Tichys Einblick
Wortgeklingel statt Migrationspolitik

Asylpolitik: Kapitulation vor der eigenen Kapitulation

Die Bund-Länder-Konferenz entpuppt sich als Migrationsgipfelchen. Das größte Problem der Gegenwart mit direkter Auswirkung auf den Alltag der Deutschen beantwortet die Ampel mit einem Minimalst-Konsens. Es ist ein historisches Versagen. Denn es passiert: nichts.

picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Deutschland hat gigantische Probleme. Das Migrationsproblem ist das größte, weil es sehr weitreichende Auswirkungen auf die innere Sicherheit, auf das Bildungswesen und auf den Sozialstaat hat. Nicht erst seit gestern weiß man das, sondern spätestens seit der totalen Merkelschen Grenzöffnung von 2015. Das Ganze wird weiter gefördert von einer „Ampel“, die die Willkommenskultur auf stets neue Höhen treibt: immer noch mehr Anwerbungen, immer noch mehr Familiennachzug, immer noch mehr Doppelstaatler, immer noch weniger Abweisungen.

Folge: Das Asylrecht samt Genfer Flüchtlingskonvention und „Schengen“ ist de facto außer Kraft gesetzt. Der „Schutz“- und „Asyl“-Anspruch brachte zuletzt (2023) binnen eines Jahres 329.000 „neu Hinzugekommene“ (Diktion Merkel) ins Land. Das ist die Größenordnung deutscher Großstädte wie Bielefeld oder Bonn. Recht exakt die Hälfte davon kommen aus Syrien (102.930) und aus Afghanistan (51.275). Dass 61.181 Anträge von Türken stammen, bedürfte einer eigenen Betrachtung. Insgesamt gab es 2023 übrigens 16.430 Rückführungen. Bezogen auf die Zahl der Schutzsuchenden: 4,99 Prozent.

Und was tut die „hohe“ Politik? Man trifft sich, sondiert, prüft, verhandelt, berichtet, begutachtet, gibt zu Protokoll, modelliert, kündigt an, vereinbart. Und es geschieht: NICHTS! Nun gab es am 20. Juni ein Spitzentreffen des Kanzlers mit den 16 Länderchefs. Kanzler Scholz wusste am Ende zu sagen: „Es ist fest vereinbart, dass wir den Prozess fortführen und in diesen Fragen auch weiter berichten werden.“ Gleichzeitig dämpfte Scholz mögliche Erwartungen. Die gängigen Medien tun kund: Die Bundesregierung wolle die Prüfung von Asylverfahren in Ländern außerhalb der Europäischen Union fortsetzen und dazu bis Dezember konkrete Ergebnisse vorlegen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) habe zu den rechtlichen und praktischen Voraussetzungen für Asylprüfungen Experten befragt. Zur Frage, welche Möglichkeiten es gebe, sagte Scholz: „Ich glaube, das ist zu früh.“

Immerhin adelte sich Scholz diesmal nicht selbst zum Protagonisten eines „historischen Moments“ wie im November 2023. Scholz hatte damals nach einem vergleichbaren Treffen mit den Länderchefs von einem „sehr historischen Moment“ gesprochen. Selbst der oft so regierungstreue „Spiegel“ hatte diese Aussage damals betitelt mit: „Ein historisches Versagen“.

TE hatte auch am 8. Juni Recht, als wir schrieben: „Nach dem offenbar islamistisch motivierten Mord an einem Mannheimer Polizisten vom 31. Mai hatte Scholz am 6. Juni (drei Tage vor der „Europa“-Wahl) im Bundestag mit Blick auf Schwerstkriminelle aus Afghanistan und Syrien kundgetan: „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen.“ Aber dann folgte der wohl entscheidende Scholz-Satz: Das Bundesinnenministerium arbeite daran, das zu ermöglichen. Womit bei der bekannten Arbeitsverweigerung der Bundesinnenministerin Faeser in dieser Angelegenheit klar ist: Die Scholz-Sprüche sind jetzt schon einer Beerdigung dritter Klasse zugeführt. Faeser wird diese Beerdigung zusammen mit Außenministerin Baerbock (Grüne) schon hinkriegen.“ Apropos Baerbock: Ihr Außenamt hat allein von Januar bis Mai 2024 insgesamt 53.767 Visa für Familiennachzug ausstellen lassen.

Minimalst-Konsense

Nun also am 20. Juni als Minimalst-Konsens: Die 16 Länder fordern die Bundesregierung dazu auf, „konkrete Modelle“ für Asylverfahren in Drittstaaten oder Transitländern vorzulegen. Die SPD-Seite zeigte sich trotzdem skeptisch, dass man mit einer solchen Regelung die irreguläre Einwanderung deutlich bremsen könne. „Dass das eine Lösung unserer strukturellen Probleme sein wird, das glaube ich nicht“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Also schon wieder Kapitulation vor der eigenen Kapitulation!

Immerhin blieb die Forderung der 16 Länder, „konkrete Modelle” für Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln, im Papier der MPK stehen. Auch benennt der Bund erstmals konkret, mit welchen Ländern Migrationsabkommen geschlossen wurden und noch geschlossen werden sollen: Indien, Georgien, Moldau, Kirgisistan, Usbekistan, Kenia, Philippinen, Marokko, Kolumbien, Ghana. Syrien, die Türkei und Afghanistan kommen hier natürlich nicht vor. Die Botschaft des Kanzlers lautet trotzdem: Wir sind dran. Er meint wohl den Sachstandsbericht des Innenministeriums vom 20. Juni zu Asylverfahren in Drittstaaten.

Ansonsten Uneinigkeit, wohin man schaut

Bayern und Sachsen – beide unionsgeführt – legten darüber hinaus einen Fünf-Punkte-Plan vor, der unter anderem die Forderung nach einem „Sofort-Arrest“ für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder enthält, die nicht abgeschoben werden können. Die Union dringt auf eine Regelung, nach der Migranten entweder schon auf ihrem Weg nach Europa in Transitstaaten Asylverfahren durchlaufen oder nach Ankunft in Deutschland in Drittstaaten außerhalb der EU geschickt werden.

Thüringen und Bremen zeigten sich in einer Protokollerklärung aber unzufrieden mit den neuen Absprachen. Darin stellen sie infrage, ob eine Verlagerung von Asylverfahren die Anforderungen an Rechtsstaatlichkeit und Humanität erfülle.

Auffallend nichts sagend (und nichtssagend) verhalten sich die „Grünen“. Aber man darf davon ausgehen, dass sie Sand und Sperre im Getriebe bleiben. Immerhin sind sie ja nicht nur Teil der „Ampel“, sondern sie regieren in zehn, also mehr als der Hälfte der 16 Bundesländer mit: in Baden-Württemberg, Brandenberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, NRW, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen. Und die grenzenlose Willkommenskultur gehört ja zu sakrosankten DNA der Grünen. Nach dem Wahldesaster der „Grünen“ vom 9. Juni mit einem Absturz von 20.5 auf 11.9 Prozent mag man sich da ja etwas zurückhalten. Aber eine Änderung der Positionen gibt es nicht.

Die FDP will Asylverfahren nach dem sogenannten Ruanda-Modell nicht aufgeben. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr widerspricht damit den Zweifeln des Innenministeriums. „Rechtlich ist es ganz offensichtlich möglich, Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen“, sagte Dürr. Aber daraus folge nicht, dass das britische Modell komplett kopiert werden müsse. Dürr weiter: „Ich erwarte, dass in dieser Frage endlich gehandelt wird.“

Nun ja: Die nächste Quittung für ihr Nichtstun werden die Regierenden und die sie tragenden Alt-Parteien im September 2024 bekommen, wenn in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt wird. Dann werden Neu-Parteien triumphieren, die eine drastische Begrenzung der Zuwanderung fordern: die AfD und das BSW.

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