigene Aussehen, das eigene Frau-Sein, zu dem auch das eigene Erscheinungsbild gehört, selbstbewusst vor sich her zu tragen. Selbstbeschränkung oder gar Selbstverhüllung mag für den ein oder anderen da die Antwort sein. Für mich hat genau das nichts mit Feminismus bzw. Emanzipation und Gleichberechtigung zu tun. Auch wenn es für den Neofeminismus heutzutage feministischer zu sein scheint, das Symbol einer patriarchalischen Kultur auf dem Kopf zu tragen als Model zu sein. Das Kopftuch? Eine freie Entscheidung. Das Modeln? Etwas, was man nur als manipuliertes Opfer der äußeren Umstände macht. Das eine, als freie Selbstbestimmung deklariert, das andere als unbewusste Selbstentmündigung gebrandmarkt. Das ist die direkte Form der Frauengewalt.
Dabei will ich den Feminismus, den junge Feministinnen wie Anne Wizorek und Co. betreiben, nicht als grundsätzlich falsch bezeichnen. Es gibt viel Richtiges, was gesagt und getan wird. Und natürlich geht es auch und gerade in unseren modernen Gesellschaften um die indirekte, die implizite Gewalt, die Frauen in bestimmte Rollen presst, die mitunter für eine Ungleichbehandlung sorgt. Aber dieses Thema darf nicht instrumentalisiert werden, um das wieder erstarkte Thema der direkten Gewalt in Form von grabschenden Asylbewerbern klein zu reden. Ja, es gibt strukturelle Gewalt und ja es gibt auch direkte Gewalt von deutschen Männern. Das hat aber nichts damit zu tun, dass in bestimmten Ländern Frauen Menschen zweiter Klasse sind und dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, wenn Männer aus diesen Ländern in großer Zahl zu uns kommen.
Emanzipation gibt es nur für Selbstbewusste und Selbstbestimmte
Das, was mich stört, ist, dass dieser Feminismus die drängenden Probleme nicht mehr zu erkennen vermag. Dass er in seiner überzüchteten, ideologisierten Art zu einer weltfremden Erscheinung geworden ist, die mit ihrem Dogmatismus nicht nur Männer für das Thema abschreckt, sondern auch Frauen. Gerade in Zeiten, in denen jungen Frauen bei Germany’s next Topmodel Kleiderständer spielen und andere junge Frauen beim Bachelor auf der Besetzungscouch sitzen, bräuchte es einen Feminismus, mit dem sich Frauen identifizieren wollen. Ein Feminismus der unverkrampft und attraktiv ist, der deutlich macht, dass Feminismus und Emanzipation eben nichts für verschrobene Männerhasserinnen ist, sondern für selbstbewusste, selbstbestimmte Frauen. Dabei sorgt die Ideologisierung des Feminismus, seine korrumpierte Ausrichtung nicht zuletzt auch dafür, dass wir als Frauen stets an zwei Fronten kämpfen. Gegen die Steine, die uns von außen in den Weg gelegt werden und gegen uns selbst. Uns gegenseitig als Konkurrenz zu betrachten oder den anderen als nicht passend für das Thema anzusehen, statt miteinander für die Emanzipation zu kämpfen, das ist eines der Hauptprobleme. Und offenbart das eigene Schubladendenken eines Neofeminismus, der sich doch eigentlich so sehr darum bemüht, Schubladen abzubauen.
Die Diskussion der letzten Wochen und das, was nun kulturell auf uns zukommen wird, hat mir einmal mehr gezeigt, wie sehr es einer Rückbesinnung auf den Urfeminismus von Alice Schwarzer und Co. bedarf, damit das, was einmal erkämpft wurde, erhalten bleibt. Es braucht einen Gegenpol zu diesem von der Wirklichkeit entfremdeten Neofeminismus. Es braucht einen Back-to-Basics-Feminismus mit dem man Mehrheiten unter jungen Frauen gewinnen kann, mit dem man sich als junge Frau identifizieren möchte. Das würde nicht nur zu einer offenen Benennung von Ursachen direkter Gewalt und eine Diskussion über die Konsequenzen für Frauen führen, sondern zugleich auch wirksamer strukturelle Ursachen von mangelnder Gleichberechtigung bekämpfen, als es der jetzige Neofeminismus tut. Ein Feminismus, der einer Gesellschaft Rechnung trägt, in der sich sowohl eine Kultur ausbreitet, die Frauen direkt unterdrückt, als auch eine Kultur beheimatet ist, die Frauen indirekt noch immer zu Objekten degradiert, die möglichst nett und angepasst sein sollen. Auf das uns sowohl die direkte Gewalt in Form von Übergriffen als auch irgendwann Sendungen wie Germany’s next Topmodel und der Bachelor erspart bleiben. Und das nicht, weil es eine kleine selbsternannte Avantgarde erzwungen hat, sondern weil sich die Frau aus der Mitte heraus selbst emanzipiert, indem sie die Wichtigkeit des Feminismus für sich entdeckt und sich stolz als Feministin versteht.
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