CSU sondiert mit den Falschen

Die ÖVP hat sich mit Sebastian Kurz an die Spitze einer neuen „konservativen Revolution“ gestellt, um von ihr nicht überrollt zu werden, sondern sie zu steuern. Die CSU würde dies auch gerne, darf es wegen der CDU nicht und sondiert nun mit der SPD.

© Christof Stache/AFP/Getty Images

Die am Sonntag offiziell beginnenden Sondierungsgespräche zur Fortführung der GroKo treiben zusehends seltsamere Blüten. Nachdem die SPD durch ihren Haus-Kriminologen Christian Pfeiffer vor einigen Tagen erklären ließ, zur Eindämmung der zunehmenden Kriminalität männlicher Asylbewerber sei es notwendig, ihnen durch Familiennachzug einen besseren Zugang zu Frauen zu verschaffen, diagnostiziert CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, in der WELT vom 04. Januar unter dem Titel „Für eine bürgerliche Wende“ eine „konservative Revolution der Bürger“. Diese sei im Begriff, die „linke Revolution der Eliten“ abzulösen, die seit 1968 das Land erfasst und verändert habe. Die CSU unterstütze diese Revolution und sei „ihre Stimme in der Politik“.

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Vordenker der „Neuen Rechten“ in Deutschland werden sich angesichts solcher Erklärungen verwundert die Augen reiben, sehen doch sie sich als die Erben früherer Vertreter einer „Konservativen Revolution“ in Deutschland. Der Begriff selbst geht maßgeblich auf den Schweizer Publizisten und Journalisten Armin Mohler und dessen im Jahr 1950 erschienenes Buch „Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932“ zurück. Darin beschreibt er eine antiegalitäre, antiliberale und nationalistische politische Strömung während der Weimarer Republik, die sich kulturell wie politisch gegen den Parlamentarismus, die Industriegesellschaft und die Marktwirtschaft wendete. Ihr geistiger Urheber ist laut Mohler der Dichter Stefan George, einige ihrer prominentesten intellektuellen Vertreter in Deutschland Mohlers Lehrer Carl Schmitt, der frühe Thomas Mann, die Brüder Georg und Ernst Jünger, Oswald Spengler und Hans Freyer. Obwohl Mohler die „konservative Revolution“ vom Nationalsozialismus abgrenzt, werden ihre Vertreter von anderen Autoren als dessen geistige Wegbereiter kritisiert.

Geht man davon aus, dass Dobrindt als studierter Soziologe und Berufspolitiker diesen historischen Kontext des Begriffs „Konservative Revolution“ kennt, fragt man sich, warum jemand, der sich die letzten Jahre vor allem um die Einführung einer PKW-Maut für Ausländer einen Namen gemacht hat, nun plötzlich seine Partei zur einzig wahren Stimme einer wiedererwachten politischen Strömung erklärt, in deren Tradition sich bislang eher die politischen Führer und intellektuellen Vordenker „rechtspopulistischer“ Parteien wie der österreichischen FPÖ und der deutschen AfD verorten. Offenkundig fürchtet die CSU aufgrund der von ihr geplanten Fortsetzung des Bündnisses mit den Vertretern der „linken Revolution der Eliten“ mit Blick auf die anstehenden bayerischen Landtagswahlen die neue Konkurrenz von „rechts“ so sehr, dass sie nun versucht, sich zum Vorreiter eines neuen bürgerlichen Konservatismus zu erklären. Getrieben wird sie dabei zum einen von den Erfolgen der AfD bei der letzten Bundestagswahl, die nicht zuletzt den bayerischen Wählern zu verdanken sind; zum anderen gerät die CSU aber auch durch das neue Bündnis zwischen ÖVP und FPÖ in ihrem südlichen Nachbarland Österreich erheblich unter Druck. Dort koaliert die ÖVP nämlich mit den „konservativen“ und nicht mit den „linken“ Revolutionären.

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Das müsste die CSU, folgt man Dobrindts Argumentationslinie, eigentlich auch tun, wenn er gleich zu Beginn seines Artikels schreibt: „Es gibt keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland. Das hat nicht zuletzt die Bundestagswahl 2017 wieder ganz klar gezeigt.“ Dies stimmt rechnerisch nur, wenn man die Bundestagsmandate von CDU, CSU, AfD und FDP addiert, die zusammen auf 56,3 Prozent der Stimmen kommen. Warum die CSU angesichts der von ihrem neuen Landesgruppenchef ins Feld geführten „rechten“ Mehrheitsverhältnisse als selbst erklärte Stimme einer „konservativen Revolution“ vor kurzem noch ein Bündnis mit den grünen Gralshütern der linken Kulturrevolution und nun ein Bündnis mit deren sozialdemokratischen Gralshütern eingehen möchte, versteht außer ihrer Parteiführung wahrscheinlich sonst niemand. Wie der berühmte Baron Münchausen versucht sie, sich gleichsam am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

Dies wird ihr aber aller Voraussicht nach aus folgenden Gründen nicht gelingen. Zu einer Fortsetzung der GroKo mit der SPD wird es nur kommen, wenn die Christdemokraten den bisher eingeschlagenen Weg ihrer „Sozialdemokratisierung“ weiter führen, möglicherweise sogar verstärken. Dafür steht die derzeitige Partei- und Fraktionsführung der CDU unter Angela Merkel, die den eingeschlagenen Weg mit der SPD auch um den Preis weitergehen will, noch weiter Stimmen zu verlieren. Sollte es bei der nächsten Bundestagswahl stimmenmäßig nicht mehr für eine Zweier-Koalition mit der SPD reichen, können (vorzugsweise) die Grünen oder die FDP ins Boot geholt werden (denken Merkel und Umgebung). Anders als Dobrindt insinuiert, steht der Mainstream der CDU nämlich keineswegs für eine „bürgerliche Wende“ in Richtung einer Rückkehr zu ihren konservativen Zielen und Werten, sondern für eine weitere „Modernisierung“ der Partei in Richtung all der Ziele und Werte, die Dobrindt in seinem Artikel als „geistige Verlängerung des Sozialismus“ brandmarkt.

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Diese Entwicklung konnte die CSU schon bei der noch bestehenden GroKo mit der SPD nicht aufhalten und wird es auch bei deren Fortsetzung nicht können. Sie ist nämlich nicht, wie Dobrindt behauptet, „die erkennbare Volkspartei Deutschlands“ mit einem starken bundespolitischen Gewicht, sondern eine bayerische Regionalpartei mit einem recht begrenzten bundespolitischen Einfluss. Um diesen Einfluss aufrecht erhalten zu können, ist sie dazu verdammt, das bundespolitische Spiel ihrer großen Schwester CDU in Gestalt einer Fraktionsgemeinschaft auf Gedeih und Verderb mitzuspielen. Die CDU setzt schon seit Jahren auf eine gesellschaftliche und politische Entwicklung, die Dobrindt in seinem Artikel völlig übersieht (oder einfach verschweigt). Das von ihm beschworene Bürgertum ist in seiner Gesamtheit nämlich inzwischen keineswegs mehr kulturell und politisch „konservativ“ oder „rechts“ orientiert, sondern gespalten. Der Marsch der 68er durch die Institutionen war schon selbst eine durch und durch von Kindern des Bürgertums initiierte Bewegung, die als Erwachsene inzwischen nicht nur das politische Denken und Handeln der Grünen, der SPD und der Linken bestimmen, sondern auch das politische Denken und Handeln der FDP, der CDU und selbst der CSU maßgeblich prägen.

Die 68er-Bewegung ist insofern die wahrscheinlich wirkmächtigste kulturelle und politische Entwicklung in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihre Werte und Denkweisen prägen heute sich nicht nur die Universitäten und Schulen, die Medien und die Kulturbereiche, sondern, zum Beispiel in Gestalt moderner Organisationskonzepte, antiautoritärer Führungsstile und ausgefeilter Diversity-Programme, selbst die Wirtschaft. Letztere hat 2015 anlässlich der Grenzöffnung für Asylbewerber sogar lauthals ihre tiefe Verbundenheit mit dem „weltoffenen“ Denken der zu braven Bürgern mutierten Revoluzzer von früher verkündet. In der von Merkel und den Mainstream-Medien ausgelösten und von Abertausenden ehrenamtlichen Helfern gemeinsam mit zahlreichen Unternehmen getragenen „Willkommenskultur“ kulminiert gleichsam die kulturell-politische Umgestaltung der Bundesrepublik in eine in jeder Hinsicht „weltoffene“ Gesellschaft von „no borders and no nations“. Die Ideologie des Kosmopolitismus ist das einigende Band weiter Teile der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht, die inzwischen „rechts“ leben, aber „links“ denken und wählen.

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Möglicherweise hat dieser vor fünfzig Jahren ausgelöste gesellschaftliche Veränderungsprozess damit inzwischen jedoch seinen Scheitelpunkt erreicht. Teile des Bürgertums, insbesondere jedoch die „einfachen Leute“ wehren sich inzwischen gegen eine gesellschaftliche Entwicklung, die ihnen zunehmend wirtschaftliche Probleme bereitet und sie ihrer eigenen Kultur und Nation entfremdet. Die radikalsten geistigen und politischen Repräsentanten dieser Gegenbewegung sind in erster Linie die Vordenker der „Neuen Rechten“ und neu entstandenen „rechtspopulistischen“ Parteien, die sich eines kontinuierlichen Zulaufs erfreuen. Etablierte, ehemals konservative Parteien, die sich dem gesellschaftlichen Veränderungsprozess der 68er-Bewegung opportunistisch angeschlossen haben, geraten dadurch unter einen erheblichen, teils existentiellen Anpassungsdruck. Die österreichische ÖVP hat mit Sebastian Kurz daraus die Konsequenz gezogen, sich an die Spitze einer neuen „konservativen Revolution“ zu stellen, um von dieser nicht überrollt werden, sondern sie zu steuern. Die CSU würde dies auch gerne tun, darf es wegen ihrer großen Schwester aber nicht und sondiert deswegen nun mit der SPD.

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Kommentare ( 76 )

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76 Comments
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akimo
6 Jahre her

genial

Johann Thiel
6 Jahre her

Ein ganz hervorragender Beitrag, der die Situation der Unionsparteien so beschreibt wie sie in Wirklichkeit ist. Es ist daher völlig illusorisch von Seiten der Unionsparteien irgendwelche konservativ-bürgerlichen Impulse zu erwarten. Es bleibt nach wie vor nur die AfD als Garant für konservative Politik und als letzte Möglichkeit den sicheren Niedergang Deutschlands zu verhindern.

Rainer Franzolet
6 Jahre her

-Die 68er-Bewegung ist insofern die wahrscheinlich wirkmächtigste kulturelle und politische Entwicklung in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihre Werte und Denkweisen prägen heute sich nicht nur die Universitäten und Schulen, die Medien und die Kulturbereiche, sondern, zum Beispiel in Gestalt moderner Organisationskonzepte, antiautoritärer Führungsstile und ausgefeilter Diversity-Programme, selbst die Wirtschaft. Letztere hat 2015 anlässlich der Grenzöffnung für Asylbewerber sogar lauthals ihre tiefe Verbundenheit mit dem „weltoffenen“ Denken der zu braven Bürgern mutierten Revoluzzer von früher verkündet.- Da hat sich aber einer Vergallopiert. Die 68er sind an den Schulen, Unis und bei den Medien sowie Kulturschaffenden zu finden. Dort wo die Sind,… Mehr

Arno Schäfer
6 Jahre her

Dobrindt und einige andere Parteistrategen dürften schon längst erkannt haben, dass ihre politische Zukunft in einer Koalition von CxU, FDP und AfD liegt. Nur wäre es momentan noch politischer Selbstmord, das offen auszusprechen. Der Weg dorthin dürfte daher noch zwei, drei Legislaturperioden dauern. Und dabei genauso verlaufen, wie das mit GRÜNEN oder LINKEN auch war: Am Anfang waren sie „bäh!“ und „niemals!“ und „nicht regierungsfähig!“, dann durfte irgendein Bundesland das doch mal ausprobieren -bewehrt mit der hohlen Phrase „das ist nur auf Landesebene und garniemalsnichtkeineswegsnimmer auf Bundesebene!“ sei- . Und dann nochmals eine Legislaturperiode später war dann doch auch auf… Mehr

Werner
6 Jahre her

Bitte an die Redaktion, aufgefallene Ungereimtheiten zu prüfen . Danke. Von (c) Die Zeit 23. Juli 2003, 13:32 Uhr Quelle: (c) DIE ZEIT: „cdu-parteitag „Was wir vorhaben, ist ein Befreiungsschlag zur Senkung der Arbeitskosten“ Rede der Vorsitzenden der CDU Deutschlands, Dr. Angela Merkel, MdB, auf dem 17. Parteitag der CDU Deutschlands am 1. Dezember 2003 in Leipzig. Es gilt das gesprochene Wort. „Deshalb müssen wir aber auch immer wieder fragen: Wo hört Toleranz auf und wo fängt Beliebigkeit an? Ein Beispiel: Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur… Mehr

hassoxyz
6 Jahre her

Wenn Dobrindt es ernst meinen würde, dann muß die CSU sich aus der neuen GroKo ausklinken. CDU und SPD hätten dann zwar immer noch eine, wenn auch knappe Mehrheit. Aber die Bayern würden ein Zeichen an die Wähler senden, daß sie zu einer konservativen Erneuerung der CSU im Sinne von FJS bereit und nicht länger gewillt wären, den linksgrünen Merkel-Kurs der CDU in Richtung Abgrund zu unterstützen. Seehofer ist dafür viel zu weich, er würde sich wieder einmal über den Tisch ziehen lassen. Seine Warnungen in Richtung SPD vor einem unbegrenzten Familiennachzug sind nichts anderes als Scheingefechte, um den Schein… Mehr

Viktor Wallenstein
6 Jahre her

Müsste Dobrindt nach der Aussage jetzt nicht eigentlich vom Verfassungsschutz beobachtet werden 😉

M.Wachholz
6 Jahre her

Glänzender Artikel, der das Problem klar beschreibt. „Offenkundig fürchtet die CSU aufgrund der von ihr geplanten Fortsetzung des Bündnisses mit den Vertretern der „linken Revolution der Eliten“ mit Blick auf die anstehenden bayerischen Landtagswahlen die neue Konkurrenz von „rechts“ so sehr, dass sie nun versucht, sich zum Vorreiter eines neuen bürgerlichen Konservatismus zu erklären.“ „Sie (die CSU) ist nämlich nicht, wie Dobrindt behauptet, „die erkennbare Volkspartei Deutschlands“ mit einem starken bundespolitischen Gewicht, sondern eine bayerische Regionalpartei mit einem recht begrenzten bundespolitischen Einfluss.“ Beides sieht hoffentlich auch der Wähler und lässt sich nicht mehr hinters Licht führen. Wer eine wirkliche Veränderung… Mehr

Bateman
6 Jahre her

„Rechts leben und links denken“ (und vor allem: links schwätzen) ist vielleicht der gesellschaftlich Widerspruch unserer Zeit. Ideologie und Handeln der Linken ist voll davon. Absurditäten in unserem Land wohin das Auge blickt: SPD Eurokraten sind pro TTIP und für Verhandlungen hinter geschlossenen Türen, gerieren sich dann im Wahlkampf auf einmal als Vorkämpfer des kleinen Mannes. Wirtschaftsführer posaunen von Willkommenskultur, während sie gleichzeitig alles tun, um ihre Steuerlast zu drücken – die Kosten für diesen Unsinn sollen bitte andere Tragen. Rentner, die nach lebenslanger Arbeit zur Tafel gehen müssen weil die Rente nicht reicht, aber für Integrationskurse und Asylklagen sind… Mehr

Moni
6 Jahre her
Antworten an  Bateman

„… zu wissen, dass dann die Rige der jetzigen Machthaber zur Übernahme der ständig von ihr beschworenen Verantwortung gerufen wird.“

Nicht auf diesem Planeten!

R. Rabenstein
6 Jahre her

Die beginnenden Koalistionsverhandlungen werden für die CSU entscheidend sein, ob diese Partei das gleiche Schicksal der abgewirtschafteten CDU und SPD teilt. Die Zeit der faulen Kompromisse, wie unter Seehofer laufend praktiziert, ist vorbei. Alleine, dass die 3 abgestraften, unglaubwürdigsten Verlierer – Merkel, Seehofer, Schulz – weiter wurschteln dürfen, wirft ein bezeichnendes, armseliges Bild auf den Zustand der Parteien. Es hilft nicht mehr, einen Orban oder evtl. einen Kurz einzuladen, das eigene Handeln und die erzielten Ergebnisse werden als Massstab beurteilt; schließlich ist endlich mit der AfD eine gute Alternative vorhanden.

Moni
6 Jahre her
Antworten an  R. Rabenstein

„Die Zeit der faulen Kompromisse, wie unter Seehofer laufend praktiziert, ist vorbei.“

Abwarten, möglicherweise wird nach Ende der Koalitionsverhandlungen so mancher Komposthaufen den verantwortungsbewussten Gebauch unseres Stimmrechtes anmahnen.