Ethik und Sanddorn

Altmodische Blicke auf Überzeugungsstrategien in Politik und Ökonomie.

© Getty Images

Haben Sie schon einmal einen Anthroposophen lachen sehen? Nein? Ich auch nicht. Man mag vom Begründer, dem stechend-greinend dreinschauenden Rudolf Steiner, halten was man will, aber ein fröhlicher Mensch scheint er nicht gewesen zu sein. Durchtränkt mit geistig-feinstofflicher Energie hat ihm das Nachdenken und die Ausarbeitung eines „ganzheitlichen Lebens“ anscheinend viele Sorgen bereitet. Da sollte man es doch lieber mit Gottfried Benn halten, der im Überschwang und unter Einfluss mannigfaltiger Drogen formulierte: „Glück ist es, dumm zu sein und Arbeit zu haben.“

Nun ist es so eine Sache mit Gründern und ihren Groupies – die Meister geben nicht nur die Lehre, sondern auch den Habitus vor. Und so umweht die anthroposophische Gemeinschaft bei allen Bemühungen um den wahrhaftigen Lebensweg doch auch immer Ernsthaftigkeit und Leistungsernst im Umgang mit sich und anderen. Nein, eine Gruppe von Anthroposophen, die fröhlich lachend Gummibärchen verspeisen und dazu euphorisch „Hyper, Hyper!“ gröhlen, passt so gar nicht in das kollektive Bild.

Jede Lehre zog seit jeher auch ihr Merchandising mit sich: Aus der Lehre entwickeln sich nicht nur Experten mit dem angeschlossenen Instrumentarium von Büchern und Vorträgen sowie ein eigener Schulzweig, der inzwischen die Töchter und Söhne in den Bürgerlichkeitsmetropolen mit den „existentiellen Gefühlsinhalten“ gegen Schulgeld versorgt (und dem Nachwuchs ein sinnvolles Leben als ambitionierter Orgelbauer, Tischler, Modedesigner oder Gärtner ermöglichen), sondern auch ein Unternehmen für Naturkosmetik und Arzneien – 1921 gegründet vom Spiritus Rektor selbst: WELEDA. Dass das Unternehmen bereits zwei Jahre später nach seiner Gründung vor der Insolvenz stand, ist eine niedliche Randnotiz und zeigt das geistige Hellsichtigkeit und Profit nicht Hand in Hand gehen müssen.

Ein großer Teil der postmodernen Warenwelt lebt von seiner Symbolkraft. Marken sind erst dann Marken, wenn sie symbolisch wirken. Das Wort Symbol entstammt dem Altgriechischen Verb συμβάλλειν = symbolein, welches zusammenbringen, vergleichen, wieder verbinden meint. So sollen zwei Hälften eines Ganzen wieder als Einheit erkennbar sein; und in der Tat zerbrachen Menschen in der Antike Münzen oder andere Dinge in zwei Teile, gaben einen Teil Jemandem mit auf eine Reise. Dieser Jemand konnte sich dann bei einer anderen Gelegenheit als der Vertraute beweisen, indem er seinen Teil hervorkramte, um ihn mit dem anderen wieder zu verbinden. Passten die beiden Teile zueinander, erkannten sich die Beteiligten als eben jene Vertrauten oder Vertragspartner.

Erinnerungen, Gefallen, Gewohnheit, Orte, Erlebnisse, persönliche Kontakte bauen im Menschen – bewusst oder unbewusst – eine Beziehung zu bestimmten Angeboten auf. Das eigene Wissen um die Vorzüge einer Ware verleiht dem Produkt eine besondere Form der „Weihe“. Der einzelne Käufer muss nicht die Historie der Marke oder ihre besonderen Qualitätsmerkmale im Detail kennen. Entscheidend ist der Wunsch, an den Symbolinhalten teilhaben und davon profitieren zu wollen.

Nun weiß eigentlich keiner so richtig, was Anthroposophie ist, aber das macht nix. Denn es geht nicht um die Inhalte an sich, sondern um die Vorstellung davon, wie etwas sein könnte – Vorstellungen haben das Leben schon immer erträglicher gemacht als Realitäten. Der sonntägliche Spaziergang im Stadtpark mit all seinen „Wir müssten …“, „Wir sollten …“, „Eigentlich“ … ist die Kraftquelle, die montägliche Realität zu übertünchen.

WELEDA hatte auch in jüngster Vergangenheit einige Probleme: 2012 war das sinnhafte Unternehmen wirtschaftlich am Ende, was angesichts des Siegeszuges bioethischer Produkte von San Franzisko bis Berlin-Charlottenburg eine besondere Leistung darstellt. Kurzerhand wurde das gesamte Management gefeuert und durch garantiert anthroposophiefreie Manager ersetzt.

Nun ist es so eine Sache mit der Symbolik, denn sie ist eigentlich nur eine Zwischenstufe, damit Menschen zu einem Produkt Vertrauen haben. Vertrauen kann nicht beschlossen oder befohlen werden. Vertrauen stellt sich auch meistens nicht ein, wenn es eingefordert wird, sondern Vertrauen entsteht durch gleichbleibende, erwartbare Aktionen über die Zeit. Vertrauen basiert auf Verlässlichkeit – nicht umsonst geht der Wortstamm des Begriffes Vertrauen auf „treu“ zurück. Eine starke Marke ist nicht nur ihren Kunden treu, sondern vor allem auch sich selbst. Und übrigens: Kundschaft kündet … das kann sie aber nur, wenn eine stabile Botschaft existiert.

WELEDA hatte angesichts der vielen negativen Vorurteile zu den gefühlsarmen, gummibärchenbefreiten und strengen Anthroposophen von Werbeprofis richtig Probleme eingeredet bekommen: Die moderne Warenwelt will ja positive und keine einschüchternden Auftritte befördern. Eine moderne Marke möchte gerne alles für alle bieten und vor allem: Positive Emotionen hervorrufen. Im Marketingsprech heißt dies: Starke Marken sind lovebrands! Sie wachsen uns ans Herz und sind treue Begleiter, selbst wenn uns Frau oder Mann bereits längst verlassen haben. In einer Zeit des Umbruchs sind gute Marken die Orientierungsbojen unserer Zeit. Deshalb erfreuen wir uns an der neuen Kampagne: „Vielfalt ist ein Geschenk“ in der jeweils zwei schnieke FDP-/Grüne-Bildungsbürger-Rollenmodelle ihre Einzigartigkeit unter Beweis stellen und gleichzeitig zwei unterschiedliche Produkte abgebildet sind.

Ethik in der Werbung ist schon immer eine heikle Angelegenheit gewesen. In dieser Kampagne ist der Zweck klar: Eine als streng wahrgenommene Marke soll endlich (und ganz im Sinne der Werberzeitgeistes) menschlich-zugänglich auftreten. John Lennons-Hymne-Imagine gibt es endlich als Sandorn-Lotion. Indem also WELEDA uns alle dazu auffordert, „Vielfalt als Geschenk“ zu begreifen, was angesichts der sorgsam gepflegten Protagonisten kein Problem ist, wirkt sie pädagogisch auf die allgemeine Wahrnehmung ein und glaubt dem Lebensstil ihrer gut versorgten Klientel, der ein Duschgel für 5 Euro nicht zu teuer ist, Bekenntnissicherheit zu bieten: Mein Bauch glänzt mit Einreiben der WELEDA-Badeseife gleich viel menschenfreundlicher … Perfide ist allerdings, dass die ethische Botschaft eben nicht die Botschaft ist, sondern den Kauf eines Produktes ankurbeln soll: Kinder, es geht um Zaster! Das mag man als possierliche Randnotiz abtun und – je nach Weltverzweiflung – anmahnen oder leise belächeln. Viel wichtiger ist, dass Ursache und Wirkung miteinander verwechselt werden. Denn starke Marken sind niemals ethisch. Im Gegenteil: Jede starke Marke ist ein Bekenntnis, eine klare Aussage in einem bestimmten Punkt des Universums, die klar macht: Dieses kleine oder große Produkt interpretiert den Weltenlauf in einer ganz einmaligen Weise – ansonsten wäre es ja nicht erkennbar. Ethik ist immer unmoralisch. Ethik ist das gedachte Bündnis mit der Menschheit. Nicht die in einer historischen Örtlichkeit, in einem gemeinschaftlichen Umfeld, sondern die Brüderschaft mit allen Gleichen des Menschengeschlechtes. Genau diese Form des übergreifenden Bündnisses mit allem ist aber nicht, was eine Marke stark macht. Sie muss ja gerade ihre Unterscheidung durchsetzen und erkennbar machen, damit sie im Einerlei der Welt herausragt.

Gerade weil wir in Zeiten leben, in denen alles gleich sein soll, bilden die wahrnehmbaren Ausprägungen ökonomischen Handelns – die Marken – die Möglichkeit, Moral als die wesensprägende Form menschlichen Sozialbewusstseins sozial friedlich zu leben: Als duschdas-, Fa- oder WELEDA-Kunde vertreten wir die Moral unserer Truppe und bekennen uns zu ihr. Machen wir uns also nichts vor: An sich ist die Vielfalts-Kampagne eine bösartige Umkehrung der Intentionen. Denn hier zelebriert eine lauschig-versorgte Minderheit die Toleranz und sei es nur durch die Auswahl eines gesellschaftlich korrekten Duschgels: Menschenfreundlichkeit zum raufschmieren. So einfach ist das … in der Werbung.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 15 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

15 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
orkney
6 Jahre her

Sorry, mir sind ernsthafte Anthroposophen erträglicher als quietschfidele Markenphilosophen mit ihrem aufdringlichen Marketing-Jargon..

Nicholas van Rijn
6 Jahre her

Als ich kenne auch etliche lachende und heitere Anthroposophen. Vor allem wenn sie ein paar Achterl biodynamischen Wein intus haben.
Im Ernst: Das ist doch zu 90% Marketing-Strategie. Echte Anthroposophen würden ihre Seife selbst erzeugen.

Fragen hilft
6 Jahre her

Haben Sie schon einmal einen Anthroposophen lachen sehen? Nein? Ich auch nicht. Diese Aufmacherzeile ärgert mich. Sie stellen mir eine Frage, beantworten die für mich ( übrigens falsch ), setzen dann Gleichgesinntheit voraus und wollen mich mitnehmen auf Ihre geistige Reise. Ja, ich habe fröhliche Antroposophen kennengelernt. Zornig habe ich Ihre „Täter“-beschreibung gelesen. Sie machen ganz vieles und sind ganz oft in ARD und ZDF unterwegs. Da denk ich mir so mein Teil. Sollten Sie der Meinung sein, dass Ihre erste Zeile ein rhetorischer Kunstgriff sei, sollten Sie noch mal bei Kunst und Rhetorik nachschlagen. Über die ersten beiden Absätze… Mehr

gast
6 Jahre her

Erstaunlich finde ich, dass die Verwendung politischer Kampagne-Begriffe (hier „Vielfalt“) werbetechnisch günstig sind. Der unschuldige Begriff wird derart aufdringlich und häufig verwendet, um eine politische Zielsetzung zu propagieren, dass allein der Begriff (unabhängig vom Zusammenhang) automatisch die Hörer/Leser in zwei Gruppen spaltet, in die Befürworter und in die Gegner des politischen Ziels und somit auch die potentiellen Käufer des umworbenen Produktes. Die Gruppe der Befürworter ist, wie die Wahl in Bayern gezeigt hat, aber die kleinere Gruppe. Warum denkt man, dass man mehr verkaufen kann, indem man gezielt die kleinere Gruppe umwirbt?

Rebell
6 Jahre her

Ist lange her. Ich habe da mal 2 Jahre mit gemacht . Wollte mal Walldorflehrer werden. Habe in Dornach Vorträgen gelauscht. Georg Kühlewind (vom normalen zum gesunden z.B. ) und Herbert Witzenmann fand ich damals schon sehr interessant. Wir hatten unter Freunden eine freie Schule gegründet. Einige aus unserer Gruppe sind bei den Antros jetzt vorne mit dabei. Die Antros haben eine Menge guter Ansätze, scheitern aber an sich selber. Zum einen das Groupieverhalten vieler Anhänger. Hier sind es meist die Frauen. Dann eine gewisse Abgehobenheit und das ignorieren der Realität. Sich dem Denken zu widmen ist segensreich. Aber die… Mehr

Herbert Wolkenspalter
6 Jahre her

Ich gestehe, es gibt ein Problem mit Symbolen. Genauer: mit dem, was sie bedeuten oder im Sinne des Werbenden bedeuten sollten, müssten… Man kann nämlich auch immun dagegen sein. Gegen diese Verknüpfung, ja Identifizierung des Eigentlichen mit dem Uneigentlichen. Indem man nüchtern sieht, was etwas ist, und was es nicht ist. Differenzierung statt Hirngespinst. Auch andersherum: Ein Stoff ist derselbe Stoff auch ohne „Krokodil“. Ja, Nüchternheit kann schon weh tun, weil etwas fehlt: Der geliebte Selbstbetrug. Wieviel Angst spricht aus dem Artikel doch wegen des Verlustes von Marke und Symbolik! Welch‘ eine Akrobatik überhaupt ums Thema! Kurios, wenn der gute… Mehr

JoergPlath
6 Jahre her

Ich betrachte aus meinen persönlichen Erlebnissen die Steiner-Jünger eher als Sekte.

Mozartin
6 Jahre her

**
Aber eine gute Gelegenheit, hier Werbung für die Anthroposophie zu machen, nicht als Doktrin versteht sich, die Marken Weleda und mir noch lieber, weil nicht so stark in der Ausprägung Wala, Demeter, die anthroposophische Klinik Havelhöhe in Berlin und die Uni Witten/Herdecke, obwohl ich nicht sicher bin, dass die Genannten glücklich sind über ihre Nennung hier.
**
Es handelt sich nämlich in gewisser Weise um den Adel der alternativen Denk- und Lebensformen.
Es geht nicht um Profit, es geht aber um die Vielfalt des Lebens, sein Kennenlernen, Anverwandeln und Bewahren.
In dem Sinne bin ich grün.

BK
6 Jahre her

Das ist so eine Sache, sich über eine bestimmte Marke zu definieren. Bei Weleda hat man noch Glück, denn Kosmetik entfaltet kaum Wirkung, und die meisten Kunden sehen so alt aus wie sie wirklich sind. Anders wieder, wenn der bestellte Tesla doch nicht kommt. Da ist ein Prius keine Option. Erzählen sie mal jemanden auf einer Party, dass sie einen Prius fahren! Da werden sie oft nicht mehr als ein Stirnrunzeln ernten, und allein nachhause fahren. Zum Glück kann jeder machen was er will, und es bleibt ohne Folgen. Aber stellen sie sich nur vor, es wäre nicht so. Dann… Mehr

Sherry
6 Jahre her

Nun ja. Weleda hat trotzdem die reinsten Seifen und tolle Produkte. Natürlich geht ein Unternehmen den Bach ab, wenn es den Kopf in den Wolken hat. Nichtsdestotrotz kann man sich das Beste aus den Steiner Lehren herausziehen, Gummibärchen essen, zu Deep Purple tanzen und trotzdem die eigenen Geschäfte nüchtern im Auge behalten. Ich selbst bin das beste Beispiel 🙂

Mozartin
6 Jahre her
Antworten an  Sherry

Weleda sollte es wie die Klinik Havelhöhe machen, immer noch?, und künstlerisch wertvolle Anteilsscheine ausgeben.
Womit soll ich mich sonst umgeben, wenn der Mann weg ist.
Übrigens, wer mag das Rasierwasser von Weleda:)?
Der „Rassegedanke“ Steiners ist wahrscheinlich nicht unproblematisch, aber ist das nicht heutzutage jeder, der noch zu einer Kuh eben Kuh sagt, sie könnte doch auch ganz etwas anderes sein, gewesen sein oder werden?
Das ist das Problem mit dem Segmentieren und Klassifizieren, das ich nicht klein reden will, ganz bestimmt nicht.
Es gibt in der Anthroposophie wohl auch eine Christenlehre.