Beim BSW hängt der Haussegen schief

Zu weich und zu kompromissbereit findet Sahra Wagenknecht ihre thüringischen Parteifreunde in den Koalitionsgesprächen mit CDU und SPD. Doch der BSW-Landesverband will einfach nicht hören. Deshalb lässt Wagenknecht jetzt den Bundesvorstand eine scharfe Rüge nach Erfurt schicken.

picture alliance/dpa | Michael Reichel
Katja Wolf und Steffen Schütz, Landesvorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht, Erfurt, Thüringen, 18. Oktober 2024

„Unglaubwürdige Parteien, von denen die Menschen nichts mehr erwarten, gibt es in unserem Land genug. Die Wut darüber hat nicht zuletzt die AfD stark gemacht. Wir sind nicht angetreten, den vielen politischen Enttäuschungen, die die Menschen in unserem Land schon erfahren haben, eine weitere hinzuzufügen.“

Sowohl inhaltlich wie auch im Ton ist es schweres Geschütz, das der Bundesvorstand vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) da auffährt – und zwar gegen den erfolgreichsten eigenen Landesverband: Thüringen.

Dort hatte das BSW bei den Landtagswahlen im September mit 15,8 Prozent sein bislang bestes Ergebnis erzielt. Mit CDU und SPD verhandeln die Landesvorsitzende Katja Wolf und Steffen Schütz nun über eine mögliche Koalition.

Koalitionsverhandlungen Ost
Verhandlungen mit dem BSW: Es geht alles seinen sozialistischen Gang
Doch in der Berliner BSW-Zentrale befürchtet man, dass die Thüringer für eine Regierungsbeteiligung zu kompromissbereit sind – vor allem in der Friedenspolitik. Die Forderung nach einem Ende der militärischen Unterstützung für die Ukraine und das strikte „Nein“ zur Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland hatten die Wagenknechte ins Zentrum ihres Wahlkampfs gestellt – obwohl diese Fragen auf Landesebene gar nicht entschieden werden.

Das macht eine Einigung mit CDU und SPD natürlich schwer. Um dennoch in Erfurt ein gemeinsames Bündnis zu erreichen, wollen die drei Parteien ihren Koalitionsvertrag nun – auf ausdrücklichen Wunsch von Sahra Wagenknecht – mit einer Präambel zur Außen- und Sicherheitspolitik einleiten.

Dort ist vom „Willen zum Frieden in Europa“ die Rede. „Im Rahmen der europäischen und bundesstaatlichen Ordnung“ will man alle diplomatischen Initiativen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs unterstützen. Über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland soll eine „breite Debatte“ geführt werden. Auch nicht ausgeräumte Meinungsunterschiede werden festgehalten: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“

Sahra Wagenknecht geht das nicht annähernd weit genug. Die Formulierungen, auf die der thüringische Landesverband sich mit den anderen Parteien geeinigt hat, nennt sie öffentlich einen „Fehler“. Tatsächlich hat das BSW in seinen Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Brandenburg einen schärferen Text ausgehandelt. In Potsdam konnte man unter anderem eine gemeinsame Kritik an der Stationierung von Mittel- und Hyperschallraketen in Deutschland erreichen.

Unbeeindruckt von der Kritik der Parteigründerin hat das BSW in Erfurt aber nun am Dienstag trotzdem offiziell Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD aufgenommen. Die Landesvorsitzende Wolf ließ Wagenknecht ausrichten, hierfür sei eine Zustimmung der Bundesspitze „rein formal nicht vorgesehen“. Frecher kann man der eigenen Bundesvorsitzenden den Fehdehandschuh nicht ins Gesicht werfen.

Das führt in der Wagenknecht-Truppe jetzt zu einem offenen Machtkampf.

In einer per Schaltkonferenz durchgeführten Sondersitzung hat der BSW-Bundesvorstand am Mittwochabend einstimmig einen Antrag beschlossen, der nur als öffentliche Ohrfeige für die Parteifreunde in Erfurt bezeichnet werden kann. (Zuerst hat die „Berliner Zeitung“ darüber berichtet.) Der Bundesvorstand fordert den Landesverband Thüringen auf, in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD klarere Formulierungen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu verlangen. Falls Wolf und Co. sich damit nicht durchsetzen können, sollen sie bitteschön in die Opposition gehen.

Doch damit nicht genug: Insgesamt kritisiert die Parteizentrale das bisherige Verhandlungsergebnis in Erfurt: „Wir bedauern, dass das Thüringer Sondierungspapier in vielen für uns wichtigen Fragen äußerst vage bleibt.“ Ausdrücklich erwähnt werden der soziale Wohnungsbau, eine bessere Kontrolle des Verfassungsschutzes und der Erhalt der Klinikstandorte im Bundesland. Hier vermisst der Bundesvorstand „verbindliche Festlegungen“.

Ein besonders heikler Punkt: die Corona-Aufarbeitung, „… zu der wir zwar richtigerweise auch in Thüringen einen Untersuchungsausschuss beantragt haben, aber das Ziel eines Corona-Amnestiegesetzes weder im Antrag noch im Sondierungspapier erwähnt wird“.

Sahra in der Unterwelt:
BSW: In der politischen Praxis doch die Partei der Linken
Während der BSW-Bundesvorstand die Verhandlungen in Potsdam ausdrücklich lobt, lässt er an den bisherigen Ergebnissen von Erfurt kein gutes Haar: „Ein großes Problem besteht darin, dass die Präambel in Thüringen zur zentralen Frage von Krieg und Frieden weit hinter dem in Brandenburg gefundenen Kompromiss zurückbleibt und weder zur Frage der Waffenlieferungen noch zu den US-Raketenplänen Position bezogen wird.“

Katja Wolf und Steffen Schütz werden frontal angegangen: „Wir erwarten, dass unsere Thüringer Verhandlungsführer darauf bestehen, dass im Rahmen dieser Verhandlungen die außenpolitische Positionierung der künftigen Landesregierung konkretisiert wird und auch bei landespolitischen Themen im Koalitionsvertrag weit stärker als im aktuellen Sondierungspapier die Handschrift des BSW zu erkennen ist.“

Falls CDU und SPD nicht bereit seien, „sich in den für uns wichtigen Fragen zu bewegen, sollten wir darauf verzichten, in eine gemeinsame Regierung einzutreten, und unsere Wahlversprechen aus der Opposition voranbringen“.

Die BSW-Führung sieht die eigene Partei bei den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen unter großem Erwartungsdruck. Die Partei müsse ihre Wahlkampfversprechen halten – und dazu gehöre eben auch, sich nur an einer Landesregierung zu beteiligen, die in der „Frage von Krieg und Frieden (…) gegen endlose Waffenlieferungen, für mehr diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Ukrainekriegs und gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland“ eintrete.

Auch anderswo im BSW ist man mit den Parteifreunden in Thüringen inzwischen hörbar unzufrieden. Der EU-Abgeordnete Friedrich Pürner etwa fordert mittlerweile den Abbruch der Verhandlungen mit CDU und SPD in Erfurt, weil durch deren Blockadehaltung die Corona-Aufarbeitung gefährdet werde.

In seinem Beschluss zählt der BSW-Bundesvorstand die thüringischen Landesvorsitzenden Wolf und Schütz ebenfalls deutlich an: „Das BSW wurde nicht als letzte Machtreserve für ein Weiter-so gewählt, sondern dafür, die Politik in unserem Land zu verändern.“

Und weiter: „Aber Kompromissfähigkeit und Pragmatismus dürfen nicht der Vorwand sein, um Ministerämter und Staatssekretärsposten auch um den Preis des Bruchs zentraler Wahlversprechen besetzen zu können.“

Das wird ganz sicher noch sehr lustig.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 45 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

45 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
X1
1 Monat her

Das BSW ist sehr restriktiv bei der Aufnahme von Mitgliedern vorgegangen. Die Ausgewählten sind nach meinem Eindruck vorwiegend unverbesserliche, gestählte linke Kader. Mit diesen kann man nur linke Politik machen. Was Katja Wolf in Thüringen falsch gemacht hat ist, dass sie zu früh die Karten aufgedeckt hat. Die wichtige Wahl ist die Bundestagswahl, bis dahin muss die Illusion aufrechterhalten werden, dass das BSW eine Alternative zum linken Einheitsbrei sei. In Wirklichkeit ist sie eine „Weiter so und noch mehr davon“-Partei.

H. Priess
1 Monat her

Popkorn!! Was ist da los? Zickenkrieg? Stutenbissigkeit? Das BSW ist eine Einfrauenshow und die duldet keine Widerrede. Das BSW als PDS 2.0 ist eben eine linke Veranstaltung. Glaubwürdigkeit verlieren? Welche Glaubwürdigkeit? Den Linken kann man soweit trauen wie ich einen Zweizentnerstein werfen kann. Letztendlich ist es eine Machtfrage und die Wolf wird sich nicht in ihren kleinen Teich spucken lassen. Jetzt hat sie fünf Jahre am Futtertrog vor sich und außerdem muß sie auch an ihre Komplizen denken, die wollen auch alle mit Pöstchen versorgt werden.

TschuessDeutschland
1 Monat her

Die Lösung ist so einfach, daß man sich fragt was für „Polit-Profis“ das sind, die da nicht von selber draufkommen: Gründung eines „BKW“ als „linke“ Partei in Thüringen (nebst Stiftung für die SED-Millionen), Mitglieder sind ausschließlich die Minister in der Regierung, es gibt eine fluffige, nichts-sagende Satzung (weil das laut „Parteien-Gesetz“ so muß – als ob sich in diesem Land noch irgendwer um Gesetze schert), und Angebote an „Unterstützer“ zu „unterstützen“ – mit Spenden-Kontonummer und Aussicht auf Mitgliedschaft – falls KW das abnickt. Und die Forderung, daß Thüringen sich entschieden gegen die Pläne Nord-Koreas ausspricht, eine Mond-Basis zu bauen. Dann… Mehr

Last edited 1 Monat her by TschuessDeutschland
Mausi
1 Monat her

So schaut’s halt aus: Kaum genügend Stimmen, muss ein gut bezahlter Regierungsposten her. Koste es, was es wolle.

Klaus Uhltzscht
1 Monat her

Das BSW war von seinen Financiers im Hintergrund nie dafür vorgesehen, reale Politik zu leisten. Es ist ein eilig vor den Wahlen gebasteltes Einmal-Werkzeug, um am Wahltag Stimmen von der Opposition abzuspalten. Dies ist gelungen und beweist, daß der Durchschnitts-Deutsche stets ein Stück Sozialismus in sich trägt. Nicht mehr so viel wie 1932, aber grob kann man sich an den Wahlergebnissen des BSW orientieren, oder der Grünen in ihren besten Zeiten. Der real existierende sozialistische Deutsche schaut Staatsfernsehen, wählt Sicherheit und fügt sich: Kommen Krisen, gibt es ja Kurzarbeitergeld. Corona-Tests sind kostenlos. Wenn danach die KV-Beiträge steigen, muß der Lohn… Mehr

Nibelung
1 Monat her

Das oder der BSW ist ein Kunstprodukt, gespeist aus der gesamten linken Interessenslage heraus um noch ein leichtes Gewicht auf die linke Seite der Waage zu legen, falls es nicht reicht um es austarieren zu können. Das geschieht über den Zugriff auf die linken Restanten, die sich am Ende selbst zerfleddert haben und ihr Flaggschiff scheint für manche der letzte Rettungsanker alter Sozialistenherrchlichkeiten darzustellen und ist im Prinzip nichts anderes als die Fortsetzung alter DDR-Gedanken im erneuten Gewande, worauf man gerne verzichten kann. Da nahezu alle Parteien von sozialistischen Ideen durchdrungen sind, ist es für die politische Gegenseite nicht einfach,… Mehr

Multivan-Fan
1 Monat her

Das politische U-Boot, kaum zu Wasser gelassen, wird undicht. War nicht anders zu erwarten. Erstaunlich nur, dass es so schnell ging.

siebenlauter
1 Monat her

Der Konflikt ist nun einmal sehr real. Und es im Grunde ein Verdienst, dass das BSW da auch hineingeht. So geht gute Politik: Sich den Problemen stellen und hart um eine Lösung ringen. Das haben alle Altparteien verlernt. Deshalb braucht es nun die neuen.

Teiresias
1 Monat her

Fehlt nur noch, daß Gysi beim BSW eintritt, dann ist die nächste Umbenennung der SED manifest.

Klaus Uhltzscht
1 Monat her
Antworten an  Teiresias

Mit Gysi würden auch die verschwundenen Milliarden aus dem SED-Parteivermögen zum BSW wandern.

Vati5672
1 Monat her

„Um dennoch in Erfurt ein gemeinsames Bündnis zu erreichen, wollen die drei Parteien ihren Koalitionsvertrag nun – auf ausdrücklichen Wunsch von Sahra Wagenknecht – mit einer Präambel zur Außen- und Sicherheitspolitik einleiten.“

Kost ja nüscht. scnr

Die politischen Ziele der CDU, SPD und des BSW sind divergierend.