Neuer Schul-Lockdown: Wollt Ihr der Bildungsnation Deutschland den Rest geben?

Die Schüler in Deutschland sind gerade erst wieder in ein halbwegs normales Leben gestartet. Jetzt steigen die amtlichen Infektionszahlen und damit die Angst vor einem Rückfall in die Isolation. Was wird aus der einstigen "Bildungsnation Deutschland"?

Schon kurz nachdem bei der Kultusministerkonferenz im März 2020 die Vertreter aller Bundesländer gemeinsam entschieden, die Schulen wegen steigender Corona-Fälle vorerst dicht zu machen, warnten die ersten Experten, Lehrer, Eltern und Psychologen vor den dramatischen Folgen langfristiger Schulschließungen. Um Lernrückständen und Entwicklungsverzögerungen vorzubeugen, wurde umgehend auf Digitalisierung und Homeschooling gesetzt – nur funktionierte das Ganze nicht so einfach, wie man sich das vorgestellt hatte. Viele Familien hatten zuhause keine geeignete Technik wie Computer, Tablets und Internetanschlüsse. Lehrer und Schüler waren mit dem neuen Unterrichtsformat überfordert, und zu allem Überfluss funktionierten die „Schulplattformen“ in vielen Fällen Stunden bis Tage lang wegen Überlastung überhaupt nicht mehr.

Die Sorge, welche Bildungslücken der Distanzunterricht hinterlassen könnte, wuchs stetig. Jetzt zeigen erste Untersuchungen: Es ist genauso schlimm wie befürchtet; viele Schüler haben während der Pandemie und den Lockdowns wohl wenig bis gar nichts gelernt.

Kein Geld für Schulen
Nicht einmal die Bildung des Nachwuchses bekommt man in Berlin hin
Erst vor ein paar Wochen ließ die Berliner Senatsverwaltung über ihren Pressesprecher Martin Klesmann verkünden, dass in Folge der Corona-Maßnahmen 25 Prozent – also ein Viertel aller Berliner Schüler – mit Lernrückständen zu kämpfen haben. Laut Klesmann seien alle Schulen aufgefordert worden, Lernstandserhebungen durchzuführen: „Wir haben die ersten Rückmeldungen. Es gab zudem nach den Sommerferien an jeder Schule Eltern-Kind-Gespräche.“ Bislang hörte man aber wenig bis gar nichts – von diesem Statement abgesehen – über die Ergebnisse der Lernstandserhebungen, die zuletzt „pandemiebedingt“ ausfallen mussten.

Die einzige Ausnahme: Hamburg. Dort hat man mit „KERMIT 3“ im September als erstes und einziges deutsches Bundesland erhoben, wie sich die Corona-Maßnahmen auf den Lern- und Leistungsstand der Schüler ausgewirkt haben. Dabei kam man zu erschreckenden, wenn auch wenig überraschenden Ergebnissen. Wie Bild berichtete, zeigte sich bei der Untersuchung mit über 15.000 Teilnehmern, dass der erste Lockdown „nur“ zu „geringen Rückständen“ geführt hatte, der zweite im Frühjahr 2021 es aber in sich hatte. Bei den untersuchten Hamburger Drittklässlern wurden „deutliche Lernrückstände“ festgestellt. Der Anteil lernschwacher Schüler stieg 2021 im Bereich Lesen um 11,1 Prozent – bei Schulen in sozialen Brennpunkt-Milieus sogar um 13,6 Prozent. In Mathematik stieg der Anteil um 8,7 und in sozial schwachen Gegenden um 11,2 Prozent. Der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) sah seine Sorgen „in Bezug auf die monatelangen Schulschließungen“ durch die Untersuchung bestätigt. Rabe hatte sich für die Offenhaltung der Schulen auch unter hohen Inzidenzwerten ausgesprochen. Laut ihm „war und ist“ Fernunterricht „kein Ersatz für den Unterricht in der Schule“.

Und genau das zeigte sich leider auch schon in den vergangenen Untersuchungen mehr als deutlich. Schon im Juli, als es noch keine offiziellen Lernstandserhebungen wie in Hamburg gab, führte das Allensbacher Institut im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung eine groß angelegte Umfrage unter Schülern der Klassen fünf bis zehn durch, die zu ähnlich fatalen Ergebnissen kam. Unter den insgesamt 1.071 befragten Schülern gaben vier von fünf an, nach einem Jahr Homeschooling, Wechselunterricht und Quarantäne mit dem Schulstoff im Rückstand zu sein. 27 Prozent der Kinder sahen sich selbst sogar „deutlich im Rückstand“. Der verpasste Lernstoff versetzte aber nicht nur die Schüler, sondern auch 61 Prozent der 525 befragten Eltern in große Sorge.

MASSE STATT KLASSE
Bildungsnation im freien Fall
Nach eigener Aussage waren 58 Prozent der befragten Schüler mit dem Lernen zuhause gut bis sehr gut zurechtgekommen, 30 Prozent weniger gut und acht Prozent überhaupt nicht – wobei man davon ausgehen kann, dass sich einige Schüler nicht getraut haben zu sagen, wie schwierig das Lernen wirklich war. Davon abgesehen war die Zahl von Haupt- und Realschülern, die im Homeschooling nicht mitkamen, mit 48 Prozent doppelt so hoch wie an Gymnasien. Ein Ergebnis, dass von einer weiteren Befragung durch die Robert-Bosch-Stiftung im September gestützt wird. Neben dem Fakt, dass laut Aussagen der befragten Lehrer generell sogar jeder dritte Schüler Lernrückstände aufweist, sind Brennpunktschulen besonders gravierend von Bildungseinbußen getroffen.

Wie schon bei den zahlreichen Untersuchungen zur psychischen Gesundheit sieht man also auch hier, dass Kinder aus sozial schwachen Familien besonders stark von den Corona-Maßnahmen getroffen wurden. Und eben diese Kinder werden es auch im Präsenzunterricht am schwersten haben, ihre Lernrückstände aufzuholen, wegen fehlender Motivation und Unterstützung, mangelnden Lernvoraussetzungen und – in Folge der sozialen Isolation während der Lockdowns –  wegen einer schlechten psychischen Verfassung.

Unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht und allem, was man sonst noch so erheben kann, wünschten sich in der Allensbacher Umfrage 93 Prozent aller Schüler endlich zurück in den klassischen Präsenzunterricht. Wenn unsere Politiker auch nur einen Hauch von dem ernst gemeint haben, was sie zu Beginn der Pandemie nur allzu gern propagierten – nämlich: dass die Gesundheit und Bildung der Kinder aller höchste Priorität hat –, dann sollten sie zumindest in Zukunft dafür sorgen, dass sich in der einstigen „Bildungsnation Deutschland“ kein Kind mehr wünschen muss, in die Schule gehen zu dürfen. Es wird schon schwer genug, wenn nicht sogar in Teilen unmöglich, die Lernrückstände und Bildungslücken wieder aufzuarbeiten. Kinder jetzt erneut ins Homeschooling und damit in die soziale Isolation zu verbannen, wäre für ihre Bildung sowie ihre und unsere Zukunft mehr als nur fatal.

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Kommentare ( 56 )

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kasimir
3 Jahre her

Liebe Pauline!
Ich lese ja Ihre Artikel immer sehr gern.
Aber von welcher „Bildungsnation“ ist denn hier die Rede?
Deutschland- das Land der Dichter und Denker, der Wissenschaftler und Ingenieure: das ist doch seit mindestens 20 Jahren vorbei…

F.Peter
3 Jahre her

Welches Bildungsniveau? All diejenigen, die derzeit im BT und in den Regierungen sitzen, haben doch das deutsche Bildungssystem durchlaufen. Dass da etwas Positives generiert wurde, kann ich nicht mehr erkennen. Vielmehr, dass eine Nation, die mal in vielen Bereichen Vorreiter weltweit war, in der Musik, der Technik, der Forschung, im Umweltschutz, in der Literatur usw. so retardieren kann, ist in der Geschichte der Menschheit wohl auch ein Novum! Wir haben es als erste geschafft, die Gesellschaft wieder in die Steinzeit zurück zu katapultieren. Science-Fiction mal andersrum……

Proll27
3 Jahre her

Schauen wir doch mal den Tatsachen ins Gesicht. Das Bildungsniveau sinkt seit Jahren kontinuierlich, und nicht erst seit Corona. Die Gründe sind vielfältig: Zerfall der Familien, x vermurkste „Bidungsreformen“, „Demokratisierung“ der Schulen und Hochschulen, Feminisierung des Bildungssystems, Missbrauch von elektronischen Medien. Jetzt kommt Corona als Tröpfchen, welches das Fass zu Überlaufen bringt. Nein, entweder wir legen eine harte und radikale Wende in Richtung der asiatischen, autoritären Schulsysteme hin oder die „Bildungsnation Deutschland“ wird der Vergangenheit angehören. Ich vermute übrigens letzteres. Mit allen Konsequenzen.

teanopos
3 Jahre her

Welche Bildungsnation?
Warten wir mal ab bis all die weiteren Inflationsakademiker von ihrem Anspruch gebrauch machen wollen gehört zu werden und qua Titel Recht zu haben.
Obwohl das tun sie ja jetzt schon. Schen wir dazu nur nach FFF und ihre Antreiber, oder in die „Wissenschafts“redaktionen.
Und dieser ekelhafte Anspruch hat sich in Ansätzen schon vor 20 Jahren in meiner Studienzeit gezeigt. Das ganze Bildungssystem ist von linksgrüner Ideologie durchzogen, und die befruchten sich mit ihrem Inzest seitdem gegenseitig.

Sonny
3 Jahre her

Die Folgen waren doch ziemlich leicht vorhersehbar. Entscheidend ist doch, dass Kinder nicht wirklich alleine bei der „Schule zuhause“ lernen. Entscheidend ist, wie sehr Eltern dazu in der Lage sind, zu helfen. Und entschuldigen Sie bitte wenn ich darauf aufmerksam mache, dass Kinder mit dummen Eltern weniger Chancen haben, zuhause „weiter“ lernen zu können, als Kinder mit klugen Eltern, die den Lehrerjob zuhause übernehmen. (Ja, tatsächlich! Es gibt dumme Eltern!). Zusätzlich werden Kinder dann auch noch psychisch so dermaßen unter Druck gesetzt, dass sie jegliche Motivation zum (selbständigen) Lernen verlieren. Jaja, ich weiß. Jetzt fängt sofort das Geschrei an über… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Sonny
Biskaborn
3 Jahre her

Aktuell wird wieder über Schulschließungen diskutiert, vorneweg übrigens die Lehrer. Die hier skizzierten Lerndefizite werde noch massiv ! überlagert vom Lehrermangel, dadurch fallen weitere Schulstunden aus. Deutschland befindet sich im Bildungsnotstand. Ob Grüne oder Linke das vielleicht gar nicht so schlimm finden? Haltung, so meine Erfahrung, scheint im Bildungssystem sowieso oberste Priorität erlangt haben.

sunnyliese
3 Jahre her

Frau Merkel rief vor Jahren zur Bildungsrepublik Deutschland auf. Seitdem ging es weiter stetig bergab.

sunnyliese
3 Jahre her

Da war die Grundschullehrerin, die die Namen verschiedener Tierarten an die Tafel schrieb, unter anderem T i e g e r.

sunnyliese
3 Jahre her

Sprache und Mathematik, die beiden Welterschließungsuniversalien, sie sollten im Vordergrund besonders zu Beginn der Bildungseranstaltung stehen, also von Kindergarten bis Grundschule. Ist bis Ende der Grundschule das diesbezügliche Rüstzeug nicht vermittelt, wird die restliche Schulzeit nur noch ein unendlicher und vergeblicher Reparaturbetrieb.
Wann kommt das endlich bei den Verantwortlichen an?

MartinKienzle
3 Jahre her

Fräulein Schwarz hat offensichtlich nicht verstanden, weshalb wir die sogenannte “Pandemie“ haben: Es geht um Merkels “große Transformation“, das bedeutet, dass unsere bestehende, bürgerliche Gesellschaftsordnung zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung transformiert werden soll, in der “Bildung“ im Sinne Humboldts mitnichten vorgesehen ist, sondern lediglich die Verinnerlichung der sozialistischen Ideologie, sodass gegenwärtig das Schulsystem der Bundesrepublik Deutschland mit Vorsatz gegen die Wand gefahren wird.
Kurzum: In einer zukünftigen, sozialistischen (verarmten) Gesellschaftsordnung braucht man keine mündigen Bürger, sondern Menschen, die unkritisch der sozialistischen Einheitspartei folgen.

Manfred_Hbg
3 Jahre her
Antworten an  MartinKienzle

Mhh, sind Ihre Worte nun ernst oder sarkastisch gemeint? Im letzteren Fall wäre ein kleiner Hinweis hilfreich