Mit Benedikt XVI. stirbt nicht nur ein Papst, sondern auch der Repräsentant einer ganzen Generation. Der „Mozart der Theologie“ hatte schon als Kardinal Joseph Ratzinger entscheidenden Einfluss in der Weltkirche. In Deutschland erlitt er dagegen das Schicksal wie so vieler Propheten im eigenen Land.
Das Jahr 2022 hat in seinen letzten Minuten neuerlich seinen Tribut gefordert. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist am Silvestermorgen gestorben. Als Theologe und Präfekt der Glaubenskongregation hatte er jahrzehntelang als wichtigster deutscher katholischer Geistlicher gegolten und nicht nur durch seine unterstützende Rolle im Pontifikat Johannes Pauls II. entscheidenden Einfluss besessen, sondern auch durch zahlreiche Bücher die Öffentlichkeit mitgeprägt.
Benedikt war nicht nur ein Pfeiler für Hunderte Millionen Katholiken. Er war auch ein Pfeiler für Christen anderer Konfession, die in ihm jene Standfestigkeit erblickten, die sie bei eigenen Kirchenführern vermissten; oder die in seinen Büchern, Predigten und Enzykliken Wertvolles für ihren eigenen Glauben erkannten. Selbst Agnostiker oder gar Atheisten konnten seinem Denken, seinem Intellekt und seiner Philosophie etwas abgewinnen, wenn er etwa die philosophische oder politische Sphäre streifte. Benedikt war der Papst, der in den Bundestag ging und Augustinus zitierte: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“
Entgegen dem medialen Zerrbild war Ratzinger ein Versöhner. Mit dem Motu Proprio Summorum Pontificum versuchte Benedikt den seit dem 2. Vatikanischen Konzil herrschenden Zwist über den Status des traditionellen römischen Ritus beizulegen. Über Jahrzehnte hinweg hatte die „alte Messe“ einen schweren Stand. Als „außerordentliche Form“ rehabilitierte sie der Papst wieder, und zwar zur „Vermeidung von Zwietracht und der Wahrung der Einheit der Kirche“. Dass sein Nachfolger diese Bestimmung wieder außer Kraft setzte, bedeutete eine Zerstörung benediktinischen Erbes bereits vor dem Ableben. Es ist ein vielschichtiges Bild zum Verständnis des benediktinischen Pontifikats.
Benedikt war der letzte seiner Art. Seine Biografie spiegelt die Erfahrungen des kurzen 20. Jahrhunderts wider. Er begann nicht als Konservativer, sondern als Erneuerer. Das Zweite Vatikanische Konzil war auch sein Konzil; und bis zuletzt versuchte er die Deutungshoheit über die Lehren dieses letzten großen Ereignisses der Una Sancta zu bewahren, indem er Kontinuität predigte, während andere den Bruch herbeisehnten. Benedikt gehörte der Generation an, die Krieg und Leid bewusst und hautnah erfahren hatte; und die beim Wiederaufbau des materiell wie moralisch verheerten Kontinents mithalf. Damit gehörte er zur selben „Greatest Generation“ wie Königin Elisabeth.
Ratzinger, der stets mehr Bayer denn Deutscher war, konnte zeitlebens am eigenen Leib spüren, dass der Prophet im eigenen Land nichts wert war. Nirgendwo war Ratzinger so vielen Angriffen ausgesetzt wie in Deutschland, wo stattdessen die Liberalen und Reformer im Rampenlicht standen. Selbst in den letzten Tagen vor seinem Tod ergab sich die bemerkenswerte Schieflage, dass sowohl in offiziellen wie in sozialen Medien in Deutschland ein bissiger Tonfall gegenüber dem „deutschen Papst“ gehegt wurde, indes man in Italien den Eindruck hatte, dass die Italiener „Papa Ratzinger“ längst als einen der ihren adoptiert hätten.
Benedikt war nicht bloßer Brückenbauer. Er war selbst eine lebendige Brücke, die vielen den Weg wies. Selbst in der Zeit des turbulenten Franziskus-Pontifikats galt er zahlreichen Katholiken als Leuchtturm; und wenn nur aus Nostalgie nach einer vergangenen Zeit. Der Papa emeritus stand für Beständigkeit und Orientierung, während in einigen Teilen der Weltkirche ernsthaft über die Veränderung der Lehre debattiert und abgestimmt wurde. Doch darf dabei nicht übersehen werden, dass Benedikt zugleich etwas Neues eingeführt hat.
Dass Benedikt länger „emeritiert“ war, als er als Papst regierte, ließ viele Gläubige mit Unverständnis zurück. Bis heute wabern Spekulationen über die Hintergründe durch die Medien. Für seine Kritiker war der Schritt von Anfang an ein Beleg des Scheiterns. Es sind kirchenpolitische Machtfragen, mit denen Ratzinger zeitlebens eher weniger anfangen konnte, wenn man Biografen und Zeugen Glauben schenkt. Dass für ihn diese weltlichen Belange angesichts des höheren Gerichts eine untergeordnete Rolle spielten, dürfte dabei ebenso klar sein.
Die historische Rolle Benedikts wird wohl erst klar werden, wenn auch das laufende Pontifikat sein Ende gefunden hat und sich herausstellt, ob Benedikt der letzte Konservative seit dem zweiten Vatikanum war, oder sich eher das Pontifikat seines Nachfolgers als Klammer entpuppt. Gegenwärtig bleibt dagegen nur die Einsicht, dass einer der größten Bekämpfer des Relativismus, der Beliebigkeit und der Austauschbarkeit heute seine Augen geschlossen hat. Mit ihm ist unsere letzte Brücke zum alten Europa abgebrochen.
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Mir als überzeugtem Atheisten bleibt Herr Ratzinger als bösartiger Demagoge in Erinnerung. Er hat mir und meinesgleichen vorgeworfen, an den Kriegen dieser Welt schuld zu sein, weil wir nicht an Gott glauben und demzufolge zu Empathie und Liebe unfähig seien. Er glaubte das natürlich selbst nicht und schob ganz bewusst eine Gruppe Menschen, die in dieser Hinsicht keine Lobby haben, als Sündenbock vor, um seine Machtbasis zu festigen. Ein böser alter Mann.
Dieser Artikel ist ein vollendeter Nachruf auf diesen großen Menschen.
Man möchte nichts hinzufügen und nichts kritisieren. Wahrscheinlich wird es in den kommenden Jahren vereinzelte subtil gegliederte Biographien über Ihn geben. Aber es tut gut, unmittelbar nach seinem Heimgang, eine ausgewogene, angemessene und gutwillige Zusammenfassung seiner tadellosen Vita lesen zu dürfen.
Zurückbleiben Leuchten wie Marx und Bedford Strohm. Zwerge im Schatten. Papst Benedikt ruhe im Frieden seines Glaubens.
Erst wenn etwas verloren ist, oder nicht mehr existent, wird sich so mancher besinnen und bedauern, dass er/sie/es die Einsicht nicht früher hatte. Aber nicht in diesem Land. Die Selbstwahrnehmung der Deutschen ist zutiefst gestört, bei vielen gar nicht vorhanden bzw. unterdrückt. Benedikt ist nicht der einzige, der von Deutschen permanent verteufelt wird und von anderen viel toleranter, vor allem realistische, gesehen, erlebt und damit behandelt wurde und wird. Bismarck, wieder in aller Munde durch die intellektuelle Elite Deutschlands, Annalena Baerbock, ist ein weiteres Beispiel.
Benedikt war kein wuscheliger Kuschelbär wie Robert Habeck, Benedikt stand unbeirrt für die Werte der kath. Kirche und flatterte nicht herum wie ein verlogenes Fähnchen im Wind. Er hätte am Tempelberg niemals das Kreuz abgelegt. Er stand auch für das alte Europa und hat zu Recht die lateinische Liturgie verteidigt. Man konnte in allen kath. Ländern der Welt zur Kirche gehen und fühlte sich überall sofort heimisch mit dem guten alten Latein, das auch eine Brücke schlug zu den Anfängen des Christentums. Man spürte die 2000 Jahre und die damit verbundene Tradition, in der man stand. Dieses Verbundenheits-Gefühl soll ja… Mehr
Vielen Dank, Herr Gallina. Bei der Fülle der teilweise gehässigen Kommentare der deutschen Presse ist es wohltuend, Ihren Kommentar zu lesen.
Schon traurig – selbst als Fundmental Atheist sehe ich das so ! Genauso bizarr eine Gemeinsamkeit der BILD Berichterstattung ; sowohl am Todestag der Queen als auch am heutigen Tag vermeldet der Springer Konzern das es in beiden Fällen gesundheitlich wieder aufwärts geht… Herr Galinas Titel „Mit der Queen stirbt ein letzter Rest des alten Europas“ und „Benedikt:Der letzte seiner Art“ klingen wenn man beide berücksichtigt noch düsterer. Mich persönlich interessieren Monarchie & vatikanöse Religion inhaltlich rein gar nicht – die Wichtigkeit die ich immer mehr erkenne geht weit darüber hinaus ! Sowohl Monarchie als auch „vatikanöser“ Klerus unterscheiden sich… Mehr
Ein würdiger Kommentar für eine grosse Persönlichkeit. Josef Ratzingers Wirkung liegt im Geistig-Geistlichen.
Hat aber nicht sein Vorgänger Karol Wojtyla mehr für die Menschheit erreicht, indem er (in enger Zusammenarbeit mit Ronald Reagan) den Grundstein für den Zusammenbruch der SU („das Reich des Bösen“) legte?
Ich denke schon, dass Reagan die Hegemonie Amerikas im Auge hatte. Der „Globalismus“ wurde nur befürwortet, solange es seinem Land zugutekam. Sowas heisst man Patrionismus.
Apropos Augustinus „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“.
Das Recht ist hierzulande schon an einigen Stellen „abhanden gekommen“. Ergo, was sagt uns das über die Bunte Republik Deutschland?
Ein sehr gelungener und m.E.zutreffender Nachruf auf einen Papst, dessen Bedeutung nicht nur als einer der führenden Theologen unbestritten ist, der aber auch als Mensch stark zu beeindrucken vermochte, man erinnere sich u.a. an den Weltjugendtag in Köln, wo sein Auftreten eben auch besonders die Jugend faszinierte .Viele seiner niedergeschrieben Gedanken können auch für Nicht-Katholiken Orientierung bieten in dieser Zeit, die für viele Menschen kaum noch zu verstehen ist geschweige denn positiv bewertet werden kann.