Ulf Poschardt fordert in der WELT „Schafft die Kirchensteuer ab!“ Pastor Achijah Zorn geht der Frage nach, ob das Ende der Kirchensteuer eine gute Idee und eine hilfreiche Forderung ist.

Die Kirchen haben es mit ihrem pharisäischen „Aufstand der Anständigen“ gegen die CDU-Merz-Initiativen zur Migration geschafft, weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufzubringen. Ulf Poschardt wütet in der WELT: „Die Kirchen in Deutschland haben sich vom christlichen Glauben verabschiedet und sich in ein rot-rot-grünes Bündnis für Umverteilung, Grenzöffnung und LGBTQ+-Aktivismus verwandelt. Der Angriff auf den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zeigt: Es ist Zeit, Staat und Kirche radikal zu trennen.“ Poschardt, der selbst in der spendenfinanzierten Freikirche der Methodisten aufgewachsen ist, fordert populistisch: „Schafft die Kirchensteuer ab!“
Den Zorn über die kirchliche Verschmelzung des Evangeliums mit einer bestimmten parteipolitischen Richtung teile ich. Doch kann dagegen die Abschaffung der Kirchensteuer helfen?
Der Einzug der Kirchensteuer ist ein lukratives Geschäft für den Staat. Jede Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts kann grundgesetzlich zugesichert von seinen Mitgliedern durch den Staat Steuern einziehen lassen (GG Art. 140 mit Verweis auf WV 137.6). Der Staat lässt sich diese Dienstleistung, die den Finanzämtern keine besondere zusätzliche Arbeit bereitet, mit 2 bis 4 Prozent der Einnahmen bezahlen. Allein für die evangelische und katholische Kirchensteuer ergab das im Jahr 2024 ca. 375 Millionen Euro Einnahmen für den Staatssäckel.
Hinzu kommt, dass die beiden Großkirchen mit ihren zusammen 12,5 Milliarden Euro jährlicher Kirchensteuereinnahmen in der Lage sind, gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen, die der Staat nicht in allen Bereichen vollständig refinanziert – wie zum Beispiel gesetzlich vorgeschriebene psychologische Beratungsstellen mit einem kirchlichen Eigenanteil von ca. 20 Prozent der Gesamtausgaben. Ein Ende der Kirchensteuer würde für den Staat sogleich ein finanzielles Loch in Milliardenhöhe bedeuten.
Auch die Kirchen profitieren davon, dass sie die Kirchgeldeintreibung in Deutschland kostengünstig an den Staat auslagern können. In Österreich müssen die Kirchen ihr Kirchgeld selbst organisieren. Das verschlingt in den dortigen großen Kirchen an die 10 Prozent des Kirchgeldbetrags für die entsprechenden Verwaltungsarbeiten. Ulf Poschardts Ruf, die Kirchensteuer abzuschaffen, ist de facto ein Ruf nach mehr Bürokratie, Verwaltung und Kirchgeldverschwendung. Damit bestätigt Poschardt die niederschmetternde Erkenntnis, dass vermeintliche Vertreter des Liberalismus manchmal erstaunlich illiberale und bürokratiefördernde Prozesse befürworten.
Kirchensteuern sind freiwillig, da Kirchenmitgliedschaft freiwillig ist. Ich kenne evangelische Christen, die aus der Kirche ausgetreten sind, weil sie aus überzeugenden christlichen Gründen die gegenwärtige Ausrichtung der Polit-EKD ablehnen. Sie spenden jetzt gezielt für bestimmte Projekte, hinter denen sie mit ihrem Glauben und Gewissen stehen können.
Der staatliche Einzug der Kirchensteuer bedeutet nicht, dass der Staat dadurch Mitbestimmungsrechte über die Theologie oder die Finanzen der Kirche hat. Die rot-rot-grüne Ausrichtung der Kirchen ist theologiegeschichtlich von den Verantwortlichen gewollt und mehrheitlich durch Beschlüsse der Leitungsgremien getragen. Ulf Poschardts steile These „Die radikale Unabhängigkeit vom Staat gibt auch theologische Autonomie“ will nicht wahrhaben, dass die Kirchen bereits jetzt volle theologische Autonomie haben und in der breiten Mehrheit der Amtsträger eine rot-rot-grüne politische Einflussnahme der Kirchen als evangeliumsgemäßen Auftrag ansehen. Luthers Zwei-Reiche-Lehre, die den geistlichen Bereich vom weltlichen Bereich unterscheidet, ohne ihn – wie Poschardt – ins rein Private abzudrängen, wird gegenwärtig in weiten Teilen des Protestantismus nicht mehr verstanden oder bewusst abgelehnt.
Der gesellschaftliche Kulturkampf, der in Deutschland tobt und in dem die Kirchen einseitig die rot-rot-grüne Front verstärken, wird sicherlich auch auf dem Feld der Geldflüsse geführt. In ihrem Zorn über die politische Positionierung der Kirchen können Christen aus Glaubens- und Gewissensgründen aus der Kirche austreten und damit die Strukturen der Polit-Kirchen schwächen. Aber Liberale sollten nicht gegen die freiwilligen und grundgesetzlich zugesicherten Kirchensteuern ankämpfen, die für Staat und Kirche eine Win-win-Situation sind.
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Lieber Kollege Zorn,
Ich stimme Ihrer differenzierten Stellungnahme zur Kirchensteuer ja zu. Aber gewöhnen Sie sich doch bitte, endlich, den Begriff „pharisäisch“ ab! Soviel Judaistik müssen Sie doch im Fach Neues Testament einst mitbekommen haben, um zu wissen, dass dieses von Ihnen abwertend gemeinte Wort der Gruppe der Pharisäer (Peruschim) zur Zeit des 2. Tempels nicht gerecht wird und übrigens im Deutschen immer einen antijüdischen Unterton transportiert.
Gibt es noch sprichwörtlich berühmtere Heuchler als die Pharisäer?
Wie immer Sie heißen: Sie haben mich nicht verstanden und wollen mich auch nicht verstehen.
Doch, ich habe Sie gut verstanden aber kein Verständnis für Ihr kaum relevantes Anliegen zum Nachteil einer (zu unterlassenden) Aussage, wobei Ihre Befüchtungen bei Deutschen höchstens vernachlässigbar wenig zum Tragen kämen.
Anscheinend haben Sie aber den entscheidenden, geschichtlichen Hintergund nicht erschlossen.
Als christlicher Pfarrer sollten Sie wissen, was der Gründungsanlass (von Juden) für das Christentum war: Die Abkehr von den verirrten Pharisäern zu Gunsten eines Religionsverständnisses im Namen Jesus Christus.
Zu wem steht jetzt der Pfarrer (und wem nicht)?
Ist für Sie nur jemand mit griffigem Namen ein Mensch?
„Kirchensteuern sind freiwillig, da Kirchenmitgliedschaft freiwillig ist.“
Die Subventionierung der Kirchensteuer durch ALLE Steuerzahler ist aber nicht freiwillig. Kirchsteuern sind als Sonderausgaben unbegrenzt absetzbar, was nichts anderes als eine Beteiligung der Nichtmitglieder an den Steuerzahlungen der Kirchenmitglieder bedeutet, denn die durch die Absetzbarkeit dem Staat entgangenen Einnahmen müssen ja durch die Steuerzahler insgesamt wieder ausgeglichen werden. Bei immer noch etwas unter 40 Millionen Kirchenmitgliedern geht es hier um gewaltige Beträge.
Das ist nichts anders als bei spendenfinanzierten Kirchen wie den Methodisten oder auch Sportvereinenen oder Kulturvereinen, wo man auch die Spenden von der Steuer absetzen kann. Das hat nichts mit der „Kirchensteuer“ an sich zu tun.
Mehrere gleichartige Fehler ergeben keine einzige richtige Lösung.
Religiöse Angelegenheiten mit Geld zu verrechnen, ist von vorne herein eine Verirrung. Kein Pfarrer kann selber irgendwo für Geld kaufen, was er weiterzugeben hätte. Was Kirche an nicht-religiösen Diensten verrichtet, lässt sich aus der Kirche ausgliedern. Sonst lenkt es sie vom Kernauftrag ab, macht die Nebensache zur Hauptsache. Eine weitere Sache ist die ideelle Ablenkung durch den Zeitgeist, ob den heutigen oder den anderen weltlichen von vor 30-50 Jahren, sprich den politischen Geist incl. seiner Grundlagen, von denen nichts in der Bibel steht (und was dort steht, in diesen Grundlagen fehlt). Dass Kirche sich entschloss, ihre Mitgliedseinnahmen ohne Mitsprache der… Mehr
Es gibt keinen „Ewigkeitsvertrag“. Die Rechtstitel, die die ev. Kirche 1803 erworben hat, sollen nach der Verfassung von 1919 und nach dem Grundgesetz sogar ausgelöst werden. Das ist das Gegenteil von „Ewigkeitsvertrag“. Die spannende Frage ist, warum die Politiker das seit 1919 nicht ausgelöst haben, obwohl sie es müssten.
Wo bitte verschließe ich die Augen vor der Wirklichkeit?
Macht es wie in Irland, da gibt es auch keine Kirchensteuer und wer sich nicht bemüht, die Leute in die Kirche zu bringen, kann auch am Ende nicht mit dem Klingelbeutel das Geld einsammeln und somit müßten sie sich hierzulande mit guten Predigten befassen und hätte keine Zeit mehr sich um politische Angelegenheiten zu kümmern. Im übrigen käme das alles dem Leben des Herrn am nächsten, der auch sehen mußte wo er bleibt und seine Fähigkeiten haben sich ja überall herum gesprochen und nur das macht das Leben auskömmlich und schafft auch Neider, was ihn am Ende das Leben kostete.… Mehr
Es ist äußerst sinnvoll jemanden der von der Kirchensteuer lebt, darüber philosophieren zu lassen ob die Abschaffung dieser Steuer eine gute Idee sei. Bei diesen philosophischen Ergüssen kommt nämlich selbstprophezeiend das Gleiche heraus was die Kirchensteuer schon lange ist: Schwadronierter, balsamierter Unfug. Morgen dann ein Artikel von Herles, ob die Abschaffung der Rundfunkgebühren eine gute Idee sei. Tja, Herr Zorn. Mir hat der Staat dreimal – in Worten dreimal – meinen Beruf verboten. Das letzte Mal durch Corona. Keiner aus der Kirche hatte auch nur bei einer der Gelegenheiten Mitleid mit mir. Keiner hat Mitleid mit den Kernphysikern und den… Mehr
Mir hat meine Kirche meinen Beruf verboten wegen Nichtinpfung. – Und das hat nichts mit der Kirchensteuer zu tun. Denn auch die spendenfinanzierten Freikirchen haben mich ungeimpft im Gegensatz zu früher nicht mehr predigen lassen.
Das ist die Kernthese meines Artikels in Abgrenzung zu Poschardt: Die Finanzierungsforn einer Kirche ist vielleicht nicht so zentral, wie wir denken. Auch spendenfinanzierte Kirchen unterstützen Schlepperschiffe.
Das ist natürlich richtig, Herr Zorn.
Nur haben wir das Problem, dass die Kirchen es so verstehen, mit dem Austritt aus der Kirchensteuer sei man auch aus der Glaubensgemeinschaft ausgetreten und vom Glauben abgefallen
Wobei die beiden christlichen Amtskirchen unterschlagen, dass sie es selbst sind, die vom christlichen Glauben abgefallen sind.
Nicht „die Kirchen“ sondern die zwei Amtskirchen sind es, die auf Steuerzahlerkosten sich aushalten lassen und dafür gerne alles verraten.
Die Kirche sollte sich eigentlich um die sich verloren fühlenden Menschen kümmern und sich nicht in die Politik einmischen!
Da sie das eine und das andere nicht kann wird sie von vielen Bürgern nicht akzeptiert. Das sieht jederman an den leeren Kirchen: deshalb wird in einigen der Koran zelebiert – vor vollen Rängen
Wer lesen kann und eine Bibel hat, braucht die Kirche nicht. Warum soll ich für etwas Geld ausgeben, was ich nicht brauche? Luxus leiste ich mir in anderer Form und vergnügungssüchtig bin ich auch nicht.
Man kann aus der Kirche austreten, keine Kirchensteuer mehr zahlen, nur die Lohnsteuer steigt dann automatisch. Mit unseren Steuern werden Pastorengehälter gezahlt und die Kirche bekommt ihren Obolus trotzdem. Aber für ihre Mitarbeiter gibt es einen eigenen Tarifvertrag und da darf keiner reinreden.
Die Lohnsteuer steigt: Das ist doch kein Argument: Sie müssen einen Euro Kirchensteuer zahlen und“sparen“ dann wieviel Lohnsteuer? Jedenfalls weniger als einen Euro. Wenn Sie stattdessen spenden, haben Sie über Ihre Einkommensteuererklärung am Ende den gleichen Effekt.
Wer ist denn so dumm und spendet noch, wenn 20% davon ankommen, ist das noch viel. Oder beim Roten Kreuz in Goslar, die Spenden wurden mit in die Insolvenzmasse genommen, ganz legal, ein Formaler Fehler bei der Kontenbezeichnung, obwohl es ganz klar Spenden waren.