Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit im Deutschrap

Obgleich es beim Deutschrap womöglich um die wirkmächtigste Verbreitung von Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit unter Jungen mit und ohne Migrationshintergrund handelt, hat es das Problem bis jetzt nicht in den Fokus der Politik geschafft.

© Sascha Steinbach/Getty Images
'Kollegah' alias Felix Blume

Es sind Zeilen, die sprachlos machen, die der Rapper Haftbefehl in seinem Song „Mama reich mir deine Hand“ (2010) von sich gibt. Zeilen, die jeder anderen öffentlichen Person in Deutschland augenblicklich und vollkommen zurecht zum Verhängnis werden, die sie alle Jobs und jeglichen Erfolg kosten würden:

„Du nennst mich Terrorist, ich nenn’ dich Hurensohn. Ich geb’ George Bush n’ Kopfschuss und verfluche das Judentum.“
(Haftbefehl – Mama reich mir deine Hand)

Aber im deutschen Rap gelten nicht nur aufgrund der künstlerischen Freiheit andere Gesetze. Da kostet das allenfalls ein bisschen schlechte Presse aus dem deutschen Feuilleton. Geschrieben von einer intellektuellen Journalisten-Riege, mit der man als Fan von Haftbefehl und anderen Rappern, die in dieselbe Kerbe schlagen, vermutlich ungefähr so viel Berührungspunkte hat, wie Sarah und Pietro Lombardi mit den englischen Windsors. Kreise, in denen Kritik von Außen, ähnlich wie bei der Fraktion der Verschwörungstheoretiker, ohnehin nur der eigenen Selbstbestätigung dient. In denen ein „Parental Advisory. Explicit Lyrics“ auf der CD-Hülle schon immer wie ein Turboboost für die Verkaufszahlen wirkte und die Indexierung eines Songs das Zeug zum Gütesiegel hat.

In solchen Kreisen kann man mit diesen und anderen Zeilen sehr wohl erfolgreich sein und wie Aykut Anhan, wie Rapper Haftbefehl mit bürgerlichem Namen heißt, bei Urban/Universal Music unter Vertrag stehen. Für das Major-Label mit dem weltweit größten Marktanteil macht das durchaus Sinn, geht es doch für einen Konzern vor allem um den Profit und nicht um Politik. Fünf Wochen stand Haftbefehls zuletzt erschienenes Album Der Holland Job (2016) an der Spitze der deutschen Albumcharts. Ebenso in Österreich und der Schweiz. Antisemitismus und Verschwörungstheorien? Neben der typischen Frauenfeindlichkeit, die man sich nicht zuletzt aus dem amerikanischen Rap abgeschaut hat, mittlerweile ein Markenkern des deutschen Raps, der gemessen am Erfolg durchaus als salonfähig bezeichnet werden kann. Zumal es ein anderer Song des gleichen Rappers mit dem Namen Psst!, in dem es u.a. um den Verkauf von Kokain an jüdische Banker geht („Ticke Kokain an die Juden von der Börse“) 2014 in den Frankfurter Tatort schaffte und damit wohl endgültig den deutschen Feuilleton und klassischen Tatort-Gucker mit dem deutschen Gangstarap und seinen Ideen von der jüdischen Weltverschwörung aussöhnte.

Antisemitismus im Tatort

„Das Bild von Juden als heimliche, Geld jonglierende Strippenzieher hinter den Kulissen“ ist, wie auch der SPIEGEL jüngst konstatiert, weit verbreitet im deutschen Rap. Die immer wieder in den Rhymes erfolgenden Einflechtungen von Verschwörungstheorien nicht nur ein Markenzeichen von Rappern wie Haftbefehl. So rappt auch Felix Antoine Blume, besser bekannt als Kollegah, in seinem Song Cold Blooded gerne einmal: „Ich rapp’ um Macht zu erlangen, um irgendwann die Verbrecher zu ficken bei Bilderbergertreffen.“ Die vermeintliche Elite, die hinter den Kulissen die Strippen zieht, auch bei Deutschlands derzeit wohl kommerziell erfolgreichstem Rapper, der im Zuge des Kontakts zu seinem algerischen Stiefvater im Alter von 15 Jahren zum Islam konvertierte, immer wieder Thema. Punchlines über Bitches, Geld, dicke Autos und was man selbst doch für ein toller Typ ist, reichen da längst nicht mehr aus, auch, wenn sie immer noch integraler Bestandteil sind.

Klar, Rap war immer politisch, immer gesellschaftskritisch. Entstanden aus der afroamerikanischen Kultur und vermutlich von den westafrikanischen Griots beeinflusst, groß geworden Ende der 1970er und -80er Jahre durch Interpreten wie Grandmaster Flash und Run-DMC und kommerziell endgültig in den Musik-Olymp durch Rapper wie 2Pac, Dr. Dre, Snoop Doog und The Notorious B.I.G. in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgestiegen, war der Rap in den USA stets Ausdruck einer sich selbst als unterdrückt wahrnehmenden schwarzen Bevölkerung. Eine musikalische, wütende Kritik an den bestehenden Herrschaftsverhältnissen.

Waren die ersten Rapversuche hierzulande von Gruppen wie etwa den Fantastischen Vier hingegen eher auf Spaß angelegt, übernahm der hier erst in den 2000ern sich durchsetzende deutsche Gangstarap, der vor allem durch das Berliner Underground-Label Aggro Berlin vorangetrieben wurde, die Politisierung des Raps ebenso wie die auch im amerikanischen Rap weit verbreitete Herabwürdigung der Frau. Was auf die politische Agenda der Rapper rückt, ist hier wie auch den USA abhängig von der eigenen gesellschaftlichen Wahrnehmung, der Zugehörigkeit zu einer tatsächlich oder auch nur vermeintlich unterdrückten Minderheit und selbstverständlich nicht selten auch und vor allem vom eigenen soziokönomischen Status. Und so ist es nur logisch, dass zumindest die Sparte des Gangstarap hierzulande schon bald fest im Griff derer war, die über einen Migrationshintergrund verfügen und/oder sich wirtschaftlich und sozial abgehängt fühlen und dass die sozialen Brennpunkte zu Hochburgen dieser Musikrichtung wurden.

Sido, der damals noch mit silberner Totenkopfmaske über seinen “Block“ im trostlosen Berlin-Marzahn rappte, war zusammen mit Halbtunesier Anis Ferchichi, besser bekannt als Bushido, einer der Ersten von ihnen, der es ganz an die Spitze der deutschen Charts schaffte. Und während Paul Würdig, wie Sido eigentlich heißt, irgendwann groß geworden ist und dank kommerziellem Erfolg dem Marzahner Ghetto entfliehen konnte, heutzutage zusammen mit Künstlern wie Mark Forster sogar radiotaugliche Musik produziert, gerät Integrations-Bambi-Preisträger Bushido bis heute durch seine zweifelhaften Verbindungen zum palästinensisch-stämmigen Abou-Chaker-Clan in die Schlagzeilen, was einer Verfilmung seines Lebens durch Bernd Eichinger, in der vor allem Bushidos innige Freundschaft zu Clan-Mitglied Arafat Abou-Chaker eine rührselige Darstellung tiefer Männerfreundschaft findet, dennoch keinen Abbruch tat.

Apropos Palästina. Da sind wir wieder – beim Hass auf Juden. Nicht nur auf die jüdischen Banker, die vermeintliche Finanzelite, die angeblich die Fäden der Weltpolitik in den Händen hält, sondern auch längst bei jenen israelischen Juden, die das palästinensische Volk vermeintlich unterdrücken und verdrängen.

Antisemitismus und Antiamerikanismus radiotauglich

Wie gesagt, die politische Agenda des Raps wird bestimmt durch den eigenen gesellschaftlichen Hintergrund. Im Falle der deutschen Rapper mischt hier neben dem eigenen sozioökonomischen Status vor allem auch der eigene kulturelle Hintergrund gehörig mit. Was der unterdrückte Schwarze in den USA ist, ist hier der unterdrückte Moslem oder pauschal der Ausländer, der in musikalischer Hinsicht das zum Ausdruck bringt, was die Mehrheit von ihnen denkt. Es sind Zeilen über „Rassismus“, über Ausgrenzung aufgrund der eigenen Herkunft, des Aussehens und der damit verbundenen wahrgenommenen Chancen- und Perspektivlosigkeit, aber immer öfter auch Wut auf „die da oben“, die Juden, die Deutschen, gepaart mit einer gehörigen Portion Antiamerikanismus und einem neu gewonnenen Selbstbewusstsein. Die Opferhaltung ist in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt. An dessen Stelle rückte der selbstbewusste Kampf des Macho-Underdogs, der Juden verachtet und Frauen, die wie sie viele Sexualpartner haben, als „Bitches“ betrachtet.

Aykut Anhan, der 31 jährige Mann türkisch-zazaisch-kurdischer Abstammung aus Offenbach am Main, den wir weiter oben als Haftbefehl kennen lernten, erklärt sich das so: „Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Es gibt ja auch keine dort.“ Und weiter: „Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch. Er hängt mit anderen 16-jährigen herum. Sie hassen alles. Deutsche sind für sie Kartoffeln.“

Wenn wir in Deutschland also über die Ursachen der latenten Frauenfeindlichkeit, des Antisemitismus, der Verschwörungstheorien im deutschen Rap sprechen, dann reicht es nicht allein aus, auf den sozioökonomischen Status der Helden der Rapszene zu verweisen, obgleich das eine mit dem anderen immer auch zusammenhängt. Es geht vor allem auch um eine Haltung, politische Ansichten, die in türkischen und arabischen Kreisen generell weit verbreitet sind. Diese Ansichten werden genährt. Durch türkische und arabische Communities, in deren Moscheen mitten unter uns solche Weltbilder gepredigt werden. Durch die eigene Familie, in der teilweise von morgens bis abends im Wohnzimmer ausschließlich arabische und türkische Nachrichten-Propaganda läuft und nicht zuletzt durch männliche Role-Models, durch jene, die es wie Haftbefehl, Farid Bang, Bushido und Co. „geschafft haben“. Die Kohle, dicke Autos und „Bitches“ haben und den Antisemitismus und die Frauenfeindlichkeit in coole Punchlines packen, die das ganze salonfähig machen und bis in den Tatort als Ausdruck einer vermeintlich coolen Urban Culture tragen.

Bedenklich ist das nicht zuletzt auch deswegen, weil es durch zunehmenden Migrantenanteil unter deutschen Jugendlichen und dem damit einhergehenden kommerziellen Erfolg längst nicht mehr nur die arabischen und türkischen Jugendlichen sind, die ihren Idolen nacheifern und vollkommen unreflektiert jede Zeile auswendig mitrappen. Kollegahs dahin geschwurbelte Verschwörungstheorien – für nicht wenige seiner auch deutschen Fans Beleg für das vermeintliche politische Know-How des ehemaligen Jura-Studenten. Die islamische Weltsicht auf die Politik? Sie ist auch deshalb unter Jugendlichen hierzulande so verbreitet, weil sie durch den coolen Rap transportiert wird.

Unternommen wird nichts dagegen. Obgleich es sich beim Deutschrap womöglich um die wirkmächtigste Verbreitung von Fakenews unter jungen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund überhaupt handelt, ist das Problem bis jetzt nicht in den Fokus der Politik gerückt. Vermutlich weil man im Regierungsviertel der Hauptstadt trotz geographischer Nähe zu Neukölln ungefähr so viel Ahnung von der musikalischen Subkultur des Gangstarap hat, wie Haftbefehl und Kollegah von Volksmusik. Weil Leute wie Manuela Schwesig und Peter Tauber vermutlich nicht in ihrer Jugend mit türkischen Jungs in vollgekifften Kinderzimmern den Tönen von 2Pac und später Aggro Berlin gelauscht haben. Und vielleicht auch und vor allem, weil Antisemitismus und Rassismus an sich in Deutschland immer noch zumeist als rein rechtsradikales Phänomen verkauft wird. Weil man die islamischen antisemitischen, antiwestlichen und frauenfeindlichen Narrative bis heute nur sehr ungern thematisiert und damit der Veränderung unserer Werte und gesellschaftlichen Ansichten über Politik insbesondere unter den jungen Leuten in diesem Land einen Bärendienst erweist.

Wer sich jedoch in Deutschland daran macht, den Gangstarap kritisch zu hinterfragen, kommt nicht umhin, sich nach den Gründen für Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit innerhalb dieses Genres zu fragen und zu konstatieren, dass neben soziokönomischen Gründen vor allem auch kulturelle Gründe hierfür anzuführen sind. Rap ist immer auch Überzeichnung aber auch in der Übertreibung steckt die Wahrheit und die lautet, dass wer über Probleme im Deutschrap redet, auch über dessen Komponente des islamischen Weltbildes reden muss.

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