Die Angst des Bundeskanzlers vor Neuwahlen

Die Bundeswahlleiterin Ruth Brand teilt mit, dass sie den früheren Wahltermin nicht absichern kann. Deutschland wird zum Gespött im Ausland. Nun kommt heraus, dass Scholz’ Umfeld zuvor im direkten Kontakt mit ihr stand. Die Union will die Bundeswahlleiterin am Mittwoch in den Innenausschuss vorladen.

picture alliance / Flashpic | Jens Krick
Bundeskanzler Olaf Scholz mit Bundeswahlleiterin Ruth Brand, Wiesbaden, 11.08.2023

Scholzens Versuch, Neuwahlen solange als möglich anscheinend selbst mit Intrigen, die man sonst nur aus Krähwinkel kennt, hinauszuschieben, platzt laut und gibt plötzlich den Blick frei auf die politische Insolvenzverschleppung der Rest-Ampel. Erst drückt sich der Bundeskanzler darum, mit seinem Koalitionspartner FDP eine vernünftige Lösung, die auch eine Auflösung der Regierung einschließen könnte, zu finden, weil keine Gemeinsamkeiten mehr vorhanden sind. Dann lockt er seinen Finanzminister in die Falle. Er lässt ihn in dem Glauben, dass konstruktiv am Mittwoch im Koalitionsausschuss weiterverhandelt wird. Parallel dazu aber wird die Rede vorbereitet, die er am Mittwochabend nach der Demissionierung des Bundesfinanzministers halten wird.

Wohl kaum zehn, zwölf Stunden nach Lindners Rauswurf durch den Bundeskanzler verteilen Scholzens Leute in dessen Brandenburgischen Wahlkreis (Potsdam, Ludwigsfelde, Teltow, Kleinmachnow, Stahnsdorf, Michendorf, Nuthetal und Schwielowsee) bereits die „Bewerbung für die Bundestagskandidatur im Wahlkreis 61“. In Scholzens Bewerbung heißt es: „Liebe Genossinnen und Genossen, gestern Abend habe ich den Bundespräsidenten um Entlassung von Finanzminister Christian Lindner gebeten. Der für uns alle unerträgliche Streit in der Bundesregierung hat damit ein Ende. Deutschland braucht Klarheit und Stabilität: Deshalb streben wir einen geordneten Übergang zu vorgezogenen Neuwahlen Anfang 2025 an.“

Man kann kaum glauben, dass Scholzens Bewerbung getextet, layoutet und gedruckt wurde zwischen 21.15 Uhr am Mittwoch, dem 6.11., und Donnerstag, dem 7.11. um 9 Uhr. Und wenn Scholzens fleißige Genossen doch eine Nachtschicht eingelegt haben, weshalb bloß die Eile, wenn erst Ende März gewählt werden soll? Aber damit enden die merkwürdigen Vorkommnisse unter der Ägide des Kanzlers Seltsam noch nicht. Kaum jemand außer SPD- und Grünen-Funktionären versteht, weshalb der Bundeskanzler erst im Januar die Vertrauensfrage stellen und erst im März Neuwahlen haben will.

In Budapest bricht Scholz mit der Regel, dass der Bundeskanzler im Ausland sich nicht zu innenpolitischen Ereignissen und Vorkommnissen äußert. Vor ihm hatte das Angela Merkel gemacht, als sie von Südafrika aus befohlen hatte, die demokratischen Wahlen in Thüringen „rückgängig zu machen“. Scholz war damals Merkels Finanzminister. In Budapest zeigte sich Scholz scheinbar offen für frühere Neuwahlen: „Der Wahltermin ist kein rein politisch festzusetzendes Datum. Er muss auch den Anforderungen der Bundeswahlleiterin genügen, um eine ausreichende Zeit für die Organisation einer fairen und demokratischen Wahl zu berücksichtigen.“

Als er das sagte, dürfte er bereits den Brief der Bundeswahlleiterin Ruth Brand in der Tasche gehabt haben oder der Brief war auf dem Weg zu ihm. Im Grunde hätte man den an den Bundeskanzler adressierten Brief nicht abschicken müssen, denn Olaf Scholz hätte diesen Brief zeitnah, oh großes SPD-Wunder, auch im SPIEGEL kommentiert nachlesen können. Denn der SPIEGEL berichtete über den Brief am 8.11. kurz nach 16 Uhr, während Scholz auf der Pressekonferenz in Budapest am 8.11. um 15.23 Uhr den Tabubruch vollzog und über die Neuwahlen in Deutschland sprach. Scholz insinuierte, dass die Wahl früher stattfinden könnte, wenn das die Bundeswahlleiterin abzusichern vermag – und hat einen Brief in der Tasche, in dem die Bundeswahlleiterin schreibt, dass sie den früheren Termin nicht absichern kann?

Der Brief, den die von Nancy Faeser eingesetzte Bundeswahlleiterin möglicherweise auf Wunsch von Scholz oder Faeser geschrieben hat, listet Argumente auf, weshalb im Januar keine Neuwahlen stattfinden können, weil nicht „ausreichende Zeit für die Organisation einer fairen und demokratischen Wahl“ zur Verfügung stehen würde. Laut Nius hatten enge Vertraute von Olaf Scholz den Brief mit der Bundeswahlleiterin, die überparteilich ihr Amt wahrnehmen sollte, zuvor abgestimmt. „NIUS erfuhr: Scholz‘ Umfeld stand im direkten Kontakt mit Brand.“

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, zeigt sich von Brands Schreiben irritiert: „Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Schreiben auf eigene Initiative hin verfasst wurde oder ob das Bundeskanzleramt oder das SPD-geführte Innenministerium Einfluss darauf genommen haben.“ Die Unionsfraktion beantragt, „dass die Bundeswahlleiterin am nächsten Mittwoch in den Innenausschuss kommt, um für Aufklärung zu sorgen“. Man wird sehen, ob die SPD Brands Erscheinen vor dem Ausschuss blockiert.

So oder so genießt Brand nach diesen Vorkommnissen nicht mehr den über jeden Zweifel erhabenen Ruf, überparteilich im Amt zu handeln. Um den Ausgang der Wahl allerdings über allen Zweifel zu erheben, müssten sich alle Fraktionen des Bundestages auf einen neuen Bundeswahlleiter einigen.

Brand argumentierte, dass in der kurzen Zeit nicht genügend Papier besorgt werden kann und die Druckaufträge nicht rechtzeitig ausgelöst werden können. Damit hat ausnahmsweise diesmal nicht Annalena Baerbock, sondern die Bundeswahlleiterin Ruth Brand Deutschland zur Lachnummer in der Welt gemacht, die Polen spotten bereits und wollen mit Papier aushelfen, der britische Telegraph nicht minder.

Als Grund für einen späteren Wahltermin nannte Brand, was bisher übersehen wurde, im Brief auch: „die zunehmenden hybriden Bedrohungen“ für die IT-Infrastruktur. Wörtlich heißt es: „Dies umfasst unter anderem, die Bereitstellung der notwendigen IT-Infrastruktur auf Ebene der Kommunen, der Länder und des Bundes. Dabei sind in der gegenwärtigen Situation ganz besonderes Augenmerk auf die zunehmenden hybriden Bedrohungen zu richten und Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Dies bedarf einer sorgfältigen Prüfung und übergreifenden Implementierung auf den betroffenen Ebenen.“ Der römische Satiriker Juvenal stellte schon die Frage: „Wer aber bewacht die Bewacher?“ Mit anderen Worten: Zu welchem Zweck will Brand eine sorgfältige „Prüfung“ der IT-Infrastruktur, der Sicherheit der Übermittlung von Wahldaten vornehmen? Und was heißt es, dass dafür die Zeit nicht reicht?

Im März dieses Jahres äußerte sich Faeser im Interview dahingehend, dass sie die kommenden Wahlen schützen wolle: „Wir müssen dafür sorgen, dass es keine Hackerangriffe auf Wahlbehörden oder auf die Übermittlung von Wahlergebnissen gibt“, so Faeser. Doch hatte Faeser wirklich die Bedrohung der Wahlen durch russische Hackerangriffe im Blick? Oder doch eher die AfD, über die sie im gleichen Interview äußerte: „Die AfD verehrt Putin und verachtet das moderne Deutschland.“ Wie weit würden Scholz und Faeser gehen, um das „moderne Deutschland“ zu schützen, würde der römische Satiriker Juvenal fragen?

Jedenfalls äußerte die Bundeswahlleiterin, dass die Zeit bis Januar nicht ausreichen würde, um die Wahlen vor „zunehmenden hybriden Bedrohungen“ zu schützen. Nach diesem Brief und dessen Umständen ist die Bundeswahlleiterin so oder so nicht mehr über jeden Verdacht erhaben.

Der Bundeskanzler hat den Kontakt mit der Realität verloren. Die Ungereimtheiten mehren sich in beängstigender Zahl und Schnelligkeit. Er steht nicht mehr über den Dingen. Aus der Affäre Scholz wird eine Affäre SPD und womöglich eine Staatsaffäre. Ist die Bundesregierung noch handlungsfähig?


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Kommentare ( 58 )

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BellaCiao
1 Monat her

Irgendwo hatte ich gelesen, dass offenbar per 31.03.2025 das parlamentarische Geschäftsjahr endet. Und damit könnten dann womöglich auch alle Cum-Cum- und Cum-Ex-Akten des Bundestages von vor 2018 geschreddert werden, dank der von 10 auf 8 Jahren reduzierten Aufbewahrungsfrist.
Unabhängig von den Akten des Bundestages, ist das jedenfalls schon ein großes Thema:

1.) https://www.finanzwende.de/themen/cumex/cumcum/ein-jahr-um-cumcum-milliarden-zurueckzuholen

2.) https://www.capital.de/wirtschaft-politik/brorhilker-warnt-vor-gesetz—taeter-werden-die-schredder-anschmeissen–35080746.html

3.) https://www.n-tv.de/wirtschaft/Banken-sollen-bald-Beweise-fuer-Cum-Cum-Deals-schreddern-duerfen-article25249539.html

BellaCiao
1 Monat her
Antworten an  BellaCiao

Bei NIUS hatte ich es gelesen:

Warum Olaf Scholz trotz der offensichtlichen Niederlage noch an seiner Macht festhalte? „Die Staatsanwältin vom Cum-Ex-Skandal, das Verfahren, was Olaf Scholz am meisten bedroht, hat den Verdacht geäußert, dass man hier noch versucht, schnell ein Gesetz zu verabschieden, das die Vernichtung von Unterlagen ermöglicht, die Olaf Scholz belasten würden“, erklärt Reichelt.

Siehe kompletter NIUS-Artikel:
https://tinyurl.com/33ne6j6x

Hier auch die brisante Video-Passage aus NiUS-Live (von heute, dem 11.11.2024) mit dem Video-Aufruf, den die ehem. Cum-Ex-Staatsanwältin Anne Brorhilker dazu auf X geteilt hat:
https://youtu.be/8tdJmQl7Sxo?t=1381

Last edited 1 Monat her by BellaCiao
Monostatos
1 Monat her

Mir geht jegliche Phantasie abhanden, in welcher Thematik irgendjemand diesem Olaf Scholz jemals noch irgendwie Glauben schenken können soll. Selbst hinsichtlich der Uhrzeit wird das extrem schwierig.

Paprikakartoffel
1 Monat her

Was ist denn schon Scholzens Notsituation? Bei Lichte betrachtet doch nur folgendes: er und seine Linksgrün-woke-Truppe bis in die Merkelei hinein haben über 20 Jahre in wessen Interesse auch immer im Klimawahn die Luft besteuert und den Strom abgedrehr und nutzlose aggressive, aber reproduktionsfreudige Minderbegabungen ins Sozialsystem geladen. Jetzt ist dann endlich die Wirtschaft ins Rutschen geraten, und Steueraufkommen reicht bei bester Hintanstellung der Eingeborenen nicht mehr gleichzeitig für US-gehorsame Geschenke an deren Marionette in der Ukraine, für die Allimentation der Horden unproduktiver Geschwätzler in NGOs, Stiftungen, Verbänden, staatsnahen Einrichtungen, Kirchen und Medien und der überflüssigen Beauftragten für jeden unsinnigen… Mehr

Julie Krefeld
1 Monat her

Wie Hr Langeman/Club der klaren Worte es ausgedrückt hat: Scholz hat Format: DinA6 oder so- aber im Ernst Soll er machen am besten bis September. In der Zeit zeigt sich immer mehr das Merz seine dümmliche Brandmauer wichtiger ist als Deutschland. Nichts wird sich wirklich ändern

Micha.hoff
1 Monat her

Die Verfasser des Grundgesetzes waren angesichts des damals noch ziemlich gebeutelten Deutschlands der Meinung, dass man Wahlen innerhalb von 60 Tagen durchführen kann – unabhängig davon, wann der Bundestag aufgelöst wird.
Wenn es nicht um Wahlen ginge, wäre es lustig. So ist es Staatsaffäre, die an den Grundpfeilern des demokratischen Verfassungsstaates rüttelt.

Moses
1 Monat her

Der Schrecken liegt nicht einmal im Verhalten des Kanzlers und seines Gefolges, sondern darin, dass niemand aus diesem Ringverein auch nur ein Funken Scham empfindet.
Armes Deutschland.

Jens Frisch
1 Monat her

Ist die Bundesregierung noch handlungsfähig?“
Ich frage mich eher, ob diese Regierung noch „zurechnungsfähig“ ist. Das die lügen ist mir schon lange klar, aber seit ich meinen Penis als weiblich bezeichnen darf drängt sich mir diese Frage förmlich auf.

Sanijo
1 Monat her

Ich will ein Gesetz das den Bundeskankzler nach Volksbefragung rauswirft und vor ein Volksgerichtshof der nicht links sein darf stellt! Dann sind seine Minister dran!

Fulbert
1 Monat her

Darf man Zweifel äussern, ob überhaupt noch Neuwahlen stattfinden werden? Oder ob hybride Bedrohungen dies auf absehbare Zeit unmöglich machen? Das neue bzw. „moderne“ Deutschland zur Sicherung „unserer Demokratie“ vielleicht lieber auf das Votum des Wählers, der gerade erst in den USA seine Unzuverlässigkeit bewiesen hat, verzichtet? Die Leitmedien wüssten es zu gewiss zu rechtfertigen: „Weimars Warnung: Warum keine Wahlen besser sind als falsche Wahlen.“

Last edited 1 Monat her by Fulbert
November Man
1 Monat her

Man würde gerne die Rückseite des Briefes der Bundeswahlleiterin Ruth Brand sehen. Vielleicht kann man dort schon die ersten Vorschläge zum eventuell geplanten Wahlausgang der nächsten Bundestagswahlen nachlesen.