Analyse der Berlinwahl: Unsauber ausgezählt

Am Montag verkündete der Landeswahlleiter das endgültige Ergebnis der Berlinwahl. Es zeigt sich vor allem: In Berlin ist auch der zweite Wahlversuch chaotisch.

IMAGO / Funke Foto Services
Ein Wähler wirft seine Briefwahlunterlagen mit den Stimmzetteln in die Wahlurne ein, im Rathaus Zehlendorf, fotografiert am 4. Januar 2023 in Berlin.

Der Landeswahlleiter Berlins veröffentlichte am vergangenen Montag die endgültigen Ergebnisse der Wahlwiederholung der Landeswahlen in Berlin. Tichys Einblick analysierte die vorläufigen Ergebnisse und die endgültigen Ergebnisse auf Wahllokalebene, sowohl für Urnen-Wahllokale als auch für Briefwahllokale.

Im Nachgang der Wahl meldete die Taz, dass in verschiedenen Wahllokalen Berlins mehr als 1000 Stimmen mehr abgegeben wurden, als laut Wählerverzeichnissen Wähler zur Wahl erschienen sind. Diese Zahl kam zustande, weil in einigen Wahllokalen mehr Stimmen abgegeben wurden, als am Wahlabend Wähler an die Bezirke gemeldet wurden.

Der Landeswahlleiter sah das als nicht kritisch an: Derartige Meldefehler seien normal. Die Listen und Stimmen wurden noch einmal überprüft. Tatsächlich wurde im endgültigen Ergebnis die Zahl der Wähler um 2606 nach unten korrigiert. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit: Weil in einigen Wahllokalen mehr Personen wählten, als ursprünglich gemeldet, und in anderen weniger, änderte sich die Zahl der Wähler um 6.666 Personen.

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Berechnet man aber die Differenz der Wähler, die mehr kamen als gemeldet, und derer, die weniger da waren, findet man die vom Wahlleiter gemeldete Zahl. Als Beispiel: In einem Wahllokal in Friedrichshain-Kreuzberg (02W304) wurden ursprünglich 762 Wähler gemeldet. Zählt man aber alle abgegebenen Stimmen, die noch am selben Abend vorläufig gemeldet wurden, zusammen, wurden je 468 Erst- und Zweitstimmen abgegeben. Das endgültige Wahlergebnis korrigierte die Zahl der Wähler, die in dem Lokal wählten, auf 468 herunter. Diese Korrektur scheint schon deswegen plausibel, weil das betreffende Wahllokal damit eine Wahlbeteiligung von 42 Prozent erreicht (von knapp über 1000 Wahlberechtigten), womit es den umliegenden Wahllokalen ähnelt. Die Ergebnisse der einzelnen Parteien wurden durch die Korrektur nicht berührt.

Jedes dritte Wahllokal meldete falsche Wählerzahlen

Nach diesen Korrekturen gibt es keine Wahllokale mehr, die mehr abgegebene Stimmen melden als Wähler. Insgesamt wurde die Zahl der gemeldeten Wähler in 1347 von 3764 Wahllokalen angepasst. Damit war jedes dritte Wahllokal nicht im Stande, am Wahlabend die korrekten Zahlen zu melden – trotz monatelanger Vorlaufzeit und besonderer personeller Ausstattung.

Änderungen bei Erst- und Zweitstimmenergebnissen

Außerdem wurden auch die Stimmergebnisse als Ergebnis von Neuzählungen verändert. Dabei sollten die absoluten Veränderungen und die relativen Änderungen beachtet werden.

Absolute Änderungen: Wird im Wahllokal A der SPD eine weitere Stimme zugeschlagen und im Wahllokal B eine Stimme abgezogen, dann sind das zwei Änderungen.

Relative Änderungen: In obigem Beispiel bleibt das Stimmergebnis der SPD unverändert, da die zugeschlagene Stimme die abezogene Stimme ausgleicht.

Änderungen der Erststimmenergebnisse

Erläuterung: Das endgültige Ergebnis der Berlinwahl veränderte das Erststimmen-Ergebnis der SPD um 229 Stimmen. Zieht man aber Fälle, in denen die SPD Stimmen verlor, von Fällen, in der die SPD Stimmen gewann, ab, erhielt die SPD im endgültigen Ergebnis 115 Erststimmen mehr als im vorläufigen Ergebnis gemeldet.

Änderungen der Zweitstimmenergebnisse

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Zu beachten sind dabei besonders die Änderungen der ungültigen Stimmen. Bei der vorherigen, für ungültig erklärten Wahl waren Stimmen, die ursprünglich als ungültig gezählt wurden, teilweise mit dem Rotstift nachträglich als gültig gewertet worden. Dies geschah auf Anweisung des damaligen Innensenators Andreas Geisel. Diese Stimmen kamen überproportional außerdem den Parteien SPD, Grüne und Linke zugute. Zumindest im Vergleich der gemeldeten Ergebnisse kann eine solche Manipulation dieses Mal nicht beobachtet werden. Bei 1,5 Millionen abgegebenen Stimmen reichen 209 Stimmen mehr oder weniger nicht aus, um mehr als einzelne Wahllokale kippen zu lassen.

Insgesamt wurden in 327 Wahllokalen (8,7 Prozent) die Zweitstimmenergebnisse relativ zum vorläufigen Ergebnis geändert. Im Durchschnitt der Wahllokale mit Änderung betrug diese Änderung 5,7 Stimmen. Das Erststimmenergebnis wurde dagegen nur in 130 Wahllokalen (3,4 Prozent) verändert, die durchschnittliche Änderung war aber 8,2 Stimmen.

Mangelnde Sorgfalt

Bisher sind noch keine Fälle von großflächigen Schummeleien, gar Betrug, bekannt, wie sie bei der letzten Wahl von Tichys Einblick aufgedeckt wurden. Auch von Tichys Einblick befragte Experten sehen in den Zahlen kein Problem: Dass Ergebnisse nach Prüfungen korrigiert werden, ist normal. Fragwürdig ist höchstens die Menge an Korrekturen. Die mehr als 3.700 Wahllokale mussten im Durchschnitt 406 Stimmen auszählen – und trotzdem schaffte dies eine beträchtliche Menge der Wahllokale nicht korrekt.

Keine großen Probleme am Wahltag

Am Wahltag hatten Redakteure von Tichys Einblick Wahllokale im ganzen Stadtgebiet besucht. Es wurden keine groben Probleme wie übermäßige Schlangenbildungen oder Wahlzettelmangel beobachtet. In sozialen Medien und Berichten des Wahlleiters wurde von vereinzelten Problemen berichtet. So konnte in einem Wahllokal ein Schlüssel für eine Urne nicht gefunden werden, die Wahl begann verspätet. Insgesamt verlief die Wahl aber ereignislos.

Wiederholung der Bundestagswahl steht noch aus

Die Wiederholung der Bundestagswahl steht noch aus. Wann diese stattfindet, ist noch nicht bekannt. Nach bisherigem Stand soll die Wahl aber nicht im gesamten Stadtgebiet, sondern nur in 407 Wahllokalen wiederholt werden. Tichys Einblick hat eine Wahlprüfungsbeschwerde eingereicht, um die Bundestagswahl in allen Berliner Bezirken einzuklagen:

In eigener Sache: Roland Tichy, Herausgeber von TE, hat eine Initiative gegründet, um die Wiederholung der Bundestagswahl in allen Berliner Bezirken einzuklagen. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wird von Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau im Namen von zwei Tichys-Einblick-Lesern geführt. Die Finanzierung hat „Atlas – Initiative für Recht und Freiheit“ übernommen.

Die von TE eingereichte Wahlprüfungsbeschwerde ist dem Bundesverfassungsgericht am 5. Januar per Fax und am 7. Januar per Brief zugegangen. Am Donnerstag, dem 26. Januar, hat das Gericht den fristgerechten Eingang bestätigt und der Beschwerde ein Aktenzeichen (2 BvC 15/23) gegeben.

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Kommentare ( 9 )

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MartinL.
1 Jahr her

Die Bundestagswahl soll wiederholt werden, u.a. weil in Wahllokalen nach 18 Uhr noch Stimmen abgegeben wurden, obwohl inzwischen erste Hochrechnungen bekanntgegeben worden waren. Das kann zu einer Beeinflussung der Wahlentscheidung führen. Wie kann so ein Mangel durch Wahlwiederholung in einzelnen Wahllokalen oder auch in ganz Berlin geheilt werden, wo das Wahlergebnis der restlichen Republik bekannt ist? In welchen Umfang müßte die Wahl wiederholt werden, um diesen Mangel zu heilen?

Malb
1 Jahr her

Lassen wir sie noch einmal wählen. Das werden die Berliner gern machen – ist ja keine Arbeit.

Ulric Viebahn
1 Jahr her

Danke für die gute Arbeit.

Protestwaehler
1 Jahr her

Die Differenz zwischen Wählern u. Stimmen könnte natürlich auch ein Zeichen dafür sein, dass man unliebsamme Stimmen nicht mehr als „ungültig“ erklärt, sondern einfach komplett verschwinden lässt. Gibt es bei dieser Wahl in Berlin nicht plötzlich auffällig wenig ungültige Stimmen? Seitdem es die AfD im Parteienspektrum gibt, wurde dieser Anteil doch eigentlich von Wahl zu Wahl immer größer. In Dresden war der Anteil ungültiger Stimmen etwa 5x so hoch wie im Durchschnitt der letzten Jahre zuvor. Eine Stichprobe ergab, viele dieser Stimmen waren tatsächlich gültige Stimmen für die AfD. Lasse ich solche Stimmen also zukünftig einfach verschwinden, korregiere dann wie… Mehr

Michael Palusch
1 Jahr her
Antworten an  Protestwaehler

Die Differenz zwischen Wählern u. Stimmen könnte natürlich auch ein Zeichen dafür sein, … sondern einfach komplett verschwinden lässt.Gibt es bei dieser Wahl in Berlin nicht plötzlich auffällig wenig ungültige Stimmen Ungültige Stimmen ja, aber das hatte keine Auswirkungen auf die Anzahl der Wähler, die keine Stimme abgegeben haben. Erststimmen 2016: ungültig 27.968 / Wähler ohne Stimmabgabe: 3.389 Erststimmen 2023: ungültig 13.409 / Wähler ohne Stimmabgabe: 1.582 Zweitstimmen 2016: ungültig 25.694 / Wähler ohne Stimmabgabe: 1.613 Zweitstimmen 2023: ungültig11.039 / Wähler ohne Stimmabgabe: 1.659 Lasse ich solche Stimmen also zukünftig einfach verschwinden… Im Einzelfall mag das funktionieren, aber nicht flächendeckend… Mehr

Carlotta
1 Jahr her

es kann nicht genügend gewürdigt werden, wie sich Roland TICHY mit seinem Team dafür eingesetzt hat und weiterhin einsetzt, dass die Wahl wiederholt werden konnte und evtl. die Bundestagswahl bezogen auf das Gebiet ebenfalls wiederholt werden muss. In meiner inzwischen jahrzehntelangen, aufmerksamen Beobachtung der Politik, insbesondere der deutschen, ist mir derartiges noch nicht aufgefallen, vermutlich hat dies bisher auch nicht stattgefunden. Ich wünschte, dass die Mehrheit der Deutschen achtsam/er mit der Demokratie umgehen würden, sie sich bewusst werden, welches Gut sie verwerfen durch ihre Gleichgültigkeit und Interessenlosigkeit, womit sie sich selbst und der Allgemeinheit schaden. Hoffentlich macht diese enge, kritische… Mehr

U.M.
1 Jahr her

Mir war klar, dass die Stimmen kreativ ausgezählt wurden. Ich bin mir sicher das es bei jeder Wahl so laufen wird!!

AlexR
1 Jahr her

Selbst eine dritte Wahl ginge schief. Aber sich dann über Wahlfälschung in einem hunderttausende von Kilometern entfernten Kleinstaat in Asien aufregen.

Nicht mal eine geordnete Wahl durchzuführen, schaffen die Berliner Politiker. In welchem Zitronenfalterland leben wir? Aber wie soll das auch klappen, wenn jeder die Wahlergebnisse vortanzen muss!

Iso
1 Jahr her

Ich denke, dass die Ergebnisse bereits vor der Wahl feststehen. Schließlich habe ich bisher noch niemanden gefunden, der nach der Wahl befragt wurde, wie er denn gewählt hat. Damit das Volk nicht ganz die Hoffnung verliert, gibt man der ein oder anderen Partei ein paar Stimmen. Das ist dann so wie bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Vielleicht klappt es ja in 4 Jahren.