Der Wahlkampf für die geplante Bundestagswahl im Februar 2025 ist in vollem Gang. Zeit, in loser Reihenfolge den TE-Lesern etwas Wahl- und Wahlbeobachtungskunde zu vermitteln. Viele Medientexte und Leserbriefe zeigen eine gefestigte Unkenntnis der Wahlabläufe in Theorie und Praxis. Von Dieter Schneider
Weil ein Journalist bei der Bundeswahlleiterin in Wiesbaden anfragte, ob der vorgesehene Termin für eine Bundestagswahl im Januar nächsten Jahres aus ihrer Sicht machbar wäre, landete er oder sie offensichtlich beim Statistischen Bundesamt, deren Chefin Frau Dr. Ruth Brand ist. Das ist sie hauptberuflich, nebenberuflich ist sie Bundeswahlleiterin. Dieses Nebeneinander und Miteinander ist in Deutschland alte Tradition, die aber gute Gründe hat. Eine ihrer wichtigen Aufgaben als Bundeswahlleiterin ist die Festlegung der 299 Wahlkreise mit einer bestimmten Anzahl von zu vergebenden Parlamentssitzen in jedem Bundesland. Das ist genau im Bundeswahlgesetz geregelt:
§ 3 Wahlkreiskommission und Wahlkreiseinteilung
(2) Der Bundespräsident ernennt eine ständige Wahlkreiskommission. Sie besteht aus dem Präsidenten des Statistischen Bundeamtes, einem Richter des Bundesverwaltungsgerichtes und fünf weiteren Mitgliedern.
(4) 15 Monate nach Beginn einer Wahlperiode muss ein Bericht zur Wahlkreiseinteilung vorliegen.
Das hat die Chefin des Statistischen Bundesamtes für die bevorstehende Wahl längst gemacht und abgeschlossen. Dazu brauchte es viel statistische Berechnungen aus ihrem Hause, dem Statistischen Bundesamt. Aus dieser Sicht konnte der angerufene Mitarbeiter (Frau Brand nannte ihn bei der Anhörung im Bundestag „Kollege“) sinngemäß sagen: kein Problem mit dem frühen Termin. Auch die neue Regelung des Umgangs mit Überhangmandaten im Bundeswahlgesetz scheint von ihrem Haus eingearbeitet zu sein.
Wie und vom wem auch immer, die Bundeswahlleiterin wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es mit dem frühen Termin doch Probleme – zum Beispiel auch mit der Papierbeschaffung – geben könnte. Das teilte sie dem Kanzleramt mit. Daraufhin großer Medienwirbel, der am eigentlichen Sachstand völlig vorbeiging. Nur beispielhaft schrieb die Neue Zürcher Zeitung online:
Brand ist dafür zuständig, dass die Wahlen zum Bundestag reibungslos verlaufen. Im besten Fall, wenn alles klappt, sollte man von ihrer Arbeit gar nichts mitbekommen.
Das ist schlicht falsch, sie ist dafür nicht zuständig. Allein zuständig für die Durchführung aller Wahlen in Deutschland von Gemeindewahlen bis zu EU-Wahlen sind die Gemeinden.
Der Bundeswahlleiter hat keinerlei Einfluss auf diese Arbeit und andere Vorbereitungsarbeiten in den Gemeinden. Einfluss darauf haben die Landeswahlleiter. Es gibt nun mal keine Bundesliste bei den Zweitstimmen, sondern nur Landeslisten. Die Landeswahlleiter werden auch nicht vom Bundeswahlleiter berufen, sondern von den jeweiligen Innenministern der Bundesländer. Die Landeswahlleiter wiederum ernennen die Kreiswahlleiter. Auch die Landeswahlleiter sind nicht für die Durchführung der Wahlen zuständig, sondern für deren Überwachung.
Dabei liegen in der Praxis Durchführung und Überwachung von Wahlen allein in der Hand der Exekutive. Das ist ein wichtiges Thema für sich, das in einem späteren Beitrag behandelt werden kann.
Die Bundeswahlleiterin hat eine weitere wichtige Aufgabe; die aber erst, wenn die Wahl vorbei ist. Sie soll möglichst noch am Wahlabend das vorläufige amtliche Wahlergebnis aufgrund von Schnellmeldungen verkünden. Das ist in der Bundeswahlordnung in „§ 71 Schnellmeldungen, vorläufiges Wahlergebnis“ genau geregelt. Bei den Zweitstimmen für die einzelnen Parteien sind das „durchlaufende Posten“. Die Bundeswahlleiterin lässt nicht zählen, sondern nur zusammenzählen. Genauso ist es bei den Landeswahlleitern und Kreiswahlleitern. Gezählt wird nur von den Wahlvorständen in den einzelnen Stimmbezirken eines Wahlkreises.
Leider gibt es die Öffentlichkeit als eines der demokratischen Grundprinzipien von Wahlen beim Zusammenzählen nicht.
Eine deutlich unterschiedliche Wahlbeteiligung in den einzelnen Bundesländern kann dazu führen, dass das vorher festgelegte Kontigent der Bundesländer an Sitzen im Parlament leicht verändert werden muss. Da ist natürlich(e) mathematische Intelligenz von Mitarbeitern des Statistischen Bundeamtes gefragt, weil es wahrscheinlich noch nicht die fehlerfreie künstliche Intelligenz dafür gibt. Frau Dr. Brand sollte besser nicht nach Papier, sondern nach der Software für die Ergebnisermittlung der Bundestagswahl gefragt werden.
Es gibt immer noch Überhangmandate
Noch viel schwieriger ist die Behandlung der Erststimmen zur Bestimmung der Wahlkreis-Gewinner mit Sitz im neuen Bundestag. Mit Änderungen des Bundeswahlgesetzes ist das Problem der Überhangmandate nicht gelöst, sondern weg von der Stimmenermittlung zwecks Errechnung der Anzahl der Sitze im Deutschen Bundestag für jede Partei hin zur personellen Zusammensetzung des Bundestages.
Wenn es weiter Überhangmandate gibt – und damit ist in der Mehrheit der Bundesländer zu rechnen –, dann werden die nicht mehr durch Ausgleichsmandate länderübergreifend für die anderen Parteilisten kompensiert. Vielmehr werden in jedem Bundesland so viele Überhangmandate gestrichen, wie es dem Zweitstimmenergebnis entspricht. Und da taucht eine neue Problematik auf.
Es kommen diejenigen Wahlkreisgewinner nicht zum Zuge, die das relativ schlechteste Wahlergebnis ihrer Partei in diesem Bundesland haben.
Beispiel Hamburg, gerechnet nach Ergebnissen der letzten Bundestagswahl dort:
Die SPD gewinnt wieder wie das letze Mal vier der sechs Hamburg zustehenden Wahlkreise und hat 31,1 Prozent der mandatswirksamen Zweitstimmen (31,1 x 6 geteilt durch 100 = 1,86, aufgerundet auf 2). Das bedeutet: Die SPD bekommt nur zwei Mandate zugesprochen, die anderen zwei Mandate bekommen die anderen Parteien über die Hamburger Landesliste. Die beiden Kandidaten mit dem relativ schlechtesten Erststimmenergebnis (30,7 Prozent und 33,2 Prozent bei der letzten Wahl) kommen nicht zum Zuge. Bei der letzten Bundestagswahl wurden die zwei Überhangmandate der SPD in Hamburg mit den reichlich vielen CSU-Überhangmandaten in Bayern länderübergreifend schon am Wahlabend verrechnet. Das ist nicht mehr nötig.
Trotzdem viel Spaß, Frau Bundeswahlleiterin und ihrem Team vom Statistischen Bundesamt beim Ausrechnen und Bekanntgeben der Zahl der Wahlkreisgewinner am Wahlabend in fast allen Bundesländern, die zum Zuge kommen, als vorläufiges amtliches Ergebnis.
Bei der Anhörung im Bundestag neulich begann die Bundeswahlleiterin eine Aussage mit: „Vorläufiges Ergebnis, das ändert sich …“. Da brach sie den Satz ab und sagte etwas anderes.
Eine mögliche Satzergänzung in der Theorie:
„Vorläufiges Ergebnis, das ändert sich … “ möglicherweise durch die Überprüfung aufgrund der Wahlniederschriften aus den Stimmbezirken durch die Kreiswahlausschüsse.
Eine mögliche Satzergänzung auf Grund praktischer Erfahrungen:
„Vorläufiges Ergebnis, das ändert sich … “ mandatswirksam nicht mehr.
Der Grund dafür: Es wird nicht ein zweites Mal aufgrund der Wahlniederschriften zusammengezählt, sondern es werden die vorläufigen Ergebnisse aus den Schnellmeldungen elektronisch einfach fortgeschrieben.
Es bleibt zu überprüfen, ob die Praxis wahlrechtlich anfechtbar ist. Vor allem von denjenigen, denen das mögliche Erststimmen-Wahlergebnis dann nicht gefällt, zum Beispiel auch denjenigen, die nur wegen fehlender Erststimmen gegenüber Parteifreunden ihr Berufsziel verpasst haben.
Wenn das wahrscheinliche Erstimmenergebnis am Wahltag um Punkt 18.00 Uhr öffentlich aus einer dubiosen Mischung von Nachwahlbefragungen und früheren Umfragen veröffentlicht wird, fängt das Auszählen der Zweitstimmen in den Wahllokalen und Auszählungsstätten für die Briefwahlstimmen erst an.
Nach der Feststellung der Gesamtwählerzahl werden die Stimmzettel dort nach Parteien ausgezählt, auf denen Erst- und Zweitstimme gleichartig vergeben wurden. Das ist meistens bei über 50 Prozent der Stimmzettel der Fall. Da ist bereits zu erkennen, dass es knapp ausgehen könnte. Bei der als Letztes vorzunehmenden Auszählung der gesplitteten Erststimmen kann sich das dann „noch verschieben“.
Die Beantwortung folgender Fragen ist unter anderem noch zu behandeln:
- Ist ergebniswirksame Wahlbeobachtung der unterschiedlichsten Art bei der anstehenden Bundestagswahl nötig und möglich?
- Wer kontrolliert auf welche Weise den ordnungsgemäßen Ablauf der Bundestagswahl?
- Kann am Wahlabend schon überall bekannt sein, welche Kandidaten einen Sitz im Bundestag gewonnen und welche ihn zunächst gewonnen und dann an einen Parteifreund vielleicht mit wenig Stimmenunterschied verloren haben?
- Kommt es nach dem Zählen in den Gemeinden und Zusammenzählen in Wahlkreisen, Bundesländern und Bund zu gezielten oder sogar flächendeckendem Nachzählen?
Dieter Schneider war lange selbst Wahlhelfer und ist seit Jahrzehnten Kenner der real existierenden deutschen Wahlvorgänge, worüber er oft auf TE schrieb.
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Es gibt Wahlkreise und Wahlbezirke, zwei verschieden Begriffe. Wahlkreise ist die Einteilung der Stimmen Wahlbezirke ist die Einteilung der Wahllokale. Kandidiert wird pro Wahlkreis, gewählt wird pro Wahlbezirk. Es gibt 299 Wahlkreise, die Anzahlder Direkt-Abgeordneten, von innsgesamt 598 Sitzen lt. Geundgesetz. Hinzu kommen dann noch die Kandidaten von den Landeswahlliste (Parteilisten) die schon vor der Wahl ferig ausgeklüngelt sind in den Partei-Hinterzimmern. So dass letzendlich in der Praxis der Bundestag aus 1/3 direkt vom Volkeegewählten Kandidaten hat und 2/3 von den Parteiliste, Pareti-Zusatzmandate und Partei-Überhangmandate. Der aktuellen 20. Deutsche Bundestag besteht aus einer Rekordzahl von 736 Mandaten, das größte frei… Mehr