Wie weiter mit Russland und China? Deutschland wird sich bald entscheiden müssen

Die forsche Grüne im Auswärtigen Amt, Annalena Baerbock, die die Einhaltung der Menschenrechte zum obersten Maßstab für die Beziehungen zu Moskau und Peking machen möchte, bekommt schon gleich am Anfang die Richtlinienkompetenz des Kanzlers zu spüren.

IMAGO / Xinhua
Bundeskanzler Scholz bei seinem Antrittsbesuch bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris 10.12.2021

Man muss nicht intimer Kenner der Verhältnisse innerhalb der Bundesregierung sein, um zu wissen, dass das Auge des Olaf Scholz in besonders aufmerksamer Weise auf seiner Außenministerin Annalena Baerbock ruht. Schneller als gedacht, ist die Außen- und Sicherheitspolitik in den Fokus gerückt. Während das Hin und Her der Corona-Politik die Köpfe und Herzen der meisten Deutschen bewegt, dürften im Augenblick der Ukraine-Konflikt und das Drängen der USA auf einen Boykott der olympischen Winterspiele im kommenden Februar in China die Agenda im Kanzleramt bestimmen.

Immer dringender wird sich die noch jungfräuliche Regierung in Berlin zu einer unliebsamen Entscheidung gezwungen sehen. Sowohl Russland als auch China gegenüber möchte Scholz den zurückhaltenden und eher sanften Kurs der Merkel-Ära aufrechterhalten. Gleichzeitig ist da die Rücksichtnahme auf die Interessen der Partner in der NATO und der EU. Bekanntlich ist Deutschland in beiden Bündnissen, jeweils neben den USA und Frankreich, ein bestimmender Faktor. Unübersehbar hat der Seiltanz schon begonnen. Die forsche Grüne im Auswärtigen Amt, die die Einhaltung der Menschenrechte zum obersten Maßstab für die Beziehungen zu Moskau und Peking machen möchte, bekommt schon gleich am Anfang die Richtlinienkompetenz des Kanzlers zu spüren.

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Die diplomatische rote Karte für den Pekinger Olympiazauber haben gleich nach den USA auch Australien und Großbritannien aus dem Ärmel gezogen. Japan und möglicherweise die Philippinen und Südkorea könnten folgen. Doch was ist mit Deutschland? Das ansonsten Alleingängen – wie beispielsweise dem Solo-Ausstieg aus der Kernenergie – nicht abgeneigte Deutschland schiebt jetzt den „Schwarzen Peter“ nach Brüssel weiter. So wie aufgetragen, sprach sich Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch in Paris dafür aus, in der Olympia-Sache eine gemeinsame Antwort der Europäischen Union zu suchen. Das bedeutet zwar nur einen kurzen Zeitgewinn – aber immerhin!

Schwieriger wird das Lavieren um klare Reaktionen auf einen möglichen Einmarsch russischer Streitkräfte in die Ukraine werden. Denn hier hat sich Scholz schon mehr oder weniger auf Seiten der Amerikaner festgelegt. Der Zwiespalt, in dem Deutschland steckt, ist offenkundig. Einer Mehrheit der Deutschen dürfte das Schicksal der Ukraine ziemlich gleichgültig sein. Die Interessen der deutschen Wirtschaft sprechen sowieso gegen jede Abkühlung im Verhältnis zum Kreml.

Auf der anderen Seite ist es für die Bundesregierung zu heikel oder auch nur noch zu früh, sich aus dem Westen zu verabschieden. Denn auf nichts anderes liefe das Abrücken von Washington hinaus, was gleichzeitig eine Akzeptanz russischer imperialer Absichten bedeuten würde. Ein Angriff auf die Ukraine wäre das sichere Aus für die Pipeline „Nord Stream 2“. Der russische Unterhändler und Ex-Kanzler Gerhard Schröder war sicher nicht nur zur Inthronisierung seines Genossen Scholz in Berlin angereist. Es gab auch viel zu besprechen. „Nord Stream 2″ dürfte wohl auch Grund für das im Protokoll nicht vorgesehene zehnminütige Vier-Augen-Gespräch zwischen Bundespräsident Steinmeier und Scholz vor dessen Ernennung zum Bundeskanzler im Schloss Bellevue gewesen sein.

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Nur ein Naivling kann glauben, dass Deutschland ohne die amerikanische Schutzgarantie im Rücken auch weiterhin ein so hoch geschätzter Gesprächspartner wäre. Das gilt übrigens in gleicher Weise für Peking. Bezeichnend für diese Haltung ist ein Ausspruch des in Russland wieder hoch verehrten Diktators und Massenmörders Josef Stalin, der seinem Außenminister Molotow, als dieser ihn auf die Bedeutung des Katholizismus in der Welt hinwies, auflachend entgegnete: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“

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Für die Diktatoren dieser Welt gilt diese Maxime bis heute. Dazu ist es vielleicht nützlich zu wissen, dass schon jetzt eigentlich gar nicht existieren dürfende russische nukleare Mittelstreckenraketen – immerhin 167 an der Zahl – in Königsberg (Kaliningrad) stationiert sind, in deren Reichweite sich auch Berlin befindet. So etwas hören viele hierzulande ebenso wenig gern, wie sie akzeptieren, dass es ein westliches Versprechen zur Nicht-Integration der Staaten Osteuropas in die NATO 1990 nicht gab, als über die Deutsche Einheit und die damit verbundene Einbeziehung des Territoriums der ehemaligen DDR in das NATO-Bündnisgebiet verhandelt wurde unter der Bedingung, dass keine amerikanischen Truppen in Mitteldeutschland stationiert werden dürfen. Es ist eine reine propagandistische Mär. Offensichtlich genügt das klare Dementi derartiger Behauptungen durch den für die Sowjetunion damals führenden Verhandlers Michael Gorbatschow.

Ganz davon abgesehen: Zu diesem Zeitpunkt existierten sowohl noch die Sowjetunion als auch der Warschauer Pakt. Nicht mal im Traum hätte der Westen derartige Ansprüche formulieren können und schon gar nicht einen Verzicht darauf als Versprechen abgegeben. Es lohnt sich, dieses Geschehen vor immerhin 30 Jahren noch einmal Revue passieren zu lassen.

Unter innenpolitischen Aspekten kommt es jetzt vor allem auf die Grünen an, ob sie um den Preis der Machtteilhabe ihre Überzeugungen kippen. Für die FDP dürften im Zweifel die Interessen der deutschen Wirtschaft im Vordergrund stehen – wer weiß? Ein Großteil der Sozialdemokraten indes hat sich spätestens seit den Auseinandersetzungen um die Nachrüstung der NATO als Antwort auf die sowjetischen SS-20 Raketen in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Herzen von der „Transatlantischen Achse“ verabschiedet – der Rest sind Lippenbekenntnissen mit begrenzter Halbwertszeit.

US-Präsident Joe Biden wird sich von all dem nicht abhalten lassen, weiterhin Pläne für ein Werte-Bündnis des Westens gegen die totalitären Ansprüche Chinas und Russlands zu schmieden. Der gestrige Videogipfel mit 110 Staaten ist nur ein Beispiel dafür. Auch Deutschland wird sich in absehbarer Zeit entscheiden müssen.

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Kommentare ( 24 )

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F. Hoffmann
3 Jahre her

Es gibt keinen eigentlichen Boykott der Olympischen Spiele. Die westlichen Athleten, auch die der USA, treten in China an. Bidens diplomatischer Boykott = keine Politfunktionäre reisen an, mag die Chinesen bissel ärgern, dürfte von der Öffentlichkeit aber unbemerkt bleiben. So what. Keine rote Karte, nicht mal wokes rosa.
Spekulation: Putin wird in Sachen Ukraine warten bis Nord Stream 2 in Betrieb ist. Danach kann er die Gaslieferungen via Ukraine drosseln. Er kann dann die Ukraine und die dort angeschlossenen Länder unter Druck setzen ohne seine Lieferverpflichtungen nach Deutschland + die angeschlossenen westeuropäischen Länder zu beeinträchtigen.

Last edited 3 Jahre her by F. Hoffmann
Ticinese
3 Jahre her

Fragen über Fragen:
Ist Deutschland bereit, für westliche Demokratie einzutreten oder russischer Tyrannei bzw. chinesischem Totalitarismus zu huldigen? Verkauft man für das Linsengericht angeblicher wirtschaftlicher Vorteile die Werte der Zivilisation? Werden die anderen EU-Staaten und die USA einen erneuten Sonderweg Deutschlands akzeptieren? Hat sich das Land (mal wieder) zwischen alle Stühle gesetzt?
 
 
 

imapact
3 Jahre her

Baerbock hat nicht begriffen – wie auch, mangels intellektueller Substanz – daß sie als Außenministerin kein Heimspiel hat wie in Deutschland. In Deutschland liegen ihr die Medien zu Füßen (man betrachte nur die Berichterstattung über ihre Frankreich-Visite), die gesamte Gesellschaft ist grün durchwirkt/unterwandert, die Bevölkerung gehirngewaschen oder eingeschüchtert. In der Außenpolitik hat sie es mit souveränen Staaten zu tun; weder Polen noch Ungarn, schon gar nicht Großmächte wie Rußland oder China, lassen sich von ihrer dümmlichen Dreistigkeit, von grünen Moralismus-Maulheldentum in irgendeiner Weise beeindrucken. Sollte in Scholz noch etwas Realpolitikertum stecken, wird er mit dieser Personalie noch sehr viel Freude… Mehr

Michaelis
3 Jahre her

„Schneller als gedacht, ist die Außen- und Sicherheitspolitik in den Fokus gerückt.“

Nein, verehrter Herr Gafron, wer einigermaßen vernünftig denken konnte, dem war völlig klar, dass die Außenpolitik sehr schnell in den Fokus rücken würde. Und was Russland betrifft, wäre ich dankbar für ein etwas freundlicheres und unaufgeregteres Vokabular. Russland wird die Ukraine niemals angreifen, es sei denn, das Arsenal an Provokationen würde einen Siedepunkt erreichen.

Peter Gramm
3 Jahre her

Diese Besucheritis im Zeitalter der Digitalisierung ist so was von Vorgestern.

FBH
3 Jahre her

Aus meiner Sicht liegt die richtige Entscheidung auf der Hand: mangels Alternativen selbstverständlich im westlichen Bündnis bleiben, wo denn sonst, aber dort klar die Position einer möglichst großen Annäherung an Russland vertreten, auch gegen die USA.
Nichts wäre verheerender für Europa als Russland vollends in die Arme Chinas zu treiben.
Diese Grundstrategie „für Menschenrechte“ oder „für die Ukraine“ zu opfern, wäre extrem dumm.

RMPetersen
3 Jahre her

Gibt es eigentllich einen Beleg dafür, dass Stalin heute bei den meisten Russen hochverehrt wird?
Und: Was ist eigentlich die Stringenz eines Boycotts der Olympischen Spiele in China, wenn die Fußballweltmeisterschaft in Quatar keine moralischen Probleme bereitet?
Dies ist ein Beitrag mit Haßtiraden gegenüber Russland und China, die mich befremden. Rationale Aussenpolitik verlangt danach, die eigenen moralischen Vorstellungen auf das eigene Land zu beschränken.
Wer glaubt, mit solchen plumpen Boykott-Drohungen die Politik Chinas oder Russlands beeinflussen zu können, ist naiv.

Kraichgau
3 Jahre her

ich verstehe nicht,warum so einseitiger Atlantik-Brücken-Autor hier so unwidersprochen die ausschliesslich US-Interessen vertreten kann,was er durchaus ohne Rücksicht auf deutsche Interessen macht

Flik Flak
3 Jahre her
Antworten an  Kraichgau

Wo vertritt der Herr Gafron in diesem Artikel spezielle US-Interessen? Und ist es ausgeschlossen, dass die USA und Deutschland gemeinsame Interessen haben?

Und wenn Sie widersprechen wollen, hier haben Sie die Gelegenheit.

Flik Flak
3 Jahre her
Antworten an  Flik Flak

Ja, vielen Dank. Das reicht erst einmal. Die Auseinandersetzungen im Donbass waren mir bekannt. Von Mittelstreckenraketen höre ich zum ersten Mal. Können Sie Quellen nennen aus denen man sich informieren kann?
Nun ja, so viel zu ausgewogene Berichterstattung der Medien. Diesbezüglich wundert mich nichts mehr.

Iso
3 Jahre her

Wenn es um die Frage Krieg oder Frieden geht, dann ist es völlig egal, ob es mit der deutschen Einigung irgendwelche Absprachen mit Russland gegeben hat. Jeder wird wohl Grund zur Sorge haben, wenn man Sprengsätze vor der eigenen Haustür platziert. Russische Truppen stehen nun mal nicht an der Oder, aber die Nato kurz vor Petersburg.

Kuno.2
3 Jahre her

Bezüglich des früheren Königsberg ist der Westen mit der Stationierung von russischen Abwehrraketen selbst schuld. Gorbatschow hatte BK Kohl den Kauf von Kaliningrad angeboten. Der hatte dann aus Angst man könne der wiedervereinigten Deutschland Großmannssucht andichten, dieses Angebot abgelehnt. Vielleicht zum Glück, denn sonst hätte die Nato in Königsberg Abwehrraketen aufgestellt.

Pilo
3 Jahre her
Antworten an  Kuno.2

 „Gorbatschow hatte BK Kohl den Kauf von Kaliningrad angeboten. “ Das höre ich zum ersten Mal. Ohne Sie ärgern zu wollen: „Sind Sie da wirklich sicher??“
Wie hoch war ggf der Kaufpreis? Für eine Antwort bin ich Ihnen sehr verbunden.