Der Impfstoff musste unters Volk: „Ungeimpfte sind das größte Problem“

Weitere Entschwärzungen der Protokolle des Corona-Krisenstabs zeigen, wie das Gremium mit allen Mitteln versuchte, so viele wie möglich gegen Covid-19 zu impfen. Dabei ging es aber nicht unbedingt darum, Menschen zu schützen - sondern um etwas anderes.

IMAGO / Eibner Europa

Die „Experten“ des Corona-Krisenstabs sahen die Impfung gegen Covid-19 als einzigen Weg aus der Pandemie und haben sich vor allem damit beschäftigt, wie man möglichst viele Leute zum Impfen bringen könnte. Das offenbaren weitere Entschwärzungen der Protokolle der Sitzungen des Corona-Krisenstabs unter Generalmajor Carsten Breuer. Zu Breuers Ernennung schrieb die Tagesschau seinerzeit: „Ein Generalmajor soll die schleppende Corona-Impfkampagne auf Trab bringen.“ Und so arbeitete Breuers Krisenstab auch, wie die Protokolle, die der Frankfurter Arzt Christian Haffner freigeklagt hat, zeigen:

Der Krisenstab ging militärisch-systematisch an ihr Ziel „Welle brechen, Impfstoffe beschaffen, impfen“ heran: So heißt es am 16. Dezember 2021: „(Geschwärzt) hat mehrfach betont, dass die Impfquote zu erhöhen ist. Delta-Welle und Omikron-Welle nur brechbar, wenn Booster-Impfungen gesteigert werden. Ziel 30 Mio. Impfdosen bis Ende des Jahres. Große Impfbereitschaft in der Bevölkerung.“ In dieser Sitzung vom 16. Dezember erwähnten die Experten zudem eine „Gefahr, dass die Impfbereitschaft sinkt“: „Größtes Problem sind die Ungeimpften“, heißt es dann.

Sofort nach Amtsübernahme und vor dem Ukrainekrieg begann die Ampel die Militarisierung der Gesundheitspolitik. 1/5 pic.twitter.com/BrQvjGIII1

— Stefan Homburg (@SHomburg) May 26, 2024

Die Expertengruppe behauptet wenige Tage später, am 21. Dezember 2021, die Krankheitsschwere bei Omikron sei vergleichbar mit Delta: „Nach derzeitigen Kenntnisstand hat Omikron einen ähnlichen Krankheitsverlauf wie Delta.“ Diese Aussage zeigt, dass ihre Erörterungen nicht wissenschaftlich geprägt waren: Zu der Zeit war bereits bekannt, dass die Krankheitsverläufe bei Omikron deutlich milder ausfallen als bei Delta. Berichte aus Südafrika, wo Omikron bereits seit Wochen die vorherrschende Variante war, zeigten zudem, dass die Intensivstationen dort nicht überlastet wurden. Sondern, dass es, ganz im Gegenteil, klare Anzeichen für einen milderen Verlauf bei Omikron gab. Aber um sowas ging es den „Experten“ ja nicht. Es ging um die Impfkampagne: Bis Weihnachten sollten 30 Millionen Dosen verimpft werden. Dieses „erste Ziel“ hat der Krisenstab „als gemeinsame Anstrengung“ erreicht, heißt es während der Sitzung am 6. Januar 2022. Nächstes Ziel: „Im Januar 2022 sind weitere 30 Mio. Impfungen zu erreichen.

Aber das hat nicht so gut geklappt: Am 27. Januar wurde bei der Krisenstabs-Sitzung betont, dass das aktuelle Impftempo viel zu niedrig sei: „Die Bestellzahlen der Länder sind stark rückläufig.“ Außerdem heißt es: „Die angelaufene Informationskampagne soll dieses Tempo ankurbeln.“ Und ein möglicher Grund für die dringende Forderung nach dieser Kampagne wird dort auch angedeutet: „Die Versorgung mit Impfstoff steht.“ Die Bundesregierung hat offenbar schon den Impfstoff gekauft – und musste ihn nun unters Volk bringen, um ihn loszuwerden. Um ihre Impfkampagne zu entwickeln, erhielt der Krisenstab Unterstützung von der Agentur „Scholz & Friends“.

Aber das Gremium musste immer mehr feststellen, dass Ungeimpfte nicht für die Impfung zu gewinnen waren: „Es gibt vielfältige Gründe, weshalb sich Menschen aktuell nicht impfen lassen“, hieß es beispielsweise. Also musste eine andere Lösung her: Mehrfach wurde über die vierte Impfung diskutiert, um mehr Dosen verimpfen zu können. Am 3. Februar 2022 heißt es dann, es sei „ausreichend Impfstoff für eine vierte Impfung“ vorhanden.

Außerdem deuten weitere Entwicklungen dieser Zeit auf eine weitere Maßnahme hin, mit der das Problem mit den Ungeimpften gelöst werden sollte: Am 25. Feburar 2022 sagt Karl lauterbach (SPD), wie der Blog für Science und Politik „tkp“ zitiert: „Die 2G+ Regel hat dazu geführt, dass man in die Restaurants nur noch rein konnte, entweder mit einem Test oder aber geboostert. Und das hat dazu geführt, dass sich viele haben boostern lassen. Genau das war auch die Berechnung dieser Vorgehensweise!“

Auf diese Weise Impfdruck aufzubauen, wurde aber bereits am 14. Dezember 2021, in der ersten Sitzung des Krisenstabs, angeregt: An diesem Tag appellierte der Krisenstab an die „Ressortkollegen von BMJ und BMI, ihre Expertise in die Formulierungshilfe für Gruppenanträge in Vorbereitung der allgemeinen Impfpflicht einzubringen“.

Selbst nachdem das Gremium festgestellt hat, dass „in den Nachbarstaaten ein deutlicher Inzidenzrückgang zu verzeichnen war und es in den Nachbarstaaten weitgehende Öffnungsschritte zu verzeichnen gab“, wie es im Protokoll vom 24. Februar 2022 heißt, will es nicht von seiner Impfkampagne abtreten – wegen „künftiger Infektionswellen“:

Am 3. März 2022 stellt das Gremium fest: „Corona-Krisenstab berichtet, dass sich das Expertengremium aktuell damit befasst, den Blick auf künftige Infektionswellen zu schärfen und wie eine Intensivierung der Impfkampagne erreicht werden kann. Zum Thema Nachhaltigkeit fanden in dieser Woche Gespräche des Corona-Krisenstabs mit Angehörigen des Expertengremiums statt. Das Expertengremium habe in seiner letzten Sitzung ein düsteres Bild zum nachlassenden Infektionsschutz gezeichnet. Es wird ein zeitgerechtes Handeln erforderlich sein werden.“

Am 5. April 2022 berichtet das Gesundheitsministerium dann, dass es den Bundestag zur allgemeinen Impfpflicht beraten wird. Auch das zeigt, dass es bei dem Impfdruck nicht darum ging, die Bevölkerung zu schützen, sondern dass man die bestellten Impfstoffe loswerden wollte.

Was der Krisenstab in den folgenden Sitzungen zur Impfpflicht besprach, ist unbekannt, da wesentliche Passagen aus dieser Zeit umfänglich geschwärzt wurden – und immer noch sind. Die Abstimmung erfolgte schließlich im Bundestag am 7. April 2022, wo sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen eine allgemeine Impfpflicht aussprach. Mit dieser Entscheidung des Bundestags, ging dann auch die Arbeit von Breuers Krisenstab zuneige.

Am 4. Mai 2022 stellte der Krisenstab seine Tätigkeit offiziell ein. Ein geschwärzter Jemand dankte den Teilnehmern und Personen aus Lauterbachs Ministerium und entließ Breuer: „BMG betont die Bedeutung, den Impfschutz aufrecht zu erhalten und die Booster-Lücke zu schließen. Es besteht die Hoffnung, dass zum Herbst ein adaptierter Impfstoff zur Verfügung steht. Es wird darauf hingewiesen, dass im Spätsommer möglicherweise die in den Stand-by-Modus befindliche Infrastruktur reaktiviert werden muss, sollte eine weitere flächendeckende Impfung erforderlich sein.“

Noch immer sind einige relevante Passagen der Protokolle sowie die Teilnehmerlisten geschwärzt. Aber das Berliner Gericht hat dem Kläger Haffner in einigen Punkten rechtgegeben und geurteilt, das Bundeskanzleramt müsse alle Passagen zu Impfstoff-Vermerken freigeben, wie TE berichtete. Außerdem sollen alle Teilnehmer einzeln befragt werden, ob ihr Name freigelegt werden darf. Daran wird sich zeigen, welche der zehn bis dreißig „Experten“ an Transparenz orientiert sind.

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