Von Nassfrüchten und Markenkernen

Warum Vertrauen niemals Ursache, sondern Wirkung ist.

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Diese Erfahrung muss jeder einmal machen: Wenn Sie Hilfe benötigen, sich in einer unbekannten Situation befinden und ihnen ein unbekannter Mensch voll Überschwang, laut scheppernd und mit kraftvollem Gestus sagt „Vertrau mir!“ , dann weiß man spätestens ab Mitte 30, dass man eben diesem „Vogel“ ganz und gar nicht vertrauen sollte … je lauter nämlich ein Mensch Vertrauen einfordert, desto weniger haben wir nachvollziehbare Anhaltspunkte, dass wir guten Gewissens unsere Selbstbestimmung aus der Hand geben. Vertrauen entsteht eben gerade nicht durch das Beschwören eines Zustandes, sondern einzig und allein aus Erfahrungen, die wir hinsichtlich eines Absenders über die Zeit machen. Hört sich vielleicht ein wenig akademisch an, wird aber jeden Tag tausendfach bewiesen: Unsere Vorstellung von einem guten Freund resultiert auf der Erfahrung, dass das Verhalten eines geschätzten oder geliebten Menschen erwartbar ist … so simpel. Das hält so manche Ehe zusammen. Nicht umsonst steckt im Wort Vertrauen das Wort treu. Anders gewendet: Vertrauen entsteht nur dem gegenüber, der sich selbst treu ist. Das ist ein uralter Hut, aber gerade deshalb eine fundamentale und daher allgemeingültige Erfahrung.

In einer Epoche in der grundsätzlich Ursachen und Wirkungen miteinander verwechselt werden, ist es also nur konsequent, wenn die großen Volksparteien angesichts ihrer schmelzenden Wahlergebnisse laut ausrufen, „das Vertrauen der Wähler“ zurückzugewinnen. Dass dieses Mantra nunmehr seit gut 10 Jahren immer und immer wieder herangezogen wird, macht deutlich, dass man in praktischer Oberflächlichkeit verstanden hat, sich der eigentlichen Herausforderung zu entziehen. Vertrauen entsteht eben gerade nicht über die Benennung (Wirkung), sondern über Leistungen (Ursache). Deswegen ist Vertrauen auch etwas sehr wertvolles und die meisten Menschen gehen mit ihrem Vertrauen äußerst sparsam um. Vertrauen ist keine Ursache, sondern das Resultat eines Prozesses. Vertrauen ist kein Beschluss. Vertrauen ist keine Philosophie. Vertrauen resultiert auf knallharten Fakten oder nachvollziehbaren und klar verorteten Leistungen.

Aufmerksamkeit schafft noch kein Vertrauen

Interessanterweise hat der hoch spezialisierte Zeitgeist es vermocht, uns einzureden, dass Kommunikation auf öffentlicher Ebene vollkommen anders funktioniert als im zwischenmenschlichen Leben. Wahrscheinlich weil sich mit „neuartigen Rezepten, Moden und Trends“ eher ein Expertenhonorar – wie schreibt man heute vornehm – generieren lässt.

In der Werbe- und Kommunikationsbranche unterscheidet man gute Strategen von den schlechten an ihrer Wortwahl: Schlechte „Experten“ sprechen davon, dass sie „auf“ einer Marke arbeiteten, gute Experten formulieren, sie arbeiteten „in“ einer Marke. Auf der Oberfläche lassen sich Effekte schnell und situativ bespielen: Alles eine Frage des Budgets bzw. des Überraschungseffektes … je mehr alte Vorstellungswelten eines Absenders irritiert werden, desto größer naturgemäß die Aufmerksamkeit. Die Währung der Oberflächlichkeitsstrategen misst sich in „Awareness“ (bspw. Klicks und Downloads). Vertrauen allerdings benötigt Zeit, schließlich müssen Erfahrungen bestätigt werden, so dass sich Gewohnheiten verstetigen. In der Wirkung sinkt über die Zeit der Überzeugungsaufwand: Wir wissen, was wir bekommen und benötigen an sich nur einen regelmäßigen Bestätigungsimpuls: Alles so wie immer … gerade in einer Welt, die immer unübersichtlicher wird.

Machen wir uns nichts vor: Ein derartiges „sich fokussieren“ auf seine typischen Haltungen, Werte und Leistungen begrenzt. Es wird Menschen geben, die bestimmte verlässliche Merkmale als überaus attraktiv, andere als grauslich empfinden. Signale sind immer eindeutig, ansonsten wären sie keine. Begrenzung, also Grenze, ist eines der Unwörter der Moderne … wir sind angehalten Grenzen niederzureißen, Gemeinsamkeiten zu betonen und Unterschiede aufzulösen. Ethisch verständlich und nachvollziehbar, jedoch eher Wunsch, denn Wirklichkeit.

„Wie die Alten sungen …“

Die Besonderheit der großen Volksparteien ist, davon ist bereits in wirklich allen Medien geschrieben worden, dass sie allesamt ihre eindeutige Signalstruktur in den vergangenen 20 Jahren aufgelöst hätten. Symptomatisch stehen dafür die Beschreibungen im Buch „Die Schulz-Story: Ein Jahr zwischen Höhenflug und Absturz“, in welchem der Autor Markus Feldenkirchen en detail beschreibt, wie sich „Person Schulz“ im Laufe des Wahlkampfes auf Basis von kleinteiligen Meinungsumfragen zu einer „Projektionsfläche des mehrheitlich Erwünschten“ auflöste. Von Signal ist nichts mehr zu spüren. Schließlich ging es darum, die möglichst größte Schnittmenge der Bevölkerung anzusprechen. Ansprechen ist aber nicht überzeugen. Denn auch eine Wahl ist davon getragen, dass wir mit einem Kreuzchen etwas über uns selbst, unser Selbstverständnis, unsere Überzeugungen aussagen möchten … und keiner ist gern alles und damit nichts … keine Frage: Spezialanbieter haben es leichter für spezifische Inhalte zu stehen. Ein Ferrari mag bei den meisten Menschen ein eindeutigeres Bild hervorrufen als beispielsweise Opel, aber beide kennzeichnet, dass bestimmte Erwartungen fest verankert sind.

Problematisch wird es aber, wenn Ferrari plötzlich „ein bisschen Opel“ sein möchte oder Opel „ein wenig Ferrari“ … am Ende weiß kein Mensch mehr, wofür das Unternehmen steht. Kurzfristig mögen diese Schachzüge durchaus für Aufmerksamkeit und Sympathie sorgen, aber langfristig wird der Grund der Anziehungskraft aufgelöst. In eben dieser strukturellen Falle befinden sich die sog. Volksparteien heute. Ihre Wählerschaft, so offenbaren zahlreiche demoskopische Studien, speist sich nur noch zu einem Teil aus überzeugten Unterstützern, sondern zu großen Teilen aus Gewohnheitswählern (d.h. älteren Bevölkerungsschichten), die – auf die traditionellen, klaren Erwartungshaltungen verweisend – SPD oder CDU wählen, „weil sie es immer schon gewählt“ haben. Anders formuliert eine SPD oder CDU 2018 hat inhaltlich nur noch sehr wenig mit einer SPD oder CDU aus den Jahren 1988 zu tun, aber Vorurteile, auch in Bezug auf die Inhalte einer Partei, sind bekanntlich nicht totzukriegen. Die Träger dieser Vorurteile sterben aber langsam aus.

Markenkerne sind konkrete Leistungsdefinitionen

Wenn also nunmehr der Markenkern der Parteien wieder deutlicher hervorgehoben werden soll, dann wird allein an dieser Formulierung das Unverständnis hinsichtlich ihrer Funktionsweise deutlich: Kerne ohne Inhalt sind keine Kerne. Denn ein Markenkern ist in erster Linie ein Leistungs- und kein Kommunikations- oder Werbekern. Kommunikation und Werbung haben lediglich die Aufgabe die erbrachten Leistungen resonanzstark in die Öffentlichkeit zu tragen. Parteien, die in der Vergangenheit auf der Leistungsebene ihre spezifischen Leistungserwartungen nicht erfüllt haben, können nicht in kürzester Zeit, einen neuen Kern basteln. Im Gegenteil: Sie stehen vor der Aufgabe zunächst zu klären, wofür sie standen. Und genau an diesem Punkt unterscheidet sich eine ursachen- von einer effektorientierten Arbeit: Nur zu gerne beschränkt sich eine Markenkerndiskussion auf abstrakte Inhalte. Eine CDU hat ein „christliches Menschenbild“ und die SPD stehe für „soziale Gerechtigkeit“ … alles richtig und so einfach durchsetzbar, weil jeder – irgendwie – dahinter stehen kann, aber was bedeutet dies für das politische Tagesgeschäft? Jeder Verkäufer weiß, dass er mit Beschreibungen wie „hohe Qualität“ oder „gute Serviceorientierung“ oder gar die „witzige Werbung“ seine Kunden nicht davon überzeugt, eine Waschmaschine zu kaufen. Überzeugungskraft entwickeln dagegen klare Leistungsbeschreibungen: „Hält 20 Jahre“ oder „Reparatur innerhalb von 24 Stunden“. Diese Aussagen verlangen vom Unternehmen ein klares Bekenntnis und zugleich eine disziplinierte Leistungserbringung an allen Punkten der Wertschöpfungskette Dazu können sich schließlich Mitarbeiter, Verkäufer und Kunden bekennen – oder nicht.

Markenkerne sind daher nicht diffuse „Philosophien“ oder „Visionen“, sie ergeben sich auch nicht aus „Diskussionsgruppen“ oder „Innovationscamps“, sondern aus demokratisch erarbeiteten , aber eindeutig formulierten Leistungsdefinitionen. Das ist die Basis. Darüberhinaus müssen diese Leistungen eingehalten werden – nicht nur heute und morgen, sondern weit darüber hinaus. Erst dann und nur dann entsteht Vertrauen. Das ist anstrengend und verlangt das ständige Abwägen – manchmal ist dann das inhaltliche „Nein“ kräftigender als eine ominöse Machtoption.

Es gilt daher vor allem wieder den Mut zu haben „für etwas zu stehen“ und dies klar und eindeutig zu definieren. Das mag nicht mehr „Alle“ ansprechen, aber wahrscheinlich viel mehr als heutzutage. Jede Partei ist immer ex-klusiv, erst aus diesem Ausschluss entwickelt sich Anziehungskraft. Denn ein Garten formbarer Nassfrüchte ohne Kerne mag für eine gewisse Zeit praktisch und ansehnlich sein – langfristig vergehen aber die Pflanzen.

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Kommentare ( 24 )

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W aus der Diaspora
6 Jahre her

Wer steht denn heute überhaupt noch für irgendetwas? Das sowohl als auch ist modern geworden und wird inzwischen von fast allen Menschen praktiziert.
Man erwartet beste Leitung bei günstigstem Preis. Man erwartet viel sichere Strom-Energie ohne Kraftwerke. Man erwartet persönliche freie Mobilität bei wenig Verkehr.

Kuestensegler
6 Jahre her

Wenn „ihnen ein unbekannter Mensch voll Überschwang, laut scheppernd und mit kraftvollem Gestus sagt „Vertrau mir!“ , dann weiß man spätestens ab Mitte 30, dass man eben diesem „Vogel“ ganz und gar nicht vertrauen sollte …“ – bei diesem Passus musste ich unwillkürlich an das Dschungelbuch, Mowgli und die Schlange Kaa denken. Man muss also nicht Mitte 30 sein, um solche Verführer zu erkennen, die nur zum eigenen Vorteil handeln. Weihnachtsmärchen genügt 😉

Thorsten
6 Jahre her

Geht es in diesem Vergleich um „Äpfel“ oder „Birnen“? Egal sie haben total Recht, denn es geht im Kern, um das Markenversprechen, dass das Produkt für das steht, für das es bekannt und beliebt ist. Und das wird das Problem der CDU werden, die nicht mehr für konservative deutsche Politik, sondern für „egal wie aber Zustimmung“ steht. Ich sehe Merkel und die Groko in Richtung GCM wie auf den „Endsieg“ torkeln. Selbst der SPD sollte sich im Klaren sein, dass die Reste ihrer Wähler das nicht zu schätzen wissen und die SPD demnächst als Splitterpartei genauso an der 5%-Hürde nagen… Mehr

amendewirdallesgut
6 Jahre her

Klare belastbare Statements und den Charakter dazu zu stehen würden mir schon reichen , aber fragen wir doch einmal Herrn Merz ob er für oder gegen den UN Migrationspakt ist , ob er für oder gegen die strikte Einhaltung von Dublin und No Bail Out Regeln , ob er für oder gegen noch mehr nationale Souveränitätsverluste an Europa ist , ob er für oder gegegen direkte Demokratie ist und ob er bereit sei seinen Hut wieder in den Ring zu werfen wenn er seinen Ansagen nicht treu bleiben kann , dann werden wir an seinem Handeln sehen ob er in… Mehr

T. Pohl
6 Jahre her

„das Vertrauen der Wähler“ zurückzugewinnen. Schöner Artikel. Der Volksmund sagt: „An ihren Taten sollst Du sie erkennen“. Und nachdem die C*U an ihren Taten in den Jahren seit mindestens 2009 vollständig unkenntlich geworden ist, und die damaligen Taten bis heute nachwirken, und teilweise aufgrund der EU-Bindung nicht mehr redressierbar sind, wird es auch einem F. Merz sehr schwer fallen, das Ruder herumzureissen und damit auch eine Wirkung zu entfalten. Die Blockparteien haben sich ja, z.B. bei der DSGVO, der Umweltpolitik (CO2, NOx darauf verständigt, erschreckt zu reagieren, obwohl deren Vertreter im EU-Parlament entweder vehement dafür waren (GrünInnen und Grüne) oder… Mehr

AngelinaClooney
6 Jahre her

Gute Beschreibung des Vertrauensverlustes in die „Volksparteien“. Mir geht es wie einigen Mitforisten: das Vertrauen in den Staat, in die bisher gewählten Parteien (bei mir waren es SPD, Grüne) und in die Medien ist für mich seit 2015 abhanden gekommen.

Ede Kowalski
6 Jahre her

Der größte Fehler in der deutschen Politik war es, einer Kanzlerin die Regierungsmacht zu übertragen, der ein etablierter Professor den „Ökonomischen“ Sachverstand eines Grundschülers attestiert hat.
Einen weiteren Beweis brachte einen etablierten Psychoanalytiker zur Feststellung das die Handlungen der Kanzlerin von Irrationalität gekennzeichnet sind.
**

R. Scholl
6 Jahre her

„es dauert Jahre, das Vertrauen eines Kunden zu gewinnen, aber nur Sekunden, es zu verlieren“. Das gilt auch für alle anderem Beziehungen, in denen man steht. Mein Vertrauensverlust ist im September 2015 eingetreten. Es ist ja nicht so, dass die Verantwortlichen Akteure nicht „für etwas stehen“. Sie stehen für etwas und ich habe das zu spät erkannt. Herr Laschet warnt gerade vor einem „Rechtsruck“. Der „Rechtsruck“ steht für mehr Demokratie, Einhaltung von Gesetzen, Schaffung von Transparenz im Bundeshaushalt (und damit für meine Hoffnung, dass bei Einräumung von Gestaltungsverantwortung auch eine sinnvolle Haushaltsdisziplin Eintritt). Es entsteht Vertrauen in mir und die… Mehr

BK
6 Jahre her

Dass die Volksparteien keine mehr sind, zeigen ihre Prioritäten. Sie denken nur von Wahl zu Wahl, und jetzt an die Europawahl. Auch wenn es uns immer eingeredet wird, hat man als Bürger von Europa so viel, wie man von der Zuwanderung bereichert wird. Letzteres ist ja schon ein Widerspruch in sich, dass man sich bereichert. Bereichert an Erfahrungen, dass man bestimmte Stadtteile meidet, oder was ist damit gemeint? Probleme die wir haben wurden von den Volksparteien erst geschaffen, denn Privatleute würden ihr Geld nicht verschenken, für andere länger arbeiten, das Land verkommen lassen, oder neue Herren über sich dulden. Doch… Mehr

Wilhelm Cuno
6 Jahre her

Mich erinnert der aktuelle Politikbetrieb mehr und mehr an die Kultserie „Per Anhalter durch die Galaxis“ des verstorbenen britischen Autors Douglas Adams. Er beschreibt in einem SF-Roman die Rolle des galaktischen Präsidenten Zaphod Beeblebrox kurz und knapp mit der Funktion, die Wähler davon abzulenken, wer die wahre Macht in der Galaxie innehat und gibt dazu Beispiele für gute Präsidentensprüche, die absolut nichtssagend, aber wunderbar schlagzeilentauglich sind. Genau auf diesem Niveau sind wir heute: Markenkern stärken, Profil herausarbeiten, zur Sacharbeit zurückkehren, besser erklären, unterscheidbarer werden, etc. Wenn aktuell ein Unionsministerpräsident Laschet beklagt, dass der Bundesgesundheitsminister Spahn die Größenordnung der umdeklarierten Migration… Mehr

Thorsten
6 Jahre her
Antworten an  Wilhelm Cuno

Ich tippe hiermit offiziell, dass die CDU eine „**“ als Nachfolger von Merkel küren wird.

Aus diesem Grund scheiden die 3 Kandidaten aus, und Laschet ist mein Favorit. Das man so Wahlen gewinnt, kann ich und will ich nicht glauben.