Hier das fünfte Antwortpaket. --- Zur lockeren Volksbefragung laden wir weiter herzlich ein - bitte auch Fotos von "typisch deutsch".
Fortsetzung – Seite 5
52, männlich, aus Braunschweig
Ich unterscheide hier zwei Bereiche, zum einen den ererbten Bereich, die historischen Wurzeln: Deutschsein ist für mich: die gleiche Herkunft, die gleiche Sprache, die gleichen Traditionen. Zusammen aufgewachsen sein, zusammen etwas erreicht haben, deutsche Vorfahren haben, zumindestens die Großeltern sollten unseren kulturellen Hintergrund teilen. Ich weiß, dass wenn ich z.B. von Peter Alexander oder vom Lied: „Alle Vögel sind schon da“ spreche oder typisch deutsche Sprichwörter verwende, verstanden werde, da mein Gegenüber die gleichen Informationen damit verbindet. Unsere Geschichte ist die Deutsche Geschichte, egal wie man sie interpretiert.
Daneben gibt es für mich als zweiten Bereich einen gesellschaftlichen Konsens, der nicht aufgebrochen werden darf, hier sehe ich die abendländischen Werte der Aufklärung und Philosophie, auch dieses ist für mich unabdingbar mit einem funktionierenden Gesellschaftsmodell verbunden. Unsere Auffassungen vom Zusammenleben sind in allgemeinen Grundsätzen als gleich anerkannt. Ich akzeptiere andere Meinungen und bin für die Gleichheit von Mann und Frau mit gleichen Rechten und Pflichten. Ich bin für den Wettbewerb im politischen System (leider z.Zt. nicht vorhanden). Ich lasse mich, und das ist sehr wichtig, auch überzeugen, das ich auch einmal mit meiner Vorstellung daneben liegen kann. Religiöse Ansichten und Auffassungen sind Privatsache, auch wenn ich gläubiger Christ bin, und haben nichts, aber auch gar nichts im Kontext des politischen wie gesellschaftlichen Handels zu suchen. Soll heißen, die Kirchen haben keine politische Gestaltungsmöglichkeit.
Gleichwohl werden anerkannte christliche Feiertage und Traditionen auch öffentlich begangen und gelebt Die Wissenschaft und Forschung geht einher mit der vor Jahrhunderten mit Luther einsetzenden Aufklärung, dieses sind Grundpfeiler unseres Wohlstands und unserer Lebensqualität, diese Bereiche müssen ohne Wenn und Aber als Grunddisziplinen hoch gehalten werden. Unsere Gemeinschaft verbinden viele gemeinsame Interessen und wir haben annähernd gleiche Ziele für unser Lebensglück. Besonders wichtig ist auch ein Zugehörigkeitsgefühl zu meiner deutschen Nation.
Der erste Teil meines Deutschseins ist der überkommene, dieses kann kein Außenstehender schnell erreichen. Der zweite Teil ist eine Vorgabe, die ich von Menschen erwarte, die sich hier niederlassen und integrieren wollen. Integration beginnt mit der Akzeptanz der vorhandenen Wertegemeinschaft und kann immer nur von den „Neuen“ kommen. Natürlich gehört hier auch der Erwerb der nationalen, also deutschen Sprache dazu.
49, männlich, von Bonn nach Los Angeles
Regeln folgen und „korrekt sein“. Glauben, man kann die zu sehr Andersdenkenden einfach verbieten, ob sie nun zu links (KPD), zu rechts (Nazis) oder zu andersgläubig (Scientologen) etc. sind.
Denken, man ist aufgeschlossen und weltoffen, aber nicht merken wie sehr man eigentlich alles durch die deutsche Brille betrachtet – besserwisserisch.
Aber auch vertrauenswürdig. Treu. Pünktlich. Man kann sich auf die Deutschen verlassen.
54, männlich, aus Frankfurt am Main
Deutschsein ist, sich überhaupt den Kopf darüber zu zerbrechen, was deutsch an sich sein soll. In dieser Form gibt es das nirgendwo, nicht einmal in national prekären Staaten wie Belgien oder Spanien. Unsere lange nichtnationale Geschichte – bis 1871 und in gewisser Weise ab 1949 – hat eine merkwürdige Divergenz zwischen einer angenommenen deutschen „Kulturnation“ und der Staatlichkeit, die unter dem Begriff „Deutschland“ verfasst ist, entstehen lassen.
Wenn also ein zugewanderter Araber, Türke oder Singhalese heute ein „Deutscher“ sein kann – was bin ich dann? Deutsch-Deutscher? Denn das habe ich gelernt: bereits das Beharren darauf, dass „Deutsch“-Sein auch etwas Ethnisches kennzeichnen muss, um es einzugrenzen, zu beschreiben, gilt ja bereits als rassistisch. Oder rechts.
Insoweit ist für mich die Verweigerung, deutsch zu sein, sein zu wollen, sehr deutsch. Entstanden ist sie freilich nicht im EU/Migrations-/Wir haben aus der Geschichte-gelernt-Wahn der Zeit nach 1968, sondern sehr lange zuvor. Eine tiefe Ursache mag in der großen Enttäuschung von 1848 liegen – wo man bei einer Ursachenforschung nach den Hintergründen der Katastrophen von 1914 und 1933 sicher beginnen sollte.
Zum Schluss noch dies: ich bin öfter im Ausland. Dass ich in Deutschland bin, erkenne ich stets und zuverlässig daran, dass erstens niemand deutsch und zweitens jeder auf der Straße eine andere Sprache spricht. Wäre das in Italien, England, Frankreich, Polen, ja sogar in den USA denkbar? In meiner Heimatstadt ist es determinierender Alltag geworden. Fremd fühle ich mich nicht in New York – sondern in Frankfurt oder Köln.“
57, männlich, NRW
Ich differenziere „integrationsvorbildliche“ …
- leistungsfähig, produktiv, innovativ, qualitätsbewusst, loyal, abwägend, präzise, vielseitig, belastbar, hilfsbereit, freiheitsliebend, häuslich, naturschätzend, gleichberechtigungsaffin, pazifistisch, kulturaffin i.w.S. (von Literatur über Musik und Kunst bis Sport“schau“)
… und „integrationsschädliche“, wohl besser nicht nachahmenswerte Eigenschaften:
- bequem, gutgläubig, zinsgeil, neidisch, dominant, selbstherrlich, bürokratisch, staatsgläubig, verantwortungsscheu, launisch, spießig, missstandstolerant.
56, männlich, Niedersachsen
Deutsch sein: Einem Volk zu entstammen, das seine Ursprünge zwischen Nordsee und Alpen und zwischen Elsaß und Memelland hat.
„Deutsch“ kann man nicht werden, sondern deutsch ist man durch Geburt; dagegen kann man sich nicht wehren, aber man kann auch nicht stolz darauf sein. Man ist es einfach, oder eben nicht.
Deutsch sein bedeutet auch ganz besondere Vielfalt: (Ost)friesen, Pommern, Ostpreußen, Schlesier, Sachsen, Hessen, Thüringer, Bayern, Franken, Westfalen, Schwaben u.a. haben ihre eigenen Dialekte, haben eigene Rezepte, haben ihre eigene Geschichte und Traditionen. Aber alle haben ein gemeinsames Fundament in der oben umschrieben Herkunftsgegend.
Die deutsche Sprache ist für mich dabei nicht ausschlaggebend. Es gibt Millionen Menschen, die deutscher Herkunft sind, aber seit vielen Generationen in anderen Ländern leben. Dies wird überdeutlich an den sogenannten Rußlanddeutschen, Siebenbürgern oder auch an US-Amerikanern, die deutscher Herkunft sind.
54, weiblich, Norddeutschland: Neid auf Amerikaner
Innerhalb der Subkultur, in der ich meine Abiturienten- und Studentenjahre verbracht habe, galt ein gewisser Deutschlandhass als gesetzt. Und wenn man Deutschland schon nicht hasste, so musste man es doch zumindest verachten. Das typische Bild war der weiße Tennissocken tragende, kurzbehoste Landsmann in Sandalen, der sich im Ausland rüpelhaft benimmt und der einem als kultiviertem Europäer doch so unendlich peinlich ist. Es kursierte der Spruch „Liebe Ausländer, lasst uns bitte nicht mit den Deutschen allein“.
Irgendwann einmal habe ich gelernt, genauer hinzusehen. Mir wurde klar, dass meine Wahrnehmung dieses Landes wenig mit der Realität, sondern viel mehr mit meinen Vorurteilen, Abgrenzungsbemühungen und meiner Arroganz zu tun hatte. Damals habe ich verstanden, dass wir alle fehlbar sind und dass man nur das verantworten muss, was man auch beeinflussen kann. Ich habe nicht mehr nach Schuld gefragt, sondern versucht, mich in die Lage meiner Eltern und Großeltern zu versetzen. Wie hätte ich mich damals verhalten – nicht in meinen Heldenträumen, sondern ganz realistisch. Da habe ich meinen Deutschlandhass recht schnell abgelegt.
Was aber bleibt vom Deutschsein heute, wenn man es nicht ex negativo („nie wieder….“) beschreiben will? Wenig, was ich klar benennen kann. Alle europäischen Kulturen sind seit dem 2. Weltkrieg so stark von der anglo-amerikanischen überformt, dass sich die Unterschiede im Vergleich zur Vorkriegszeit kaum noch erkennen lassen. So wie der Dax dem Dow folgt, so manifestiert sich jeder größere amerikanische Trend spätestens nach zwei Jahren in Europa.
Das ist möglicherweise keiner Aufregung wert. Wenn ich mir die verzwergte deutsche Kulturlandschaft ansehe, identifiziere ich mich doch lieber mit einem abstrakten Europäertum. So ist aus Verachtung eine diffuse Distanz geworden. Und der Neid auf die Amerikaner, die letztlich so viel mehr von Freiheit verstehen.
60, männlich, „noch-Deutsch“
Es ist nicht einfach zu beschreiben, was typisch deutsch ist und wie wir ticken, denn offenbar denken viele ganz anders als ich, das nennt man wohl Toleranz.
Deutschland funktioniert nach festen Regeln, so ist auch unser Gesetz (Grund-, Straf-, und …) aufgebaut, aber diese Regeln gelten möglichst nur für die Anderen. Das erleben wir tagtäglich im Straßenverkehr, da herrscht heute Anarchie. Früher wurde an roten Ampeln noch angehalten, bei Überholverbot nicht überholt und bei Tempo 30 ungefähr Tempo 30 gefahren.
Wir glauben manchmal, dass diese Regeln der ersten Gastarbeiterwelle zum Opfer gefallen sind, stimmt aber nicht. Denn die ersten Italiener, die 1955 zu uns nach Deutschland gekommen sind, die kamen mit dem Zug, weil sie kein Auto hatten. Dann müssen es wohl die Türken gewesen sein, die den Istanbuler-Fahrstil hier eingeführt haben und der von den Deutschen gerne übernommen wurde, oder waren es etwa die Franzosen?
In Deutschland ist alles geregelt und was nicht explizit erlaubt ist, das ist verboten. Kinder-Fußball am Garagentor zur Mittagszeit ist fast so strafbar wie Majestätsbeleidigung. Steuerhinterziehung wird fast härter bestraft als Mord – weil das geht ja gar nicht – das ist ein Verbrechen an der Gemeinschaft. Selbst der Fußball findet nach festen Regeln statt, auch wenn wir mit dem Schiedsrichter hadern, weil er immer die gegnerische Mannschaft bevorteilt und das jeden Samstag wieder aufs Neue.
Deutsch sein gibt es eigentlich nicht, denn Deutsch sein gilt genau so für Österreich, Schweiz, Niederlande und Skandinavien. Es ist geprägt von Duldsamkeit und Integration in die Gemeinschaft oder den Stammtisch. Deutsch sein ist aber in Bayern ganz anders als in Hamburg, wie auch die Sprachen ganz unterschiedlich sind. Aber auch die deutsche Sprache lebt von ihren Regeln und ihren Ausnahmen (eine Semmel aber zwei Semmeln).
Deutschland als Sprachregion hat viele Sprachen, Schwizerdütsch, Alemannisch, Hessisch, Rheinisch, Sächsisch, Plattdeutsch…, nein das Berlinerische ist keine Sprache, berlinerisch ist eine Zumutung, eine Aneinanderreihung von grammatikalischen Fehlern und Unverschämtheiten, so wie der Berliner an für sich keine Volksgruppe ist, es ist eine Ansammlung von Menschen, die anderswo niemand haben wollte und außerdem sind sie frech. Berlin hat es bis heute nicht geschafft, sich von der Käseglocke zu befreien, unter der ein Sonderklima herrscht und die die Politiker vor der rauhen Wirklichkeit schützt.
Toleranz, Zurückhaltung, Disziplin und arbeitsam, leise, fleißig und bemüht die Regeln der Gesellschaft zu befolgen, spießig aber traditionsbewusst, rechthaberisch, besserwisserisch und neidisch, typisch deutsche Attribute, die wollen wir aber den zukünftigen Neudeutschen hoffentlich nicht anerziehen. Wir als Deutsche wünschen uns von den neuen Bürgern, dass sie all die Fehler nicht begehen, die wir täglich bei den Anderen feststellen, denn jeder Deutsche ist unfehlbar.
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Über das Deutsch-sein lässt sich endlos theoretisieren. Doch theoretisch wollen wir es von Ihnen gar nicht wissen. Sondern was macht für Sie ganz praktisch Deutsch-sein aus? Wohin sollen sich denn Migranten integrieren? Ist es nur die Sprache und die Gesetze der Mülltrennung? Was sind deutsche Werte, was macht die Leitkultur dieses Landes aus? Die Forderung nach Integration ist schnell hingesagt, und schwer realisiert. Was ist Ihr Deutschlandbild?
Dazu bitten wir um Ihren Beitrag, um Ihr Hier und Jetzt mitten in Deutschland, warum nicht auch um die Erzählung Ihrer Großmutter, um Fotos, die für Sie typisch Deutsches darstellen. Was immer Ihnen dazu in den Sinn kommt. Das ist kein Aufsatz-Wettbewerb, sondern die Bitte um Spontanes, so ernst und so witzig, wie Sie wollen. Zu dieser Lockerungsübung von Volksbefragung im oft viel zu tierisch ernsten öffentlichen Schlagabtausch laden wir Sie herzlich ein.
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