Wenn Artenschutz wichtiger ist als Kriminalitätsbekämpfung

Man hat ja schon viele absurde Begründungen gehört, weshalb der Staat seine Bürger nicht besser vor Gewalttaten schützen kann. In diesem Wettbewerb haben jetzt erneut die Berliner Grünen den Vogel bzw. den Falter abgeschossen. Das neueste Argument: der Biorhythmus von Insekten.

picture alliance / Caro | Teich

„Berlin ist eine Reise wert“: So machte früher die Tourismusförderung Reklame für einen Trip in die Hauptstadt. Inzwischen dürfte sich rund um den Globus herumgesprochen haben, dass das – vorsichtig gesagt – nicht für alle Ecken der Millionenmetropole gilt.

Vom Görlitzer Park, Deutschlands offenherzigstem Drogenumschlagplatz, hat man schon recht viel gehört. Auch die Gegend rund um das Kottbusser Tor muss den Vergleich mit den düstersten Bezirken von Mexiko City keineswegs scheuen.

Noch nicht ganz so bekannt ist der Moritzplatz, doch er holt rapide auf. Er versinkt im Müll, die Zustände stinken im Wortsinn zum Himmel. Außer Junkies und Dealern traut sich schon lange kein normaler Mensch dorthin. Jeder weiß das. Es wäre auch schwer zu leugnen, weil jeder es sehen (und riechen) kann, der sich in einem Anfall von Todessehnsucht zumindest in die Nähe wagt.

Früher haben Politiker ja zumindest noch so getan, als würden sie versuchen, aus schlimmen Zuständen bessere zu machen. Die für die gerade geschilderten Zustände am Moritzplatz verantwortliche Bezirksstadträtin Annika Gerold von den Grünen macht sich diese Mühe nicht mehr. Sie erklärt gleichermaßen lapidar wie fatalistisch: „Eine nachhaltige Veränderung der Situation wird nicht erreicht, da dies nur durch drogenpolitische Maßnahmen möglich ist.“

Welche das sein könnten, wann sie erfolgen sollen und wer sie veranlassen dürfte: All das behält Frau Gerold für sich. Übersetzt: Kann man nix machen, kommt darauf klar, Ende der Durchsage.

Soll das nun wirklich alles sein, was der Bezirk den geplagten Anwohnern rund um den Moritzplatz anbieten kann? Immerhin gibt es auch unter denen Steuerzahler. Das dachte sich auch der Bezirksverordnete Tolga Inci von der CDU – und stellte eine Anfrage an das Bezirksamt. Könnte der Bezirk nicht ein bisschen öfter sauber machen? Könnte das Ordnungsamt nicht ein bisschen öfter kontrollieren? Könnte nicht zumindest nachts die Grünanlage beleuchtet werden?

Das klingt nach vernünftigen Fragen und plausiblen Vorschlägen – allerdings nur, wenn man nicht aus Berlin kommt. Und ganz sicher nicht in Kreuzberg. Denn hier gilt, nachzulesen unter dem Aktenzeichen Q: SA/395/VI:

„Ein regelmäßiges Kontrollintervall kann mit dem derzeitigen Personalstand nicht geboten werden.“

In der deutschen Stadt mit den im Verhältnis zur Bevölkerung meisten Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst reicht der Personalstand zwar dafür aus, Bürger von Amts wegen zu verfolgen, wenn sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen. Kontrollpatrouillen zum Schutz vor echten Kriminellen sind aber nicht drin.

„Eine Verpflichtung Berlins zur Beleuchtung der Anlagen besteht nicht.“

Das hatte auch niemand behauptet. Es geht nicht um eine Verpflichtung, sondern um eine freiwillige Dienstleistung der Stadt für ihre Bürger. Die offizielle Antwort auf die Anfrage zeigt, dass die politische Führung des Bezirksamts diesen Gedanken für völlig absurd hält.

„Eine Beleuchtung ist nicht geplant, weil die zunehmende Lichtverschmutzung beachtet werden muss.“

An dieser Stelle ist wohl der Hinweis angebracht, dass es sich hier nicht um einen Scherztext handelt. Die Zitate sind echt, der gesamte Vorgang auch.

Also: Der Moritzplatz versinkt im Unrat. Kein Mensch, vor allem keine Frau, traut sich dort noch auf die Straße – schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Die dauerhafte reale Verschmutzung ist für das Bezirksamt kein Problem. Aber eine Beleuchtung lehnt es wegen der „Lichtverschmutzung“ ab.

Kopf-auf-Tischplatte.

„Vor dem Hintergrund des Artenschutzes ist von einer Beleuchtung abzusehen. Der Biorhythmus würde gestört und die bezirklich angestrebte Biodiversität könnte dadurch reduziert werden.“

Was das Bezirksamt uns sagen will: Artenschutz geht vor Menschenschutz. Frauen dürfen ruhig im Dunkeln überfallen werden, solange dabei nur der Biorhythmus von Insekten nicht gestört wird.

Dazu erübrigt sich dann wohl jeder weitere Kommentar. Außer diesem vielleicht: Anderswo macht man aus einer Mücke einen Elefanten. In Berlin macht man aus einer Mücke einen Müllberg.

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Kommentare ( 7 )

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hansgunther
2 Stunden her

„gemeinwohl“ mutiert gerade in eine neue Dimension der politischen Schattenwirtschaft, gegen die freiheitliche Grundordnung und willkürliche Verbiegung demokratischer Rechte, im Grundgesetz verbrieft.
„Sie setzt zugleich, im Lichte der aktuellen Entwicklungen, ein klares Zeichen gegen gemeinwohlschädliche und demokratiefeindliche Straftaten.“ Zitat aus dem „Busch“.
Bei Licht betrachtet, schaden die Schatten der Repression nicht den Insekten aber der Meinungsfreiheit und relativieren die Urheber sowohl im politischen Raum, wie an den Grenzen und den Plätzen und Fußgängerzonen.

Last edited 2 Stunden her by hansgunther
Ralph Martin
3 Stunden her

Berlin hat den Kipppunkt der Transformation überschritten.
Waren letzten Sommer für ein paar Tage da, Regierungsviertel sauber und ordentlich jedoch leblos und die Stadtränder scheinen noch lebenswert. Der Rest ist ein Ort an dem man sich als Mitteleuropäer (und Landei) fremd und bedroht fühlt.

Nibelung
3 Stunden her

Berlin ist längst zu Scholl-Latours Kalkutta geworden und die letzten Eingeborenen haben es noch nicht so richtig bemerkt, daß ganze Stadteile schon den illegal Zugewanderten gehören, als rechtsfreier Raum nach eigene Tradition und die noblen Viertel holen sie sich auch noch, das ist nur eine Frage der Zeit und dazu müßte man nur noch die alten Verhaltensweisen der Erstzuwanderer aus den sechziger Jahren kennen,um über deren damaliger Schüchternheit die Entwicklung zu begreifen, die nichts gutes ahnen läßt, sofern man noch klar kombinieren kann.

Lara
3 Stunden her

Wäre schön, wenn das Thema auf Berlin beschränkt wäre, ist es aber nicht. Auch hier im Ländle gelten nun Gesetze, nach denen die Beleuchtung eingeschränkt werden muss, weil das Insekten stört. Man muss als Planerin völlig absurde Diskussionen führen.
Das betrifft insbesondere gestalterische Beleuchtung, welche die Stadt gerade lebenswert macht. Gebäude anstrahlen nicht mehr erlaubt, Baumstrahler, die von unten nach oben strahlen verboten usw.. Gerade die Grün- und Umweltämter verteidigen inzwischen verbissen die Dunkelheit, weil Insektenschutz.
Was gilt noch der Mensch?

siebenlauter
3 Stunden her
Antworten an  Lara

Die Stadt ist Wohnraum für Menschen – oder sie ist nicht.

Schwabenwilli
3 Stunden her

„Also: Der Moritzplatz versinkt im Unrat. Kein Mensch, vor allem keine Frau, traut sich dort noch auf die Straße – schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit“

Man muss sich das mal vorstellen, wenn man dort wohnt und sich noch als wertschöpfendes Mitglied und damit der Aufrechterhaltung unseres Staates betätigt, nichts anderes mehr übrig bleibt als sich in seiner Wohnung zu verbarikadieren. Was ist das noch für ein Leben?

siebenlauter
3 Stunden her

Es ist völlig egal, was man in Berlin macht: Durch den Regierungssitz und den Länderfinanzausgleich fließt immer sehr viel Geld in diese ansonsten sehr weitgehend dysfunktionale Stadt. Hier wird das Geld verpulvert, das woanders hart erarbeitet wird. Und trotzdem leiden die normalen Berliner an allen Enden und Ecken an der unempathisch rücksichtslosen Stadtpolitik aller herrschenden Parteien.