Schimpft nicht auf Claas Relotius. Er hat den Stoff geliefert, die Dealer in den Leitmedien waren zufrieden damit und die Kunden auch: Eigentlich hat er sogar den Karl-May-Preis verdient.
Claas Relotius war fest angestellter Redakteur beim Spiegel. Mehrfach wurde er schon ausgezeichnet. Er bekam unter anderem den Peter-Scholl-Latour-Preis, mehrfach den Reporterpreis, den Katholischen Medienpreises und den Konrad-Duden-Journalistenpreis. Er schrieb freiberuflich unter anderem für den Cicero, die NZZ am Sonntag, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die Financial Times Deutschland, die taz, die Welt, das SZ-Magazin und die Weltwoche.
Am 19. Dezember 2018 gab der Spiegel bekannt, dass Claas Relotius „in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert“ habe. Der Peter-Scholl-Latour-Preis wurde ihm im Zuge des Skandals aberkannt. Die anderen Preise hat er zurückgegeben.
Relotius’ Arbeiten reichen von der Erfindung von Figuren, Szenen und Zitaten bis hin zu komplett erfundenen Geschichten. Am 18. Februar 2017 erschien im Spiegel sein Artikel „Löwenjungen“, für den er lange Gespräche mit einem Jungen in einem kurdischen Hochsicherheitsgefängnis erfand. Für seinen Artikel „In einer kleinen Stadt“ erfand er im März 2017 ein Schild am Ortseingang der amerikanische Kleinstadt Fergus Falls, auf der gestanden haben soll: „Mexicans Keep Out“. Er erfand zudem die Geschichte, Schulkinder würden Donald Trump als Vorbild malen. In der Geschichte „Die letzte Zeugin“ erzählte er von einer Frau auf der Reise als Zeugin zu einer Hinrichtung.
Mit ein wenig Glück wird der Name Claas Relotius bald in einem Atemzug mit Karl May genannt. Die Titel „Löwenjungen“, „In einer kleinen Stadt“ und „Die letzte Zeugin“ klingen jedenfalls schon so wie grandiose Romantitel.
Wir könnten bei all den Geschichten nun von Lügen sprechen, aber Georg Restle hat mir gezeigt, dass man es auch besser formulieren kann. Ich schlage daher folgende Sprachregelung vor:
„Claas Relotius hat sich dem Neutralitätswahn im Journalismus verweigert. Er hat mutig aufgehört, nur abzubilden, was ist. Er hat stattdessen einen werteorientierten Journalismus gepflegt.“
Das ist eine Formulierung der Causa Relotius, mit der ich bei den öffentlich-rechtlichen Wertepflegern bestimmt sehr weit kommen würde. Diese Worte sind nämlich nur eine geringfügige Änderung einer Aussage, die Georg Restle so tatsächlich lange vor dem Bekanntwerden der Erfindungen durch Claas Relotius auf Twitter geschrieben hat.
Ist es verwunderlich, dass Claas Relotius gehandelt hat, wie er gehandelt hat?
In einer Gesellschaft, in der „werteorientierter Journalismus“ von öffentlich-rechtlicher Hand gefördert und gefordert wird, wo sogar Berichte über Judenhass verheimlicht und durch Mitarbeiter des WDR öffentlich diffamiert werden, wenn sie den eigenen Werten nicht entsprechen, (siehe: „Ein beispielloser Skandal“), können uns solche Phänomene wie Claas Relotius nicht verwundern. Er hat lediglich eine Nachfrage bedient.
Viele Journalistinnen und Journalisten stehen unter einem immensen Druck, korrekt orientierten Wertejournalismus zu produzieren, wenn sie im Haifischbecken jenseits der Neutralität überleben wollen. Dieser Druck hat seinen Preis und die Wahrheit stirbt bekanntlich zuerst.
In der Laudatio von Patricia Riekel, ehemalige Chefredakteurin der Bunte, für Claas Relotius anlässlich der Verleihung des Katholischen Medienpreises 2017 durch die Deutsche Bischofskonferenz am 16. Oktober 2017 in Bonn heißt es:
„Manchmal wird man ja gefragt, was man als Erstes tun würde, wenn man Deutschland für einen Tag regieren würde. Ich würde ein Gesetz erlassen, dass die Reportage „Königskinder“ zur Pflichtlektüre für alle Politiker wird. Vielleicht hat sich dann das in meinen Augen beschämende Gerangel um die Obergrenze erledigt.“
Darum geht es. Der Journalismus von heute soll Debatten erledigen, nicht fördern.
Claas Relotius wilderte in diesem Umfeld und er ist gewiss nicht der einzige Jäger mit wildem Jägerlatein.
Dieser Beitrag ist zuerst bei Tapfer im Nirgendwo erschienen.
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„Viele Journalistinnen und Journalisten …“ Da fällt es schon schwer, weiter zu lesen. Da fehlen nur noch die anderen 53 Geschlechter (oder mehr?) im Plural.
Nein, es ist kein einzelner Karl May.
Es sind riesige Karl May Festspiele.
Na ja, „Der Stürmer“ hat auch „werteorientierten“ Journalismus betrieben, oder etwa nicht? Es kommt immer darauf an, welche „Werte“ gemeint sind!
Wirkliche Werte sind auch tatsächlich existent und widersprechen übrigens nicht der Wirklichkeit!
Wenn man eine Nachricht liest erwartet man in dieser Information, Wahrheit und Fakten und keine Erzählungen und Haltungen! Wenn Berichtige und Reportagen zur reinen Propaganda verkommen, dann lese ich lieber ein Buch, ist unterhaltsamer und man kommt sich nicht so verar*cht vor!
„Claas Relotius hat sich dem Neutralitätswahn im Journalismus verweigert. Er hat mutig aufgehört, nur abzubilden, was ist. Er hat stattdessen einen werteorientierten Journalismus gepflegt.“ …da sollte man sich beim Restle für diese geniale Steilvorlage eigentlich bedanken 😉
Unter den Artikeln von Relotius fehlte nur ein klitzekleines Wort und ein kleiner Zusatz: „Roman.“
„Mit freundlicher Empfehlung der Bundesregierung“.
Wir müssten eigentlich dem Herrn Claas Relotius dankbar sein, so wie er doch, den „werteorientierten Journalismus“ – hier den „Spiegel“, der sich daraufhin auch noch selbst zum Opfer stilisiert hat (Herr Wallasch schrieb darüber), am Nasenring vorgeführt hat! Manchmal denke ich, wir werden noch von Herrn Relotius hören, vielleicht ist das noch nicht das Ende seiner Geschichte? Was hat ihn, den Phantasten getrieben, die Sache dermaßen an die Spitzte zu treiben? Hat ihn möglicherweise geradezu DAS gereizt? Wollte er prüfen, wie weit er all die anderen zum Narren halten könne? Wann würden sie endlich dahinter kommen? Es heißt doch, man… Mehr
Der Gulag/KZ Wärter liefert auch wie bestellt, steht unter enormen existenziellem Druck (Befehlsverweigerung/Desertation nicht nur potenziell tödlich), und agiert in einem ideologisch verseuchten Umfeld das seine Schandtaten eher goutiert als verurteilt.
Würden Claas Relotius und Konsorten ihn deshalb von individueller Schuld Freisprechen.
Auch für die SZ ist relotieren noch immer völlig in Ordnung. Eine Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung findet es nicht problematisch, in diesem Metier (politische Reportagen) jetzt glaubwürdig zu arbeiten. Denn: „Es gibt Leute, die haben es gern, wenn ihnen von Kindern in einem Slum mit großen traurigen Augen erzählt wird, und es gibt andere Leser, die möchten gerne wissen, was los ist.“ und im Spiegel dürfen Geschichten, die keinen besonderen Erkenntnisgehalt haben, gerne hübsch-gefaked werden: „…in Wahrheit hat das auch keinen besonderen Erkenntnisgehalt, … Vertrauen wegen seiner vielen Preise, … Glaubwürdigkeit wegen seines Ansehens, … eine Redaktion kann und… Mehr
Nein Herr Buurmann, dieses „Verständnis“ für die Story Claas Relotius bringe ich beim besten Willen nicht auf.
Für mich stellt sich immer wieder die entscheidende Frage, wie so ein Mensch mit gutem und reinem Gewissen morgens vor den Spiegel treten kann? Ich könnte es nicht, könnten Sie das Herr Buurmann?
Reines Gewissen ist kein Erfolgskriterium.
Oder wieviele Medienpreise haben Sie bisher erhalten?