CDU: So ernst war es noch nie

Warum die CDU aufpassen muss, dass sie nicht selbst ihren Untergang befördert.

Maja Hilti/Getty Images

Mit Identitätskrise ist das, was sich gegenwärtig in der CDU vollzieht, vermutlich noch zurückhaltend beschrieben. Sieht man von der Spendenaffäre Anfang der 2000er Jahre ab, ist die jetzige Situation nach den chaotischen Nachwehen der Landtagswahl in Thüringen und der Rücktrittsankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer dazu geeignet, den Untergang der Partei einzuläuten. Die mahnenden Worte von CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble müssten alle daran erinnern, was da auf dem Spiel steht. Es geht nicht nur um den Fortbestand der GroKo oder das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl – es geht für die CDU jetzt um alles!

Wie konnte es soweit kommen? Zunächst zu einigen strukturellen Fragen, denn es ist viel zu einfach, alles bei Angela Merkel abzuladen. Die Ursachen liegen tiefer und sind älter. Geschlossenheit ist ein hohes Gut, aber eine Partei, die den Erfolg ihrer Arbeit in erster Linie an der Dauer des Parteitagsapplauses für ihre Vorsitzenden bemisst, wird auf Dauer zum programmatischen Fortschritt unfähig. Man kann sich auch zu Tode klatschen. AKK war als Generalsekretärin zunächst auf dem richtigen Weg: Die Parteispitze muss zunächst einmal zuhören. Meinungsbildung funktioniert bei aller Notwendigkeit der klaren, politischen Führung immer von unten nach oben. Das muss die CDU wieder erlernen!

Kaum innerparteiliche Demokratie

Dass Positionen gewechselt oder verändert werden, liegt in der Natur der Politik. Es ist nur die Frage, wie solche Veränderungen zustande kommen. Wenn die Aussetzung der Wehrpflicht, der Ausstieg aus der Kernenergie, der Kurswechsel in der Familienpolitik und manches Andere zuerst verkündet und damit quasi irreversibel gemacht werden und die Partei anschließend darüber beschließt, hat dies mit innerparteilicher Demokratie nicht viel zu tun. Dass dann nach mehreren Jahren solcher Praxis die eigene Parteibasis nicht mehr weiß, wofür man eigentlich steht und wofür nicht, verwundert nicht. Wer aber, wenn nicht die Basis, soll der Bevölkerung eigentlich erklären, warum eine Partei gewählt werden soll?

Dazu gehört, dass das Zentrum der Willensbildung in der Politik immer das Parlament und die dortigen Abgeordneten sein müssen und nicht Regierung oder Verwaltung. Das gilt auf allen politischen Ebenen. Machen sich Parlamente oder Fraktionen in Parlamenten zum Erfüllungsgehilfen von Regierung und Verwaltung, können sie an die Bevölkerung nur Positionen verkünden, die bereits feststehen.

Die Attraktivität der Demokratie besteht aber in der Möglichkeit zur Teilnahme und zur Mitentscheidung. Wenn ich nur Dinge zur Kenntnis nehmen darf, die sich nicht mehr ändern lassen, kann ich das Ergebnis auch in der Zeitung lesen. Bezogen auf die Bundes-CDU bedeutet das, man hätte sich gewünscht, dass nach dem bedingungslosen Gehorsam in der Ära Kauder der (richtigen) Ankündigung seines Nachfolgers Brinkhaus, der Bundestagsfraktion wieder zu Selbstbewusstsein zu verhelfen, mehr Erfolg beschieden gewesen wäre.

Das Machtzentrum ist ein kleiner Zirkel

Der Anspruch, als Volkspartei ein möglichst breites Spektrum an Meinungen nicht nur zuzulassen, sondern einzubinden, ist Fluch und Segen zugleich. Er verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft und beinhaltet die Notwendigkeit, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Partei auch personell abzubilden. Über viele Jahre war Helmut Kohl ein Meister in dieser Disziplin: Alfred Dregger für Konservative, Norbert Blüm für Christlich-Soziale, Rita Süßmuth für Liberale und Frauen, Angela Merkel für Ostdeutsche, Erwin Teufel für Katholische, die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Auch inhaltlich gelang es Kohl lange (aber beileibe nicht bis zum Schluss), die Positionen gegeneinander auszutarieren. Angela Merkel dagegen hat dort angefangen, wo Helmut Kohl aufgehört hat. Das Machtzentrum ist ein kleiner Zirkel, der Rest folgt, findet sich auf dem Abstellgleis oder wird weggelobt. Wer öfter Positionen vertritt, die denen der Vorsitzenden widersprechen, wird weggedrückt (Merz) oder so lange mit Nichtachtung bestraft, bis er von selbst geht (Bosbach). Dass in dieser Gemengelage die Partei zerfasert und sich Flügel bilden, die es zuvor nicht gegeben hat (Werteunion, Union der Mitte), und die eigentlich niemand braucht, ist fast schon zwangsläufig. Insofern stellt der besonnene Schweizer Publizist Frank A. Meyer zu Recht fest, dass AKK letztlich an den Problemen gescheitert ist, die ihre Vorgängerin geschaffen hat.

Wer Politik betreibt, ist gut beraten, die eigenen Positionen von Zeit zu Zeit kritisch zu hinterfragen; selbst (oder grade) dann, wenn es in der medialen Öffentlichkeit für diese Positionen überwiegend Beifall gibt. Zwei Beispiele: Wer kann denn alles Ernstes behaupten, man habe in der Migrationspolitik alles richtig gemacht und dem staunenden Publikum gleichzeitig erklären, eine Situation wie 2015 dürfe sich unter keinen Umständen wiederholen? Wer möchte erläutern, dass man gleichzeitig aus allen fossilen Energieträgern aussteigen kann, wo der Stromzahler beim Blick auf die Rechnung sieht, dass die Preise heute schon die höchsten in ganz Europa sind und man zu bestimmten Zeiten überdies Kernenergie aus Nachbarstaaten einkauft?

Hysterien mit besonnenem Pragmatismus begegnet

Lange Zeit hat sich die CDU dadurch ausgezeichnet, dass sie gesellschaftlichen Hysterien mit besonnenem Pragmatismus begegnet ist. Das galt etwa bei den Debatten um die NATO-Nachrüstung und das Waldsterben in den 1980er Jahren. Wenn versucht wurde, rechte Positionen rechts zu überholen (Asyl-Wahlkampf in Baden-Württemberg 1992) oder linke Positionen links (Atomausstieg nach Fukushima), dann ging das meistens schief. Die Menschen wählen eher das Original als die Kopie. Man kann sich auch nicht nur um den Klimaschutz kümmern, darüber aber eines der Markenzeichen der eigenen Partei wie etwa die Steuerpolitik gänzlich aus den Augen verlieren. Die Kunst der Politik besteht darin, jene Probleme mit eigenen Mitteln zu lösen, mit denen der Wettbewerber Stimmung macht. Das trifft im Kern auch das Verhältnis der Union zur AfD. Die Dämonisierung mit der Faschismuskeule, vor der der Historiker Heinrich-August Winkler warnt, war und ist keine Lösung. Das zeigen die Wahlergebnisse der Vergangenheit; das zeigt im Übrigen auch die lange Zeit falsche Herangehensweise in Frankreich gegenüber dem Front National. Die CDU ist gut beraten, an der Äquidistanz zu AfD und Linkspartei festzuhalten; alles andere bricht ihr das Genick.

Die erste Aufgabe für die künftige Leitfigur der CDU wird sein, wieder Einigkeit herzustellen. Und in dieser Einigkeit müssen sich Christlich-Soziale, Wirtschaftsliberale und Konservative gleichermaßen wiederfinden. Die Entscheidung, wer es wird, fällt hoffentlich nicht wieder im Hinterzimmer. Schon mit Blick auf das Lebensalter könnte Friedrich Merz zwar den Übergang gestalten; die Zukunft wird aber der Generation um Jens Spahn und Carsten Linnemann gehören. Dass die Menschen mit jungen Politikern nicht unbedingt mangelnde Erfahrung, sondern vor allem das Unverbrauchte verbinden, zeigt sich in Österreich. Und: Die Menschen wollen wissen, woran sie sind. Das gelingt mit klaren Positionen, mit Opportunismus geht das schief.

Trennung von Partei- und Regierungsspitze nicht praktikabel

Dass Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin scheiterte, ist auch einem Umstand zuzuschreiben, den sie selbst bei ihrem Rücktritt richtig beschrieben hat und für den sie eigentlich nichts kann. Die Trennung von Partei- und Regierungsspitze hat sich nicht als praktikabel erwiesen. Daher sollte Angela Merkel im eigenen Interesse erkennen, dass es einen nachhaltigen Neuanfang für die Partei, der sie selbst lange vorstand, mit der sie aber im Grunde ihres Herzens nie richtig warm wurde, nur ohne sie als Kanzlerin geben kann. Alles andere ist für die CDU in der gegenwärtigen Situation der Tod auf Raten. Es ist dem Lande zu wünschen, dass die CDU dies erkennt, und es ist dem Lande ebenso zu wünschen, dass eine wieder funktionierende Sozialdemokratie mit einer starken Union im Wettbewerb die Beiträge liefern kann, die Deutschland nach 1949 zu einer stabilen, freiheitlichen und an den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft ausgerichteten Demokratie gemacht haben.


Thomas Dörflinger ist Publizist. Von 1998 bis 2017 gehörte er für die CDU dem Deutschen Bundestag an


Dieser Beitrag ist zuerst bei Die Tagespost erschienen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 160 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

160 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Udo Kemmerling
4 Jahre her

„Die CDU ist gut beraten, an der Äquidistanz zu AfD und Linkspartei festzuhalten; alles andere bricht ihr das Genick.“ Absoluter Quatsch!!! Man kann wohl kaum in der echten Realität genau so viel Abstand zu einem der tragenden Elemente des ehemaligen Ostblock halten wie zum eigenen Programm von vor 15 Jahren. Das Wiedereinreihen in die Blockparteien wird ihr allerdings das Genick brechen, muß es, denn ab jetzt ist die CDU nicht mehr nur unwählbar geworden, sondern offener Feind der Demokratie!

Karl Napf
4 Jahre her

Ja, ist schon so.
C (hristlich) Merkel gegen eine Multikulti-Religion getauscht.
D (emokratisch) wurde in Thüringen vom Merkel beerdigt.
U (nion) wurde von Merkel zu einem Friedhof der Meinungen gewandelt.

Da ist nicht mehr CDU drin wo CDU drauf steht.

Tinu
4 Jahre her

Einer Partei, die der Merkel so lange die Stange gehalten hat – und immer noch hält, kann man den Tod auf Raten nur wünschen. Zum Glück scheint das mit dem Tod auf Raten auch tatsächlich zu funktionieren.

ExternerBlick
4 Jahre her

Ein CDU-Mitglied im CDU Kreisverband Aaachen-Land meinte kürzlich:

„Merkels muslimische Migrationspolitik schadet der CDU in den nächsten 20 Jahren so sehr, dass die CDU sich n i e mehr davon erholen wird.“

Das erinnert an die Aussage von AKK am 17.11. 2018 auf n-tv.

Sinngemäß: „Migration könnte in den nächsten 20 Jahren unser Hartz IV werden“.

Haerter
4 Jahre her

Das letzte Mal, dass die CDU klare Kante gezeigt hat, war 2002/2006. Das Programm empfehle ich jedem herunterzuladen und zu lesen. Die AfD ist die alte CDU! Man reibt sich verwundert die Augen und fragt sich, was war im Wasser? Wie konnte es zu solcher Entkernung, den Rechtsbrüchen,. der Verweichlichung kommen? Das Geheimnis ist wie immer, es kam schleichend. Und es gilt wie immer: Wehret den Anfängen! Jetzt ist der Drops gelutscht, kaum vorstellbar, dass Recht und Gesetz, Masstäbe und Regeln eines Rechtsstaates jemals wieder in Deutschland gelten sollten.

Neumann
4 Jahre her

Ich denke, mich tritt ein Pferd, als ich im Radio höre, dass sich MP Günther für eine erneute Amtszeit von Merkel ausgesprochen hat. Was für ein Kraut wird da in SH geraucht? Oder ist es ein politischer Virus, der schon Barschel, Engholm, Simonis und nun Günther befallen hat? Ich war vor wenigen Tagen Gast in einer CDU-Versammlung in einer größeren Stadt in Thüringen. Mehrere Redner erklärten unwidersprochen, dass der CDU-Wählerschwund in Thüringen hauptsächlich durch Merkels Politik verursacht wurde. Der Diskussionsbeitrag eines Mitglieds der Werte-Union erhielt heftigen Beifall. Die Zustimmung für Merkel, auf die sich Günther beruft, kann in meinem Bekanntenkreis… Mehr

teanopos
4 Jahre her

an die CDU:
So geht’s – einfach weiter keine Politik für die Bürger(deren Interessen, Sicherheit, Zukunft…) dieses Landes machen. Bitte einfach weiter die Bürger dieses Landes weiter hintergehen, ihnen das Geld aus der Tasche ziehen, sie Verachten, sie als rechts diffamieren(weil sie nicht links sind), und sonst wie ignorieren – immer weiter dem linksgrünem Narrativ nach, vom Linksgrünen Jounalisten Mob getragen – oder auch nicht.
Läuft bei euch ?

LadyGrilka55
4 Jahre her

“ Meinungsbildung funktioniert bei aller Notwendigkeit der klaren, politischen Führung immer von unten nach oben. Das muss die CDU wieder erlernen!“ Das muss nicht nur die CDU wieder erlernen, sondern Merkels unkritisches Gefolge aus Industrie, Medien und der Bürgerschaft. Ja, auch die Bürger Deutschlands müssen zu großen Teilen erst (wieder?) lernen, nicht denken zu lassen und das Ergebnis stumpf nachzuplappern, sondern das Denken bitte schön endlich (wieder?) selber zu übernehmen. Ist es nicht gerade die Denk- und (alternative) Informationsbeschaffungsfaulheit vieler Bürger, die dazu geführt hat, dass sie weder die Dummheit noch die Verantwortungslosigkeit der herrschenden Politik- und Medienkaste sehen (wollen)?… Mehr

Vulkan
4 Jahre her

Die CDU hat ein so simples, dualistisches Weltbild, dass man sich nur nach an den Kopf fassen kann. Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, dass auch ihnen unsympathische Politiker mal gute Ideen haben können, ist z. B. Herr Luczak von der CDU auch noch so blöd, in einer Bundestagsrede zu sagen, dass Sachargumente ihn nicht interessieren, sondern die CDU aus Prinzip alle Anträge der AfD ablehnt. Video: https://www.youtube.com/watch?v=HNBDoE51BRE Minute 44:40 bis 45:10 Liebe CDUler, das ist keine Politik, was Sie hier machen. Das ist ganz primitives Mobbing. Vielleicht werden Sie von oberster Stelle genauso behandelt, aber das müssen Sie sich ja nicht… Mehr

Roli
4 Jahre her

Als Merkel die CDU nach links zog, war dies ja anfänglich ein Vorteil, da sie damit bürgerliche SPD Wähler ansprach. Aber wenn ein Politiker in eine Richtung pendelt, dann muss er auch wieder seine Mitte finden. Der österreichische Kanzler Kurz ist dazu ein gutes Beispiel. Nur bei Merkel war es anders, denn ihre Kindheit und Jugend war vom DDR Sozialismus geprägt. Und ich wette es zog sie wieder genau dorthin. Eine bürgerliche Kanzlerin, die sich im bürgerlichen nicht wohl fühlt. Gut damals hätte sie zurücktreten können, doch sie hielt eisern an der Macht fest. Das brachte ihr unangenehme Gegner, hohe… Mehr