Unser Hitler Böhmermann

Jetzt, da die Erwachten keine leichten Siege mehr einfahren, lernen wir sie richtig kennen: Sie wollen es auf ihrem Rückzug wenigstens totalitär krachen lassen. Auch der weltweite Niedergang von Wokoharam wird keine angenehme Angelegenheit.

picture alliance/dpa | Georg Wendt

Es gibt mehrere Versionen von Jan Böhmermann, Betreuer der ZDF-Humorecke. Den Böhmermann, der Erdoğan als Ziegenficker bedichtet und nach jedem zweiten Endreim lacht, den Böhmermann mit dem Stinkfinger in Richtung der Ungeimpften, als alten Kämpfer gegen Hass & Hetze kennt ihn sein Publikum selbstredend auch. Hier und da tritt er in Einspielern verkleidet auf, aber gerade dort findet sich eine Böhmermannvariante, in der er sich authentischer gibt als in allen anderen Rollen, die er hier und da spielt. Sein Auftritt in Braunhemd, mit Hitlerbärtchen und einem Akzent, wie den vermutlich auch irgendein Justus auf Sylt anschlägt, weil er glaubt, der Führer hätte so gesprochen, in diesem Auftritt jedenfalls kommt das dramatisch unbegabte Kind seinem innersten Kern sehr, sehr nah.

Böhmermann wäre gern Hitler. Jedenfalls ein Hitler für die Jetztzeit, ein Hitler im Guten, was bedeutet: ein Führer oder zumindest ein Führerchen, das dem Bevölkerungsvolk den korrekten Weg ins Morgen weist, das Böse ausmerzt und sich auch nicht davon irritieren lässt, wenn bei den notwendigen Hobelarbeiten ein paar Späne fallen. Wie das historische Urbild würde er nie persönlich Hand dabei anlegen. Es genügt ihm, wenn er Anweisungen gibt. Anders als manche Vorläufer verfasste er das entsprechende Ruhmesblatt schon einmal selbst, nämlich vor kurzem in der Zeit.

Vorab muss man sagen: Wie schon bei dem Satiriker aus Österreich liegen auch Böhmermanns Fähigkeiten eindeutig nicht im Schriftlichen. Die Warnung ist wirklich nötig, denn jetzt folgen längere Zitate aus dem Text, in dem unser benevolenter Führer eine Teilung der Gesellschaft in Menschen von heute beziehungsweise morgen und Menschen von gestern vornimmt, erklärt, wie sich der minderwertige Teil der Bevölkerung erkennen lässt und legt vor allem dar, warum die Gesternmenschen raus müssen. Denn dass sie rausmüssen, ist sein unabänderlicher Entschluss. Auf welche Merkmale muss nun jemand achten, der sich von den Gestrigen absetzen will?

„Wenn sie uns solche seltenen Einblicke in ihr inneres Sackgassengeflecht gewähren“, heißt es bei Böhmermann, „erkennen wir sie als das, was sie sind: Menschen von gestern, die gedankenstochernd an zerbrochenen Erklärmodellen kleben und vergeblich versuchen, sich und anderen aus ihren überkommenen Annahmen der Welt, aus vermeintlichen Gewissheiten und wenigen Gegenwartspuzzleteilen, die sie noch in ihren unbeholfenen Händen halten, ein vollständiges Bild des großen Ganzen zusammenzusetzen.“

Sie hängen also einer überkommenden Weltsicht an, versuchen sich aber trotzdem an einer Welterklärung. In der Ostzone gab es dafür die Formel der bürgerlichen Beschränktheit. Anders als dort, wo es für Bürgerliche hier und da als Ingenieure, Kleinunternehmer und devisenbringende Künstler, kurz, wegen ihrer Nützlichkeit, noch ein Nischenplätzchen gab, kann der ZDF-Zuarbeiter in seinem Kampf darauf keine Rücksicht nehmen:

„Menschen von gestern – so lieb wir sie auch haben – sind die gegenwärtig größte Bedrohung für unsere Welt, unser friedliches Zusammenleben und unsere Zukunft. Menschen von gestern – raus!“ Wie immer, wenn grundsätzlich zwischen dem richtigen und dem Raus-Bevölkerungsteil sortiert werden muss, geht das nicht ohne ein bisschen Bürokratie ab. Zur Lösung der Gesternmenschenfrage schlägt der Manifestschreiber deshalb Folgendes vor:

„Angenommen also, es führte tatsächlich kein Weg daran vorbei, einer Bevölkerungsgruppe in unserem Land die Schuld für all unsere Probleme in die Schuhe zu schieben. Dann müssten wir uns auf neue, pragmatische, zukunftsfähige Ausgrenzungskategorien verständigen, die natürlich im Einklang mit Grundgesetz und Menschenwürde stehen sollten. Wir müssten wirksame Kategorien erfinden, die Menschen ausschließlich nach ihrem Denken und Handeln beschreiben und nicht – wie bislang – nach feststehenden und unveränderlichen Parametern wie Herkunft oder Hautfarbe. Denn selbst unverbesserliche und ein bisschen doofe Menschen sind in der Lage, ihr Denken und Handeln selbst zu steuern und durch zum Beispiel Einsicht, Selbsterkenntnis, Reue oder Altersmilde zum Besseren zu verändern. Meint: Den Auszugrenzenden muss ein Heraustranszendieren aus ihrer Ausgrenzungskategorie möglich sein.“

Also: Nicht die Herkunft führt zum Raus, sondern die falschen Ansichten, die eine Person von Gestern aber zu ihrem Glück ändern kann. Reue und Unterwerfung leiten den Einzelnen zurück in die Gemeinschaft der Richtigen. Alles in allem ähnelt Böhmermanns Lehre also eher dem Islam als dem traditionellen Vorbild. Dieser Bezug macht bei ihm das zeitgemäße Element aus. Trotzdem steht er vor dem unvermeidlichen Problem: Wohin mit den Gesellschaftsmitgliedern, die nicht umkehren wollen? Eine eigene Stadt kann er ihnen vermutlich selbst mit seinem ZDF-Gehalt nicht schenken.

Über die handwerkliche Fähigkeit zur Errichtung echter solider Lager verfügen eher die Ewiggestrigen außerhalb der zentralen Stadtviertel und jenseits der Sendezentralen, also genau die Falschen. Und Madagaskar ist mittlerweile auch rappelvoll. Was also tun? Dazu gibt es wieder mal nichts richtig Schriftliches, jedenfalls nichts Präzises, sondern nur eine Andeutung: Die Menschen von Gestern müssen erfolgreich bekämpft werden. Und zwar rätselhafterweise von Allen: „Alle gegen Menschen von gestern! Mit ihrer Ausgrenzung ließe sich endlich jene langersehnte breite Koalition schmieden, die Deutschland braucht, um wirklich raus aus der Scheiße zu kommen. Durch ihre erfolgreiche Bekämpfung können wir zusammen neuen Raum schaffen, um den Herausforderungen der Gegenwart wirksam zu begegnen. Schütten wir die unzähligen alten Gräben zu und heben gemeinsam einen einzigen, neuen aus: wir hier und da drüben die Menschen von gestern!”

Alsdann folgt eine Art Checkliste von Aussagen, die Böhmermann zufolge die Menschen von Morgen den Gestrigen, wie es bei ihm heißt, „eiskalt“ entgegenhalten müssen, um entweder das Glaubensbekenntnis von ihnen zu erhalten, oder sie eben als Bekämpfungsobjekt zu markieren. Die Originalliste soll hier nur einen kursorischen Niederschlag finden. Schließlich zitieren selbst die penibelsten Historiker die in der Regel etwas ausufernden Gottseibeiuns-Reden mit Rücksicht auf ihre Leser nicht komplett. Der große Bogenschlag beginnt bei der allgemeinen Verkehrspolitik:

„Öffentliches Parken von Kfz ist viel zu billig, Bußgelder für Verkehrsverstöße sind viel zu niedrig.“ Die Autobahn kommt natürlich vor, auch da enttäuscht er nicht:

„120 km/h auf der Autobahn ist schnell genug.“

Es folgt Medienpolitik: „Google vergesellschaften, Meta regulieren, X zur Verantwortung ziehen!“

Irgendeine Prophezeiung muss auch mit rein:

„Wer aus dem Gefühl der Abgehängtheit freiwillig Menschen von gestern wählt, darf sich nicht wundern, wenn das Gefühl der Abgehängtheit danach noch stärker wird. Es wird ganz, ganz finster werden für Sachsen, Thüringen und Brandenburg.“

Zu Wirtschaftsfragen: „Kraftwärmemaschinen statt Wärmekraftmaschinen! Wärmepumpen sind spitze! Ihnen gehört die Zukunft!“

Und zwar ein für alle Mal.

Spezielle Biologie: „Es gibt mehr als zwei Geschlechter, unendlich viel mehr Geschlechtsidentitäten, und allen Menschen stehen, unabhängig von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung (die etwas vollkommen anderes ist!), dieselben Rechte zu.“

Mit den gleichen Rechten könnte es kompliziert werden, wenn jemand womöglich Geschlechtsidentität Nummer 35 besitzt, aber trotzdem weder eine Kraftwärmemaschine im Heizungskeller noch Staatsgoogle wünscht. Aber vermutlich gibt es für Spezialfälle auch dieses Mal wieder eine Gottbegnadetenliste.

Endlich Außen- und Wehrpolitik: „Russland muss besiegt werden.“

Finanzen kommen auch vor: „Wir brauchen eine Vermögenssteuer und eine signifikante Erhöhung der Erbschaftssteuer.“

Wer an den aufgeführten Punkten zweifelt oder sie sogar ablehnt (wie gesagt, im Original sind es noch ein paar mehr), der bleibt also eine Person von gestern, für die es heute keinen Platz mehr geben darf.

Neuen Raum schaffen, raus, eine gewisse Vorliebe für das Wörtchen eiskalt, Autobahn, Russland muss besiegt werden – alles Wichtige steht also drin. Vegetarier ist der Verfasser des neuen ewigen Parteiprogramms vermutlich auch noch. Und beim Besiegen Russlands wird das Ziegenfickerland wieder nicht mitziehen. Apropos: Davon, dass sehr viele der von Böhmermann und Verbündeten willkommen geheißenen Neuankömmlinge per se zu den Gesternmenschen gehören, weil aus einer tiefen Tradition lebend – wenn auch nicht unbedingt der europäischen –, klingt bei Böhmermann nichts an.

Nur ganz kurz, wenn er schreibt: „Seenotrettung ist kein Verbrechen“, ohne allerdings mitzuteilen, wer so etwas behauptet. Er weiß schon, dass es nicht um die Rettung aus Schaluppen geht, sondern die Verbringung der Insassen nach Europa nach dem Muster von Carola Rackete, Managertochter und Linksparteikader, die ihre Fracht in Italien regelrecht abzukippen pflegte und einmal ihre Weltreise in entlegene Gebiete damit begründete, ihr sei es in Deutschland einfach zu voll.

In den guten Zeiten der Titanic hieß es in einem Cartoon von Greser & Lenz aus der Serie „Der Führer privat“: „Als Egerling wiedergeboren werden, das macht man nicht mit einem Hitler.“ Aber seine Wiedergeburt als Jan Böhmermann: Darin liegt wirklich Gerechtigkeit, und zwar für ihn, die Bundesrepublik des Jahres 2024 und sogar für Böhmermann selbst.

Er tritt als achtsamer Führer vor uns, will das Grundgesetz formal behalten und er bekämpft wirklich nur diejenigen, bei denen es unbedingt sein muss. Um Missverständnissen vorzubeugen: Bei Böhmermann handelt es sich nicht um die „Resurrektion des Führers“ (Botho Strauß), sondern dessen bundesrepublikanische und deshalb notwendigerweise verkleinerte, irgendwie verolafscholzte Ausführung. Kurzum: Böhmermann ist genau das, was man bekommen würde, wenn man bei Temu Hitler bestellt.

Außerdem lassen sich grundlegende persönliche Unterschiede nicht von der Hand weisen: Zum Beispiel brauchte das Original bei seinen Ansprachen wirklich keinen Teleprompter. Sein Sermon in der ZEIT enthält übrigens eine salvatorische Klausel, nämlich die Versicherung, Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsteile hätte natürlich noch nie in der Geschichte geholfen – um dann genau das zu fordern. Aber durch diese rhetorische Katzenklappe könnte er sich jederzeit zurückziehen, falls es ihm in seinem Diskursraum doch zu heiß wird. In diesem Fall heißt das Zauberwörtchen für den sonstigen Text ‚Satire‘. Persönliche Feigheit kann dem Mann also niemand absprechen.

Die Böhmermann-Melange findet deshalb in diesem Text eine recht umfangreiche Erwähnung, weil sie idealtypisch für eine Zeit und eine bestimmte innergesellschaftliche Blase steht, die neuerdings schrumpft, statt weiter zuzulegen. An dem Führerchentext fällt ein enormes Abrechnungs-, Rache- und Bestrafungsbedürfnis auf. Es richtet sich sowieso gegen die Bewohner bestimmter Ostbundesländer, und zwar kollektiv, weil in diesen Landstrichen andere Wahlergebnisse zusammenkommen als in Bremen und Berlin, außerdem gegen alle, die über Eigentum verfügen, das sich ratenweise plündern lässt, aber auch gegen den neuen Darth Vader, solange Trump nicht regiert, also gegen Elon Musk und seine Plattform X. Um ihn wirklich zur Rechenschaft zu ziehen, bräuchte es wohl eine Invasion der USA. Man sieht, das Großdenken liegt ihm, jedenfalls im Zustand eines akuten Wutanfalls.

Dass Leute wie er die Gesterlinge weder bekehren noch isolieren können, weiß er vermutlich im halbwegs abgeregten Zustand selbst. Ihm geht es darum, grundsätzlich zu klären, an wem der Marsch ins Übermorgenland scheitert und das nicht in Deutschland (dort vermutlich ganz zuletzt), sondern auf ganz breiter Front. In dem Land von Elon Musk dürfte die Präsidentschaftswahl sehr knapp ausfallen, aber unabhängig vom Ergebnis lässt sich eins jetzt schon erkennen: Identitäts- und Transformationspolitik, kritische Rassentheorie und Antikapitalismus lässt sich in der Kommunikation der Demokraten kaum noch aufspüren. Das mag taktische Gründe haben.

Andererseits zeigt es auch, dass Harris, Walz und die Leute um sie herum sehr genau verstehen, welche Themen selbst milde Linke mittlerweile in die Flucht schlagen. In den Niederlanden lässt sich die Wilders-Partei nicht mehr brandmauern, Frankreich könnte eine Präsidentin bekommen, und um nach Deutschland zurückzukehren: Es gibt dort keine Garantie, dass die Staatsgelder weiter unvermindert an die Nichtdirektregierunsorganisationen fließen, und dass die Rundfunkgebührenerhöhung 2025 kommt wie alle anderen Erhöhungen in der Vergangenheit. Es könnte also sein, dass die weltweite Wokoharam-Bewegung nach ihrer Gipfelüberschreitung den langen Marsch nach unten antreten muss.

In progressiven Publikationen kommt ab und zu der Begriff „Playbook“ vor, fast immer als „Playbook der Rechten“ oder der Populisten, einmal bei einem Zeit-Autor auch als „Playbook des Faschismus in der Opposition“. Wokoharam-Vertreter würden immer zurückweisen, dass sie so etwas wie ein Playbook besitzen. Nach ihrer Wahrnehmung handelte es sich bei ihrem Vormarsch um nichts Dirigiertes und Gemachtes, sondern um eine ganz natürliche Gesellschaftsentwicklung.

Selbstverständlich gibt es das neoprogressive Playbook. Nur stellt sich jetzt eben heraus: Das Kapitel ‚taktischer Rückzug‘ kommt dort nicht vor, der Abschnitt ‚Verteidigung‘ höchstens sehr, sehr spärlich. Die gesamte Bewegung kannte lange Jahre nur schnelle Vormärsche und leichte Siege. Mit anderen Worten: Die Morgenmenschen stecken mental noch halb in ihrem besseren Gestern. Yesterday, all my troubles seemed so far away.

Die Lösung ihrer Treuesten der Treuen heißt nicht Bescheidung, nicht Frontverkürzung, sondern Eskalation. Böhmermann steht nicht allein. Die Augen beispielsweise einer altgedienten Grünen richten sich sehnsüchtig auf Brasilien, wo der oberste Richter Alexandre de Moraes gerade die Abschaltung von X und die Beschlagnahmung von Konten des Unternehmens durchsetzte. In diesem Moment stoßseufzt das ganze progressivautoritäre Deutschland vornehmlich auf Twitter: Na bitte, geht doch.

(Die Grünen, das nur als Fußnote, gelten bis weit in bürgerlich angestrichene Kreise immer noch als idealer Partner bei der Demokratierettung.)

Medienschaffende beleben derweil ein Genre, das den älteren Ostdeutschen vertraut vorkommt: die Kritik am Bürger. Denn er erweist sich als Schwachstelle in Unsererdemokratie, weshalb eine ganze Reihe von Organen jetzt fragt, ob Wahlen jedenfalls in dieser Form noch als zeitgemäß gelten können. Die Süddeutsche titelte nach dem Fehlverhalten des Ostens: „Demokratie am Limit“. Ein Zeit-Autor – und zwar nicht Böhmermann – findet, eine Mehrheit in Sachsen und Thüringen hätte „gegen die plurale Demokratie gestimmt“, weshalb es jetzt vor allem Wählerkritik braucht.

Screenprint: Zeit online

Der Münchner Merkur bemüht eine Expertin, die im Stimmbürger ganz generell den Problembären der Demokratie erkennt.

Screenprint: Münchner Merkur

Andererseits wusste schon Christian Kracht in Uraltzeiten: Wenn ein Trend München erreicht, ist er vorbei. Ausgrenzen der falschen Menschen, Verstopfen von Kommunikationskanälen, Wegtransformieren der freien Wahl – diejenigen, die jetzt mit diesen Vorschlägen ankommen, ahnen vermutlich, dass sie sich jetzt sehr viel schlechter durchsetzen lassen als noch vor zehn Jahren. Man braucht einen bereits autoritär durchgeformten Staat, um darin X zu verbieten und noch ganz andere Verhältnisse, um das Prinzip ‚ein Bürger, eine Stimme‘ als überholt zu kassieren.

Die klassischen Diktatoren wussten noch, dass man diese Maßnahmen gleich am Anfang ergreifen muss, statt zu hoffen, mit einem breiten Bündnis aus Politik, Medien und NGOs, mit etwas Nudging hier und PsyOps dort und vor allem Strömen von Geld in die richtigen Kanäle ließe sich alles regeln. Das lässt nur einen Schluss zu: Die Morgigen glaubten offenbar so sehr an die Anziehungskraft ihrer Ideen, dass sie die Methoden für überflüssig hielten, mit denen sie jetzt ihre bedrohten Machtpositionen retten wollen. Der Moment, in dem sie zum ersten Mal ahnen, dass sie scheitern könnten – und zwar nicht nur vorübergehend, sondern ganz und gar – dieser Moment macht sie nicht ein kleines bisschen konziliant, sondern legt ihren destruktiven Kern bloß, den es von Anfang an gab.

Dass die Gesternmenschen die Mehrheit der Gesellschaft stellen, und das fast überall in der Welt außerhalb der progressistischen Zwingburgen, dürfte auch ein Jan Böhmermann wissen. Aus seinem Manifest spricht die Sehnsucht nach einem ganz großen Finale fünf nach zwölf. In ihrer Bedrängtheit wirken die Erwachten und Erleuchteten wie Karikaturen, vor denen selbst ihre härtesten Kritiker vor ein paar Jahren noch zurückgeschreckt wären.

Seit den Hamas-Festspielen an westlichen Universitäten, seit den ungescheuten Rufen nach Informationsunterdrückung, seit der Infragestellung von Wahlen mit falschem Ergebnis, seit der Forderung nach dem gesellschaftlichen Ausschluss aller Nichtmilieumitglieder, seit öffentlichen Auftritten in einer Ästhetik irgendwo zwischen Zeppelinfeld und Orwells Hasswochen in „1984“, wissen es auch Beobachter besser, die früher immer noch hofften, irgendwann würden die Anhänger des gleichgerichteten Denkens vielleicht die Freuden der Diversität entdecken.

Nein, es wird bald noch ein bisschen totaler zugehen. Aber wir können es uns jetzt immerhin vorstellen. Wem Selbst- und Fremdbild dauerhaft auseinanderfallen, dem können nur Profis mit dem Willen zur therapeutischen Grobheit helfen, falls überhaupt.

Der Hobbypsychologe Al Bundy probierte das an seiner Frau aus, als er zu ihr sagte: „Es ist nicht das Kleid, das dich fett aussehen lässt. Fett lässt dich fett aussehen.“ Nach der gleichen Brachialmethode bräuchten die Erwachten eine Stimme, die ihnen sagt: Dass ihr jetzt in der Defensive steckt und einen langen Niedergang vor euch habt, liegt nicht an Elon Musk, am Internet, an den unwilligen Menschen von Gestern, an der falsch verstanden Demokratie, und noch nicht einmal an einer ungenügenden Anstrengung von eurer Seite. Es liegt an eurem Wesenskern. Und zwar ausschließlich. Außerhalb eures Terrains wirkt ihr nicht nur nicht attraktiv, sondern abstoßend. Wer die Attitüde des Möchtegerndiktators freiwillig annimmt, der verdient weder Mitleid noch Schonung.

Zum anderen wissen jetzt alle außerhalb der Erwachtenkaste, dass gerade dann, wenn sie zurückweichen muss, sie diesen Wesenskern ohne jeden ablenkenden Schnickschnack zur vollen Geltung bringen wird. Mit anderen Worten: Sie will es richtig krachen lassen.

Deshalb müssen sich weitsichtige Gesternmenschen jetzt schon Gedanken machen, wie es sich verhindern lässt, dass das Pendel demnächst in die gleiche autoritäre Richtung schwingt, nur mit gegenteiligem Vorzeichen. Leicht wird das nicht.


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Kommentare ( 109 )

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109 Comments
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F. Hoffmann
3 Monate her

Die „Führer“, die das die Ziel eines „neuen Menschen“ ausgaben, waren bisher immer totalitäre Arschlöcher. Und da scheint eine Kontinuität zu bestehen. Ansonsten hält dieser B. sein krampfhaft verschraubtes Wortgeklingel wohl für so etwas wie „intellektuell“. Es nichts als an verbales „Ziegenficken“. Für hochbezahlte „Comedians“ der Öffis gilt wohl die Regel: Man nehme eines dieser schlaksigen kreischenden Äffchen mit adäquatem Intellekt, stecke es in einen Anzug und stelle ihm einen Wortcomputer zur Verfügung, in dessen Sätzen jedes 5. Wort „Nazi“ lautet. Und schon hat eine eine Sendung, die das Niveau der Öffis repräsentiert. Das Schlimme dabei: Wir zahlen zwangsweise diesen… Mehr

ceterum censeo
3 Monate her

Wann fällt Böhmermännchen in Polen ein?…
PS: bei meiner Gesinnung wäre ich ganz vorn bei einer Deportation – in ein Land, indem Gestalten wie dieser Provinzkomiker und seine linke Genossenschaft keinen Platz haben. Ein Land, was der echten Wissenschaft und der Vernunft zur Ehre gereicht. Dort, wo Rationalität und nicht Hass und Hetze gegen Andersdenkende gilt. Dort, wo sich das Land fortentwickelt und nicht die Staatsdoktrin „zurück in Höhlen“, bestimmt von bildungsfernen Pseudoregierenden ist. DA lasse ich mich gerne hin deportieren, Herr B.

Last edited 3 Monate her by ceterum censeo
FredericWeatherly
3 Monate her

Was auch bleibt, ist ein völlig transformierter öffentlicher Raum – trotz säkular sinkender Gesamtkriminalität.

Johann Thiel
3 Monate her

Nicht nur, dass dieser Artikel von Herrn Wendt wieder einmal zu lang und zu umständlich ist, und mit Böhmermann eine Figur gewählt hat, die tatsächlich keinerlei Betrachtung wert ist, bringt der Autor es fertig im letzten Absatz „die Gefahr von Rechts“ heraufbeschwören. Glaubt er denn wirklich, konservative Kräfte seien genauso schlimm wie Linksgrüne nur einfach spiegelbildlich, wie zwei Seiten einer Medaille. Oder ist es schlicht nur das übliche Zugeständnis an den Mainstream, wie man es auch immer wieder beiläufig in Herrn Tichys Beiträgen findet. Aber wenn Herr Wendt tatsächlich glaubt, es sei nicht leicht, konservative Kräfte im Falle politischer Mehrheiten… Mehr

Peter Pascht
3 Monate her

Der kerlist ein kranker Psychopath und Narzist. Der hört sich gerne selber reden und hält sich für klug. Kurzum jener eklig abtoßende Typus von Beserwissern. Die Beschreibung im Artikel ist sehr gut getroffen, aber für mein Dafürhalten noch viel zu milde. Es fragt sich nur, wieso dürfen solche kranke Typen, nicht nur Böhmermann, in Massen, unsere ÖRR Zwangsgebühren veruntreuen? Eben weil es Zwangsgebühren sind, ohne Pflicht irgeneinder Gegenenleistung. Das gleiche Rechtprinzip wie bei der Steuer Zwangseintreibung. Der einstige mittelalterliche Herscher, heißt nun Rechtstaat und Demokratie. Geändert hat sich nur der Name, sonst ist alles geblieben wie im mittelalterlichen Absolutismus. Mafiosi… Mehr

Europafriend
3 Monate her

Sinngemäß sprach Phillipp Jenninger in einer Rede von 1988 (50-jähriges Gedenken an das Pogrom gegen jüdische Mitbürger) von der Faszination des Bösen. In diesem Sinne mache ich mir Sorgen um unsere Gesellschaft, die einem solchen Menschen erlaubt, sein Gift zu verspritzen.

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  Europafriend

Wobei das Böse ganz ohne Böhmermann durch Merkel seit mehr als 10 Jahren hier Einlass findet – denn die sie einlud, dürfen uns nicht nur nicht mögen, sondern sollen sich uns gar auf die Fersen heften. Was ja nun, betrachtet man die inzwischen gegebene Situation realistisch, gut zu erkennen ist. Mir scheint, dass aus dieser Sicht gesehen sowohl Brandmauernbau wie Diffamierung bis hin zur Vernichtung von allem, was sich solcher Lawine entgegenstellt, nur als richtig erkannt werden kann. Wobei die Bezeichnung „Flüchtlinge“ für solcherart hier Ausgehaltene natürlich falscher nicht sein könnte. Was der Lustflug samt Taschengeld für die 28 Richtung… Mehr

Cimice
3 Monate her

Wer im 21. Jahrhundert noch immer an den Sozialismus glaubt, wie dieser Böhmermann, der ist einer von Gestern. Wie oft muss dieses Experiment noch durchgeführt werden, bis auch einer wie Böhmermann kapiert, dass der Sozialismus nicht funktioniert, gar nicht funktionieren kann. Weil er einen vollkommen selbstlosen Menschen voraussetzt, den es nicht gibt. Bezeichnenderweise sind ja gerade auch die Protagonisten des Sozialismus alles andere als selbstlos. Sie bereichern sich regelmäßig an anderen, ohne selbst etwas zu leisten, was der Gesellschaft nützt. Und geben sich Privilegien, die andere nicht haben. „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ schrieb schon George Orwell… Mehr

Franck Royale
3 Monate her

Irgendwie glauben immer alle Versager, welche sich im kollektiven Rausch mit haarsträubenden Geschichten ins Machtzentrum geputscht haben, sie seien die modernen Menschen. Das war in der jüngeren Geschichte bei den Bolschewisten so, bei den Nazis, bei den Maoisten, eben bei allen Sozialisten und Kommunisten. Weil sie Versager sind, müssen sie nicht nur die Erfolgreichen diffamieren, ausgrenzen, enteignen, außer Landes schaffen, oder sonst wie zum Schweigen bringen, sondern auch jene, welche ihren ganzen ideologischen Quark durchschauen, jene, welche noch das Ergebnis von 2+2 kennen – sonst funktioniert ihre totalitäre Agenda nicht. Ich glaube Figuren wie Hitler und Böhmermann können nicht anders,… Mehr

weihnachtsmann_frau_lein
3 Monate her

Nach ca. einem viertel des (übrigens viel zu langen) artikels wollte ich mir den mutmaßlichen rest dieser haltungsfaschistischen sch… nicht mehr antun.
Deshalb die frage: steht in den ungelesenen restlichen drei vierteln irgendwo, ob der typ das ernst meint?

weihnachtsmann_frau_lein
3 Monate her

PS: falls er es ernst meint, dann liest sich schon das erste von mir gelesene viertel wie ein — im wahrsten sinne des wortes — unglaubliches, superübles stück volksverhetzung. Vielleicht das übelste stück, das mir je untergekommen ist.

Last edited 3 Monate her by weihnachtsmann_frau_lein
Michael Palusch
3 Monate her

Wissen Sie worauf ich mich regelmäßig freue? Auf die wortgewaltigen, exzellent recherchierten, die ideologische Verbohrtheit und Doppelmoral filetierenden und dabei gottlob „viel zu langen“Artikel Alexander Wendts.

chaosgegner
3 Monate her

Die Inkarnation von Hass und Hetze!