Cancel Culture: Stein des Anstoßes

Anstatt für die eigene Desensibilierung zur eigenen Gesunderhaltung zu sorgen, muss sich die Mehrheit einer kleinen hysterischen Minderheit beugen, die nicht in der Lage ist, einen eigenen Stuhlkreis zu bilden.

Screenprint: via Twitter

Auf einem Gelände der amerikanischen University of Wisconsin wurde ein 70 Tonnen schwerer Felsbrocken entfernt, der im Verdacht steht, rassistisch zu sein und damit die Gefühle von Studenten diskriminierend verletzt. Der dunkle Stein fristete seit 1925 auf dem Uni-Hauptgelände sein aufsehenerregendes Dasein. Den Stein des Anstoßes hätte man einige Jahre beleidigend mit einem Schimpfwort eines dunkelhäutigen Menschen belegt. Außer, dass der als der Ku-Klux-Clan in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an der Uni aktiv war, fanden Historiker für diese These keine Belege.

Anstatt die Geschichte aufzuarbeiten und den dicken Brocken vor Ort stehen zu lassen, entschied man sich für einen symbolischen Akt der Maschinenstürmerei. Stein weg – Probleme weg. Ebenso hätten die verstörten Studenten beim Vorbeigehen am corpus delicti die Augen schließen können, das wäre mit weniger Kosten verbunden gewesen.

Zur „Strafe“ muss der seltene Gletscherstein nunmehr einsam und allein auf dem Nebengelände unbeobachtet und trist dahin vegetieren. Umgerechnet 43.000 Euro waren nötig, die in Stein gemeißelte Phobie und die diskriminierten Gefühle der jungen Leute wieder in Ordnung zu bringen.

Wir haben noch einmal Glück gehabt, dass es diesmal nur einen plumpen Stein getroffen hat. Es gibt auch eine Angst vor dem Weltall (Spacephobie). Man stelle sich vor, der müsste dann abgeschafft werden. Auch die Angst vor Gespenstern (Spectrophobie) oder die Angst vor Strahlung (Radiophobie) sind weit verbreitet. Für letzteres führt jede ordentliche Polizeidienststelle spezielle geheimnisumwitterte Kisten zur Entstrahlung (früher war die Ladeecke beliebt) am Ort, um beispielsweise den verdächtigen Kugelschreiber des sich verfolgt fühlenden und empörten Bürgers zu entstrahlen. Der ging dann beruhigt und tiefenentspannt nach Hause. Vielleicht hätte man auch den Felsbrocken auf diese Weise am Platz belassen können, wenn man ihn in einer großartigen Zeremonie und bunten Fahnen feierlich entstrahlt hätte. Für das eingesparte Geld hätte man vielleicht neue gendergerechte Toiletten anschaffen können.

Wer immer keinen Grund gefunden hat, sich diskriminiert zu fühlen, kann auf dieser Seite mit ergiebigen Vorschlägen erfreut werden und sich daran reichhaltig bedienen. Wenn sich Mitmenschen von Enten beobachtet fühlen (Anatidaephobie), kann das mächtig an die eigenen Gefühle gehen. Die Fortführung des Studiums wird faktisch unmöglich. Auch die in unseren Breitengraden häufiger vorkommende Angst vor der Schwiegermutter (Pentheraphobie) darf nicht unterschätzt werden. Einen Fachbegriff für die gefühlte Angst vor rassistischen Steinen konnte ich zwar nicht finden, aber eine gute Ersatzbeschreibung für den Sachverhalt: die Angst vor Geisteskrankheiten (Agateophobia).

Dieser Fall ist ein weiteres Beispiel dafür, wie „Gefühle“ zu Fakten umdeklariert werden. Anstatt für die eigene Desensibilierung zur eigenen Gesunderhaltung zu sorgen, muss sich die Mehrheit einer kleinen hysterischen Minderheit beugen, die nicht in der Lage ist, einen eigenen Stuhlkreis zu bilden.


Steffen Meltzer ist Herausgeber der Buch-Neuerscheinung „Die hysterische Republik”

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