Nüchtern betrachtet haben die Kulturstaatsminister in Merkels Vor-Ampel-Regierungen in Deutschland bisher weniger Kultur und Literatur, als die Bildung einer Gruppe von „Kulturschaffenden“ unterstützt, die nicht kulturell, nicht literarisch, nicht in der Schaffung außergewöhnlicher Filme oder Theaterinszenierungen sich hervor getan haben, sondern in der Ersetzung von Kultur und Kunst durch Ideologie. In Erinnerung bleiben nicht nur der Framing-Skandal des MDR, nicht nur die um sich greifende Cancel Culture in Öffentlich-Rechtlichen Medien und in Verlagen, die Marginalisierung aller nicht rotgrüner Standpunkte in Kultur und Medien bis zur Intrige, mit der man sich des aufrechten Historikers Hubertus Knabe als Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zu entledigen wusste. In der Amtszeit von Monika Grütters (CDU) erlebte das Amt seinen Tiefpunkt.
Zu den Aufgaben des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der, weil er im Rang eines Staatsministers beim Bundeskanzler und zugleich Leiter einer obersten Bundesbehörde ist, kurz auch Kulturstaatsminister genannt wird, gehören laut Wikipedia: die „Förderung von kulturellen Einrichtungen und Projekten von überregionaler, nationaler Bedeutung, die Weiterentwicklung und Modernisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen künstlerischen Schaffens sowie die Sicherung einer freien und pluralistischen Medienlandschaft.“ Die Förderung von Freiheit und Pluralität kann man jedenfalls Monika Grütters nicht nachsagen.
In all diesen Bereichen täte es not, für die Möglichkeit der Pluralität der künstlerischen Standpunkte, Sichtweisen und Methoden zu sorgen – denkt man nur daran, dass beispielsweise die deutsche Film- und Serienproduktion inzwischen einem von erzählerischen oder cineastischen Effekten wenig berührten Staatsbürgerkundeunterricht rotgrüner Prägung gleicht. Es täte not, nicht allein die Bilder, Filme und Romane zu fördern, die den von den Rotgrünen bezweckten Gesellschaftsumbau, die neue Utopie, feiern. Es täte not, nicht länger die neue brachiale Sozialchemie zu akklamieren, die sich als Kunst und Kultur verkleidet (ehemals sozialistischer Realismus und nun woker Realismus). Es täte not, Werke zu propagieren, die von der Wirklichkeit – in ihrer ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit – erzählen, und nicht von dem, das sich einige wünschen. Denn woker Realismus ist das Gegenteil von Realismus. Die Kultur in Deutschland hat an Pluralität und damit an Relevanz eingebüßt.
Auf Monika Grütters soll nun also Claudia Roth als neue Kulturstaatsministerin folgen. Die Frau, deren politisches Geschäftsmodell bislang auch darauf beruhte, kritischen Medien die Verbreitung von Hetze zu unterstellen, wird jetzt für Kultur und Medien zuständig sein. Sie kann die im Koalitionsvertrag genannte Aufgabe, „für eine vielfältige Kultur und freie Medien“ zu sorgen, annehmen oder ablehnen. Voltaire wird der Satz zugeschrieben: ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich will alles tun, damit Sie Ihre Meinung frei äußern dürfen. Als Managerin der Politrockband „Ton Steine Scherben“ hat Roth Erfahrungen darin gemacht, eine Gegenkultur zum herrschenden Establishment zu vertreten. Doch hatte sie das Glück, dass der deutsche Staat in seiner Pluralität und Liberalität diese Gegenkultur letztlich auch unterstützte. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Im Modus des Klassenkampfes wird immer mehr gecancelt und marginalisiert, was nicht einer rotgrünen Weltanschauung entspricht. Man fühlt sich zum Teil in die Zeit eines Andrej Shdanows oder in die DDR zurückversetzt. Vor dem Hintergrund der Cancel Culture mag dem einen oder anderen Kurt Hager geradezu als liberale Gestalt erscheinen.
In ihrer neuen Funktion könnte Claudia Roth alle erstaunen und sich eines Voltaires würdig erweisen. Sie könnte dafür sorgen, dass künstlerische Projekte – und nicht nur eins als Alibi und Feigenblatt – unterstützt werden, die nicht der rotgrünen Provenienz entstammen. Würde nicht auch das zur Diversität gehören, die im Koalitionsvertrag unzählige Male als Ziel genannt wird? Oder ist Diversität das Gegenteil von Pluralismus und Liberalität?
Fremd ist Claudia Roth der Kulturbereich nicht. Nach einem Studium der Fächer Theaterwissenschaft, Geschichte und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das sie nach zwei Semestern abbrach, arbeitete sie an verschiedenen Theatern, bevor sie Managerin der Politrockband „Ton Steine Scherben“ wurde.
Genau das wird Claudia Roth unter Beweis stellen müssen, ob sie für Meinungsvielfalt steht, oder ob die Meinungsvielfalt nur für das rotgrüne Lager gilt, ob sie Kultur in ihrer ganzen Universalität ermöglichen will, ob die Förderung von Kunst und Kultur von Qualität abhängig ist, statt von Alter, Herkunft, Geschlecht, Sexualität und ideologischer Ausrichtung.
In diesem Zusammenhang sei nur an den grimmigen Spott des linken Dichters Pablo Neruda über die linke Orthodoxie erinnert:
„Greuel und Entsetzen! Ich las Romane,
unendlich rechtschaffene,
und so viele Verse über
den Ersten Mai,
daß ich jetzt nur noch über den 2. dieses Monats schreibe.“
Das neue Amt stellt diese Fragen an Claudia Roth. Sie hat es in der Hand, diese Fragen zu beantworten: Aufklärung oder Ideologie? Toleranz oder Cancel Culture als Culture cancel? Ernst Jünger und Marieluise Fleißer oder nur Marieluise Fleißer? Martin Heidegger und Judith Butler oder nur Judith Butler? Ernst Nolte und Jürgen Habermas oder nur Jürgen Habermas? Thilo Sarrazin und Naika Foroutan oder nur Naika Foroutan?
Hic rhodus, hic salta, Claudia Roth!