Bricht der Verfassungsschutz das Grundgesetz?

Sollte bei einer Regierungsbeteiligung der AfD in einem der ostdeutschen Bundesländer der jeweilige Verfassungsschutz vom Informationsfluss abgeschnitten werden, dann wäre das nur der erste Schritt beim schleichenden Putsch gegen die Demokratie. Konstantin Kuhle (FDP) hält diesen Schritt für ratsam.

picture alliance/dpa | Oliver Berg

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt, es habe aus Sicherheitskreisen von Bund und Ländern erfahren, dass nach der Wahl in den drei ostdeutschen Bundesländern für den Fall, dass die AfD in einem der Länder an der Regierung beteiligt werden würde, „das jeweilige Landesamt für Verfassungsschutz vom Informationsfluss der anderen Verfassungsschutzämter abgeschnitten“ werden würde. „Eine entsprechende Entscheidung sei bereits getroffen worden, hieß es.“

Der Professor für Öffentliches Recht der Universität Oldenburg Volker Boehme-Neßler schätzte auf X dazu bereits ein: „Das wäre natürlich rechtswidrig und verfassungswidrig. Sowohl das BundesverfassungsschutzGesetz als auch das Grundgesetz verpflichten zur Zusammenarbeit. Aber abgesehen davon: Was ist das für ein antidemokratisches und autoritäres Staatsverständnis? Im demokratischen Rechtsstaat ist diese Idee völlig abwegig.

— Volker Boehme-Neßler (@NeBoehme) August 1, 2024

Sollte das Bundesinnenministerium oder die Innenministerien der Länder diesen Schritt auch nur erwägen, dann sind wir auf dem Weg in die Gesinnungsdemokratie, in der nur noch die Stimmen gelten, die für die Brandmauerparteien abgegeben worden sind. Dann haben wir eine neue Nationale Front, dann wird die Befürchtung real, dass die Ampel-Leute nicht freiwillig abtreten, falls sie nicht gewählt werden. Dann sind wir in der plebiszitären Diktatur.

Vom Informationsschluss auszuschließen, wäre dann aber nur der erste Schritt. Denn einem Amt, das mit den anderen nicht zusammenarbeiten kann, würde man in einem zweiten Schritt unterstellen, seinen Aufgaben nicht mehr gerecht werden zu können. Worauf der dritte Schritt erfolgen müsste, dass Haldenwangs Bundesamt die Kompetenzen des betreffenden Landesamtes an sich ziehen würde. Würde dann der Verfassungsschutz vom Verfassungsschutz ausspioniert? Im vierten Schritt steht dann zu befürchten, dass in dem betreffenden Bundesland Abgeordnete und Regierungsmitglieder von Haldenwangs Gesinnungsbehörde überwacht, ausgespäht würden, und vielleicht würde man auch Techniken des Ministeriums für Staatssicherheit der Zersetzung des politischen Feindes übernehmen. Sollte das stimmen, werden wir Zeugen eines schleichenden Putsches gegen die Demokratie.

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Für Haldenwangs Vorgehen, wenn der Bericht des Redaktionsnetzwerkes Deutschland stimmt, gäbe es sogar ein historisches Präjudiz. Am 20. Juli 1932 erließ Reichpräsident Paul von Hindenburg eine Notverordnung, durch die die Landesregierung von Preußen unter dem Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) abgesetzt und Reichskanzler Franz von Papen als Reichkommissar für Preußen eingesetzt wurde. Der Schlag gegen die Republik und die Weimarer Verfassung ging unter dem Begriff Preußenschlag in die Geschichte ein. Damit wurde dem Föderalismus der Weimarer Verfassung ein schwerer Schlag zugefügt und der Zentralisierung Deutschlands unter Hitler der Weg geebnet.

Der so eitle wie intrigante, wie inkompetente Papen rechtfertigte die Absetzung damit, dass „die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Preußen nicht mehr gewährleistet“ sei. Konstantin Kuhle von der FDP, die eine liberale Partei gewesen sein soll, hält es für ratsam, „dass die AfD im Falle eines Wahlerfolges in den Ländern nicht automatisch über alle geheimdienstlichen Erkenntnisse informiert wird“, wie dts berichtet. Um den Bruch des Grundgesetzes zu rechtfertigen, greift er tief in die Kiste der Verschwörungstheorien und der platten Propaganda: „Wenn wir es zulassen, dass nachrichtendienstliche Informationen an die AfD gegeben werden, dann kann man sie auch gleich an Wladimir Putin geben“, sagte Kuhle am Donnerstag den Sendern RTL und ntv.

„Und deswegen muss man sich auch auf ein solches Szenario vorbereiten.“ Die AfD sei ein Sicherheitsproblem für Deutschland. „Das hängt mit ihrer rechtsextremen Gesinnung zusammen. Das hängt aber vor allen Dingen auch damit zusammen, dass die AfD der verlängerte Arm autoritärer Regime wie Russland, wie China in Deutschland ist“, so Kuhle weiter. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein, nicht unterschiedlicher Meinung kann man aber darüber sein, dass auch die FDP zu einer Gefahr für die Demokratie wird. Kuhles Statement klingt doch sehr nach: Feind hört mit. Es ist wohl eines der ältesten der üblen Propagandatricks, dem politischen Gegner zu unterstellen, dass er mit einer feindlichen, ausländischen Macht paktiert.

Erwägt man in der Ampel, die Demokratie abzuschaffen, um die Demokratie zu retten? Es ist historisch mehrfach erwiesen, dass die Demokratie sich nur retten lässt, wenn man demokratisch agiert, nicht, wenn man sie abschafft. Denn danach gibt es kein „um“ mehr, die Demokratie ist – mit welcher Begründung auch immer – abgeschafft – und diejenigen, die sie abgeschafft haben, werden sie nicht wieder einführen, denn sie hätten zuvor den Rubikon überschritten, von dem es kein Weg zurück mehr gibt. Sollte das wirklich die Bundesregierung planen, dann würde sie damit die Republik erst in eine Verfassungs- und dann in eine Staatskrise treiben.

Angesichts der galoppierenden Angst vor den Wahlen in den drei Ländern und vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr stellt sich die Frage, ob die SPD, ob die Ampel zu einer aktualisierten Form der Notverordnungen zurückkehren will, ob sie nicht in einen Zustand der Hysterie taumelt, der täglich größer wird, wie man beobachten kann. Denn es ist zugleich diese Bundesregierung, die Deutschland in die große Wirtschafts- und Gesellschaftskrise treibt.

Dass man dem Gedanken einer plebiszitären Diktatur oder einer Gesinnungsdemokratie einiges abzugewinnen vermag, belegen schon die Auswertungen der RKI-Files jeden Tag erschreckender. Im Grunde rechtfertigen die Freunde neuer Notverordnungen ihr Vorgehen wie es schon Papen tat mit der Sorge um die Sicherheit und Ordnung.

TE wird das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Bundesinnenministerin fragen. Wir sind gespannt auf die Antworten.


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