Der Satirestreit ist ein Nebenkriegsschauplatz. Im Kern ging es um die Flüchtlingspolitik mit der Kanzlerin als Protagonistin. Einen klaren Sieger oder Verlierer um die Obergrenze, unwiderruflich mit dem Namen Merkel verknüpft, gibt es nicht. Klemens Volkmann sieht nur Pyrrhus-Sieger.
An der Causa Böhmermerkelmann haben sich in den vergangenen Wochen viele kluge Leute politisch und noch mehr journalistisch abgearbeitet. Wer mit etwas Abstand auf das Schlachtfeld blickt und das Meinungsgemetzel vor dem geistigen Auge zusammenkehrt, wird eines feststellen: Beim Satirestreit handelte um einen Nebenkriegsschauplatz. Im Kern wurde um die Flüchtlingspolitik mit der Kanzlerin als Protagonistin gefochten. Einen klaren Sieger oder Verlierer um die Obergrenze, die unwiderruflich mit dem Namen Merkel verknüpft ist, gibt es nicht. Es gibt nur Pyrrhus-Sieger.
Um die Deutungshoheit einer Kanzlerinnenpolitik, die Deutschland gespalten hat, ging es
Nein, es ging nur am Rande um unflätige Verse, nicht um Satire, was diese darf oder nicht. Es ging auch nur mittelbar um Erdogan, den türkischen Potentaten mit dem hart erarbeiteten fiesen Image. Es ging tatsächlich um die Deutungshoheit einer Kanzlerinnenpolitik, die Deutschland gespalten hat: Es ging um die Obergrenze. Die einen sind glühende Verfechter, die anderen fanatische Gegner. Das sollte sich jeder ehrlich eingestehen, der sich für oder gegen Böhmermann, für oder gegen Merkel gestellt hat. Im Moment wird die Flüchtlingspolitik mit allen ihren Nebenwirkungen von der Mehrheit der Deutschen abgelehnt. Das spiegelt sich folgerichtig beinahe 1:1 in den Umfragen zu Pro und Contra „Böhmermann“ wider.
Blicken wir auf die Lager. Da ist Jan Böhmermann, „Moderator“ wie ihn die Kanzlerin geringschätzt, Satiriker, wie das Groß der Presse ihn nennt und türkische Eleven als Menschlichkeitsverbrecher sehen. Auf jeden Fall ist er offenbar Einzelkämpfer, ein Rambo. Sein berufliches Mutterhaus, das ZDF, kann man an dieser Stelle getrost unbeachtet sein lassen. Denn das ZDF hat sich in dieser Affäre erneut standesgemäß geoutet als Dienerin der Staatsräson, die sich nach der Decke streckt.
Rambo hatte zunächst die Revolverkammer mit einer musikalischen Platzpatrone geladen. Mit einem Rhythmus, mit dem jeder mitmuss. Das reichte aber nicht, um die deutsch-türkische Hochzeitsfeier massiv zu stören. Rambo lud also nach, diesmal mit einer Patrone Marke „extraschmutzig“. Die Stinkbombe explodierte bildhaft etwa in dem Moment, wo der Pfarrer im Film die Hochzeitsgäste fragt, ob jemand anwesend ist, der Einspruch gegen die Liebesheirat einlegen will. In diesem Moment machte Rambo-Böhmermann den Finger krumm.
Es darf weiterhin gerätselt werden, ob dies Teil eines genialen satirischen Masterplans war (und ist) gegen die deutsch-türkische Flüchtlingsschleife oder nur spontane Eingebung oder nur postpubertäre Lust am Übermut. Nobody knows – niemand weiß das, solange Rambo abgetaucht ist und sich noch nicht erklärt hat. Möglich ist, dass er es selbst nicht (mehr genau) weiß, was ihn antrieb. Während seiner TV-Pause hat er jedoch genug Zeit, sich seine Lesart zurecht zu legen. Sie muss und wird auf jeden Fall justitiabel sein, weil überlebenswichtig.
Und das macht die Sache auch künftig so schwer, Böhmermanns Handeln und Absichten zu erklären. Vielleicht teilt er einmal auf dem Sterbebette, kurz vor der letzten Ölung, die wahre Geschichte mit. Bis dahin sind nur Mutmaßungen möglich. Wollte er den deutsch-türkischen Import-Export-Flüchtlingsdeal torpedieren? Wollte er lediglich dem Erdogan eins auswischen und der Kanzlerin gleich mit? Wollte er gar die Kanzlerin stürzen, dass er ihr derart gemein in die Hochzeitssuppe spuckte? Wollte er die Satire- und Meinungsfreiheit austesten? Oder alles zusammen? Ist ein neuer Satire-Einstein geboren? Al a bonheur: immerhin hat Rambo mittelfristig einen StGB-Paragrafen gekillt. Das ist doch auch schon was.
Blicken wir auf das nächste Lager, Deutschlands Medien und Spaßvögel. Die brauchten professionell-gefühlsmäßig nicht lange, um Lunte zu riechen, wo der Hase lang lief. Es ging natürlich um die Kanzlerin, um ihre Flüchtlingspolitik, um politisches Sein oder Nichtsein. So trennten sich schnell die Lager in Merkel-Follower und Merkel-Gegner. Am liebsten wohl hätte der Mainstream alles kleingeschwiegen. Zu viele Fettnäpfchen in Sicht, in die man treten könnte. Zeitweise bahnte sich so etwas wie ein Kölner Déjà-vu an. Als eine thematische Befassung mit dem heiklen Thema auf den vorderen Seiten nicht mehr zu vermeiden war, zündeten Pro-Merkel-Fans wie üblich reichlich Nebelkerzen und schrieben die Causa Merkel zur Causa Böhmermann um und hoch oder rissen die „satanischen Verse“ völlig aus dem politischen Kontext. Und befassten sich unverfänglich mit der Satire an sich. So konnte der politische Eklat elegant auf die Feuilleton-Seiten abgeschoben bzw. bis auf weiteres zwischengeparkt werden.
Die regierungsfreundliche Politik schwieg in seltener Eintracht oder assistierte. Den Ball politisch möglichst flach halten, keine Staatsaffäre draus machen, brachte es Gerda Hasselfeldt (CSU) pflichtschuldigst auf den Punkt. Von Scharfrichter Seehofer kam nur beredtes Schweigen.
Merkel als Pilatus und das Schweigen des Hofes
Dummerweise machte die Kanzlerin es sich und ihren Followern nicht leicht, weil sie sich – auch noch bewertend – frühzeitig gegen Böhmermann und für ihren politischen Lebensabschnittsgefährten Erdogan geoutet hatte. Sie und ihr Presseherold Seibert mussten zweimal nachlegen, um klarzumachen, dass der anrüchige deutsch-türkische Deal nun gar nichts, aber überhaupt nichts mit der Satirebombe zu tun habe. Weil ja die Meinungsfreiheit im Grundgesetz verankert sei und nicht sein kann, was nicht sein darf. Basta und Raute! Nur die Stockfehler und die Kanzlerinnen-Falten konnten dem Beobachter den Ernst der Lage ahnen lassen, in die sie sich manövriert hatte.
Springer-Chef Döpfner war das erste mediale Schwergewicht, das sich mit breiter Brust für Böhmermann und damit automatisch gegen die Kanzlerin aufstellte. Kann sein, dass Döpfner noch ein anderes Hühnchen zu rupfen hatte, aber seine frühzeitige Positionierung bei seiner beruflichen und gesellschaftlichen Stellung erforderte Mut. Hut ab.
An akuter Beißhemmung litt Deutschlands Künstler- und Spaßelite. Wohl die meisten der Spaßvögel – gefühlte Temperatur – sprangen ihrem in die Bredouille geratenen Kollegen nicht nennenswert bei. War es Kollegenneid oder ging Böhmermanns Schuss einfach in die falsche politische Richtung? Wer so viele stille Freunde hat, braucht wahrlich keinen Feind mehr, war der bleibende Eindruck. Klare Kante zeigten dagegen u.a. Didi Hallervorden, Matthias Brandt, Josef Liefers und Oliver Kalkofe. Die suboptimale Zahl der Solidaritätsadressen, gerade auch aus dem prosperierenden Ethno-Bereich, unterstreichen, dass es auch in einer lupenreinen Demokratie nicht immer leicht ist, sich ohne Wenn und Aber für die Kunst- und Meinungsfreiheit zu solidarisieren. Armes Deutschland, mag man schlussfolgern, wenn es mal wirklich ernst werden sollte und es partout nichts mehr zu lachen gibt.
Im vorläufig letzten Akt des Dramas verhielt sich die Kanzlerin wenig überraschend. Sie machte den Pilatus und ließ die Satire hängen. Das brachte ihr einen Pyrrhussieg ein, aber was sollte sie anderes tun, wenn man einen Recep Erdogan zum Freund hat? Den § 103 StGB canceln lassen, bevor dieser zum Zug kommt? Erdogan hätte ihr nicht zu Unrecht vorwerfen können, einen Türken zu bauen und Merkels Obergrenzen-Politik ad absurdum führen können. Da war es einfacher, den roten Regierungspartner in der Koalitionsrunde mithilfe des Innenministeriums in der Frage des § 103 zu toppen. So hatten am vorläufigen Schluss alle etwas davon: die Kanzlerin hat Zeit gewonnen, die Genossen blieben ihrem Anspruch als Vorhut der Arbeiterklasse treu: sie ziehen sich immer dann zurück, wenn`s bummst. Nur der Bürger schaut dumm aus der Wäsche.
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