Als Reinhold Beckmann gegen Rechts sang und Erika Steinbach Cancan tanzte

Am besten sind natürlich Parties, über die anschließend mehr geredet wird als während der Feier selbst, und zwar von den Nichtanwesenden.

Singen gegen Rechts

Am Samstag wurde der ehemalige SPIEGEL- und Welt-Redakteur, Buchautor und Poltergeist Matthias Matussek 65, es gab eine große Feier, und der Autor dieser Zeilen kann sagen: Ich bin dabei gewesen. Das Antifa-Recherchekollektiv „Jan Böhmermann“ stellte anschließend eine offizielle Anfrage in Sachen „Operative Personenkontrolle Averhoffstraße“ an die SPIEGEL-Chefredaktion. Die junge Liedermacher-Karriere eines älteren Moderators scheiterte an diesem Abend beinahe. Und am Ende tanzte Erika Steinbach auf Matusseks Balkongeländer Cancan. Aber davon später.

Es war eine sehr schöne Feier, es wurde auf Aramäisch gebetet, auf Russisch gesungen, auf Sächsisch parodiert und überhaupt in vielen Zungen geredet. Die Gästemischung reichte von jünger bis älter, von West bis Ost, von liberal und libertär bis rechts, von hetero bis schwul, so, wie es sich für Orte gehört, an denen Vielfalt herrscht. Am übernächsten Tag meldete das Journalistenportal MEEDIA: Auf der Sause „prallten sein altes und sein neues Umfeld aufeinander“.

In Wirklichkeit prallten gar keine Umfelder aufeinander, noch nicht einmal am Buffet, weil die vegetarische Ecke weit entfernt vom Fleisch stand, und sich auch sonst gar nicht so leicht sortieren ließ, wer nach der MEEDIA-Ordnung zu welchem alten Gästefeld gehören sollte. Zu den Besuchern zählten jedenfalls unter anderen die SPIEGEL-Redakteure Jan Fleischhauer, Alexander Smoltczyk, Martin U. Müller, Jochen Siemens vom STERN und Ulrich Greiner von der ZEIT, Franz-Josef Wagner von BILD, Dieter Stein von der Jungen Freiheit, Michael Klonovsky, allesamt alte und älteste Bekannte also, und der ehemalige ARD-Talker Reinhold Beckmann. Matthias Matussek beteuerte, dass er auch Angela Merkel eingeladen hätte, der Regierungs-Airbus hätte nur wieder nicht mitgespielt.

Jan Fleischhauer hielt eine Rede, deren Quintessenz lautete: Sie beide, er und Matussek, seien sich in vielem nicht einig, aber das habe ihrer alten Freundschaft keinen Abbruch getan. Michael Klonovsky lobte in seiner Ansprache die hervorstechende Tugend des Jubilars, nämlich seine gewisse Neigung zur Eitelkeit: „Der Eitle neidet nicht. Er kann gönnen“, und zitierte Karl Kraus: „Die Selbstbespieglung ist erlaubt, wenn das Selbst schön ist. Sie wird zur Pflicht, wenn auch der Spiegel gut ist.“

Und Reinhold Beckmann klampfte als Ständchen eine Eigennachdichtung von Bob Dylans „Things Have Changed“ unter dem Titel „Die Zeiten sind obskur“.

Als am nächsten Tag die Fotos von der Feier auf dem Facebook-Account des Jubilars erschienen, entdeckten Aktivisten der Antifa Halle sehr schnell einen jungen Mann namens Mario Müller unter den Gästen, den Matthias Matussek „meinen identitären Freund“ genannt hatte. Müller war tatsächlich einmal dafür verurteilt worden, einen Antifa-Aktivisten in Halle verletzt zu haben. Diese Vorlage wiederum übernahm das Kommando Jan Böhmermann, um offiziell bei SPIEGEL anzufragen, ob die drei Redakteure des Magazins mit Wissen und Erlaubnis der Chefredaktion anwesend waren.

Auf der „Naziparty“ nämlich, die auch ein ZEIT Online jemand in der Zusammenkunft erkannte.

Jedenfalls verließ ein Partygast in der Averhoffstraße mehr oder weniger die bürgerliche Zone, wie ein weiterer Nichtgast twitterte:

Kleiner Einschub: In diesen wohlmeinenden Kreisen fand man es seinerzeit durchaus interessant, dass der Theaterintendant Claus Peymann dem ehemaligen RAF-Mitglied Christian Klar einen Praktikumsplatz am Berliner Ensemble verschaffte, und ihn „eine tragische Figur“ nannte. Sicherlich, der Vergleich reicht nicht besonders weit: Im Fall Klar hatte der Steuerzahler die Einladung bezahlt, im Fall Müller wie der restlichen Truppe Matthias Matussek privat. Klar hatte mindestens neun Menschen ermordet, Müller jemanden aus einer Szene verletzt, die ihrerseits auch ein robustes Verhältnis zur Gewalt pflegt. Wenn Klar Resozialisation verdient hatte, dann Müller allemal.

Für Reinhold Beckmann war mit Böhmermanns Anklage (nicht gegen Matussek, sondern gegen den SPIEGEL wegen unbeaufsichtigten Herumlaufenlassens seiner Redakteure) die Notwendigkeit gekommen, am nächsten Tag Kritik & Selbstkritik zu üben. Auf Facebook veröffentlichte er eine längere Erklärung:

„Ich weiß um Matthias Matussek. Auf seinen politischen Irrwegen ist er nach einer Jugend in marxistisch-leninistischen Gruppen mittlerweile bei der Neuen Rechten angekommen. Er bezeichnet uns Journalisten heute als kümmerlichen Haufen angepasster Kugelschreiberträger. Und seine Freunde wollen meine journalistische Heimat abschaffen. Früher haben wir gemeinsam gute Diskussionen geführt.

Vor einigen Wochen kam die Einladung zu seinem 65. Geburtstag. Gehst du hin oder bleibst du weg? Ich habe lange überlegt, dann beschlossen meinen Gitarrenkoffer zu nehmen und ihm mein vergiftetes Geschenk mitzubringen, meine Version des Bob Dylan-Klassikers „Things have changed“. Er sollte was zu kauen haben. Schluckbeschwerden bekommen. Ich wollte so meine Widerworte gegen seinen Irrweg setzen.

Ein Ausschnitt aus dem Text: „Ein trauriger Mann mit traurigem Geist, niemand mehr da, alle längst abgereist… Die Menschen sind verrückt, die Zeiten sind obskur. Er hängt hier fest, ist neben seiner Spur. Ihm war mal was wichtig, aber heut nicht mehr…“

Was mir nicht ganz klar war, in welcher Gesellschaft er da tatsächlich seinen Geburtstag feiern würde. Klar, ich hätte es mir denken können. Ich muss zugeben, ich habe mich da verlaufen, ich hätte dort nicht hingehen sollen. Wir kannten uns ja lange und ich erkannte ihn nicht mehr wieder. Es ist einfach nichts mehr da vom alten Matussek, kaum noch alte Freunde, dafür viele neue rechte Gesinnungskumpel. Wie bitter.“

Was insofern interessant ist, da Böhmermann und Helfer ja gerade wegen des Gegenteils Alarm geschlagen hatten, nämlich deshalb, weil nicht wenige, sondern sehr viele alte Freunde zu Matussek gekommen waren, also – wie bitter – die Isolierungsbefehle Böhmermannscher Kreise offenbar allgemein missachtet werden, jedenfalls in den Milieus, in denen Leute selbst entscheiden, auf welche Party sie gehen.

Beckmann, so lässt sich seine nachträgliche Erklärung verdichten, schlich sich also gewissermaßen mit Anschlagswaffe in seinem Gitarrenkoffer zur Feier, nämlich einer Gitarre, um ein Protestlied zu singen; dass er sich unwohl gefühlt hätte, sah ihm niemand an, was nur zeigt, wie kühl er seine Aktion durchzog.

Auf einer Twitter-Seite, von der nicht restlos geklärt ist, ob sie tatsächlich Beckmann gehört oder mit sehr viel Aufwand gefakt ist, zeigte sich, dass sehr viele aus dem wohlmeinenden Lager sein #Singengegenrechts doch nicht so dufte und schnafte fanden wie er selbst. Sie fanden die Aktion, wie man im Englischen sagt, half-assed, but not half-assed enough, auch wenn die meisten das schlechter formulierten.

Auf dieser Beckmann-oder-nicht-Beckmann-Seite gab es am Montagnachmittag noch eine Art Öffentlichkeitsfahndung.

Dabei hätte ich doch helfen können.

Um Böhmermann muss sich Matthias Matussek schon deshalb nicht übermäßig kümmern, weil allein die Gefängnisszene in Matusseks Roman „White Rabbit“ witziger ist als alle Böhmermann-Sendungen zusammen. Sogar witziger als der Umstand, dass der SPIEGEL am Montag tatsächlich offiziell auf die Böhmermann-Anfrage antwortete und mitteilte:

Gerüchteweise handelte es sich beim SPIEGEL einmal um eine respektierte Größe der Republik. In alten Bonner Zeiten gab es folgenden Schnack über den Meinungsaustausch eines Kabinettsmitglieds mit einem Redakteur des Magazins über die Frage des wechselseitigen Machtverhältnisses, bei dem der SPIEGEL-Mann sagte: „Sie können uns wenig nützen, aber wir können Ihnen viel schaden.“ Was die Lage auch traf. Heute ist diese dominante Position offenkundig auf Böhmermann übergegangen, der dem ehemaligen Großmagazin nur ein Stöckchen hinhalten muss. Hey, hey, wer nicht hüpft, der ist ein Nazi.

Was meine Wenigkeit betrifft, ich besaß selbstredend eine schriftliche Genehmigung meines Arbeitgebers, zu MM zu gehen, aber nur bis Mitternacht. Deshalb fand ich mich schon 23:55 Uhr mit einem bekannten BILD-Briefschreiber im Aufzug wieder, mit dem ich ein Fachgespräch führen konnte. Ich zitierte meine Urgroßmutter mit dem Satz: „Halb besoffen ist rausgeschmissenes Geld“, worauf er sagte: „Kluge Frau.“

Nur halb moralbesoffen nach einer Party muss unangenehmer sein, also festzustecken im Limbo zwischen höflicher Absage vorher beziehungsweise Klappehalten nachher.

Was nun Erika Steinbachs Cancan auf dem Balkongeländer angeht: Davon gibt’s keine Fotos. Sah aber sehr professionell aus.


Dieser Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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Kommentare ( 76 )

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Uferlos
5 Jahre her

Beckmanns Äusserungen in Anschluß an die Feier sind charakterlos. Kritik, auch in Form seines vorgebrachten Liedes, ist immer erlaubt, aber hinterher im Netz so nachzutreten ist schändlich.
Eine Frage zu „Böhmermann“. Steckt hinter diesem Twitter Account wirklich der echte Jan Böhmermann oder irgendein Troll ?

Danton
5 Jahre her

Meine Frage ist: warum muß man solche unsäglichen Kritiker, die ganz offensichtlich durch und durch kontaminiert sind von einer Geisteshaltung die unbeschreiblich amorph und dumm ist, auch noch zitieren?? Was dort im Text zitiert wird ist doch unbeschreiblich krude und entbehrt jeder Vernunft. Man muß das doch nicht auch noch an die Öffentlichkeit tragen. Z.B. dieser Beckmann. Er disqualifiziert sich doch selbst und redet sich um jede Existenzberechtigung mit dem was er von sich gibt. Wieso muß man so etwas ertragen und hilft diesem völlig verklärten Menschen nicht damit das man diese Peinlichkeit verschweigt? Seit wann setzen sich aufgeklärte Menschen,… Mehr

country boy
5 Jahre her

Der Text macht deutlich, wer die wahren Spalter im Land sind.

Es ist erschreckend, zu welchen Mitteln linksgrüne Kreise greifen, wenn ihnen die Argumente ausgehen, was wiederum erschreckend schnell passiert. Es wird versucht, Andersdenkende gesellschaftlich zu isolieren, Meinungsäußerungen juristisch zu unterbinden und schließlich mit dem Verfassungsschutz auf Demokraten loszugehen.

Stony
5 Jahre her

Die verkrampfte Art, mit der hierzulande Anhänger verschiedener Meinungen und Denkrichtungen offenbar miteinander umgehen, zeigt m. E. nur wie verirrt und borniert eine ganze Reihe von Vertretern der intellektuelle „Elite“ dieses Landes sind und sie zeigt eine m. E. typisch deutsche, sehr hässliche Eigenschaft: die Neigung zu Lagerdenken, Ausgrenzung und der Etikettierung von Menschen, etwa aufgrund politischer Ansichten. Kommt einem bekannt vor und erinnert stark an die 1930er Jahre. Und was Herrn Beckmanns Rechtfertigungstweet angeht, kann ich nur sagen: menschlich gesehen bescheiden, denn wer zu einer Geburtstagsfeier mit einem „vergifteten Geschenk“ geht, noch dazu um Applaus für eine künstlerische Darbietung… Mehr

RMPetersen
5 Jahre her

**

Anstatt sich gegen die Bezeichnung „Nazis“ für Andersdenkende zu verwehren, hat sich Beckmann dem linken Mob gebeugt. Weiss er nicht, dass er nach diesem „Fehltritt“ ohnehin bei den linken Freunden im Öff.-Rechtlichen nicht mehr wird reüssieren können – sich aber in der Mitte unmöglich gemacht hat?

Gabriele Kremmel
5 Jahre her

Der Herr Beckmann hat sich ja in seiner Lamoryanz verstiegen zu der Behauptung, sich auf die Feier verlaufen zu haben. Blöd, gell Herr Beckmann, dass man immer erst danach erfährt, in welchen Wind man sein Fähnchen hätte hängen sollen. Aber man kann ja immer noch so tun als hätte man dem Gastgeber in Wirklichkeit so richtig einen eingeschenkt, während man sich an seinem Wein und seinen Häppchen gelabt hat. Und dann schnell noch eine wortreiche Distanzierung rausgehauen.

So wie man es eben macht, wenn man einem kümmerlichen Haufen angepasster Kugelschreiberträger angehört.

Peter Gramm
5 Jahre her

das ganze Geschwurbel rechts – links oder wieder andersherum ist völlig daneben. Es soll nur vom Versagen der jeweiligen Politik ablenken. Dieses ganze pseudointellektuelle Geschwafel wird von diesen Wichtigtuern dazu verwendet um ihre scheinbare Wichtigkeit zu dokumentieren. Unabhängig vom Politzirkus versuchen die Menschen ihre Probleme zu lösen. Ob dies dann rechts oder links ist ist ihnen völlig wurscht. Hauptsache die Probleme sind gelöst. Da kann die Jouranllie noch so viel nach allen Regeln der Kunst herumquaken oder Dinge zerreden. Irgendwann interessiert dies die Bürger nicht mehr. Die sinkenden Auflagenzahlen sind der beste Beweis dafür.

darfdaswahrsein
5 Jahre her

Der Böhmermann ** springt und schnappt nach jedem Stöckchen. Die Peinlichkeit und Lächerlichkeit dessen was er tut und seiner Person kommt ihm nie zu Bewusstsein. Der Wahn für das „Gute“ und gegen „Nazis“ zu kämpfen verhindert jede realistische Eigenwahrnehmung. Doch so sind sie alle ob Onkel Jan der Denunziant, Reinhold wer was das noch mal Beckmann oder Anne Will ich nicht sehen usw. Entweder ingnorieren oder auslachen noch besser wäre wir müssten solche Typen nicht auch noch über GEZ finanzieren, da bleibt einem schon mal das Lachen im Halse stecken.

Winni
5 Jahre her

Matussek ist selbst schuld. Er hätte diesen Opportunisten nicht einladen sollen. Schlechte Menschenkenntnis.

Andreas aus E.
5 Jahre her
Antworten an  Winni

Wieso schlechte Menschenkenntnis? So einen einzuladen kommt allemal billiger als einen Clown zu engagieren.

teanopos
5 Jahre her
Antworten an  Winni

Falsch. Eine solche Einladung ist wie ein Angebot zum Handschlag, ein Entgegenkommen, ein Angebot zur Diskussion, auch mal abseits des politischen Dissens, auch unter alten Freunden. ** Wer sät hier Hass, betreibt die Spaltung? Auch hier liegen die Verhältnisse/Positionen doch mal wieder ziemlich klar auf dem Tisch. Dass Reinhold Beckmann ganz nach linkischer Art und Weise die „Geburtstagsbühne“ für einen Auftritt als „Meinungsbroadcast“ missbrauchte, man kann davon ausgehen dass nicht alle Gäste diese Möglichkeit hatten, um seinen Gastgeber quasi zu denunzieren, auch das lässt sich wunderbar einordnen. Das alles schafft also Klarheit wer wo steht, Ergebnis: Böhmermann und Beckmann? eindeutig… Mehr

Danton
5 Jahre her
Antworten an  teanopos

„teanopos“
Genau das macht uns Menschen zu Menschen. Es ist dieser Unterschied das wir nicht an den Anderen riechen und dann entscheiden mit wem wir einer Meinung sind, sondern untereinander diskutieren und jedem erst einmal einen Platz anbieten. Das haben sie sehr treffend formuliert. Danke.

Ingolf Paercher
5 Jahre her
Antworten an  Winni

Er kann einladen, wen er will – es gebt niemanden einen feuchten Kehricht an!

kostanix
5 Jahre her

Beckmann, Gabriel und Konsorten sind kleingeistige Linke Spiessbürger der übelsten Sorte mit Null Demokratieverständnis. Aber immer von Toleranz palavern. Komplett verlogen.
Mehr muss nicht gesagt werden.