Angenommen, jemand hätte seit dem 10. Januar 2024 alle Politikererklärungen zu dem sogenannten Potsdamer Treffen gelesen und gehört, alle Großdemonstrationen mit Auftritt des Bundeskanzlers und der Außenministerin gegen die angeblich im Potsdamer Landhaus Adlon ausgebrüteten Massendeportationspläne verfolgt und sämtliche Debatten über ein Verbot der AfD, die sich ausdrücklich auf diese Zusammenkunft am Lehnitzsee beriefen, jemand hätte also erst die Auswirkung der Veröffentlichung von Correctiv studiert, und würde sich jetzt erst der Correctiv-Geschichte „Geheimplan gegen Deutschland“ von eben jenem 10. Januar zuwenden – er könnte unmöglich glauben, gerade den richtigen Text zu studieren. Denn er enthält praktisch nichts von dem, was er enthalten müsste, um die von ihm ausgelöste politisch-mediale Kampagnenwelle auch nur ansatzweise zu rechtfertigen.
Genau dieser Verdacht steht im Raum: dass führende Politiker – beispielsweise Bundeskanzler Olaf Scholz – vorab über wesentliche Inhalte des Textes Bescheid wussten, den Correctiv am 10. Januar auf seine Seite stellte. Das legt nicht nur der äußere Ablauf nahe – aufwendige Großveranstaltungen mit Spitzenpolitikern und eine Bühnenversion des Correctiv-Textes schon kurz nach dessen Erscheinen –, sondern auch die Reaktion von Bundeskanzleramt und Correctiv selbst auf Fragen des Autors.
Suggestionen, Satzfetzen – und ein Hauptnarrativ
Der Correctiv-Text enthält nichts, was die zentralen Behauptungen stützen würde, die der Text selbst aufstellt, und die andere in der Folge ohne jede eigene Recherche übernehmen – neben Politikern der Ampel wie der oppositionellen CDU auch reihenweise andere reichweitenstarke Medien und Formate, darunter die ARD-Tagesschau. Es finden sich in dem Beitrag der teilweise staatlich finanzierten Plattform weder aussagekräftige Zitate noch sonstige Belege für die Darstellung, das Treffen am 25. November im Landhaus Adlon habe den Zweck verfolgt, die massenhafte Vertreibung von Menschen aus Deutschland zu planen, „egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht“.
Dafür zieht sich etwas anderes durch die gesamte Correctiv-Veröffentlichung: eine durchaus geschickte Insinuation in Gestalt von eingefügten Kommentaren, eine solche Tagung mit diesem behaupteten Ziel hätte in Potsdam tatsächlich stattgefunden. Der Correctiv-Beitrag beginnt schon mit einer szenischen Darstellung, die dann unvermittelt in eine Behauptung wechselt:
„Es ist der Morgen des 25. November, kurz vor neun Uhr, ein trüber Samstag. Auf den geparkten Autos im Hof sammelt sich Schnee. Was sich an dem Tag im Landhaus Adlon abspielt, wirkt wie ein Kammerspiel – doch es ist Realität. Hier zeigt sich, was passieren kann, wenn sich rechtsextreme Ideengeber, Vertreter der AfD und finanzstarke Unterstützer der rechten Szene mischen. Ihr wichtigstes Ziel: Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht.“
Insgesamt wiederholen die Correctiv-Autoren diese suggestive Formel bis zum Textende so oft, dass vermutlich vielen Lesern nicht auffällt, dass nie ein Beleg auftaucht, etwa in Gestalt eines ausführlichen Zitats. Mit der Methode zurren die Correctiv-Schreiber ihre Erzählung so fest, dass vielleicht der eine oder andere an der folgenden Darstellung im Detail zweifelt – nicht aber daran, dass sich die Tagungsteilnehmer im Landhaus Adlon einem zentralen Thema widmeten: der Remigration.
Und weiter: „Das Gesamtkonzept im Sinne eines Masterplans wird kein Geringerer als Martin Sellner einleitend vorstellen. Derjenige der nicht nur die sog. Hammerbande auffliegen ließ, sondern auch gleich noch die Themen in die Medien gebracht hat und mit hohem persönlichen Risiko der Antifa ‚im Nacken sitzt‘, wird aktuell und höchst vertraulich berichten.“ Hammerbande – das bezieht sich auf die Untergrundgruppe rund um die mittlerweile verurteilte Lina E., die zusammen mit anderen linksextremen Tätern Gegner überfallen und teils schwer verletzt hatte. Sellner hatte in Zusammenarbeit mit einem anderen Teilnehmer des Treffens den Aufenthaltsort eines früheren Mitglieds der „Hammerbande“ ermittelt, der sich von der Gruppe getrennt hatte und später zum Hauptbelastungszeugen wurde. Wie Mörig zusammenfasste, sollte das Treffen also der „systematischen Koordination und Unterstützung bisher noch unabhängig voneinander agierender junger Influencer“ dienen.
Was in dem Schreiben etwas abstrakt klingt, sollte folgendermaßen ablaufen: Mehrere Teilnehmer hatten Konzepte für Medienauftritte auf Plattformen wie TikTok und anderen entwickelt, um dort beispielsweise Informationen über linksextreme Aktivitäten zu verbreiten, und generell Themen mit stark antilinker Ausrichtung in die Öffentlichkeit zu bringen – auch die Rückführung von Migranten, aber nur als einen von etlichen Punkten. Auf der anderen Seite hatte Mörig namens des von ihm organisierten „Düsseldorfer Forums“ Unternehmer als potentielle Geldgeber dieser Aktivitäten eingeladen. „Masterplan“, das geht sowohl aus dem Einladungsschreiben als auch den Schilderungen mehrerer Teilnehmer hervor, bezog sich also auf ein Konzept, nach Vorstellungen des Organisators ein Gegengewicht gegen weit links stehende Medien zu schaffen. „Die ganze Veranstaltung“, so ein vom Autor befragter Teilnehmer, „war ein bisschen ‚Höhle des Löwen‘: Leute mit Ideen treffen Leute, die dafür Geld geben könnten.“ Diese Vorstellung passt auch zur Zusammenstellung der Gästerunde, die eines „Masterplan Remigration“ dagegen nicht.
Zur gesamten Veranstaltung gehörte ein Vorabendtreffen am 24. November, das ganztägige Treffen am 25., und noch eine Frühstücksrunde für die Teilnehmer, die im Hotel übernachtet hatten. Nach der Erinnerung mehrerer Teilnehmer nahm Sellners Vortrag inklusive Diskussions- und Frageteil etwa 75 Minuten in Anspruch. Im Wesentlichen baute Sellner sein Referat auf seinem etwa ein halbes Jahr vorher erschienenen Buch „Regime change von rechts“ auf. Die Formulierung „Masterplan Remigration“ kommt in dem Correctiv-Text zwar nicht wortwörtlich vor. In einer Zwischenüberschrift heiß es allerdings „Ein Masterplan, um Zuwanderer loszuwerden“, in einer anderen: „Influencer im Dienste des Masterplans zur Vertreibung“. Am Textende heißt es dann noch einmal zusammenfassend: „[…] ein Treffen von radikalen Rechtsextremen mit Vertretern der Bundes-AfD; ein ‚Masterplan‘ zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern aufgrund ihrer ‚Ethnie‘ […]“. Damit setzt Correctiv die Assoziationskette ‚Geheimtreffen‘, ‚Masterplan‘, ‚millionenfache Vertreibung‘ in Gang, um sie dann später mit der völlig freischwebenden Assoziation zur Wannseekonferenz 1942 noch mit einer gigantischen Bedeutungsschwere aufzuladen:
„Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.“ Damit steht der Deutungsrahmen endgültig – ohne einen einzigen harten Fakt, dafür aber extrem wirkungsvoll.
Ein anderer höchst effizienter Kunstgriff besteht darin, von spärlichen Zitaten zu Deutungen zu wechseln, eingestreuten Kommentaren, in denen die Correctiv-Autoren erklären, wie diese oder jene erwähnte Äußerung richtig zu verstehen sei. Beispielsweise in dieser Passage, in der es um Sellners Vortrag geht:
„Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, ‚um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln‘. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und ‚nicht assimilierte Staatsbürger‘. Letztere seien aus seiner Sicht das größte ‚Problem‘. Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll.“
Correctiv zitiert noch nicht einmal einen vollständigen Satz Sellners, sondern nur Satzfetzen. Dann folgt mit „anders gesagt“ die Correctiv-Deutung, wobei die Autoren eine faktisch falsche Behauptung einschmuggeln: Ein „Grundrecht“, in Deutschland zu leben, gibt es nur für deutsche Staatsbürger, EU-Bürger und anerkannte Asylbewerber. Für alle mit Asylbewerberstatus, subsidiärem Schutz, Duldung und Flüchtlingsstatus nicht. Doppelstaatlern kann unter Umständen die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden.
Und noch ein zweiter taktischer Zug fällt auf: Das Correctiv-Team schreibt systematisch die Beteiligung von CDU-Mitgliedern an dem Treffen klein, die der AfD-Mitglieder bläht es in der Bedeutung kräftig auf.
Schon eingangs schreiben sie von zwei CDU-Mitgliedern. In Wirklichkeit saßen mit Landhaus-Adlon-Betreiber Wilhelm Wilderink, dem Juristen Ulrich Vosgerau und der stellvertretenden Vorsitzenden der Werteunion NRW Simone Baum drei Parteimitglieder im Raum, dazu noch Michaela Schneider, Mitglied in der Parteivereinigung Mittelstandsunion (MIT). Auf der Correctiv-Webseite liefert der Kopf der Plattform David Schraven eine merkwürdige Begründung dafür, warum die CDU-Leute in dem Text nur am Rand auftauchen, während er gleichzeitig so klingt, als würde er eine zumindest semioffizielle AfD-Veranstaltung schildern:
„Die von uns im Text erwähnten CDU-Mitglieder hatten bei dem Treffen keine aktive Rolle; anders als die AfD-Politiker, von denen einige selbst Vorträge hielten.“ Das stimmt nachweislich nicht. Der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau hielt bei der Veranstaltung einen Vortrag über die Briefwahl. Sein Referat erwähnt Correctiv auch, sogar recht umfangreich. Nur nicht Vosgeraus CDU-Mitgliedschaft. Auf der anderen Seite machen die Autoren Roland Hartwig, den anwesenden Referenten von Parteichefin Alice Weidel, zum „inoffiziellen AfD-Generalsekretär“, und schreiben: „Man bekommt den Eindruck, als trete Hartwig, die rechte Hand von Alice Weidel, hier als Vermittler zum Bundesvorstand der AfD auf – um die inhaltlichen Pläne dieses Treffens in die Partei zu tragen.“ ‚Man‘ – dahinter verbirgt sich das Autorenkollektiv.
Für das Verkleinern der CDU und das Herausstellen der AfD gibt es einen naheliegenden Grund: Das CDU-geführte Land Nordrhein-Westfalen gehört zu den wichtigsten öffentlichen Geldgebern von Correctiv, mit dem die Plattform es sich nicht verscherzen will. Im Jahr 2023 erhielt die Organisation 119.088 Euro direkt vom Land, weitere 120.000 Euro von der RAG-Stiftung, die eigentlich Bergbaufolgen in dem früheren Kohleland finanzieren soll. Und vielleicht noch ein zweites Motiv: Für die Kampgane, die Correctiv mit dem Text anschieben will, würden die Verantwortlichen offenbar auch gern Teile der CDU gewinnen. Der Correctiv-Text erwähnt jedenfalls den CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz sehr freundlich, einen der lautesten Befürworter eines AfD-Verbots.
Das mit Abstand wichtigste Mittel im Text bleibt allerdings die Behauptung eines „Masterplans“ zur Massenvertreibung. Schon am Tag der Correctiv-Veröffentlichung benutzt die Märkische Allgemeine die Wendung „Masterplan Remigration“ und übernimmt ansonsten große Teile der Correctiv-Darstellung.
Spätestens mit der Schilderung der Aktuellen Stunde des Bundestages auf einer Parlamentsseite erhält die Behauptung vom „Masterplan Remigration“ einen offiziösen Stempel. Dort heißt es – nicht als Politikerzitat, sondern in einem von einem anonymen Autor (oder Autorin) verfassten Einleitungstext im quasibehördlichen Stil: „Anlass für die Aktuelle Stunde war eine Zusammenkunft von Rechtsextremisten im November 2023 in einer Potsdamer Villa, an der nach Recherchen des Netzwerks ‚Correctiv‘ auch Politiker und Funktionäre der AfD sowie Mitglieder der sogenannten Werteunion teilgenommen haben. Dem Bericht zufolge soll der rechtsextreme österreichische Aktivist Martin Sellner dort einen ‚Masterplan zur Remigration‘ umrissen haben.“
In der Öffentlichkeit setzt sich diese Erzählung mit der stetigen Wiederholung fest, sowohl in Printmedien als auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Die Tonaufnahme. Beziehungsweise: doch nicht. Oder?
Zu den erfolgreichen stilistischen Mitteln von Correctiv gehört neben der Metaerzählung die Scheinpräzision. Gleich zu Beginn des Textes heißt es:
„Das Treffen soll geheim bleiben. Die Kommunikation zwischen Organisatoren und Gästen sollte nur über Briefe laufen. Kopien davon wurden aber CORRECTIV zugespielt. Und wir haben Bilder gemacht. Vor und hinter dem Haus. Auch im Haus konnten wir verdeckt filmen. Ein Reporter war mit einer Kamera undercover vor Ort und unter anderem Namen im Hotel eingecheckt. Er verfolgte das Treffen aus direkter Nähe und konnte beobachten, wer anreiste und an dem Treffen teilnahm. Dazu kam, dass Greenpeace zu dem Treffen recherchierte und CORRECTIV Fotos und Kopien von Dokumenten überließ. Unsere Reporter redeten mit mehreren AfD-Mitgliedern; Quellen belegten gegenüber CORRECTIV die Aussagen der Teilnehmenden. So konnten wir die Zusammenkunft genau rekonstruieren.“
In dem Correctiv-Stück tauchen in regelmäßigen Abständen kurze Einsprengsel auf, die den Eindruck einer Reportage herstellen sollen. Da liegt Schnee auf Autodächern, später verwandelt sich das Weiß auf den parkenden Autos in Matsch. Am Schluss heißt es: „Am Abend danach ist alles still. Das Hotel wirkt wie ausgestorben. Nur ein leichtes Fernsehflackern kommt aus der Juniorsuite.“ Dass Schnee erst fällt und gegen Mittag „zu grauem Matsch“ zerfließt, konnte jeder auch aus dem Wetterbericht für Potsdam entnehmen. Und Stille in einem Hotel weit außerhalb vom Stadtzentrum, jemand, der dort fernsieht – das hätte auch jeder Spaziergänger registrieren können, ohne das Hotelgelände überhaupt zu betreten.
Die US-amerikanische Webseite Semafor veröffentlichte in ihrem Newsletter vom 11. Februar 2024 eine erstaunliche Beschreibung des Making of der Correctiv-Potsdam-Geschichte, die auf einem Gespräch zwischen der Semafor-Mitarbeiterin Gina Chua und Correctiv-Gründer David Schraven beruht. Schraven plauderte dort augenscheinlich unbefangen – und wohl auch in der Annahme, kaum jemand in Deutschland würde den Newsletter eines kleineren amerikanischen Mediums zur Kenntnis nehmen. Semafor nennt die Correctiv-Publikation dort „den größten Scoop des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts“.
An der entscheidenden Stelle heißt es über den „Correctiv-Undercover-Reporter“ Jean Peters: „Der Reporter, den sie hineingeschickt hatten (Anmerkung: in das Hotel) streifte durch die Hotelhalle mit einem leeren Kaffeepott, mit dem er so tat, als wäre er auf der Suche nach einem imaginären Schluck Kaffee. Während er das tat, nahm er Ton, Videos und Fotos mit seiner Apple-Armbanduhr auf.“ (“The reporter they sent in roamed the halls with an empty mug, waving it around as a pretext to wander in and out of closed meeting rooms in search of an elusive cup of coffee. Meanwhile, he was recording sound, video and photos through his wristwatch”). Die Darstellung leidet unter einem erheblichen Schönheitsfehler: Mit einer Apple-Watch lassen sich zwar Ton-, aber keine Bildaufnahmen machen.
Vor allem stellt sich die Frage: Warum hätte sich Correctiv überhaupt die Mühe machen sollen, eine Art Undercover-Agenten in das Hotel zu schicken, der dann außer ein paar verwackelten Bildern aus der Lobby – aufgenommen womit auch immer – nichts mitbringt? Zumal, da Correctiv auch noch drei Personen mit Kameras außerhalb des Hotels postiert hatte, zwei von der See- und einen von der Straßenseite? An- und Abfahrt der Teilnehmer konnte das Team also ohnehin beobachten und dokumentieren. Die Wissenschaftlerin Mathilda Huss, die das Landhaus Adlon zusammen mit dem Anwalt Wilhelm Wilderink betreibt, bestätigt gegenüber Tichys Einblick, sie habe Jean Peters zweimal in der Lobby in der Nähe der Tür gesehen, die zum Konferenzraum führt:
„Er trug Kopfhörer, eine Kappe, die er tief in die Stirn gezogen hatte, und lief dort mit einer Kaffeetasse herum.“ Sie und andere Teilnehmer vermuten, dass er im Verlauf der Versammlung einfach an der Vordertür des Raums lauschte, während die Teilnehmer darin redeten. Möglich wäre auch die Hintertür des Saals, die zur Küche führt. Die Küche lässt sich von den Gästezimmern im Erdgeschoss, wo Peters wohnte, leicht erreichen – ihre Tür sei fast immer unverschlossen, der Raum meistens leer. Weder die Türen hinten noch vorn stellten ein großes Hindernis für eine Lauschaktion dar, sie seien nicht besonders massiv, erst recht nicht gepolstert.
Eine Tonaufnahme der Veranstaltung wäre, siehe oben, klar illegal gewesen. Schon deshalb liegt es nah, dass Schraven später behauptete, die Frau von Semafor hätte ihn falsch verstanden.
Wegen des Verdachts illegaler Aufzeichnungen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes erstattete eine Teilnehmerin der Runde, die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy, Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Potsdam. Die Behörde stellte das Verfahren nach einiger Zeit wieder ein. „Dass Tonaufnahmen heimlich gefertigt worden sein könnten, hat sich dies nach Prüfung nicht bestätigt“, schreibt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Wobei sie genau genommen nur feststellen kann, dass sie keine entsprechenden Dateien finden konnte. Darüber, ob der Correctiv-Mann Peters Aufnahmen fertigte oder nicht, sagen die Ermittlungen nichts aus.
Wie will Correctiv dann aber an einzelne – allerdings durchweg banale – Sätze gekommen sein, die als Zitate in dem Text vorkommen, wenn es eine Tonaufnahme angeblich nicht gab? Zu der zweiten Möglichkeit, dass Peters schlicht sein Ohr an die Tür hielt, äußert sich Correctiv nicht. Also: wie dann? Dafür liefert Correctiv eine abenteuerliche Erklärung: durch angebliche Quellen aus dem Teilnehmerkreis der Veranstaltung selbst. Das behauptete schon der Correctiv-Ursprungstext („Aussagen der Teilnehmenden“), das wiederholten Vertreter der Plattform in Gerichtsverfahren und das bekräftigte Jean Peters noch einmal am 2. August 2024 auf X: „Was im Raum besprochen wurde, haben wir belastbar überprüft. Der Schutz unserer Quellen hat für uns höchste Priorität. Um die Quellen zu schützen, können wir diese Belege aber nicht offenlegen. Auch das gehört zu den Grundsätzen sauberen Journalismus.“
Die angeblich entscheidenden Erkenntnisquellen für Correctiv wären demnach Personen, die der Text mit seinem Wannseekonferenz-Schlenker in die Nähe der NS-Bürokratie rückt, und die Schraven bei zahlreichen Gelegenheiten als „Faschisten“ bezeichnet. Die Einführung angeblicher Kronzeugen lässt die Anwesenheit des Undercover-Peters im Hotel etwas absurder erscheinen. Schließlich wäre es völlig idiotisch gewesen, Zeugen aus dem inneren Kreis der Veranstaltung, deren Identität dringend geschützt werden muss, im Hotel selbst zu befragen. Angenommen, die Beteuerung von Correctiv wäre wahr – kein heimliches Belauschen der Veranstaltung, nur Quellen aus dem Teilnehmerkreis –, dann wäre der Einsatz des mit Kaffeetasse und Kopfhörern im Foyer herumschleichenden Peters nicht nur völlig sinnfrei gewesen, sondern sogar kontraproduktiv: Er hätte damit nur Verdacht erregt, ohne irgendetwas Substanzielles zu erbeuten.
Peters spielte in der Operation Adlon eine Schlüsselrolle, seine Person verdient deshalb eine besondere Betrachtung. Auf seiner Webseite bezeichnete er sich vor gut vier Jahren als „Aktionskünstler“ und beschrieb seine Methode so: „Ich entwickele Aktionen und erfinde Geschichten, mit denen ich ins politische und ökonomische Geschehen interveniere.“
Kurz nach der Correctiv-Veröffentlichung über das Potsdamer Treffen löschte er diese Passage. In früheren Zeiten arbeitete Peters für die Redaktion von Jan Böhmermann. Ein Beitrag dort zeigte schon eine Handschrift, die zum Selbstverständnis Peters’ gut zu passen scheint: In einer Sendung dichtete ZDF-Böhmermann dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in Informationstechnologie (BSI) Arne Schönbohm einen Kontakt zum russischen Geheimdienst an. Die Methode damals: Geraune, Andeutungen, Suggestionen. Und keine Belege. Die Vorwürfe erwiesen sich als völlig haltlos. Derzeit verklagt Schönbohm das ZDF vor dem Landgericht München auf einen Schadensersatz von 100.000 Euro.
Aber zurück zu Correctiv: Wie erlangte die Plattform überhaupt Kenntnis von dem Termin in Potsdam? AfD-Bundestagsabgeordnete fragten die Bundesregierung, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz „bereits vor dem 25. November 2023 Kenntnis von dem privaten Treffen zwischen Unternehmern, Politikern sowie Aktivisten am 25. November 2023 in Potsdam“ gehabt habe. Die Antwort:
„Nach sorgfältiger Abwägung ist die Bundesregierung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Frage nach dem Erkenntnisstand zu der betroffenen Veranstaltung am 25. November 2023 in Potsdam aufgrund entgegenstehender überwiegender Belange des Staatswohls nicht erfolgen kann, auch in nicht eingestufter Form. So können aus der Beantwortung, ob bzw. wann der Bundesregierung und den ihr nachgeordneten Behörden Informationen zu der genannten konkreten Veranstaltung Vorlagen, Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des BfV und ggf. die nachrichtendienstlichen Methodiken und Arbeitsweisen ermöglicht werden, wodurch die zukünftige Erkenntnisgewinnung des BfV aufgrund entsprechender Abwehrstrategien nachhaltig beeinträchtigt oder in Einzelfällen sogar unmöglich gemacht wird.“
Zumindest besteht also die Möglichkeit, dass der Tipp vom Inlandsgeheimdienst kam.
Wer wusste vorher Bescheid? Der Kanzler will nicht antworten
Es gibt noch einen zweiten öffentlich kaum erörterten Punkt: Wie ging Correctiv eigentlich mit seinem Material vor der Veröffentlichung um? In dem bis heute zugänglichen Semafor-Text über die Correctiv-Aktion findet sich dazu eine in Deutschland bisher weitgehend übersehene Passage. Dort heißt es:
„Und vor der Veröffentlichung tippte Correctiv seine tiefen Verbindungen mit Zeitungen quer durch das Land an, um sicherzustellen, dass sie Zugang zu lokalen Blickwinkeln hatten, um (die Geschichte) weiter zu begleiten. Die Anstrengung machte sich bezahlt: die Story entflammte einen nie dagewesenen, anhaltenden Protest in ganz Deutschland, mit Hundertausenden, die gegen die AfD in kleinen und großen Städten marschierten. Für den Correctiv-Gründer und obersten Chef David Schraven ist dies die folgenreichste Geschichte, an der die Nachrichtenplattform je gearbeitet hat. ‚Wir haben zehn Jahre lang trainiert‘, sagt er Semafor, indem er eine Fußball-Analogie benutzt. ‚Jetzt stehen wir auf dem Platz.‘“
(„And ahead of publication, Correctiv tapped its deep relationships with newspapers across the country to ensure they had access to local angles to follow up on. The effort paid off: the story has sparked unprecedented, continuing protests across Germany, with hundreds of thousands marching against the AfD in cities small and large. For Correctiv founder and Managing Director David Schraven, this is the most consequential story the newsroom has worked on. ‘We’ve been training for ten years,’ he told Semafor, using a soccer analogy. ‘Now we are on the pitch‘“).
Medien geben zwar zu wichtigen Recherchen Vorabmeldungen über Nachrichtenagenturen heraus, die allerdings nicht die komplette Geschichte enthalten und zweitens für alle Abonnenten der Agentur zugänglich sind. So, wie Semafor Schraven wiedergibt, verhielt es sich hier völlig anders: Correctiv gab entweder die gesamte Story – jedenfalls laut Semafor – oder wesentliche Teile davon an einen Kreis von ausgewählten Medien weiter, mit denen eine „tiefe Beziehung“ besteht, und zwar mit dem ausdrücklichen Zweck, damit eine politische Welle gegen die AfD zu erzeugen. Das geht über mediales Handeln weit hinaus. Und zwar nicht nur von der Correctiv-Seite, sondern auch von den anderen vorab eingeweihten Organen. Eine Anfrage von Tichys Einblick, ob Correctiv den Inhalt seiner Veröffentlichung vom 10. Januar im Ganzen oder in Teilen vorab anderen zugänglich machte, ließ die Plattform unbeantwortet. Eine Nachfrage, an wen genau, erübrigte sich damit.
In der weitgehend gleichgerichteten Medienwelle gab es kaum Versuche, andere Stimmen als die von Correctiv und aufspringenden Politikern überhaupt zu hören. Hoteleigner Wilderink erzählt von einem Kontakt mit den Westfälischen Nachrichten, dem Blatt aus seiner alten Heimat. Er sprach mit einem Redakteur, der einige Zitate Wilderinks in einen Text einfließen lässt; beide vereinbarten außerdem ein Interview. Das erscheint allerdings nie. Die Interviewfassung liegt Tichys Einblick vor. Darin sagt Wilderink sinngemäß, was er auch heute sagt: „Correctiv lügt.“ Tichys Einblick fragte die Westfälischen Nachrichten nach dem Grund, das bereits vereinbarte und fertige Gespräch nicht zu drucken. Antwort: Darauf habe man verzichtet und lieber Wilderinks Zitate in einen Text eingebaut. Nachfrage: Aber diese Zitate stammten doch aus einem vorhergehenden Gespräch, das Interview wurde erst danach geführt? Darauf antwortet die Chefredaktion nicht mehr.
Aber ging es in dem Komplex Correctiv-Potsdam nur um eine exklusive Weitergabe an „tief verbundene“ Medien? Oder auch um die Vorabinformation bestimmter Politiker? Eine entsprechende Organisation hinter den Kulissen, um aus dem Correctiv-Artikel auch garantiert einen, wie es bei Semafor heißt, folgenreichen Artikel zu machen, würde erklären, warum Schravens Medienplattform, die ja nach eigenem Bekunden am 25. November einen republikerschütternden Skandal aufdeckte, eineinhalb Monate mit der Veröffentlichung wartete. Denn zu recherchieren gab es so gut wie nichts.
Alle Biografien der prominenten Teilnehmer ließen sich dem Internet entnehmen, das Einladungsschreiben besaß Correctiv nach eigenen Angaben schon vorher, es kamen nur noch die angeblichen Aussagen der ominösen Kronzeugen dazu, die sich wiederum in ein paar Satzfetzen erschöpfen. Mehr als die Hälfte des Correctiv-Textes besteht entweder aus prätentiösem Dicht-dabei-Getue – Schnee auf den Autodächern – oder Kommentaren. Journalistisch lässt sich der lange Zeitraum zwischen Ereignis und Publikation also nicht erklären. Politstrategisch schon.
Tichys Einblick fragte deshalb Scholz und Innenministerin Nancy Faeser anders: Nämlich, wann und auf welchem Wege sie zum ersten Mal von dem von Correctiv am 10. Januar 2024 geschilderten Potsdamer Treffen erfuhren. Dazu müssten sie keinen Namen offenbaren und kein konkretes Treffen nennen. Es würde genügen, das Datum anzugeben – und beispielsweise: durch einen Medienvertreter beziehungsweise -vertreterin. Oder eben: durch die Lektüre des Correctiv-Textes am 10. Januar 2024. Während die Bundesinnenministerin erwidert, sie habe „aus den Medien“ von dem Potsdamer Treffen erfahren – wobei sie nicht explizit die Formulierung „zum ersten Mal“ verwendet –, verweigert Olaf Scholz eine inhaltliche Antwort.
Stattdessen lässt er einen Regierungssprecher antworten: „Wir haben Ihre Bitte zur Kenntnis genommen und weisen darauf hin, dass der presserechtliche Auskunftsanspruch kein direktes Fragerecht an einzelne Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bzw. den Behördenleiter vermittelt.“
Die Formulierung wirkt seltsam und unbeholfen zugleich: In Deutschland gibt es kein spezielles „Fragerecht“ eines Journalisten; fragen kann jeder generell alles. Es mutet auch bizarr an, den Bundeskanzler – immerhin Chef eines Verfassungsorgans – zum „Behördenleiter“ herunterzustufen. Und selbst, wenn ein Sprecher meint, hier gäbe es keinen rechtlichen Auskunftsanspruch, würde das Scholz nicht daran hindern, trotzdem zu antworten. Faeser tat das ja auch.
Halten wir also fest: Laut Semafor erzählte Schraven, Correctiv habe seine Inhalte schon vorab an einen ausgewählten Kreis weitergegeben. Der Bundeskanzler, der sich schon im November mit der Correctiv-Geschäftsführerin getroffen hatte, will auf die Frage nicht antworten, ob auch er schon Vorabinformationen von Correctiv bekam. Jedenfalls äußerte er sich schon am 11. Januar zu dem Correctiv-Text, wobei er dessen Tenor übernimmt (wofür ihn wiederum Anette Dowideit von Correctiv umgehend öffentlich lobt).
Am Tag vier Tage nach der Correctiv-Veröffentlichung, am 14. Januar 2024, findet in Potsdam eine der ersten Großkundgebungen unter Teilnahme des Bundeskanzlers und Außenministerin Annalena Baerbock statt. Am gleichen Wochenende kommen auch tausende Demonstranten in Berlin, Kiel und Saarbrücken zusammen. Kundgebungen mit Spitzenpolitikern und der nötigen Technik mit nur 72 Stunden Vorlaufzeit zu organisieren, das erfordert entweder ein Höchstmaß an organisatorischer Präzision – oder eben einen gewissen Vorsprung vor der Öffentlichkeit.
Für die Frage, wann Scholz Bescheid wusste, gibt es noch einen zweiten wichtigen Grund. In seiner Ausgabe 43/23 vom 21. Oktober 2023 hatte der Spiegel sein Interview mit dem Kanzler auf seine Titelseite gehoben mit dem Zitat: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Und dazu die Zeile: „Olaf Scholz’ neue Härte in der Flüchtlingspolitik“.
Fasst man den Correctiv-Politik-Medienkomplex zusammen, ergibt sich zunächst das Bild einer quasi-geheimdienstlich-politischen Aktion, die dann in eine landesweite Kampagne mündete:
• Der Inlandsgeheimdienst will keine Auskunft darüber geben, ob und was er von dem Treffen am 25. November 2023 in Potsdam wusste. Die staatlich mitfinanzierte Organisation Correctiv erklärt, jemand hätte ihnen Termin und Einladung „zugespielt“.
• Bei der Schilderung ihrer Informationsbeschaffung verwickelt sich Correctiv in unaufklärbare Widersprüche: kolportierte Tonaufzeichnungen, die es dann doch nicht gab, ein Undercover-Einsatz, dessen Zweck sich nicht erkennen lässt, falls die Correctiv-Schilderung zutrifft, angebliche Kronzeugen aus einem Kreis, dem Correctiv andererseits in toto NS-Nähe zuschreibt.
• Correctiv schreibt systematisch die Beteiligung von CDU-Mitgliedern an dem Treffen klein, die der AfD-Mitglieder groß, behauptet, das gesamte Treffen habe sich um die Vertreibung von Migranten gedreht, erfindet zusätzlich den Plan einer massenhaften Vertreibung auch deutscher Staatsbürger und überhaupt einen „Geheimplan“, den es nie gab.
• Unmittelbar nach der Veröffentlichung durch Correctiv läuft eine perfekt geölte Kampagne mit Kundgebungen, wohlwollender Medienbegleitung und politischer Instrumentalisierung an, die sich inhaltlich nicht nur von dem realen Treffen in Potsdam völlig löst, sondern sogar von dem, was Correctiv selbst schreibt.
Einen wie auch immer gearteten Geheimplan auf dem Potsdamer Treffen gab es nicht. Aber es stellt sich mit dem Blick auf den gesamten Verlauf der Affäre die Frage: Gab es einen Geheimplan von Correctiv und etlichen Beteiligten aus Politik und Medien, die öffentliche Stimmung in Deutschland in eine bestimmte Richtung zu lenken, und dafür auch mit Täuschungen und Lügen zu operieren?
Die Bilanz der Correctiv-Affäre zerfällt in einen politischen und einen faktisch-juristischen Teil. Politisch konnten Medien wie Spiegel, Stern, ARD, ZDF und etliche andere im Zusammenwirken mit Vertretern vor allem von SPD und Grünen den Eindruck in einem Teil der Öffentlichkeit verankern, in Potsdam habe ein Treffen stattgefunden, auf dem die AfD umfangreiche verfassungswidrige Massenvertreibungspläne geschmiedet hätte.
Für Wahlen und Umfragen ergab sich aus der monatelangen Ausrichtung der Politik auf den ‚Kampf gegen Rechts‘ allerdings nicht der erhoffte Zustimmungsgewinn für SPD und Grüne: Beide schnitten bei der Europawahl historisch schlecht ab; in den Umfragen zur Bundestagswahl erreichte die Koalition im August ihren bisherigen Tiefpunkt; laut Umfragen müssen Grüne und SPD bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen um den Parlamentseinzug zittern. Hypothetisch lässt sich fragen, ob die Lage der Parteien ohne die Kampagne möglicherweise noch schlechter wäre.
Es hagelt Urteile, Auszeichnungen – und frisches Staatsgeld
Juristisch blieb von dem Correctiv-Konstrukt nichts übrig. Schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt ließ Correctiv vor dem Landgericht Hamburg in einem von Ulrich Vosgerau angestrengten Verfahren erklären, bei den Kernaussagen des Textes handle es sich nicht um Tatsachen, sondern Meinungen und Schlussfolgerungen. In einem weiteren Verfahren setzte Vosgerau durch, dass Correctiv-Gründer Schraven seine in einem FAZ-Interview aufgestellte Behauptungen nicht wiederholen darf, bei den zentralen Aussagen des Correctiv-Textes handle es sich um „prozessuale Wahrheit“. Der Beschluss ist rechtskräftig. Nach einer Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts dürfen NDR beziehungsweise Tagesschau die von Correctiv übernommene Behauptung nicht wiederholen, in Potsdam sei die Vertreibung von deutschen Staatsbürgern geplant worden. Anders als die Correctiv-Schreiber, die das nur als wertende Passage in ihren Text einstreuten, hatte die ARD-Hauptnachrichtensendung diese Behauptung einem Millionenpublikum als Tatsache präsentiert.
Auch die Bestrafungsaktionen gegen Beteiligte des Treffens scheiterten fast ausnahmslos. Einer Gruppe linker Studenten gelang es nicht, den Staatsrechtler Ulrich Vosgerau von seiner Position als Privatdozent an der Universität Köln zu vertreiben. Vosgeraus CDU-Verband Berlin-Pankow leitete kein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein. Die Stadt Köln kündigte der langjährigen Stadtangestellten Simone Baum wegen ihrer Teilnahme an dem Treffen, das Arbeitsgericht Köln verwarf diese Kündigung als rechtswidrig (Aktenzeichen 17 Ca 543/24). In dem Urteil, das Tichys Einblick vorliegt, hieß es, selbst wenn sich das Treffen in Potsdam so zugetragen hätte wie von Correctiv beschrieben, bestünde kein Kündigungsgrund. In der vergangenen Woche entschied die Stadtverwaltung Köln, das Urteil zu akzeptieren. Baum darf an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, und erhält eine Gehaltsnachzahlung.
Wenn es für jemanden einen klaren Erfolg gab, dann für Correctiv selbst. Die Plattform erhielt für ihre Potsdam-Geschichte den Preis der SPD-nahen Carlo-Schmid-Stiftung, den Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig – Verwaltungsratsvorsitzender: Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, SPD – und den Preis des Vereins „Netzwerk Recherche“. Dieser Auszeichnung haftet ein besonderer Odeur an: Der 1. Vorsitzende des „Netzwerk Recherche“ Daniel Drepper gehörte 2014 zu den Mitgründern von Correctiv, heute leitet er den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.
Dieser Medienverbund begleitete seinerseits die Correctiv-Kampagne sehr wohlwollend. Mit Correctiv teilt sich der Verein öffentliche Geldgeber, etwa die Bundeszentrale für politische Bildung. Im Kuratorium von Correctiv sitzt der langjährige Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion Lukas Beckmann, der immer noch an der Spitze der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg steht. Die bundesweit agierende Heinrich-Böll-Stiftung wiederum gehört zu den Spendern des „Netzwerk Recherche“ (wenn auch nur zu den kleineren). Die Auszeichnung besitzt besonderen Wert für Correctiv, denn sie unterstützt das Narrativ, bei dem gesamten Vorgang handle es sich um eine journalistische Rechercheleistung.
Außerdem kann die mittlerweile deutschlandweit bekannte Organisation Correctiv in diesem Jahr mit einer Zahlung aus der Regierungskasse wirtschaften: nämlich einer Zuwendung aus dem Wissenschaftsministerium im Rahmen des Projektes noFake, das noch bis November dieses Jahres läuft. Darin sollen Correctiv, die Technische Universität Dortmund und die Technische Universität Berlin an einem KI-gestützten System zum Aufspüren von „Fake News“ arbeiten, wobei Correctiv offenbar mitbestimmt, was als Fake News zu gelten hat. Gesamtetat: 1,31 Millionen Euro. Im Jahr 2023 erhielt Correctiv aus diesem ministeriellen Topf schon eine Tranche von 163.619,43 Euro.
In der Projektbeschreibung des Ministeriums heißt es: „Die Verbreitung von Desinformation über das Internet hat anhaltende, unerwünschte gesellschaftspolitische Konsequenzen.“