Corona: Laschet macht den Kubicki

Die RKI-Files lassen sich nicht mehr einfach wegschweigen. Die notorisch trägen öffentlich-rechtlichen Medien haben das noch nicht erkannt, notorisch opportunistische Berufspolitiker hingegen schon. Ausgerechnet Armin Laschet rückt jetzt ganz vorsichtig von seiner eigenen Corona-Politik ab.

picture alliance / Michael Kappeler/dpa | Michael Kappeler
Armin Laschet und Wolfgang Kubicki (Aufnahme vom 18.11.2017)

„Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ So beschreibt Altmeister Goethe, wie der Fischer der Meerjungfrau in die See folgt. Womit wir bei den jüngsten Corona-Enthüllungen, der öffentlichen Meinung, Armin Laschet und Wolfgang Kubicki wären.

Auf den ersten Blick sieht das noch gar nicht so aus. Es wird aber gleich erkennbar, versprochen.

Mehr als 4.000 ungeschwärzte Seiten hat ein aufrechter Ex-Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts (RKI) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aus diesen Protokollen des sogenannten Corona-Krisenstabs lässt sich nahezu lückenlos nachvollziehen, dass das öffentlich bis zum Erbrechen beschworene Prinzip „Follow the Science“ von Anfang an nur blanke Propaganda war.

In Wahrheit hat die Politik nie auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen entschieden. Es war genau andersherum: Die Fachleute im RKI mussten die Begründungen für die Entscheidungen liefern, die die Politik längst getroffen hatte. Und vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien haben dann, quasi als zusätzliche Pressestelle der Regierung, diese – man kann es nicht anders nennen – Lüge unkritisch und willfährig transportiert.

All das liegt nun auf dem Tisch, und für alle Beteiligten – Täter wie Opfer – stellt sich die Frage: Was machen wir jetzt damit? Auf der Seite der Schuldigen erleben wir gerade den klassischen Dreiklang: Bestreiten, Beschwichtigen, Beharren. Und dann (aber auch nur dann), wenn das alles nichts hilft: geordneter Rückzug.

Bestreiten

Auch in der Krisen-PR gibt es Routine-Reflexe. Wenn unangenehme Wahrheiten ans Licht kommen, ist der erste Impuls jedes professionellen Schadensbegrenzers: Bestreiten. Diese Taktik haben, wenig überraschend, gleich nach Veröffentlichung der Protokolle diejenigen gewählt, die kein Interesse daran haben, dass über die Inhalte der RKI-Files geredet wird.

Sie haben versucht, Zweifel an der Echtheit der Dokumente zu säen. Woher will man denn wissen, dass das nicht alles gefälscht ist? Warum kommen einige Dokumente in den Protokollen mehrfach und in unterschiedlichen Versionen vor? Sind die RKI-Files nicht womöglich ein großer Fake?

Doch diese Kommunikationstaktik erwies sich schnell als Sackgasse. Der Finanzwissenschaftler und Datenexperte Prof. Stefan Homburg hat das gesamte Material durchgesehen. Tatsächlich gibt es dort einige wenige Dokumente in verschiedenen Versionen. Offenbar handelt es sich dabei um unterschiedliche Bearbeitungsstände. Die Versionen unterscheiden sich aber nur zum Beispiel in der Formatierung oder im Seitenlayout, nicht inhaltlich.

Die Echtheit der Daten wird selbst vom RKI nicht angezweifelt. Das könnte an einem Foto liegen, was jetzt zusammen mit den restlichen 4.000 Seiten ins Netz gestellt wurde. Darauf zu sehen ist die Abschlussparty des Corona-Krisenstabs. Die Teilnehmer feiern beschwingt mit Sektgläsern in der Hand. Das Foto wurde vom RKI niemals veröffentlicht und niemals an irgendwen weitergegeben. Das RKI weiß: Wer dieses Foto hat, der hat alles.

Beschwichtigen

Da die Echtheit der Dokumente außer Frage steht, wird in einem nächsten Schritt versucht, die Bedeutung der Enthüllungen herunterzuspielen: Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

„Und wo ist jetzt der Skandal?“ So überschrieb die „Süddeutsche Zeitung“ ihren Beitrag zu den Enthüllungen. Die Stoßrichtung ist klar: Man möchte dem Publikum einreden, die Affäre sei gar keine Affäre. Denn sonst müssten die hochbezahlten Leitjournalisten womöglich erklären, was sie eigentlich damals dazu gesagt hatten. Und dann käme heraus: Sie haben nicht nur nichts zu der Affäre gesagt – sondern sie waren sogar ein Teil davon.

Ähnlich probiert es zum Beispiel auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD:

„Das RKI hatte ohnedies vor, mit meiner Zustimmung, die RKI-Files des Corona-Krisenstabs zu veröffentlichen. Jetzt geschieht es ohne dass die Rechte Dritter, auch Mitarbeiter, vorher geschützt worden wären. Zu verbergen gibt es trotzdem nichts.“ (Schreib- und Grammatikfehler aus dem Original übernommen, Red.)

Was Lauterbach sagen will: In den jetzt geleakten Papieren kommen auch sogenannte „Dritte“ vor – also Personen, die weder zum RKI noch zur Regierung gehören. Die sollten wohl gefragt werden, ob man ihre Namen öffentlich machen darf. Danach habe man die Papiere ja sowieso veröffentlichen wollen, weil ja gar nichts Interessantes drinsteht.

Doch auch dieser Versuch endete schnell in einer Sackgasse: Es stellte sich heraus, dass das RKI noch gar nicht oder nicht alle diese „Dritten“ überhaupt gefragt hatte. Das enthüllt ausgerechnet Wolfgang Kubicki von Lauterbachs Koalitionspartner FDP:

„Als ‚Dritter‘, dessen Name in den Protokollen auftaucht, kann ich sagen, dass ich keine Anfrage hinsichtlich einer ungeschwärzten Veröffentlichung bekommen habe. Ich darf daher meinen Zweifel an dem Willen zur zügigen und umfassenden Veröffentlichung anmelden.“

Lauterbach und das RKI hatten also mitnichten vor, die Dokumente selbst zu veröffentlichen. Und in etwas, das man nicht veröffentlichen will, muss wohl auch Relevantes und Interessantes drinstehen.

Beharren

Einen anderen Weg schlagen der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen und der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU ein.

Janosch Dahmen war in der Corona-Zeit einer der Radikalsten überhaupt. Er war einer der wichtigsten Vertreter der Ideologie „Zero Covid“. Deren Vertreter forderten „einen vollständigen und alle Gesellschaftsteile umfassenden, europäischen Lockdown, der die insbesondere auch die Arbeitswelt einschließt und solange dauern soll, bis wir in Europa keine Neuinfektionen mehr haben“. Das ging damals selbst der – immer härteren Corona-Maßnahmen gegenüber bekanntlich durchaus aufgeschlossenen – Bundeskanzlerin Angela Merkel zu weit.

Dahmen rückt von seiner extremen Position bis heute keinen Millimeter ab. Entsprechend gehört er heute zu den Nebelkerzen-Werfern: Statt auf die brisanten Inhalte der RKI-Files einzugehen, beklagt er, dass durch deren Veröffentlichung jetzt „Persönlichkeitsrechte“ verletzt würden. Die millionenfache Verletzung der Freiheitsrechte deutscher Bürger in der Corona-Zeit war ihm damals egal.

Spahn war für viele der schlimmsten Corona-Maßnahmen direkt verantwortlich. Der ehemalige Gesundheitsminister verteidigt sich nach den Enthüllungen, indem er einfach weiter steif und fest (und eindeutig entgegen dem für jedermann nachlesbaren Inhalt der Protokolle) behauptet, alle seine Handlungen wären auf Grundlage des damaligen Stands der Wissenschaft erfolgt.

So behauptet Spahn bis heute, die Impfung habe die Pandemie beendet. Doch der sogenannte „Übertragungsschutz“ ist ein Märchen. Das ist wissenschaftlich längst bewiesen, und das weiß man auch nicht erst seit heute: Man wusste es, wie die RKI-Protokolle zeigen, sogar schon vor (!) dem Impfstart 2020 aus der Zulassungsstudie. Dass die Impfstoffe vor der Übertragung des Virus schützen, haben noch nicht einmal die Hersteller behauptet. Spahn verbreitet es immer noch.

Dazu sagt Prof. Homburg: „Spahn hat politisch keine andere Überlebenschance als die, stur bei seinen Lügen zu bleiben und zu hoffen, dass niemand es merkt.“

Geordneter Rückzug

Doch immer mehr merken es. Der Versuch, die RKI-Files totzuschweigen, darf als gescheitert angesehen werden. Auch Bezweifeln, Beschwichtigen und Beharren führen erkennbar nicht mehr weiter.

„If you can’t beat them, join them“: Wenn du sie nicht besiegen kannst, schließe dich ihnen an. Jeder Polit-Profi kennt den Satz. Und die geschmeidigeren unter unseren Volksvertretern tun derzeit gaaanz langsam genau das: Sie bewegen sich in kleinen Trippelschritten in Richtung öffentlicher Meinung.

Den Anfang machte Wolfgang Kubicki. Der Bundestagsvizepräsident von der FDP nutzt die RKI-Files, um aus allen Rohren gegen seinen Lieblingsfeind zu schießen: den Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD.

Zunächst entlarvte Kubicki Lauterbachs Finte, er habe die Dokumente ja sowieso veröffentlichen wollen, als Lüge (siehe oben). Dann veröffentlichte der FDP-Mann wichtige Erkenntnisse, die sich aus den Dokumenten und den vielen Fragen ergeben, die er als Abgeordneter in der Corona-Zeit gestellt hatte.

Einige von Kubickis Darlegungen sind überraschend. Manche sind schlicht verstörend. Auszüge:

  • „Mir wurde mittels schriftlicher Einzelfrage offiziell bestätigt, dass das deutsche Gesundheitssystem während der Pandemie nie überlastet war.“
  • „In einem weiteren Fall war die offizielle Auskunft des BMG mindestens mangelhaft, wahrscheinlich aber ebenso falsch. Im Laufe der Pandemie wurde immer merkwürdiger, warum das RKI die Daten nicht öffentlich machte, wer wegen und wer mit Corona hospitalisiert oder verstorben war. (…) Durch die RKI-Leaks wissen wir jetzt: Differenzierte Zahlen lagen dem RKI spätestens seit dem Frühjahr 2022 vor, wurden aber nie der Öffentlichkeit präsentiert. (…) So kann man aus dem Leak erkennen, dass der Anteil der offiziellen Corona-Toten, die lediglich positiv getestet wurden, im Einzelfall über 25 Prozent lag. Somit wurde die offizielle Zahl der Corona-Toten immer höher ausgewiesen, als es richtig gewesen wäre. Das BMG verzichtete offensichtlich auf eine entsprechende transparente Darstellung.­“
  • „Was sollen wir davon halten, wenn eine Bundesoberbehörde hinter verschlossenen Türen einen Sachverhalt anders einschätzt als vor Gericht – und damit möglicherweise eine Entscheidung von enormer Tragweite zugunsten einer Partei beeinflusst? Und wieso waren die Karlsruher Richter so naiv anzunehmen, dass eine weisungsgebundene Behörde plötzlich unabhängig als ‚sachkundiger Dritter‘ befragt werden könne – ohne darauf einzugehen, dass es ein problematisches Abhängigkeitsverhältnis zur Bundesregierung geben könnte?“
  • „Ich hätte zuvor nicht geglaubt, dass in unserem gewaltengegliederten System ein solcher Vorgang möglich ist. Ein Minister, der offensichtlich eigenständig – gewissermaßen par ordre du mufti – die wissenschaftliche Grundlage für Grundrechtseinschränkungen beschließt, war vorher nicht in meiner Vorstellungswelt.“

Natürlich tut Kubicki hier auch etwas für sich und seine Partei. Er inszeniert sich nachträglich als großer Gegner der Corona-Maßnahmen – und lenkt davon ab, dass er im August 2021 im Bundestag eben nicht gegen die Verlängerung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ aufstand (stattdessen hatte er die Abstimmung einfach geschwänzt). Und er bedient jenen großen Teil der FDP-Anhänger, die es Christian Lindner sehr verübeln, dass Lauterbach nur mithilfe der Liberalen überhaupt jemals ein Regierungsamt bekommen konnte.

Doch abgesehen davon, werden die RKI-Files auch dank Kubicki in einer breiteren Öffentlichkeit endgültig als handfester Skandal, als Staatsaffäre, wahrgenommen.

Laschet macht den Kubicki

Der öffentlichen Meinung kann sich ein Volksvertreter nicht endlos widersetzen. Und wenn die öffentliche Meinung sich allmählich dreht, dann muss ein Berufspolitiker beweglich genug sein, den Schwenk mit- oder zumindest nachzuvollziehen – sonst ist er recht bald ein ehemaliger Volksvertreter.

Man kann über Armin Laschet – den ehemaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, ehemaligen CDU-Bundesvorsitzenden und ehemaligen Kanzlerkandidaten der Union – ja sagen, was man will. Das Meiste wird eher nichts Gutes sein. Aber die Grundgesetze der Berufspolitik kennt der Mann.

Laschet war einer der treuesten Gefolgsleute von Angela Merkel in der Corona-Zeit (und auch sonst). Als damaliger Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands hat er jede noch so absurde Maßnahme und jeden noch so empörenden Eingriff in die Grundrechte mitgetragen und auch stets voller Inbrunst verteidigt.

Und jetzt liest man auf X-früher-Twitter ausgerechnet von ihm dies hier:

„Ja, als Ministerpräsident habe ich vielen Grundrechtseinschränkungen in der Pandemie zugestimmt, um Leben zu retten. Jede einzelne ist mir schwer gefallen und ich habe mit mir gerungen, ob sie wirklich nötig ist. Die sachliche, mit Quellen belegte Analyse von @KubickiWo ist lesenswert. Die politische Einflussnahme auf wissenschaftliche Stellungnahmen ist eine der Gründe für schwindendes Vertrauen in unsere Instutionen. Wenn wir das nicht als Demokraten aufarbeiten, nutzen es die Gegner der Demokratie.“

— Armin Laschet (@ArminLaschet) August 9, 2024

Wenn einer wie Laschet sich – wenn auch nur gaaanz vorsichtig – von seiner eigenen Corona-Politik absetzt, dann ist es ernst. Dann ist klar, dass sich der Wind dreht. Dann schwenkt die öffentliche Meinung allmählich.

Natürlich tut Laschet dies nicht aus Überzeugung. Wir wissen ja gar nicht, ob er überhaupt eine hat. Aber er hat den instinktiven Überlebenstrieb des typischen Berufspolitikers. Als Zeitgeist-Surfer kann man nur mit den Wellen reüssieren, nicht gegen sie. Die öffentliche Meinung ist eine Meerjungfrau, und der Politiker ist ein Fischer.

Halb zog sie ihn, halb sank er hin.

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