Der „Volksverhetzungsparagraph“ sollte gestrichen werden

Volksverhetzungsverfahren meinen es vielleicht gut, bewirken aber häufig genau das Gegenteil. Absurde Verfahren verschwenden Ressourcen und mindern das Vertrauen in den Rechtsstaat. Pfarrer Achijah Zorn zeigt anhand eines konkreten Falls die Unsinnigkeit des Volksverhetzungsparagraphen auf.

Gegen den Bremer Pfarrer Olaf Latzel läuft seit vier Jahren (!) ein Verfahren wegen Volksverhetzung. Bald steht die dritte Gerichtsrunde an, weil die Staatsanwaltschaft erfolgreich in Revision gegangen ist. Latzel hatte sich auf einem Eheseminar, das für kurze Zeit auch auf Youtube zu sehen war, mit zwei Sätzen gegen Teilnehmer am Christopher Street Day und gegen die Gender-Ideologie im Ton vergriffen.

Anhand dieses konkreten Verfahrens lässt sich die Unsinnigkeit des Volksverhetzungsparagraphen aufzeigen:

Erstens: Das Volksverhetzungsverfahren ist kontraproduktiv, da das Gerichtsverfahren die Bekanntheit des Angeklagten und seiner Aussagen erhöht.
Erlauben Sie mir bitte einen etwas miefigen Vergleich: Bildlich gesprochen hat Olaf Latzel etwas Anrüchiges auf eine Dixi-Klo-Tür geschmiert. Das Dixi-Klo war lediglich das stille Örtchen für die bibeltreuen konservativen Christen, für die Olaf Latzel einsteht. Nun kommt ein erregter Staatsanwalt, hebt die Tür des Dixi-Klos raus, trägt sie auf die Marktplätze von ganz Deutschland und macht darauf aufmerksam, wie schlimm diese Schmierereien seien. War die Dixi-Klo-Tür bis dato nur einigen Eingeweihten bekannt, der Staatsanwalt hat ihr nun größtmögliche Aufmerksamkeit verschafft.

Wenn die Aussagen von Olaf Latzel wirklich so schlimm wären, wie kann der Staatsanwalt dann alles dafür tun, sie vom stillen Örtchen ins Volk zu tragen? Geht es also im Endeffekt gar nicht um die Minderung von Volksverhetzung, sondern um die Staatsbestrafung eines Menschen mit unliebsamer Meinung?

Zweitens: Das Volksverhetzungverfahren ist unsinnig, weil echte Volksverhetzer nicht wie Olaf Latzel öffentlich und nachdrücklich um Entschuldigung für ihre Aussagen bitten.
Volksverhetzung und Um-Entschuldigen-Bitten sind wie Feuer und Wasser. Ich wundere mich, dass die evangelische Kirche sich nicht öffentlich für ihren Pfarrer Olaf Latzel stark macht. Vergebung ist das Metier des christlichen Glaubens. Die Vergebung Gottes kommt uns Menschen zugute und das Weitergeben dieser Vergebung in die zwischenmenschlichen Beziehungen hinein ist Aufgabe der Christen und der Kirche. Ist der Kirche ihr moralisches und übergriffiges Regenbogenchristentum wichtiger als ihr Kerngeschäft? Oder ist für die Kirche „Vergebung“ nur etwas für Sonntagsreden, aber wenn es konkret wird, dann zählt doch das üble Nachtragen von Verfehlungen?

Weil Olaf Latzel mit seinen Worten keinem Menschen nachweisbaren Schaden zugefügt hat und weil er für seine Wortwahl um Vergebung gebeten hat, werden Sie in meinem Artikel auch nicht die beiden Dixi-Klo-Sätze von Olaf Latzel finden. „Ich vergesse, was dahinten liegt und strecke mich aus nach dem, was vorne ist“ (Philipperbrief 3,13).

Vergebung eröffnet neue Räume für einen harten Streit in der Sache, für den Olaf Latzel steht; aber auch für eine angemessene Wortwahl in diesem Streit, wofür Olaf Latzel in der Regel ebenfalls steht. Vielleicht mehr als die Lobbygruppen der Gender-Ideologie, die schon seit Jahren zigmal Kirchengebäude von Latzels Gemeinde mit so viel Farbe und Propaganda beschmiert haben, wie es auf keine Dixi-Klo-Türe geht.

Drittens: Volksverhetzungsverfahren messen mit zweierlei Maß und sind darum ungerecht.
Ich möchte nicht wissen, was in deutschen Moscheen gegen Homosexualität und Gender-Ideologie gepredigt wird. Dagegen sind Olaf Latzels Sätze wohl ein Kindergeburtstag. Auch gegen die vielen heftigen Äußerungen von hohen staatlichen Würdenträgern gegen AfDler oder Ungeimpfte kann Olaf Latzel nicht mithalten. Muss Joachim Gauck wegen „Volksverhetzung“ vor Gericht, weil er die Ungeimpften als „Bekloppte“ bezeichnet hat? Wenn die Justitia wirklich verbundene Augen haben und neutral sein sollte, dann wird sie mehrere Legionen an Staatsanwälten und polizeilichen Ermittlern wegen des Volksverhetzungsparagraphen einstellen müssen, um vergleichbaren Fällen wie dem von Olaf Latzel gerecht werden zu können.

Viertens: Volksverhetzungsverfahren nehmen die Mündigkeit der Bevölkerung nicht ernst.
Die Bürger sind mündiger, als es die Elite unseres Landes denkt. Die Menschen können die Aussagen von Olaf Latzel einordnen. Sie wissen, dass er eine Minderheitenmeinung vertritt. Sie wissen, dass er sich im Ton vergriffen hat. Sie wissen, dass er das konservative Spektrum des christlichen Glaubens vertritt. Und sie wissen, dass kein Mensch einen andern verhetzen kann, wenn dieser das nicht will.

Die Bevölkerung ist clever genug, mit solchen Dixi-Klo-Geschichten umzugehen. Da braucht es keine paternalistischen Staatsanwälte, die das vermeintlich dumme Volk vor irgendetwas schützen müssten.

Der Fall von Olaf Latzel zeigt: Volksverhetzungsverfahren meinen es vielleicht gut, bewirken aber häufig genau das Gegenteil. Da möchten Gutmenschen den Diskurs zivilisieren. Doch de facto delegitimieren sie das Rechtssystem mit absurden Verfahren, die Zeit und Ressourcen verschwenden – und die das Vertrauen in unseren Staat mindern.

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Kommentare ( 29 )

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Nibelung
3 Monate her

Was heißt schon Volksverhetzung, als Kunstprodukt übler Zeitgenossen, die damit die persönliche und öffentliche Meinung zu ihren Gunsten kanalisieren wollen um eine gleichlautende Ansicht zu erzeugen, was völlig widernatürlich ist und nur von Despoten ausgehen kann, wenn sie um ihre Herrschaft oder ihrer verlangten Autorität fürchten, was man dankend ablehnen kann, wenn man nicht will und anderer Meinung ist. Jedermann kann andere beeinflussen, egal in welcher Form, solange er nicht zur Gewalt oder einem Umsturz gewählter Repräsentanten,aufruft, denn erst dann werden Straftatbestände sichtbar und selbst da ist es noch immer fragwürdig in welcher Stärke es erfolgt und dem Gesetz nach… Mehr

Gabriele Kremmel
3 Monate her

Der Volksverhetzungsparagraph kann schon sinnvoll sein, wenn es sich wirklich um Volksverhetzung handelt. Etwa wenn, wie im dritten Reich, Juden pauschal mit den verhetzenden Zuschreibungen überzogen und entsprechende Behauptungen unters Volk gebracht werden, oder wenn Volksgruppen verhetzende Stereotype gegen andere Volksgruppen verbreiten. Das gilt auch für religiöse Organisationen, die Hass gegen Nichtgläubige verbreiten, diese pauschal als Ungläubige definieren, sie unterwerfen und dafür das Kalifat einführen wollen. Der Paragraph wird aber großflächig missbraucht, um Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen und private Meinungen zu kriminalisieren. Genderpolitik ist kein Volk, eine zeigefreudige, sich selbst sexuell definierende Karnevalsgesellschaft ist kein Volk. Und Kritik und eine… Mehr

Last edited 3 Monate her by Gabriele Kremmel
Stefan Z
3 Monate her

„Volksverhetzung“ gibt es nicht, staatliche Willkür dagegen schon. Die Justiz, sollte uns in einer Demokratie davor schützen. Dieser Paragraph macht nur deutlich, dass dieser Staat seine Bürger für unmündige kleine Kinder hält, die der Führung und Belehrung von oben bedürfen. Natürlich gibt es auch schlichtere Gemüter, die sich leicht beeinflussen lassen, davon lebt ja auch die Politik. Jedes Wahlplakat und jede Wahlkampfveranstaltung, ist in diesem Sinne eine „Volksverhetzung“. Eine Meinung ist nur ein Ausdruck der persönlichen Wahrnehmung. Jeder Mensch hat dann die Möglichkeit und den freien Willen darüber zu entscheiden, ob er diese Meinung teilt, ablehnt oder auch ignoriert. Es… Mehr

Juergen P. Schneider
3 Monate her

Der genannte Volksverhetzungstatbestand hat für die links-grüne Meinungsdiktatur natürlich den unschätzbaren Vorteil, dass er beliebig dehnbar ist und jeder etwas anders darunter verstehen kann. Wie selektiv die regierungshörige Justiz diesen Paragrafen anwendet, war ja in der Corona-Diktatur sehr schön zu sehen. Die ÖRR-Hygienefaschisten und die Corona-Diktatoren konnten gegen die Nichtgeimpften hetzen soviel sie wollten, das kümmerte die weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften nicht. Die hatten Order, nichts gegen die von der Regierung gewollten Hetzparolen zu unternehmen, obwohl § 130 StGB ein Offizialdelikt ist, also verfolgt werden muss, wenn die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis von der Straftat erlangen. Gleichheit vor dem Gesetz war einmal, heute gilt,… Mehr

Jens Frisch
3 Monate her

Seit 09/2015 weiß ich, daß Deutschland kein Rechtsstaat mehr ist. Dieser Fall zeigt vor allem eines: Es gibt keinerlei Verhältnismäßigkeit mehr, einer der Grundlagen für eine Justiz, die diesen Namen verdient.
Exemplarisch dafür, die Verurteilung einer jungen Frau:
„Jetzt gibt ein neues Urteil: Eine Frau (20), die einen der Vergewaltiger im Internet beleidigt hatte, wird länger weggesperrt als der Sexualstraftäter!“

https://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-frau-beleidigt-vergewaltiger-laenger-weggesperrt-als-er-667537f5a73d934009eaf6af

Marcel Seiler
3 Monate her

Meine Kritik am Volksverhetzungsparagraphen (§130 StGB) ist folgende. Dort steht: Strafbar macht sich, „[w]er in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,…“

Das bedeutet, dass man friedliche Gruppen, die als Reaktion keinen Aufruhr machen, ungestraft angreifen kann. Gewalttätige Gruppen anzugehen ist hingegen nach §130 StGB strafbar, weil durch deren Reaktionen der öffentliche Frieden gestört wird.

Pervers: Es werden Gewalttätige staatlich geschützt, und Friedliche darf man ungestraft „Kartoffel“ nennen: Besser kann man Gewalt nicht belohnen.

Deutscher
3 Monate her

Naja, nur weil es jetzt mal einen Pfarrer trifft, muß man nicht gleich das Gesetz ändern. Durch die Mitgliedschaft in der Kirche dokumentiert er ja außerdem seine Unterstützung für Grün, Divers, LGBTQnochmalwas etc.

verblichene Rose
3 Monate her
Antworten an  Deutscher

Nun ich glaube, dass Sie sich etwas verrannt haben. Dadurch, dass jemand nämlich etwas ist, ist er überhaupt nicht gleich identifiziert! Ihre unangebrachte Schadenfreude behalten Sie ergo bitte für sich und auch wenn ich persönlich bereits zu nahezu 100% mit „der Kirche“ und ihrem Personal abgeschlossen habe, so glaube ich, dass jedem Menschen eine zweite Chance zusteht. Also auch Ihnen und mir, wobei ich meine „Chance“ übrigens ganz woanders sehe. Und das ist die Ökumene! Tatsächlich fühle ich mich zwar gerade genau davon überfordert, aber mit zunehmenden Alter bin ich hoffentlich auf dem richtigen Weg, diese Welt verstehen zu können.… Mehr

Last edited 3 Monate her by verblichene Rose
Judith Panther
3 Monate her

Die Vergebung Gottes kommt uns Menschen zugute und das Weitergeben dieser Vergebung in die zwischenmenschlichen Beziehungen hinein ist Aufgabe der Christen und der Kirche.“
Oh, je … Jetzt haben wir neben dem Popper´schen Toleranzparadoxon und dem Panther´schen Gewaltparadoxon auch noch das protestantische Vergebungsparadoxon …
Hm … wem könnten wir auf der Basis dieses Vergebungs-Dogmas bei der Gelegenheit sonst noch vergeben … hm – vielleicht
Jens „Wir werden einander viel verzeihen müssen“ Spahn?
Dann vergibt der uns sicher auch.
Wie viel göttliche Vergebung steckt eigentlich in Römer 12, 19?

achijah
3 Monate her
Antworten an  Judith Panther

Bitte genauer lesen! Ich betone, dass Latzel keinen nachweislich geschädigt hat. Da vergebe ich, wenn jemand was Falsches sagt. – Spahn hat mir nachweislich geschadet. Da braucht Vergebung auch Prozesse und Wiedergutmachung. Differenzierung ist so wichtig.

Judith Panther
3 Monate her
Antworten an  achijah

Vergebung also nur für den, der „nachweislich keinen geschädigt“ hat?
Ok. Damit kann ich leben.

bkkopp
3 Monate her

Der Begriff und der Gedanke hinter dem Paragraphen sind sehr speziell. Es scheint mir eine Steigerung von Beleidigung oder Verächtlichmachung zu sein. Wenn man das Wort “ Volksverhetzung “ aber ganz neutral ansieht, dann könnte auch etwas ganz anderes gemeint sein, bzw. hineininterpretiert werden. Nämlich, das Volk zu etwas durch Moralisierung und Emotionalisierung zu verhetzen, was nur wenigen nützt, aber allen schadet. Religionskriege könnten als extremes Beispiel dienen. Auch Feindbilder verschiedener Art wurden zur Verhetzung von Völkern aufgebaut, um sehr speziellen Interessen zu dienen. In unserer Zeit fällt einem das Schüren von Angst und Panik vor dem Klimawandel als Volksverhetzung… Mehr

Flik Flak
3 Monate her

Ja, genau. Volksverhetzung ist von Gestern. Bevölkerungsverhetzung soll es von nun an .. ach ..