Corona-Krise: Warum die meisten Menschen die Risiken falsch einschätzen

Es gibt Menschen, die immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass Medien Fehlalarm ausgelöst haben. Diese tendieren irgendwann dazu, jeden Alarm als Fehlalarm zu deuten, auch wenn diesmal der Alarm berechtigt sein sollte. Bei der Corona-Krise könnte dies zu einer Sorglosigkeit bei vielen Menschen führen.

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Die Corona-Krise bestätigt, was wir aus der psychologischen Forschung wissen: Die meisten Menschen, egal ob sie mehr oder weniger gebildet sind, können Risiken nicht richtig einschätzen. In der Corona-Krise zeigen sich meist diejenigen sehr besorgt, die immer sehr besorgt sind und jene unbesorgt, die immer unbesorgt sind. Das deutet schon darauf hin, dass Risiken nicht angemessen wahrgenommen werden. Der richtige Hinweis darauf, dass in der Vergangenheit oftmals von Medien Risiken als zu groß dargestellt wurden, die in Wahrheit viel geringer waren, ist jedoch kein Beleg dafür, dass es sich diesmal genauso verhält.

Der Psychologe und Risikoforscher Gerd Gigerenzer weist in seinem Buch „Risiko“ darauf hin: Studien zeigen, dass viele Menschen fürchten, was sie wahrscheinlich nie verletzen oder töten wird, während sie fröhlich gefährlichen Verhaltensweisen frönen. Oft werden Risiken als enorm hoch eingeschätzt, wenn Medien spektakulär darüber berichten. Andere Risiken, die in Wahrheit viel höher sind, werden unterschätzt. Erinnern Sie sich noch an den sogenannten Rinderwahn BSE? Was schätzen Sie, wie viele Menschen im Laufe von zehn Jahren in Europa an den Folgen des Rinderwahns starben? Es waren ungefähr 150 – das sind genauso viele, wie es im gleichen Zeitraum tödliche Unfälle durch das Trinken von parfürmiertem Lampenöl gab. Im Herbst 2009 gab es eine weltweite Hysterie wegen der sogenannten Schweinegrippe und die WHO verbreitete Panik mit der Nachricht, es könnten bis zu zwei Milliarden Menschen infiziert werden. Tatsächlich gab es nicht einmal 20 Todesfälle.

Nach dem Terroranschlag des 11. September entschieden sich viele Menschen, statt dem Flugzeug das Auto zu benutzen. Die Statistik belegt, dass durch diese Entscheidung vieler Amerikaner, in den Monaten nach dem 11. September lieber auf das Auto umzusteigen, zusätzlich (!) 1.600 Menschen durch Autounfälle umkamen

Hat häufiger Fehlalarm zu falscher Sorglosigkeit geführt?

Und nun die Kehrseite: Es gibt Menschen, die immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass Medien Fehlalarm ausgelöst haben. Diese tendieren irgendwann dazu, jeden Alarm als Fehlalarm zu deuten, auch wenn diesmal der Alarm berechtigt sein sollte. Bei der Corona-Krise könnte dies zu einer Sorglosigkeit bei vielen Menschen führen.

Ich selbst gehöre zu den Menschen, die weder Angst hatten, nach dem 11. September ein Flugzeug zu besteigen (weil ich das Risiko für sehr gering hielt) und die sich weder durch Schlagzeilen vom Ozon-Loch noch über „Dioxin-Eier“ oder Schweinegrippe beirren ließen. Auf dem Höhepunkt der BSE-Panik schrieb ich für Die Welt einen Artikel, in dem ich mich über diese Panik lustig machte. Ich hatte bei der Verbraucherzentrale angerufen und wollte wissen, worüber sich die Menschen ängstigen. Manche hatten gefragt, ob man noch Lederschuhe tragen dürfe oder dadurch die Gefahr bestehe, sich mit Rinderwahn anzustecken. Damals habe ich noch Fleisch gegessen und es machte mir Freude, meine besorgten Mitmenschen zu schocken, indem ich noch häufiger extragroße Steaks verzehrte.

Selbst im sehr optimistischen Szenario besteht große Gefahr

Bei der Corona-Krise dagegen gehöre ich – ausnahmsweise – zu den Besorgten, die meinen, dass es mehr Menschen gibt, die die Risiken unterschätzen als solche, die sie überschätzen. Jeder hat eine andere Art zu denken, aber ich persönlich denke immer in Zahlen. Das ist natürlich in diesem Fall schwer, weil es wenig verlässliche Zahlen gibt. Nehmen wir jedoch die Zahlen, die wir derzeit zur Verfügung haben: Schätzungen besagen, dass sich 60-70 Prozent der Menschen in Deutschland irgendwann mit dem Corona-Virus anstecken werden, das wären bis zu 58 Millionen.

Nehmen mir mal sehr optimistisch an, diese Schätzungen seien grob übertrieben, und am Ende seien es nur 20 Prozent der Bevölkerung, weil es durch die beschlossenen Maßnahmen gelingt, etwa zwei Drittel der Infektionen zu vermeiden. Das wären dann immer noch 16,6 Millionen infizierte Deutsche. Es heißt, für 80 Prozent der Infizierten sei der Verlauf harmlos. Seien wir auch hier wieder optimistisch und nehmen an, für 90 Prozent (der bei optimistischer Annahme nur 16,6 Mio. Infizierten) sei der Verlauf harmlos. Dann haben wir es mit ca. 1,7 Millionen Menschen allein in unserem Land zu tun, bei denen mit einem schweren Verlauf zu rechnen ist. Das ganze Bestreben der Regierung geht ja derzeit dahin, die Infektionen zu verlangsamen und auf einen längeren Zeitraum zu verteilen. Seien wir noch mal sehr optimistisch und nehmen an, dass dies in hohem Maße gelingt und vermuten, dass sich das auf einen langen Zeitraum streckt und zu einem bestimmten Zeitpunkt nur zehn Prozent der eben auf Basis mehrfach optimistischer Annahmen ermittelten 1,7 Millionen Menschen davon betroffen sind. Das wären 170.000 Menschen. Intensivbetten gibt es in Deutschland laut Auskunft des Bundesgesundheitsministers derzeit 29.000, davon sind aber 80 Prozent belegt, also nur ca. 6.000 frei. Selbst wenn es irgendwie gelingen sollte, diese Zahl auf 18.000 zu verdreifachen, ist die Diskrepanz zu den erforderlichen Betten so groß, dass mir die Fantasie fehlt, wie es gelingen kann, die Menschen angemessen zu versorgen. Wer sich jetzt ansteckt, hat gute Chancen, gut behandelt zu werden. Aber wie sieht es mit den Menschen aus, die sich in zwei Monaten anstecken?

Natürlich sind das alles willkürliche Annahmen, die jedoch eher zu optimistisch als zu pessimistisch sein dürften. Ich will damit nur zeigen, dass selbst bei sehr optimistischen Annahmen großer Grund zur Sorge besteht. Und ich habe hier nur von den gesundheitlichen Folgen gesprochen und nicht von den möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft und das Finanzsystem. Die meisten Menschen, das beobachte ich in allen Gesprächen, stellen solche Überlegungen jedoch gar nicht an, sondern schätzen das Risiko so ein, wie sie stets andere Risiken eingeschätzt haben, also entweder als hoch oder niedrig.

Selbst wenn Sie sorglos sind, sollten Sie mit der Panik Ihrer Mitmenschen rechnen. Es ist wie an der Börse, wo man auch mit der zweiten, dritten und vierten Ableitung rechnen muss. Konkret: Sie glauben, für Hamsterkäufe bestehe objektiv nicht der geringste Anlass? Wenn es aber eine Vielzahl von Menschen gibt, die das ganz anders sehen, könnten Sie dennoch irgendwann vor leeren Regalen stehen und behaupten, Sie hätten trotzdem Recht gehabt.

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Kommentare ( 43 )

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Dozoern
4 Jahre her

Wenn ich Pueyo, Forscher an der John Hopkins University, richtig interpretiere, dann wird es auch in Deutschland in den nächsten ein bis zwei Jahren 60-70 Prozent Infizierte geben. Macht mindestens 48 Mio Infizierte. Davon erkranken ca 80 Prozent nur leicht (zuhause), macht etwa 38 Mio. Davon erkranken 10 Prozent schwer (Klinik), macht 4,8 Mio. Und 5 % erkranken so schwer, dass sie intendivmedizinisch behandelt werden müssen, macht 2,4 Mio. 1 % sterben, macht 480 Tsd. (und nicht 0,1% wie bei der Influenza). Damit wäre das Gesundheitssystem komplett überfordert. Deshalb muss schnell gehandelt werden. Bei einer Ansteckungsrate von 3 (ein Infizierter… Mehr

Dozoern
4 Jahre her

Der beste Artikel zum statistischen und virologischen Hintergrund der Covid-19 Pandemie stammt von Thomas Pueyo, vom Online Blog Medium. https://perspective-daily.de/article/1181/7UikVAkg

bonumx
4 Jahre her

Es gibt m.E. mindestens zwei statistische Fehler im Artikel: 1. Es gibt derzeit bei deutlich weniger als 10% der Erkrankten Bedarf an stationärer Behandlung, noch viel weniger benötigen intensivmedizinische Betreuung. 2. Diese % Zahlen beziehen sich auf die registrierten Fälle. Es infizieren sich aber wesentlich mehr, nur das deren Krankheitsverlauf ganz unauffällig oder im Rahmen üblicher Erkältungen liegt. Die Zahlen von 60-70% Infizierter beziehen diese Fälle aber mit ein. Und dennoch kann es Probleme mit der Versorgung der schweren Fälle geben, falls die Fallzahlen zu schnell ansteigen! Daher machen alle aktuellen Maßnahmen Sinn und wahrscheinlich wird man sie teilweise noch… Mehr

Peter Silie
4 Jahre her

Es werden sich 60-70% der Menschen mit Corona infizieren, egal, was sie tun. Die eingeleiteten Maßnahmen dienen nur dazu, die Infektionen breit auf der Zeitachse zu verteilen, der Flächeninhalt des Integrals bleibt derselbe. Die Intensivbetten werden nach einer Woche wieder frei für den nächsten Patienten, entweder durch Tod oder Genesung. In der Influentasaison 17/18 gab es 25.000 Tote. Niemand hat es gemerkt. Sollte es dieses Mal das Vierfache oder auch mehr sein, wird es wieder keiner merken. I.d.R. werden Ü80-jährige ein oder zwei Jahre verfrüht sterben. Vermutlich hätte man es als normale Grippe durchlaufen lassen können, ohne das Gesundheitssystem dabei… Mehr

D. Ilbert
4 Jahre her
Antworten an  Peter Silie

Sehr ähnlich sehe ich das auch. Man stelle sich einfach vor, in der von Ihnen genannten Grippe-Saison hätte es tägliche „Wasserstandsmeldungen“ gegeben. Nach 6 Wochen dann die Nachricht, nun wäre der einmillionste Infizierte registriert worden und es wäre der 386. Todesfall zu beklagen. Dezidiert würden die Infizierten für Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt und München aufgeführt und täglich aktualisiert. Jeden zweiten Tag hätte sich ein Virologe zu Wort melden dürfen um uns mit neuesten Prognosen in der Richtung zu beglücken, wir müßten mit mehreren Millionen Infizierten, mit zigtausend Toten rechnen und das Gesundheitssystem stehe kurz vor dem Kollaps. Und so wäre… Mehr

fatherted
4 Jahre her
Antworten an  Peter Silie

Sorry…aber das ist doch nachgeplappert. Auch bei einer „normalen“ Grippe infizieren sich über Jahre hinweg nicht 60-70% der Bevölkerung.

Heike
4 Jahre her

Weil nach wie vor die deutschen Lämmer den Staatsmedien ihr Ohr und Verstand opfern! Wer sein Leben und seine Existenz als so minderwertig empfindet- ist dort wirklich gut aufgehoben. Naive Gefolgschaft hat jedoch noch nie vor Leid geschütz – ganz im Gegenteil! Meine Informationen erhalte ich seit Monaten bei Journalisten wie Eva Hermann. Unaufgeregte, sachliche Informationen erwarte ich nicht von parteigesteuerten Medien….sonst wäre ich auf den Satz „wir schaffen das“ hereingefallen. Wer sein Hirn nicht selbst in die Gänge bringt – dem ist nicht zu helfen

robbyb
4 Jahre her
Antworten an  Heike

Als Hotelkauffrau ist Eva Bischhoff möglicherweise kompetent was die Auswirkungen auf Hotellerie/Gastronomie betrifft.
Ich für meinen Teil informiere mich lieber bei der WHO bzw. dem RKI. Ich brauche keine Hobbyjournalisten um mein Hirn in Gang zu bringen.

Sonny
4 Jahre her

Es gibt so unglaublich viele Menschen auf diesem Planeten.
Die Natur schlägt zurück. Ob wir nun besonnen bleiben oder panikieren. Und ich hoffe sehr, dass es wirklich die Natur ist (kleine Verschwörungstheorie, darf in diesen Zeiten nicht fehlen…).

Karl Heinz Muttersohn
4 Jahre her

Die Menschen in diesem Land unterschätzen notorisch das Risiko einer vollkommen inkompetenten, ideologisch vernebelten Regierung unter einer Kanzlerin, der das Wohl ihres Volkes am A vorbeigeht. Und diese Unterschätzung wird sich jetzt sehr, sehr schmerzhaft rächen. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass Merkel wieder gewählt wird, selbst wenn sie tausende von Toten zu verantworten hat.

D. Ilbert
4 Jahre her

Während einer „Grippesaison“ (d.h. innerhalb eines 4-6 Monats-Zeitraums) infizieren sich in Deutschland lt. RKI zwischen 2 und 14 Millionen Menschen mit dem jeweils anliegenden Grippevirus. Ohne besondere Maßnahmen zu ergreifen. Auch die oft genannte Grippeimpfung ist eher ein rudimentärer Akt. Allenfalls 35% der über 65-Jährigen läßt sich impfen, beim großen Rest sieht die Quote noch erheblich schlechter aus. Quelle auch hier: RKI. Auf dem Höhepunkt der jeweiligen Infektion hat es noch niemals Nachrichten gegeben, das Gesundheitssystem sei überfordert. Insofern halte ich eine „Durchseuchung“ von 70% für nahezu auszuschliessen und eine solche von 20% für eher unwahrscheinlich. Schon eine 20%ige „Durchseuchung“… Mehr

Gabriele Kremmel
4 Jahre her

Dem Teil mit den nicht mehr ernst genommenen, weil unglaubwürdigen Medien kann ich nur zustimmen. Alleine die unkritische und fehlerhafte Berichterstattung pro Klimapanik führte schon dazu, dass ich die Medien überwiegend nicht mehr ernst nehmen kann.

Tatsächlich waren es Artikel bei TE und AchGut, die früh erkennen ließen, dass es sich bei Corona um ein ernstzunehmendes Problem handeln könnte, dem adäquat begegnet werden muss, selbst wenn man sich persönlich nicht bedroht fühlt.

DELO
4 Jahre her

Ich glaube, daß man in Zeiten, wo große unbekannte Gefahren auf ein Land zurollen und keine Abwehrmittel dafür bereit stehen, zwei Dinge vermeiden sollte: 1. Panikmache durch die Aufzählung von Katastrophenmöglichkeiten 2. Verschleierungstaktik durch das bewusste Herunterspielen des doch Möglichem Zu Punkt 1 zähle ich die absolut unsinnige Äußerung von Frau Merkel, daß sich 60…70% aller Deutschen am Corona-Virus anstecken werden. Selbst wenn derartige statistische Berechnungen vorliegen sollten, kann man das in dieser Form so nicht äußern. Und mit Verlaub, Herr Zitelmann, auch Ihr Artikel beinhaltet Ansätze einer solchen Sichtweise. Zum Punkt 2 müssen wir vorerst abwarten, ob Deutschland weiterhin… Mehr