Hier das zweite Antwortpaket. --- Zur lockeren Volksbefragung laden wir weiter herzlich ein.
Fortsetzung „Antworten 2: Deutsch sein, was ist das für Sie ganz persönlich?“
46, männlich, Bochum: Weihnachtslieder
Ich erkenne und entdecke mein „Deutsch-Sein“ regelmäßig zu Weihnachten neu. Im Gegensatz zum „Engländer“, der die Feststage vorzugsweise als Tauglichkeitsnachweis für die Teilnahme beim „Blauen Kreuz“ versteht; und im Gegensatz zum „Amerikaner“, der seine Wohn- und Schlafstatt vor dem „heiligen Abend“ am liebsten in ein Kitschigkeits-Gomorrah ostasiatischer Provenienz verwandelt, entspricht es weiterhin meiner Identität, die Tage zwischen dem 24. und 27. Dezember unter der Beschallung melancholisch-suizidaler Weihnachtslieder zu verleben, welche aus den Kehlen Tölzer oder Regenburger Knabenchöre an meine auf multikulturellen Wintermärkten durch „Last Christmas“ geschundenen Ohren dringen.
60, weiblich, Vaihingen an der Enz: Tugenden
Deutsch sein heute erfordert ein Bewusstsein über die deutsche Geschichte, das ist klar.
Deren ständige Reflektion ist erforderlich.In meinem Deutsch-Sein vereinigen sich Eigenschaften wie die – zu meiner Verwunderung – viel belächelten oder sogar beschimpften Stereotype: Fleiß, Sparsamkeit, Sauberkeit, Geradlinigkeit, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit.
Ich liebe das Gefühl, dass ich mich darauf verlassen kann, dass gemeinhin die Deutschen diese Eigenschaften in unser Zusammenleben einbringen. Demgegenüber ruft es eine Gereiztheit in mir hervor, wenn der harmonische und sichtbar zum Erfolg führende „Fluss“ dieser Eigenschaften durch gegenteilige Eigenschaften gestört wird. Ich liebe Freundlichkeit und begegne den Menschen auf der Straße gerne mit einem Lächeln und freue mich sehr, wenn es erwidert wird.
Weitere typisch deutsche Eigenschaften sind solche, die keineswegs neue Errungenschaften in Deutschland sind, sondern schon in früheren Generationen vorhanden waren, auch wenn es „gewisse Herrscher“ unterbanden:
Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Völkern, Liebe zu ihren Sprachen und dadurch auch zur deutschen Sprache, Stolz auf unser reiches Kultur- und Geistesleben und damit auch auf einige meiner Vorfahren, die Geistesgrößen, wie z.B. Astronom Johannes Kepler, hervorgebracht haben.
Schwäbische Eigenschaften oder deutsche? Renitenz gegenüber der Obrigkeit in Staat und Kirche (!) mit latenter Bereitschaft zur Rebellion, Furchtlosigkeit und Treue, und auch das Motto „leben und leben lassen“ und bloß nicht „verknöchern“.
Worüber ich mir nicht klar bin: sind manche dieser Eigenschaften Widersprüche? Ich empfinde jedenfalls keinen.
50, männlich, Rheinland: offen und engagiert
Ernsthaftigkeit, Arbeitsfreude, Weltoffenheit, Geduld, Tradition, Bildung, Engagement.
72, männlich, Berlin: Kultur und Disziplin
Die Fähigkeit sich mit der deutschen Sprache weitestgehend fehlerfrei auszudrücken und das in schriftlicher und mündlicher Form. Die Einführung von Anglizismen sollte auf das Notwendigste beschränkt bleiben. Als weiteres Merkmal ist die Akzeptanz der deutschen Geschichte mit ihren positiven und negativen Seiten, ohne ständige Schuldgefühle bezüglich der negativen Seiten zu benennen. Die Anerkennug des Gewaltmonopols des Staates, also keine Paralelljustiz und kein Aufbau von Paralellgesellschaften.
Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Bereichen. Traditionen sollten gewahrt bleiben und deren Erhaltung gefördert werden, verbunden mit einer gesunden Vaterlandsliebe. Die gemeinhin als deutsch bezeichneten Werte wie Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit sind ein nicht unwesentliches Merkmal, was sich auch im anerkannt guten Ruf deutscher Produkte widerspiegelt.
Familie als Grundbaustein der Gesellschaft. Religonsfreiheit bei konsequenter Trennung von Staat und Kirche, das schließt die Akzeptanz des Atheismus mit ein.
46 Jahre, weiblich, Sachsen
Deutschland ist für mich eine Herzensangelegenheit. In DDR-Zeiten großgeworden, bin ich von meinen Eltern und Großeltern von einer tiefen Sehnsucht nach einem vereinten Deutschland geprägt worden und meine Familie konnte ihr Glück kaum fassen, als das mit der Wiedervereinigung 1990 Wirklichkeit wurde. Ich liebe mein Deutschland…mit all seinen Vorzügen und Macken…und bin dankbar, hier leben zu dürfen. Für mich gehört(e bisher) zu Deutschland:
*Unsere Nationalhymne *Religions-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit *Trennung von Staat und Kirche *Gutes Bildungssystem und grundlegend gleiche Bildungschancen *Gleichberechtigung und Toleranz (z. B. bei Homosexualität) *Rechtsstaatlichkeit und Demokratie *Weihnachtsfeiern und Weihnachtsmärkte *Herrnhuter Sterne und Pyramiden *Weißwürste *Biergärten und Straßencafés *Goethe, Schiller, Bach, Mendelsohn *Faust im Deutsch-Unterricht *ein Vorgarten vor dem Haus *unterschiedliche Dialekte und Volksgruppen *Gartenvereine und Gartenzwerge *reichhaltiges Kulturangebot *Spendenbereitschaft und Interesse am Weltgeschehen *Solidargemeinschaft *Exzellente Gesundheitsversorgung *Buchmessen *Gesellschaftstanz *Neugier auf andere Kulturen und Sprachen *Fußball *Flohmärkte *Wunderschöne Landschaften und liebenswerte weltoffene Städte *Achtung von Privateigentum *Reisefreudigkeit und Reisefreiheit *Umweltschutz *Mülltrennung *Fasching *Vereinswesen und Geselligkeit *Berge und Meer *Ordnung und Sauberkeit *Pünktlichkeit *Beamtentum *Normen und (manchmal unsinnige) Vorschriften *Sparsamkeit *Zurückhaltung *Skepsis vor Veränderungen *Ehrlichkeit *Spießertum *Verlässlichkeit und Korrektheit
Ich finde, da ist doch so einiges dabei, was erhaltenswert ist…
64, männlich, vom Rheinland ins Nördlinger Ries
Mein Deutschsein klar und angedeutet: einmal im Leben mit allen deutschen Museln zusammen Papst gewesen zu sein; viermal schon Weltmeister (Gott Götze!); einen im Klima absaufenden Holländer zu retten. Teilhabe an einer ungemein fein sogar noch das Unsagbare mal verschattenden, mal pointierenden Sprache und Literatur. Immanuel Kant. Wie der alte Duck jeden Tag im Gold Bach’scher Musik ein Bad nehmen zu können.
Schon auf Erden das Paradies zu schauen (und ständig an ihm zu schrauben). Und alles dies wäre doch nichts ohne meine aus Schlesisch-Pommerschem Urgrund geblühte Rheinländerin, nicht Angela (Engelin), sondern Dorothea (Gottesgeschenk) mit Namen.
29, männlich, Westfalen: Deutschsein ist schwarzweiß
Deutschsein verbinde ich mit Idealismus. Dinge, wie etwa der Atomausstieg, die weitestgehend klaglose Aufnahme einer siebenstelligen Zahl von Zuwanderern in nur einem Jahr, die Europabesoffenheit, die wir als einzige so auch meinen, auch das Streben nach Idealgesellschaften, wie etwa im Sozialismus, und sei es der nationale, der ökologisch-puritanische Grünfried, der die Welt retten muss… alles sehr Deutsch. Und auch die Gegenteile von alledem, wieder sehr Deutsch. Aus dieser ernsten Form des Idealistischem, fast Endzeitlichem, und der Prinzipienreiterei die keine Grautöne kennt, dann auch immer das Extreme, und sei es die extreme Abwesenheit davon. Deutschsein ist digital, an und aus, schwarz und weiß, ja und nein.
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