„Zufälle“ in Bürgerdialogen sind kein Einzelfall

Während eines Bürgerdialogs der Rhein-Zeitung waren mehrere Fragesteller Parteifreunde des Kanzlers. Das wurde nicht offen dargelegt, sondern später als „Zufall“ bezeichnet. Solche „Zufälle“ gab es in Bürgerdialogen schon häufiger.

IMAGO / Chris Emil Janßen
Symbolbild: Kanzlergespräch in Cottbus am 7. März 2023

Bürgerdialoge. Also Dialoge zwischen Bürgern und dem Bundeskanzler. Das klingt so schön. So demokratisch. Ist das denn aber wirklich so? Nicht wirklich – wie TE bereits berichtete. Bei einem Bürgerdialog im rheinland-pfälzischen Bendorf am 1. Mai waren fünf von 30 Fragestellern Parteimitglieder der Grünen und der Sozialdemokraten. Insgesamt wurden also fünf von 30 Fragen – „lediglich“ 17 Prozent – von direkten oder erweiterten Parteifreunden des Kanzlers gestellt, wie es die Rhein-Zeitung vorrechnete.

Die Zeitung hat, wie eine Anfrage an das Kanzleramt ergab, „am 28. März dieses Jahres einen Aufruf veröffentlicht und in den folgenden Tagen auf ihren Kommunikationskanälen über den anstehenden Termin berichtet. Alle, die an der Teilnahme interessiert waren, konnten sich bis zum 4. April bei der Rhein-Zeitung per Mail bewerben.“ Insgesamt haben sich 500 Interessenten beworben, von denen 165 ausgewählt wurden. Die Moderatorin des Bürgerdialogs Patricia Küll suggerierte, dass auch die Auswahl der 30 Fragesteller unter den 165 Zuschauern zufällig gewesen sei. Bevor sie einen gewissen Klaus Dietrich drannahm, betonte sie: Man habe „keine Ahnung, welche Fragen jetzt gleich kommen“. Was nicht erwähnt wird: Genau dieser Klaus Dietrich ist örtlicher SPD-Ortsvorsitzender. TE-Autor David Boos rechnete aus, wie „zufällig“ der Bürgerdialog war: Von den über 500 Interessenten an der Teilnahme am Kanzlergespräch stellte ein Prozent – fünf Politiker – 17 Prozent der Fragen.

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Bürgerdialoge, wie der in Bendorf, gehören zu einer Reihe von „Kanzler-Gesprächen“, die in allen 16 Bundesländern stattfinden, um – so die Worte in einer Antwort des Kanzleramts an TE – dem Kanzler zu ermöglichen, „seine Politik im direkten Austausch zu erklären“. Auf der Internetseite der Bundesregierung heißt es zudem: „Es geht um gegenseitiges Zuhören, Wertschätzung und Offenheit.“ Diesen Satz lässt Stefan Schneiderhan vom Bundespresseamt in seiner Antwort an TE weg. Das erscheint logisch, wenn „offen“ als Synonym für „transparent“ gelten soll, denn so ganz transparent ist der Bürgerdialog in Bendorf nicht.

In Bendorf unterschied sich eine Sache stark von vorherigen Bürgerdialogen: Im März gab es einen Bürgerdialog in Cottbus, bei dem es noch üblich war, dass sich die Fragesteller mit Namen, Wohnort und Beruf vorstellten. Letzteres sparte man in Bendorf aus. Wäre auch unklug gewesen: Dann hätten sich ja auch fünf Fragesteller als SPD-Ortsvorsitzender, Juso-Beisitzer, Grünen-Kandidat, grüne Beisitzerin und grüne Kreissprecherin vorstellen müssen. Und dann hätte der Zuschauer sicherlich die Fragen, die Antworten und vor allem die „zufällige“ Auswahl der Fragesteller hinterfragt.

Ohne den Partei-Hintergrund zu erwähnen, fiel nicht direkt auf, dass sich die Fragen prima eigneten, damit Scholz seine rot-grüne Politik bewerben konnte: beispielsweise sein Programm zur veränderten Finanzierung von Krankenhäusern und natürlich seine Klimapolitik. Das klingt ja fast so, wie inszeniert. Aber nein. Wie der Pressesprecher der Bundesregierung meint: Nach seiner Kenntnis habe die Rhein-Zeitung die Teilnehmer „eigenständig und zufällig“ ausgewählt. Weiter schrieb der Pressesprecher: „Die Auswahl der Teilnehmenden, die eine Frage stellen konnten, erfolgte eigenständig durch die Moderatorin.“ Hier spart er das „zufällig“ aus. Und schiebt zugleich die Verantwortung einer vermeintlichen Inszenierung an die Moderation der Sendnung ab.

Dass solche Sendungen gern inszeniert werden, wenn nicht von der Regierung, dann von den öffentlich-rechtlichen Sendern, zeigte eine ähnliche Sendung zu Zeiten Angela Merkels (CDU) als Bundeskanzlerin: Damals hielt der Moderator Peter Frey während der ZDF-Sendung „Klartext Frau Merkel, Bürger fragen die Kanzlerin“ aus Versehen eine Liste in die Kamera, wie die M-Zeitung auf YouTube zeigt. Auf dieser Liste waren sechs Personen abgebildet und daneben waren handschriftliche Notizen zu sehen. Oh Wunder: Genau diese sechs Personen kamen in der Sendung auch zu Wort.

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Obwohl in dieser Sendung ebenfalls suggeriert wurde, die Fragesteller würden zufällig ausgewählt. So zum Beispiel bei Person Nummer drei auf Freys Liste: „Jetzt sind viele Hände hochgegangen. Ich würd’ gerne mal auf diese Seite gehen. Die Dame dort in der zweiten Reihe bitte. Wenn Sie sich vorstellen?“ Auch spannend war, wie Frey die vierte Person auf seiner Liste zu Wort kommen ließ: „So, wir haben hier oben noch einen zweiten Fall – das habe ich versprochen, dass der Herr hier noch dran kommt. Sie hatten sich auch schon lange gemeldet. Bitte sehr.“ Zwei weitere Personen auf der Liste wählten Frey und seine Kollegin auf eine ähnliche Weise aus. Ganz „zufällig“ halt. Zwei weitere Fragesteller wurden sogar per Einspiele präsentiert. Dadurch sollte eigentlich schon jedem Zuschauer klar gewesen sein: Die Fragesteller wurden nicht frei und zufällig ausgewählt.

Apropos frei: Ebenfalls zu Merkel-Zeiten – im Juli 2015 – fühlte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk wohl so frei, Merkel und ihre Regierung mittels eines Bürgerdialogs unter Druck zu setzen: Damals erzählte das Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil von ihrem Schicksal und dem ihrer Familie. Sie sollten abgeschoben werden. Merkel antwortete ihr auf ihre bis dahin typisch kühle Art, dass Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen könne. Dann fing Reem an zu weinen und Merkel versuchte, sie zu trösten. Nach diesem Bürgerdialog stürzten sich sämtliche Medien auf das kaltherzige Verhalten der Bundeskanzlerin, kurz darauf legte sie eine Wende in ihrer Flüchtlingspolitik hin: Am 31. August 2015 sagte sie die berühmten Worte ihrer Flüchtlingspolitik: „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“

Im September 2015 folgten dann ihre Worte: „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da.“ Für diese Wende erhielt sie, wie unter anderem die Welt berichtete, eine Menge Kritik – auch aus ihrer eigenen Fraktion. Übrigens: Später erhielt Reem laut Spiegel eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung.

Damals nahmen die Öffentlich-Rechtlichen die Ereignisse des Bürgerdialogs als Möglichkeit, Druck auf Politiker auszuüben. Und erkannten womöglich, wie ergiebig dies war. Immerhin folgte auf diesen Bürgerdialog und den Druck der Öffentlich-Rechtlichen die Wende Merkels. Nun inszeniert der Öffentlich-Rechtliche den Bürgerdialog so, dass sich die Politiker mehr oder weniger entspannt zurücklehnen können, weil viele Fragen sowieso von ihren Parteifreunden stammen. Wie wäre es mit der Idee, einen Bürgerdialog zu veranstalten, bei dem die Bürger ungefiltert zu Wort kommen? Ohne, dass Journalisten sie für eine eigene Agenda missbrauchen.

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Kommentare ( 47 )

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47 Comments
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Dellson
1 Jahr her

„Wir sind deins!“ oder „Mit dem 2.sieht man besser!“ „Noch besser, „zeigen was ist!“ Dazu immer wieder die Betonung auf Faktencheck und gegen jede alternative Fakten usw. Also faktisch, der Dieb ruft, haltet den Dieb! Der Missbrauch, das Ausnutzen einer übertragenen, treuhänderischen, angedachten neutralen Nachrichtenverbreitung ist mittlerweile verkommen zu einer perfiden, geschlossenen Gesinnungshaltung der eigenen Selbstbefriedigung, egal was der Zwangszahler dazu meint. Und wo alle einer Meinung sind, wird meistens gelogen. Das ZDF Politikbarometer verkündet pastoral etwas von repräsentativen Umfragen ( ca. 1500 Befragte) und wenn bei Bild.de 300.000 Menschen abstimmen ist das unseriös! Es gibt nur eine Reform und… Mehr

alter weisser Mann
1 Jahr her

Handgesiebte Zufälle, so wie beim nächsten Bürgerrat „Ernährung“.
20.000 von oben Vorauserwählte und aus deren Zusagen werden dann 160 nach mehrstufigen „Zufallsverfahren“ erkoren, die sogar -ganz zufällig- Vegetarier (7%) und Veganer (3%) anteilig berücksichtigen werden. Der Zufall lacht sich tot … aber wo bleiben die Pescetarier, da gibt es ja fast soviele wie Veganer und wo die anderen 2-3% Gruppen?
Wer als Politiker sowas vom repräsentativen Zufall erzählt, der hat zutreffend erkannt, dass die Leut blöd genug sind, alles zu glauben.

Mankovsky
1 Jahr her

Bei 90% Blockparteiwählern könnte man sich diese Mauscheleien ohnehin ersparen. Die Chance, dass ein wirklich kritischer Fragesteller drankommt, ist bei 10:1 denkbar gering.
Und man könnte sich sogar als korrekt und objektiv feiern lassen….

Nibelung
1 Jahr her

Das sind keine Zufälle, sondern ist nach roter oder grüner Manier orchestriert, denn sonst könnte es ja passieren, daß ein Rechtsausleger unbequeme Fragen stellt und dem will man aus dem Weg gehen, weil man keine Kompromittierung gebrauchen kann, wenn man der Situation dann nicht gewachsen ist oder ihr schlicht und einfach aus dem Weg gehen will und alles andere darstellt, als eine offene Diskussion und eher der alten DDR gleicht oder auch darüber hinaus.

alter weisser Mann
1 Jahr her
Antworten an  Nibelung

Das ist keine rot-grüne Spezialität, oder glaben Sie, dass es z.B. bei Merkels Bürgerdialogen je anders war?

murphy
1 Jahr her

Bürger – DIALOGE sind kein Ersatz für irgendeine Demokratie. Dieses Surrogat zeigt nur die Abwesenheit echter Demokratie. Denn darin genügt es, eine schlechte Regierung abzuwählen. Das meinte schon Sir Raimund Popper

what be must must be
1 Jahr her

Talkshow im ÖR. Ich glaube, Plasberg, bin mir aber nicht mehr ganz sicher. Anwesend unter anderen: Heide Simonis und ein Jungtürke. Vor jedem Teilnehmer steht ein Mikrofon, was immer dann eingeschaltet ist, wenn der Diskutant gerade dran ist. Jungtürke soll also sagen, er sei von der bundesrepublikanischen Mehrheitsgesellschaft diskriminiert und fordere mehr Teilhabe. Statt dessen sagt er (sinngemäß): „Ich habe alles, was ich erreicht habe, nur dem dt. Staat zu verdanken, dem wir Türken alle auf Knien rutschend zu danken haben.“ Heide Simonis – nicht merkend, daß ihr Mikrofon immer noch eingeschaltet ist, zischt ihrem Tischnachbarn zu: „Ist der überhaupt… Mehr

Oberster Souveraen
1 Jahr her

Ich war in diesem Jahr in Marburg ausgelost dabei und konnte kritische Fragen stellen u. a. wer die NS2-Leitung gesprengt habe und (wie 2 weitere Teilnehmer) mehr Diplomatie im Ukraine-Krieg fordern sowie im Widerspruch (den Widerspruch ohne Mikrofon) auf die Nato-Osterweiterung als ein Kriegsgrund hinweisen. Zwar mit politisch üblichem Erwiderungs-Monolog ohne inhaltlich Neues des Kanzlers, aber immerhin gab es die Möglichkeit. Die Forderung von 3 TeilnehmerInnen inkl. meiner nach mehr Diplomatie wurde auch im ZDF-Heute-Journal gezeigt. Der gesamte Kanzler-Bürgerdialog live in Phoenix. Es scheint vieles politisch gesteuert, in diesem Falle war es mal etwas anders. Eine offene Diskussion/ Antwortmöglichkeit des… Mehr

ratio substituo habitus
1 Jahr her
Antworten an  Oberster Souveraen

Nicht begriffen? Propaganda ist heute viel subtiler. Einige wenige reichen, um die Botschaft an den Mann zu bringen. Der Rest simuliert Volksnähe und wird aus der Phrasendreschmaschine abgespeist. Aber zumindest die Inhaltsleere der Antworten haben Sie registriert.

Howard B.
1 Jahr her

Wer kommt denn auf den Gedanken, dass Bürgerdialoge oder ähnlich Sendungsformate zu etwas anderem dienen, als der Propangada? Es handelt sich um „Scripted Reality“. Wenn sich jemand diese Sendungen antut, dann sollte er diese als Scripted Reality Shows akzeptieren.Mit ausreichend Erdnussflips, Salzstangen und einem Bier (alles ohne Mehlwürmer) mögen diese Kunstwerke medialen Schaffens durchaus der seichten Unterhaltung diesen.

Last edited 1 Jahr her by Howard B.
puke_on_IM-ERIKA
1 Jahr her

Das Ganze war schon immer ein linksgrün inszeniertes Palaver der Kanzler-Paladine- wer glaubt, dass es hier um DIALOG geht, hat die Kontrolle über seinen Geisteszustand verloren.
Eine Verkündungsveranstaltung der Abgedrehten und abgehobenen Kaste.

Takeda
1 Jahr her

Und genau dieser Genosse Zufall, wird bei der Wahl der sozialistischen „Bürger“räte zu Gast sein. Mehr noch, er wird Ehrengast sein.