Am Münchner Prinzregententheater ereignete sich gerade ein Skandal: ein zu diverses Konzert. Der Fall steht idealtypisch für einen Kulturbereich, in dem keine Patriarchen mehr herrschen, sondern namenlose Manager, deren Hauptangst darin besteht, gegen politische Codes zu verstoßen
Am 27. Mai 2023 begab sich im Münchner Prinzregententheater Ungeheuerliches. Jedenfalls nach Ansicht der Theaterakademie August Everding, deren Sitz sich im rückwärtigen Teil des Hauses befindet. Vor der Schilderung des Unerhörten aus Sicht der Akademieleitung muss der Autor dieses Textes erst einmal das Ereignis selbst schildern, an dem er selbst teilnahm, allerdings ganz ohne das Bewusstsein, gerade einen gefühlsechten Skandal zu erleben. Bei dem Ereignis handelte es sich um ein Konzert aus Anlass des 50. Geburtstags der Münchner Pianistin Elena Gurevich, die, geboren in Kaliningrad, in St. Petersburg, Jerusalem und Karlsruhe studierte. Diesem Weg durch mehrere Länder zusammen mit Musikerkollegen aus allen Richtungen entsprach auch das Konzertprogramm im Gartensaal des Prinzregententheaters. Unter den gemalten Paradiesvögeln an der Decke spielten und sangen Musiker aus Israel, Estland, China, Mexiko, Rumänien, Brasilien, Aserbaidschan, Russland, der Ukraine, der Schweiz und – daraus entwickelte sich der zeitverzögerte Skandal – einer aus Deutschland. Auf dem Plan standen Stücke von Wagner, Schumann, Chopin, Vivaldi, Mozart, Rameau, Gardel, Reger, Rossini, Tschaikowsky, Villa-Lobos, Piazzolla, Rachmaninow und Kálmán. Außerdem gab es Einwürfen des Conférenciers und Applaus von Publikum (zweimal stehend). Und später im Theaterrestaurant noch sehr angeregte Gespräche auf russisch, deutsch und englisch. Mit anderen Worten, es ging so ähnlich zu wie auf dem schon erwähnten Deckengemälde, wo die Form der Vielfalt einen Rahmen gibt, ohne eine einzige Blüte einzuengen.
Im Fall des Konzerts ergab sich der Rahmen durch klassische westliche Musik, Abendgarderobe und die Geburtstagsfeier der Hauptperson ganz selbstverständlich. Der zwanglose Zwang des besseren Arguments, den Jürgen Habermas immer nur bei sich selbst vermutete, existiert nämlich in der großen Gesellschaft nicht ernsthaft. Dafür aber das zwanglose Band der Form in der kleinen. Veranstaltungen und Gremien mit sehr homogenem Personal finden sich in Deutschland en masse, die Intendantenrunde der ARD beispielsweise, die Straßenblockiertrupps der „Letzten Generation“ oder der fast reinweiße Internationalistenkongress der Grünen Jugend.
Das Konzert im Prinzregententheater gehörte nicht zu dieser Sorte.
Es dauerte dann noch vier Tage, bis diese Gartensaalaffäre, wie der Qualitätsmedienschaffende schreiben würde, nun auch die Leitung der benachbarten Theaterakademie in ihren Strudel riss. Die war zwar an dem Ereignis selbst nicht direkt schuld, mittelbar, wie sie zerknirscht eingestand, dann aber doch, nämlich als Vermieter des Gartensaals an die Geburtstagskonzertveranstalter.
Den Anstoß, den ein bis dahin unbemerkter Skandal zwingend braucht, lieferte ein selbst in München nicht weltberühmter Komponist namens Alexander Strauch, der neben- oder möglicherweise sogar hauptberuflich Spielpläne auswertet und so in der Künstlerliste des Geburtstagskonzerts den Namen des Leipziger Cellisten Matthias Moosdorf erspähte. Bei Moosdorf handelt es sich um einen Musiker, der als Abgeordneter für die AfD im Bundestag sitzt. Seine künstlerische Karriere reicht etwas weiter zurück als seine politische; als Mitglied des Leipziger Streichquartetts gab er Konzerte in gut 60 Ländern und spielte etwa 100 CDs ein, sein Gesamtwerk übersteigt das des Hinweisgebers sehr deutlich.
In dem „Bad Blog of Musick“, den die „Neue Musikzeitung“ betreibt, schrieb Strauch: „Ich verstehe nicht, wie der Theaterakademie die notwendige Awareness hier fehlen konnte. (…) Ich bin zutiefst empört. Furchtbar, was man hier so zulässt und was nun die AfD, die Musiker:innen in ihr und um sie und ihre ‚friends‘ so losgelöst tun dürfen und diese heiligen Hallen des Prinzen für ihre Auftritte als ‚Nur-Musikmacher‘ zu nutzen.“ „Die AfD und die Musiker:innen in ihr“ wäre ein ganz passabler Romantitel, den sich jeder Leser dieses Textes bitteschön kostenfrei aneignen darf. Strauchs Klage über die „Nur-Musikmacher“ klingt wiederum so, als hätte er sich noch eine politische Ansprache von Moosdorf gewünscht, die es in Wirklichkeit bei dieser höchstens kosmopolitischen Veranstaltung weder von ihm noch von einem anderen Teilnehmer gab, noch nicht einmal aus dem Mund des von Strauch völlig übersehenen Conférenciers Michael Klonovsky, Ehemann der Jubilarin, Autor und Mitarbeiter der Fraktion, in der Matthias Moosdorf sitzt. Genaugenommen zeigt sich darin schon eine ziemliche Nachlässigkeit des Alarmschlägers. Aber auch so entging seine Tiefempörung der Awareness am höheren Ort nicht. Die Theaterakademie August Everding veröffentlichte am 31. Mai 2023 um 08:59 Uhr eine Presseerklärung, die als deutsches Dokument weit über München hinausreicht (und in der Länge auch über den Text von Strauch). Trotzdem soll sie hier fast vollständig wiedergegeben werden:
„Die Theaterakademie August Everding steht für Toleranz, Diversität, Chancengleichheit und Teilhabe. Sie tritt aktiv gegen jede Art von Machtmissbrauch, Diskriminierung, Benachteiligung sowie für Demokratie und kulturelle Vielfalt ein. Dies spiegelt sich in ihrer eigenen künstlerischen Praxis, namentlich in ihren innovativen rund 40 Eigenproduktionen pro Jahr. Die Theaterakademie August Everding vermietet ihre Räumlichkeiten außerdem an externe Gastveranstalter:innen, mit rund 300 Fremdveranstaltungen pro Jahr. Das vielfältige Programm der Gastveranstalter:innen reicht dabei von klassischer Musik und Tanz über Jazz bis Kabarett und Lesungen. Parteipolitische Veranstaltungen werden nicht unter Vertrag genommen. Das Konzert der israelischen Pianistin Elena Gurevich und ihrer Freunde am Samstag, 27. Mai 2023, um 19 Uhr im Gartensaal des Prinzregententheaters war eine Gastveranstaltung des Veranstalters new classic live. Der Mieter hatte es bei der Theaterakademie vertraglich als ‚Jubiläumskonzert‘ angemeldet und schließlich im Detail angekündigt als musikalische Soiree um Elena Gurevich mit befreundeten Künstler:innen aus Estland, Israel, Mexiko, Rumänien, Brasilien, Aserbaidschan, Deutschland, Russland, der Ukraine und der Schweiz, konzipiert als eine Art ‚klassischer Jam-Session […] durch die Musikgeschichte und über Kontinente‘ mit Werken u.a. von Mozart, Chopin, Lehár, Reger, Piazzolla, Tschaikowsky und anderen. Dies ließ auf ein weltoffenes, buntes und diverses Programm schließen. Wir bedauern, dass an dieser Gastveranstaltung offenkundig ein Musiker beteiligt war, dessen Werte denen der Theaterakademie August Everding diametral entgegenstehen. Es ist wahr, die beteiligten Musiker:innen, inklusive des diskutierten, wurden schließlich im Monatsspielplan (Print und Web) der Theaterakademie unter ‚Weitere Musiker‘ genannt. Dieser Monatsspielplan enthält sowohl die Informationen zu den Eigenproduktionen der Theaterakademie als auch die Informationen zu den Veranstaltungen der externen Gastveranstalter:innen. Für die Informationen zu den Gastveranstaltungen sind die Gastveranstalter:innen selbst verantwortlich. In der Schlusskorrektur des Eintrags durch die Theaterakademie war die Nennung des Musikers tatsächlich nicht bemerkt worden. Doch bestand so auch die Möglichkeit für die mündigen Besucher:innen, von einem Ticketkauf beim Konzert Abstand zu nehmen. Die Theaterakademie wird den Fall im Detail auswerten und die Zusammenarbeit mit dem Gastveranstalter new classic live prüfen. Die Theaterakademie August Everding unter der Präsidentschaft von Prof. Dr. Barbara Gronau arbeitet auch weiterhin für ein junges, internationales, buntes, diverses und inspirierendes Theater der Zukunft.“
Womit die Akademie unter Prof. Dr. Barbara Gronau natürlich glatt und dreist lügt. Würde sie tatsächlich für ein internationales, buntes, diverses und inspirierendes Haus arbeiten, hätte sie diese Erklärung nie herausgegeben. Welche Werte von Matthias Moosdorf nun genau denen von August Everding widersprechen, geht aus der Mitteilung ebenso wenig hervor wie der Name des Unwertmusikers selbst – offenbar um zu verhindern, dass unmündige Leser:innen auf die Idee kommen, ein paar seiner Musikaufnahmen zu erwerben. Schon auf die Mündigkeit der Konzertbesucher konnte die Akademieleitung nicht so recht bauen, es gab jedenfalls niemanden, der von einem Ticketkauf wegen der Parteimitgliedschaft des Cellisten schnell noch Abstand genommen hatte. In ihrem Schuldeingeständnis klärt die Institution auch nicht darüber auf, warum sie eigentlich die Wertüberprüfung der Musiker aus Israel Brasilien, Russland, China, Estland und der anderen Herren Länder unterlassen hatte. Möglicherweise hätte sie dort im Verein mit ihren Ortskräften auch noch das eine oder andere zu Tage gefördert.
Das Problem besteht nicht in einem inoffiziellen Mitarbeiter der Zivilgesellschaft und dessen Blogeintrag. Es besteht darin, dass sich eine immerhin noch namhafte Akademie vor einem Denunzianten in den Staub wirft, dessen biografisches Pech darin besteht, nur im besten Deutschland aller Zeiten (so ungefähr Frank-Walter Steinmeier) zu wirken und nicht in zwei vergangenen Deutschlandvarianten, die sein Talent noch ganz anders entfaltet hätten. Zwischen Haltungsvorzeigern und Gliedvorzeigern im Stadtpark besteht eine innere Verwandtschaft: beider Betätigung lebt ausschließlich von der Reaktion der Adressaten.
Man kann es sich kaum vorstellen, dass jemand mit der Biografie von August Everding vor einem unterbeschäftigten Komponisten auf die Knie gefallen wäre und um Nachsicht wegen mangelnder Wachsamkeit in Zusammenhang mit einem Konzert gebettelt hätte, mit dessen Organisation er nie befasst war.
Überhaupt stellt sich aber die Frage, ob Everding als Person heute noch so einfach davonkäme. Wahrscheinlich machte er mit seinem gerade noch rechtzeitigen Tod 1999 keinen schlechten Schnitt. Immerhin galt er schon früh als Reaktionär, weil er Peter Stein daran hinderte, im Theater Geld für Waffen zu sammeln, das dem Vietcong zugutekommen sollte (Everding sprach sich gegen die Geldsammlung im Theater aus, er bestand darauf, Bühne und tagespolitischen Bereich zu trennen). Er pflegte gute und notwendige Beziehungen zu Franz Josef Strauß, dem er 1983 die 32 Millionen Mark für den Wiederaufbau des Prinzregentheaters abfuchste. Als konservativer Katholik gehörte Everding zu den Gesprächspartnern von Joseph Ratzinger; er bekannte sich wie damals der Kardinal zur vorkonziliaren Messe. Im Gespräch mit Harald von Troschke kritisierte der Impresario außerdem das „Kastendenken vieler Deutscher“. Und überhaupt – er inszenierte konservativ, in seiner „Traviata““ trugen die Darsteller weder SS-Uniform noch blutbeschmierte Haut. Die meisten seiner Regiearbeiten fielen heute schon in der Vorrunde jedes progressiven Theater- oder Opernfestivals durch.
In dem erwähnten Gespräch mit Troschke meinte Everding auch, Bühnenkunst sei in Deutschland nun einmal subventioniert, das gehöre zum System, andererseits komme es eben darauf an, sich Freiräume zu schaffen, also mindestens ein-, zweimal im Jahr eine Inszenierung abzuliefern, über die sich das politische Juste Milieu aufregt. Damals galten für solche lockeren Reden noch mildernde Umstände, denn das Establishment in Bayern hieß damals wie auch heute noch CSU, im Bund regierte Helmut Kohl und dann Gerhard Schröder, die Quisquilien trafen also die Richtigen, was schulterklopfende Journalisten jederzeit bestätigen konnten.
Eigentlich wäre es heute sehr leicht, ein bisschen Spott über die aktuellen Amtsträger auf die Bühne zu bringen, Claudia Roth beispielsweise in einer Neufassung des ‚Zerbrochenen Krugs‘ als Dorfrichterin Adam, die versucht, einem Antisemitismusskandal auf die Spur zu kommen, oder ein Tartuffe mit Robert Habecks Nachdenklichkeitssimulation, irgendwas in dieser Preisklasse. Dafür wäre ein Haudegen wie Everding sogar zu haben, wenn es ihn noch gäbe, einerseits. Er wüsste aber auch, dass dann wirklich Schluss mit lustig wäre. Ein Spiegel Online-Schreiber würde, statt Schultern zu klopfen, erst einmal die Überschrift „Ein Intendant driftet ab“ tippen. Der Resttext ergibt sich dann praktisch von selbst.
Egal, was jemand von Everdings Inszenierungen hält – ohne ihn wäre das damals kernmarode Prinzregententheater nicht saniert und die Theaterakademie nie gegründet worden. Er konnte schon mit 50 auf viele dutzend Theater- und Opernaufführungen zurückschauen. Seine Laufbahn begann er an der Seite von Größen wie Fritz Kortner und Hans Schweikart. Über die heutige Präsidentin der Theaterakademie Barbara Gronau gibt es kaum etwas aus der künstlerischen Welt zu melden. Der Wikipedia-Eintrag zu ihr liest sich wirklich sehr, sehr flott. Über die frühere Professorin an der FU Berlin – Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ – gibt es an anderer Stelle ein paar ziemlich schüttere Informationen. „Neben ihrer wissenschaftlichen Laufbahn“, heißt es auf der Akademieseite, „arbeitete Barbara Gronau immer wieder als Dramaturgin und Co-Kuratorin u.a. mit der Gruppe Lubricat“ und „dem feministischen Künstler:innenkollektiv SheShePop.“
Ihr Statement zum Dienstantritt im Jahr 2022 lautete folgendermaßen: „Für mich sind die Künste Seismographen der Gegenwart. In einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche und Krisen sind traditionelle Modelle von Repräsentation, Ökonomie und Handeln untauglich geworden. Angesichts pandemischer Krisen, einer Rückkehr des Krieges nach Europa und eines spürbaren Klimawandels müssen wir uns fragen, wie wir leben können und leben wollen. Das Theater reagiert in vielfältiger Weise darauf: in der Überschreibung des traditionellen Kanons und seiner Figurenkonstellationen, in Überlegungen zu Teilhabe, Diversität und Nachhaltigkeit und in der Herausforderung neue Zielgruppen anzusprechen.“
Transformation, Pandemie, Klima, irgendetwas mit Überschreibung – in diesem Text steckt wirklich alles drin, von Kultur einmal abgesehen. Ihre Finanzierung verdankt die Everding-Theaterakademie übrigens nach wie vor ganz traditionellen Modellen der Ökonomie, die das nötige Steueraufkommen erzeugen.
Offenkundig handelt es sich bei Gronau um eine der zeittypischen Kulturbetriebsnudeln, die von einem Posten zum anderen flutschen, ohne auf dem Weg irgendwelche Werke oder auch nur Reibung zu erzeugen. Wer wie sie über keinerlei Hinterland eigener Schöpfungen verfügt, dem und der bleibt nichts anderes übrig, als alle schmalen Kräfte ins interne Netzwerken und die Absicherung gegen politische Fehltritte zu investieren.
Die Frage, woher dieses Verkrümmte, Beflissene und Ängstliche im Kultur-, Wissenschafts- und Medienbetrieb kommt, führt umweglos zu den handelnden Personen, die dort die Schaltstellen schon weitgehend besetzt halten: verkrümmte, beflissene Funktionäre, deren Namen sich außerhalb ganz kleiner Zirkel kein Mensch merkt. Für die breitere Bekanntheit Gronaus tut dieser Text wahrscheinlich mehr als alle für sie zuständigen Pressestellen der letzten zehn Jahre zusammen.
Dieses Muster jedenfalls zieht sich inzwischen fast durch den gesamten kulturpolitisch-medialen Komplex. Als Uwe Tellkamp im vergangenen Jahr seinen neuen Roman „Der Schlaf in den Uhren“ in Potsdam vorstellte, sah sich das Fontane-Archiv, das in dem gleichen Haus sitzt, in dem die Lesung stattfand, zum nachträglichen Abwehrritual gegen den Leibhaftigen herausgefordert. Auch dort meldete sich eine Funktionärin mit einer Erklärung aus dem Setzkästchen: „Wir stehen für ein Miteinander von Regionalität und Internationalität, für eine freundliche Multikulturalität und Diversität. Eine Veranstaltung mit Herrn Tellkamp passt aus unserer Sicht nicht zu diesem Selbstverständnis.“ Dass sich ihr so genanntes Selbstverständnis komplett aus einer bewusstlos heruntergeklapperten Tät-Aufzählung zusammensetzt, fällt dieser Gesellschaftsstütze so wenig auf, wie einem Fisch das Wasser auffällt.
Mit Siv Bublitz wirkte ein ganz ähnlicher Typus beim S. Fischer-Verlag, nicht als Verlegerin – das war sie nie – sondern als reine Exekutorin des Holtzbrinck-Konzerns. Ihre singuläre Leistung dort bestand darin, die langjährige Fischer-Autorin Monika Maron mit dem Stempel „politisch unberechenbar“ versehen und aus dem Verlag getrieben zu haben.
Gründer, Impresarios und damit auch fast immer Patriarchen (gelegentlich auch Patriarchinnen) kommen von Natur aus selten vor. Heute stehen ihre Chancen schlechter als jemals zuvor, noch an die Spitze einer staatlich finanzierten Kultur- oder Wissenschaftsorganisation, eines großen Verlags oder eines etablierten Mediums vorzustoßen. Auch das Gründen kommt in diesem Bereich nur noch außerordentlich selten vor. Dass jemand zu der winzigen Gattung der Solitäre gehört, garantiert allein noch keine Qualität. Aber ohne einen Samuel Fischer, einen Siegfried Unseld, den früheren Hanser-Chef Michael Krüger, ohne einen August Everding, ohne die frühen Documenta-Kuratoren Arnold Bode, Werner Haftmann, Harald Szeemann, ohne Rudolf Augstein, Henri Nannen und Helmut Markwort gäbe es einen großen Teil des Kultur- und Medienbereichs gar nicht, in dem jetzt Verwalter und Verwerter die von ihren Vorgängern geschaffene Substanz bewirtschaften. Hand hoch: Wer weiß, wer heute die Geschäfte bei S. Fischer führt, immerhin literarische Heimat von Thomas Mann und Franz Kafka? Wer kann auf Anhieb den Nachfolger Michael Krügers bei Hanser nennen? Wer kennt die aktuellen Namen der Chefredakteure von Stern, Focus und Spiegel? Überall dort, wo früher Einzelne dafür sorgten, dass überhaupt etwas entstand, geht der Trend zum gleitfähigen Manager, der vor allem peinlich auf Sprachcodes achtet, immer bemüht, die nächste Diskurskurve zu erwischen, die sich meist bei Twitter ankündigt.
Die einzelnen Figuren treten auf und wieder ab, einer gleicht dem nächsten. Wenn jemand stolpert, dann meist wegen eines falschen Worts, vor allem dann, wenn er sich nicht rechtzeitig vor einem Dutzend ebenfalls völlig namenloser Moraltwitterati auf dem Boden wälzt. Idealerweise teilen sich die Gewichtslosen heute den Posten als quotiertes Führungsduo, wenn sich nicht gleich wie im vergangenen Jahr bei der Documenta sowieso alles in ein Kollektiv auflöst, das den unvermeidlichen Globaler-Süden-Krempel auf die subventionierte Bühne wuchtet.
Um das Geld für den Prinzregententheater-Wiederaufbau zu bekommen, schlug Everding 1983 Strauß erst einmal aus taktischen Gründen vor, die Fast-Ruine als Bar wiederzueröffnen. Oder als Kaufhaus. Als der Politiker antwortete, das ginge ja nun wirklich nicht, meinte der Bühnenmann: „Dann bleibt wohl nichts andres übrig, als doch wieder ein Theater draus zu machen.“ Worauf Strauß geantwortet haben soll: „Sie Hund Sie.“
Dass sich seine Theaterakademie einmal in einen Tendenzbetrieb verwandeln würde, dessen Leiterin sich nicht anders anhört als eine x-beliebige kulturpolitische Bundestagshinterbänklerin, so etwas hätte er sich vermutlich nicht vorstellen können.
Vor allem nicht, dass es dafür überhaupt keinen Druck mehr aus einer Staatskanzlei braucht.
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O-o, jetzt hat auch das ZDF ein Problem: Veröffentlichte es doch schon mal eine wohlwollende (!) Doku über Moosdorf, als der auf Einladung des Auswärtigen Amtes (!!) Benefizkonzerte für die Opfer von Fukushima (!!!) hielt! Aber dass er dabei nur den Tsunami erwähnte und nicht das Atomkraftwerk, und dass er dabei auch noch „deutsche Volkslieder“ spielte, hätte die Verantwortlichen bei ZDF und AA auch 2011 schon mißtrauisch machen müssen!!!
https://www.youtube.com/watch?v=sFhXhy99ZyU
Die korrekte Antwort an den Strauchritter wäre gewesen:
„Wir lehnen Denunziantentum jeglicher Art kategorisch ab und wünschen, in dieser Angelegenheit von Ihnen nicht mehr behelligt zu werden.“
Aber dazu müsste man Rückgrat haben, und nicht bloß eine Wirbelsäule.
Keine Sorge, wenn nach dem machttaktischen Umfallen der Union in 10Jahren die erste blauschwarze Koalition regieren wird, werden diese „Künstler“ schon immer Verständnis für die Ziele der AFD gehabt haben. So wie sie 1913 mit Gott für Kaiser und Vaterland waren und 1983 im Osten für die unverbrüchliche Freundschaft mit der Sowjetunion.
Der – wie üblich mit Humor gespickte – Beitrag von Alexander Wendt um die Posse zum Auftritt eines Künstlers mit AfD-Parteibuch im Prinzregententheater wirft ein Schlaglicht auf den Kulturbetrieb der BRD. Rückgratloser Opportunismus, abgrundtiefe Feigheit und Phrasendrescherei! DDR 2.0 eben.
Ich nenne was da geschieht „Simulation von Demokratie“
oder mit Houellebecq „Unterwerfung“.
Hach, das sind Zustände wie im „real existierenden Sozialismus“. Früher glaube ich, er wäre 1989 implodiert und würde nie zurück kehren….. so kann man sich irren. Die „sozialistische Demokratie“ hat sich also wieder durchgesetzt…. und niemand nimmts zur Kenntnis!
Art 3 GG(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Gilt wohl doch nicht für alle?
Ja, der Zeitgeist mit seiner „Korrektheit“ ist öde hoch Zehn. Die Angst der „Etablierten“ vor -ismen und -täten ist schon neurotisch, überall herrscht Ramschhaltung und Gratismut. Dabei besteht das Maximalrisiko für alle öffentliche Menschen im besten Deutschland aller Zeiten im ritualisierten, konstruierten Shitstorm auf Twitter und Co, die überwiegend von Namenlosen, Bots und Tribes für ein paar Stunden oder maximal Tage in die Trends gepusht werden und dann wieder ins Nirwana der Belanglosigkeit verschwinden, sobald die Algorithmen andere Trends aufbauen. Man riskiert als „Guter“ weder Verhaftung noch Erschießung, weder Job noch Geld, keinen Besuch der AntiFa oder dgl. Natürlich schreiben… Mehr
Dass man sich so offen der Demokratie und dem Grundgesetz gegenüber zu ihrer Missachtung bekennt, und sich damit noch auf der guten Seite wähnt, sagt viel über den Zustand Deutschlands und über die wahre Bedrohung der Demokratie aus. Erschreckend, diese larmoyante Blockwartmentalität. Noch erschreckender das servile Zurückweichen von höheren Stellen vor solchen Kläffern. Ein Schmierentheater.
Ich erlaube mir, die Erklärung der Theaterakademie A.E. in Leichte Sprache zu übersetzen: “ Wir stehen für Selbstaufgabe, die Verdrängung der Deutschen mitsamt ihrer Kultur und für Leistungslosenförderung. Wir treten aktiv gegen jede Form von Meritokratie und geistig-künstlerische Exzellenz sowie für sozialistische Gleichschaltung des Kulturbetriebs ein. Frei denkende Menschen lehnen wir ab, weil diese die Demokratie, sprich die Herrschaft der Guten, der Bunten und Toleranten gefährden. Weiterhin setzen wir unsere Kraft dafür ein, die deutsche Sprache als die eines Tätervolks nachhaltig zu zerstören. Deshalb steht uns auch Frau Professor*In Gronau vor, die als Garant*In für die Umsetzung unserer Vorhaben steht“.… Mehr
Es geht auch kürzer.
Mit Houellebecq und in einem Wort: „U N T E R W E R F U N G!“
An die Spitze des ganzen Desasters wurde Kulturstaatssekretärin Roth gestellt. Es gibt kaum eine bessere Verfechterin staatlichen kulturellen Lebens in Deutschland. Lief sie doch hinter dem Plakat „Deutschland, du elendes Stück Scheiße“ her! Diese Qualifikation ist für den derzeitigen Kulturbetrieb wohl ausreichend. Der Inhalt Ihres Artikels beweist, dass die Roth’schen Maxime zwischenzeitlich auch unten angekommen sind!