Wenn Opposition zum Tabu wird

Mittlerweile sind in der deutschen politischen Kultur immer mehr Themen als alternativlos sakralisiert. Widerspruch wird so zum Tabu. Gerade die Kirchen sollten solche quasi-religiösen Überhöhungen in der Politik entlarven, statt diese noch zu fördern.

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Neulich ärgerte ich mich über einen Kirchenmann, der öffentlich eine bestimmte politische Meinung als einzig wahrhaft christliche dargestellt hatte. Wir kennen uns zwar nicht persönlich, aber ich setzte meinen Ärger konstruktiv um, indem ich ihm eine sachlich widersprechende Email schrieb. Nach wenigen Minuten bekam ich eine Antwort: „Ich verbitte es mir, von Ihnen Emails zu bekommen. Bitte streichen Sie mich aus Ihrer Adressliste.“

Vorwort zum Sonntag
Zwischen Macht und Ohnmacht – Eine Analyse der Montagsspaziergänge
So sieht heute leider allzu oft die politische „Diskussionskultur“ in Deutschland aus. Manche Menschen scheinen sich so sicher in ihrer Meinung zu sein, dass sie es nicht einmal mehr für nötig halten, Gegenmeinungen überhaupt nur anzuhören. Ja, sie vermitteln einem sogar das Gefühl, dass man mit seiner Gegenmeinung per se falsch sei und sich eigentlich schämen müsste und schweigen sollte.

Damit wird Opposition kurzerhand in den Bereich der Tabuzone gedrückt mit den typischen Kennzeichen eines tabubestimmten Diskurses: Scham statt Rationalität, Moralisierung statt Sachlichkeit, Verdrängung statt Offenheit, Unterdrückung statt Aufklärung, Überheblichkeit statt Ehrlichkeit, Abspaltung statt Integration.

Vorwort zum Sonntag
Seelsorge und Selbstfürsorge in turbulenten politischen Zeiten
Die Überzeugung der Alternativlosigkeit hat als Zwillingsschwester das Tabu. Wer etwa alternativlos nur auf ewige Jugendlichkeit ausgerichtet ist, für den wird das Alter und Sterben zum Tabu. Oder wer vegane Ernährung für einzig richtig hält, für den wird Tierhaltung zur Fleischgewinnung zum Tabu. Alternativlosigkeit hat Tabus im Schlepptau. Mittlerweile sind in der deutschen politischen Kultur immer mehr Themen in den Bereich der Alternativlosigkeit erhoben worden:

  • Die jetzige Form des Euro und der EU
  • Die Verdammung der Atomkraft
  • Die unkontrollierte Massenzuwanderung als Heilmittel
  • Gerechtigkeit nur durch Genderideologie
  • Die sofortige und radikale deutsche Vermeidung von CO2 als einzige Möglichkeit, die Welt zu retten
  • Die ‚Impfung‘ als alleiniger Weg aus der Pandemie
  • Die Lösung aller Gesellschaftsprobleme durch den Staat

An dem Rand dieser nahezu parteiübergreifenden, medial-kulturellen Alternativlosigkeiten wachsen die Tabuzonen, in denen es einige Menschen doch tatsächlich wagen, eine andere Ansicht zu vertreten.

Die ach so selbstsichere Mehrheit geht mit diesen Minderheiten genauso um, wie sie mit Tabubrechern immer umgegangen ist: Gnadenlose und irrationale Diffarmierung, Ausgrenzung, Bestrafung und Bekämpfung. Eine Rückkehr von der Tabuzone in den Bereich der Mehrheitsgemeinschaft ist kaum noch möglich oder nur durch strenge Bußübungen, Abschwörungen und Reinigungszeremonien.

Vorwort zum Sonntag
Lasst uns streiten, um nicht zu spalten!
Die Situation verschärft sich noch durch den Tatbestand, den Sigmund Freud so ausgedrückt hat: „Wer ein Tabu übertreten hat, der ist dadurch selbst tabu geworden.“ Auf diesem Hintergrund sind „Kontaktschuldphänomene“ zu verstehen. Eine Angestellte ist diese Woche aus sicherer Distanz hinter den Montagsspaziergängern hergelaufen; sie wollte einfach mal schauen, wer so mitgeht und wie es dort zugeht. Schon am nächsten Tag wurde sie von ihrem Vorgesetzten angerufen; sie hatte sich zu nahe an die Tabuzone gewagt und droht nun selber tabu zu werden.

Dadurch kommen zu den vielen politischen Tabuthemen noch viele „Tabumenschen“ hinzu, die von der Unheilssphäre der Tabuzonen umgeben sind und von denen man sich unbedingt fern halten muss. Auch von daher kann die reflexartige Antwort des Kirchenmannes verstanden werden: „Ich verbitte es mir, von Ihnen Emails zu bekommen. Bitte streichen Sie mich aus ihrer Adressliste.“ Er musste sich wohl ausdrücklich von mir „Tabumensch“ distanzieren, um selber im Bereich des Heils bleiben zu können.

Wie kann unser Land aus dieser fatalen Spaltung von Heilssphären und Tabuzonen herauskommen?

Vorwort zum Sonntag
Wir dürfen uns nicht von anderen definieren lassen
Meiner Meinung nach kann das nur gelingen, indem wir das Konzept der Alternativlosigkeit aufgeben. Oder anders ausgedrückt: Indem unsere Kultur samt Politik und Wissenschaft entdogmatisiert und entsakralisiert wird: Politik und Wissenschaft sind dann nicht mehr die Hüter abgeschlossener quasireligiöser Wahrheiten, sondern Suchbewegungen zu weiteren Wahrheitsannäherungen. Gerade die Kirchen sollten darin ihre gesellschaftliche Aufgabe sehen, religiöse Überhöhungen in der Politik zu entlarven, statt diese noch zu fördern.

Dann bräuchte die Opposition nicht mehr in den Bereich des Tabus abgedrängt zu werden. Sie könnte statt dessen als bereichernder Gegenspieler angesehen werden, der der Mehrheit hilft, ihre Position besser argumentativ zu begründen oder gar ihre Position zu korrigieren oder zu verbessern.

Unsere Gesellschaft wäre dann weiterhin vielfältig und unterschiedlich in ihren Meinungen; aber sie wäre nicht mehr gespalten. Die Brücke zueinander wäre gebaut, auf der echte Begegnung und Dialog möglich wäre.

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Kommentare ( 30 )

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Ticinese
2 Jahre her

In Deutschland hat man das Grundprinzip der Demokratie nicht verstanden: Nur indem die Opposition Alternativlösungen anbietet, können bessere Problemlösung gefunden werden. Hierzulande gehts möglichst um absolute Macht. Sogar die Gewaltenteilung (Checks and Balances) wurde ausgeschaltet.
Als Anhänger einer liberalen Demokratie sollte man nicht auf die Kirchen setzen: Die evangelische Kirche war von Anfang an eine Kreation der Landesfürsten, die katholische schon seit dem Mittelalter ein zutiefst autoritäres Gebilde. Und dann geht
s natürlich auch um Kirchensteuer und sonstige staatliche Privilegien am Futtertrog der Mächtigen.
 

Gisela Fimiani
2 Jahre her

Wer vom süßen Gift der Macht und des Geldes gekostet hat, hat sich längst von dem Wissen verabschiedet, welches die Urchristen noch besaßen: das Gewissen richte die Macht richte und nicht die Macht das Gewissen. Die Hochmütigen richten den christlichen Geist (hin).

LM_978
2 Jahre her

Da Jemanden überzeugen zu wollen ist aussichtslos. Niemand will zugeben, auf der falschen Seite gewesen zu sein, vor allem nicht, wenn man zwei Jahre so krass rigoros war und sich damit selbst gar keine Chance gelassen hat, Irrtümer einzugestehn. Die werden weiter machen um sich selbst zu belügen, selbst wwnn Ihnen die Wahrheit ins Gesicht schreit. Ist ja logisch: ich hab 2 Jahre gewettert, was man unsern Kindern antut, jetzt macht man im Ergebnis, was ich forderte, aber nicht aus Einsicht, sondern weil man Monate für die Zustellung des Quarantänebescheids braucht. Aber den Schwachsinn endgültig offiziell einzustellen, wäre ein Eingeständnis,… Mehr

AnSi
2 Jahre her

Wie sollen wir jemals wieder aus dieser Alternativlosigkeit kommen? Wie soll das gehen, wo doch in so vielen Köpfen das Gehirn schon gewaschen wurde? Viele unserer Mitmenschen sind doch gar nicht mehr willens (von fähig mag ich gar nicht sprechen), selbst zu denken und zu recherchieren. Sie sind so bequem geworden und lassen sich jeden Abend erneut einlullen. Ich habe auch den Eindruck, dass sie nach zwei Jahren nun endgültig in ihrer angst gefangen sind. Viele testen sich jetzt jeden Tag auf die Gefahr hin, einen Schnupfen bekommen zu können! Ich finde es von Tag zu Tag schwerer zu kommunizieren.… Mehr

JamesBond
2 Jahre her

Nachdem heute der Bundesspalter wieder bestimmt wurde – keine Hoffnung, es wird keine offene Diskussion mehr geben. Warnung vor Krieg, war das erste Statement des erneut von den Blockparteien – wie in Russland – bestimmten Bundesuhu, aber selbst Krieg gegen Ungeimpfte und andere Minderheiten befeuern.

Aletheia
2 Jahre her

Zu Beginn des Christentums, als Jesus im „Heiligen Land“ mit seinen Gefolge, seinen 12 Jüngern predigend umherzog, war unter diesen nur ein Teufel, der ihn dann später auch an seine Mörder verraten hat.
Heutzutage in den großen sog. Christlichen Kirchen scheint sich deren Anzahl um einige Millionen verfielfacht zu haben, so dass man sich langsam fragen muß, in wessen Nachfolge viele, sich selbst als Christen bezeichnende Menschen tatsächlich stehen!

Jatoh
2 Jahre her

In der Technik empfiehlt es sich, im Schadensfall nach folgender Methode zu arbeiten. Befunde – Ursachen – Maßnahmen. Obwohl logisch gilt, weil nicht immer eingehalten: Ohne eine fachmännische Befundaufnahme dürfen keine Ursachen ermittelt werden, ohne eine fachmännische Ursachenermittlung dürfen keine Maßnahmen eingeleitet werden. Probe auf das Gesagte: Befund: Zerstörung der Gesellschaft Kanzler: Keine Spaltung der Gesellschaft zu erkennen Ursachen: Konzept der Alternativlosigkeit Ampel: Der Kampf gegen den Klimawandel ist alternativlos, sonst sterben wir alle daran, mindestens die kommenden Generationen. Maßnahmen: keine! HWS: wir leben im besten Deutschland aller Zeiten. Lösung? Revolution, aber die ist verboten! Ergebnis: Technische Erfahrungen können auf… Mehr

Kampfkater1969
2 Jahre her

Woke Zeitgenossen sind Mainstromer. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine laute Klappe haben, aber ansonsten sich weigern, Veranwortung in irgendeiner Form zu übernehmen. Das z.B. musste inzwischen auch unser Landrat erkennen, der sich anfangs sehr für die Impfpflicht eingesetzt hat. Inzwischen gibt es kaum einen Lokalpolitiker mehr, der sich in diese Hinsicht äussert. Es dämmert der Politik bis in die höchsten Gefilde, dass die öffentliche Meinung nicht mit der der ehrenamtlichen oder professionellen Leistungsträger übereinstimmt. Die Entwicklung der Güterpreise und damit Inflation ist auch mit diesem Umstand zu verdanken. Man kann nun an das Geld der woken Weicheichgesellschaft,… Mehr

Kassandra
2 Jahre her

Beim Lesen Ihres Artikels ist mir aufgegangen, weshalb Merkel das „Alternativlose“ derart lange im Munde führte – obwohl es, aus unserer gelebten Kultur im Volk der Denker und Tüftler heraus, natürlich vollkommener Nonsens ist. Denkt man sich aber die mitgebrachte Ideologie derer ein, die seit 2015 in Millionenstärke eingelassen werden, macht das Training der Restdeutschen in die alternativlose Sackgasse mit der Einteilung in richtig – falsch wie gut – böse mehr als Sinn. Die da kommen wissen mit Schattierungen wenig anzufangen, was das Unterwerfen (unter wen oder was auch immer) natürlich kolossal begünstigt. Bei solchen, die Zeit ihres Lebens gewohnt… Mehr

Positivsteuerung
2 Jahre her

Ich denke, dass es für die Ausgegrenzten und Gedissten schwer sein wird, den Tätern zu verzeihen. Ich merke das beim Einkaufen in den Läden meiner Stadt. Das „Pieks, pieks, pieks“ Lied wirkt lange. Singend hätten sie mich zwangsgeimpft. Das verändert die Stimmung im öffentlichen Raum. Ich habe kein Verlangen, wieder in diese Restaurants und Läden zu gehen, ich kann mit der Distanz zu ihnen besser leben.