Olaf Scholz pop-populistisch – „You’ll never walk alone“

Das als Solidarversprechen verstandene „You’ll never walk alone“ setzt „Allgegenwart“ und „Allmacht“ voraus, um nicht eine hohle Floskel zu sein. Nur eine göttliche Macht kann zusagen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20). Wenn der Bundeskanzler mit religiösen Allbeistandsvorstellungen spielt, dann wird einem angst und bange.

IMAGO/Christian Spicker

Die Welt lag 1945 in Schutt und Asche. Da entstand der Musical-Song „You’ll never walk alone“. Was trägt durch die Katastrophe? Der Liedtext gibt eine erstaunlich antisozialdemokratische Antwort: Vertraue auf dich selbst und deine inneren Kräfte, dann wirst du niemals alleine sein. – Von Hilfe durch den Staat oder von einem Beistand durch andere Menschen ist in dem Liedtext keine Rede. Nach diesem Musical-Lied ist der Mensch in der Krise letztlich einsam auf sich alleine zurückgeworfen.

Scholz und Habeck
Die Wir-Sager
1963 nahmen sich „Gerry & The Pacemakers“ des Titels an. Mit großem Erfolg: Ihre popmusikalische Version des Songs gelang in die Top-Ten der britischen Hitlisten. In Liverpool passierte darüber hinaus etwas ganz Besonderes: Der Funke dieses Pop-Hits sprang auf die Zuschauer des FC Liverpool über. Damit wurde der Song zur berühmtesten Hymne in der Geschichte des Fußballs. Es ist Gänsehaut pur, wenn die 50.000 Zuschauer an der Anfield-Road bis heute das Lied zu „Gerry & The Pacemakers“ aus vollen Herzen und mit lauter Kehle mitsingen: „You’ll never walk alone.“ Von so einer lebendigen und verinnerlichten Liturgie können viele Kirchengemeinden in Deutschland nur träumen.

Der Songtitel bekommt in diesem Kontext eine ganz neue Interpretation: Im Fußballstadion steht das Lied für die menschliche Ursehnsucht nach Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Verbundenheit, Heimat, Geborgenheit, Miteinander, Aufgehen in einer Sache. Tausende Zuschauer in einem Stadion entindividualisieren sich und verschmelzen zu einer Einheit, zu dem berühmten zwölften Mann auf dem Platz. Mit dem „never“ wird zudem auch die Sehnsucht nach Sicherheit, Stabilität und Ewigkeit angesprochen.

Die Funktionäre des Profifußballs freuen sich, dass ihre Unterhaltungsindustrie durch diesen Song emotional und quasi-religiös aufgewertet wird. Das fördert die innere Bindung an den Verein und die Finanzkraft der Branche.

Das Ursprungsmusical von 1945 hatte in der Dialektik von „der Mensch als Individuum“ & „der Mensch als soziales Wesen“ einseitig den einzelnen auf sich allein gestellten Menschen in den Mittelpunkt gestsellt. Jetzt ist das Lied über die Fußballstadien zu einer Hymne des Sozialmenschen und Massemenschen geworden.

Damit ist es Olaf Scholz möglich geworden, das Lied politisch zu instrumentalisieren, um die Energie des Liedes auf die Mühlen seiner Partei und seiner Person zu leiten. Es ist nur die Frage, ob man eine lebendige Liturgie, die in Liverpool unten von der Basis gewachsen ist, so einfach von oben funktionärsmäßig scholzisch-nordisch-kühl auf einen anderen Bereich übertragen kann.

Aber wen meint Scholz mit „wir“?
Siebzigmal „Wir“ in dreizehn Minuten
Im Jahr 2007 veröffentlichte Olaf Scholz den Aufsatz: „You’ll never walk alone. Das sozialdemokratische Projekt in der globalisierten Welt“. Darin wiederholt Scholz altbekannte Thesen: „Das sozialdemokratische Projekt besteht darin, dass man in einer globalisierten Welt niemanden zurücklässt. Ich finde das in dem berühmten Liedtitel ‚You’ll never walk alone‘ zusammengefasst. Die Zeit der großen Zumutungen ist vorbei.“

Dass diese Sonntagsrede mit ihrer Fülle an Phrasen nur bedingt alltagstauglich ist, zeigt der Fall Thilo Sarrazin. Da ist in der SPD, die niemanden zurücklassen will, doch ein altbewährter Genosse zurückgelassen worden. Vielleicht hat Thilo Sarrazin den Fehler gemacht, an einem bestimmten Punkt alleine gegangen zu sein; nach dem Motto: „You better walk alone than with a crowd going in the wrong direction“ (Prof. Richard P. Feynman). Doch alleine zu gehen, das scheint nach Olaf Scholzens Liedverständnis sozialdemokratisch gar nicht vorgesehen zu sein. Es rächt sich, wenn der Mensch nicht mehr in der Dialektik von Individualität und Sozialität gesehen wird.

Im Kontext der dreifachen „Entlastungspakete“ gegen die Inflation 2022 nimmt Olaf Scholz den Songtitel als sozialdemokratisches Projekt mehrfach wieder auf: „Ich habe das zusammengefasst mit der Formulierung: ‚You’ll never walk alone.‘ Und das will ich hier auch noch einmal wiederholen. Wir werden alles dafür tun, dass die Bürgerinnen und Bürger durch diese schwierige Zeit kommen. Wir wollen was für diejenigen machen … die keine Ersparnisse haben, die mit den plötzlich gestiegenen Energiekosten zum Beispiel nicht ohne weiteres umgehen können und für die die höheren Heizrechnungen etwas ausmachen. Das gilt für ganz ganz viele Bürgerinnen und Bürger.“

Bei Olaf Scholz ist es der Staat, der die menschliche Ursehnsucht nach Unterstützung, Beistand, Hilfestellung mit ständig neuen „Entlastungspaketen“ zu stillen vermag. Und mit dem „never“ im Liedtext spielt Olaf Scholz mit dem menschlichen Bedürfnis nach grenzenloser Sicherheit und Stabilität. Die Rettung kommt vom Vollkaskostaat, auf den immer Verlass ist und der seine Bürger „niemals“ alleine lässt.

Weltfremde Debatte:
Anne Will auf der Suche nach dem Wir-Gefühl
Hier bekomme ich religiöse Bauchschmerzen. Das als Solidarversprechen verstandene „You’ll never walk alone“ setzt „Allgegenwart“ und „Allmacht“ voraus, um nicht nur eine hohle Floskel zu sein. Nur eine göttliche Macht kann mir zusagen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20). Aber ich als begrenzter Mensch weiß noch nicht einmal, ob ich in der Sterbestunde meiner Frau begleitend die Hand halten kann, selbst wenn ich das noch so gerne möchte.

Wenn der Fußball mit solchen religiösen Allbeistandsvorstellungen spielt, dann kann ich das noch ertragen, weil der Fußball in meinem Leben nur eine zweitrangige Rolle spielt. Aber wenn der Bundeskanzler in seinem Staatsverständnis mit religiösen Allbeistandsvorstellungen spielt, dann wird mir angst und bange: Zum einen, weil ich sicher bin, dass der Staat heillos überfordert ist, wenn er sich das Stillen von religiösen Ursehnsüchten zur Aufgabe macht; zum anderen, weil so in der Bevölkerung Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeitserleben reduziert und ein Anspruchsdenken gefördert wird, das dem Staat über den Kopf wachsen wird.

Es ist für mich persönlich ein starker Halt und zugleich gesellschaftlich gut und hilfreich, wenn ich meine religiösen Sehnsüchte bei Gott zu stillen vermag. Dann darf der Staat schlicht und einfach irdisch-begrenzter Staat bleiben und er braucht mich nicht mehr mit unrealistischen quasireligiösen Solidarversprechen zu ködern.

Sicherlich darf eine soziale Marktwirtschaft niemals die Menschen am Ende vernachlässigen, die gefördert und gefordert werden müssen. Aber die religiöse Zusage „You’ll never walk alone“ kann nur zu Enttäuschungen führen, wenn sie auf Menschen und menschliche Institutionen übertragen wird.

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Kommentare ( 22 )

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22 Comments
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Reinhard Schroeter
2 Jahre her

Jeder macht so lächerlich wie er kann. Glaubt sich Scholz für besonders hipp oder meint er seine Lügen in einer Fremdsprache würden als solche schon nicht auffallen ? Einer der sich für besonders clever hält, wenn er die Öffentlichkeit belügt, dass er sich an Sachverhalte nicht erinnern kann. Einer der sichtlich Spaß daran hat , Fragesteller arrogant abzubügeln und dann den billigen Beifall von verblödeten Zeitungsschreiberlingen genießt, so einer muss schwere charakterliche Defizite haben. Der weiß auch, dass sie ihn am Haken haben und er den Clown, den er jetzt gibt, nur solange geben kann, wie er für die Interessen… Mehr

abel
2 Jahre her

Ich empfehle den Regenten noch die Preise für einen Internetanschluß auf 100€ Grundpreis festzusetzen. Nicht daß die Leute sich aus anderen Quellen informieren können. Die ÖRR würden das bestimmt auch ganz toll finden und das würde auch gut in das Klimaschutzprogramm der Grünen passen.

abel
2 Jahre her

Jetzt wissen hoffentlich alle warum es demnächst ein Bürgergeld von ca. 500€ gibt. Das werden hier im Land schon bald sehr viele benötigen wenn das so weiter mit der Deindustriealisierung geht.

Johann P.
2 Jahre her

Ganz im Ernst: Auf die Begleitung dieses Kanzlerdarstellers und seines Gefolges kann ich gut und gerne verzichten! Dieses dahingeschwätzte ‚You’ll never walk alone‘ empfinden ich im Übrigen nicht als wohlmeinende Fürsorge, sondern eher als unverhohlene Drohung, Nancy läßt grüßen…

Kassandra
2 Jahre her
Antworten an  Johann P.

Tja. Ich befürchte auch, dass er seine Schergen schicken wird. Sollen bei Lambrecht nicht Neue angesiedelt werden, die dann im Inneren hausen müssen? Nur wovon? In der FAZ schreiben sie heute: „Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, warnte derweil vor weiteren Waffenlieferungen aus Bundeswehrbeständen. „Wir verstehen den Wunsch der Ukraine nach schweren Waffen nur zu gut. Wir können uns vorstellen, beispielsweise Schützenpanzer aus den Beständen der Industrie abzugeben“, sagte er den RND-Zeitungen vom Samstag. „Was aus unserer Sicht als Berufsverband allerdings nicht mehr geht, ist die Abgabe von Waffen und Munition der Bundeswehr.“ Wüstner warnte: „Jede einzelne Lieferung führt zu… Mehr

Silke Spaeth
2 Jahre her

Mich erinnert das „You‘ll never walk alone“ an das „Yes, we can!“ Obama ´s“. Obama ´s Rhetorik klang für mich immer beängstigend, wie missbrauchte Bibelverse. Bei Scholz klingt es kitschig. Eine dumme Kitsch-Parole für die bedürftigen, dummen Deutschen. Berater-Denglisch, wie ein Kommentator hier schon erkannt hatte.
Ich stehe tatsächlich lieber alleine und vertraue einem anderen Hirten. Der weltliche Hüter hatte nämlich immer einen Stock und will mich am Gängelband führen.

Sprachlos
2 Jahre her

Danke für diesen intellektuellen und dennoch persönlichen Text. Er berührt mich geistig, hat mich getroffen und er zieht jenseits von all dem Ärger und Hass, die auch im Alternativen zu finden sind (vielfach emotional und verständlich), eine grandiose intellektuelle Grenzlinie. Er zeigt auf, an welchen grundlegenden philosophischen Gedanken von Vergesellschaftung die herrschende Ideologie scheitert. Und das auf so kurzem Raum. Chapeau!

Ananda
2 Jahre her

You never walk alone, setzt Vertrauen voraus und fordert auch bedingungsloses Vertrauen ein, sollte es positiv gesehen werden. Ansonsten hört es sich eher wie das Damoklesschwert eines übergriffigen Staates an. Big Brother war mein erster Gedanke, der sich anmaß den Bürger komplett zu steuern.
Das Handeln der Politik zu Ungunsten der Bürger hat jedes Vertrauen zerstört.
Was Scholz will ist Lemming-Vertrauen bis es über die Kante geht. Ungestörtes Durchregieren.
Dieses you never walk alone ist ein Einfangen wollen der immer noch Vertrauensseligen.

fatherted
2 Jahre her

Ich glaube man hat noch nicht so ganz verstanden was Scholz mit „you never walk alone“ meinte….das hat nichts mit Hilfe oder „Mitnehmen“ zu tun….sondern ab jetzt wird keiner mehr „alleine und selbstständig sein“….“wir sind immer bei euch, unter euch, mit euch……wir hören euch….wir sehen euch….wir wissen was ihr denkt, sagt und mit wem ihr redet“….so wird ein Schuh daraus. Frau Faeser ist dabei eine große Hilfe. Also….“you never walk alone“….könnte man eher übersetzen als….“ab jetzt kontrollieren und überwachen wir jeden Schritt von Euch, angefangen beim heizen, über Licht, über Mobilität, über Essen, wählen, Demos, Urlaub, Geld……

Elmar Hofmann
2 Jahre her

Die scholzialistische Formel ist kein Versprechen, das ist eine Drohung; das ist nicht Politik, das ist (Ersatz)Religion – ‚Populismus‘ in seiner dürftigsten Form.

Ähnliches gilt für die Scholz’sche Formel „Wir müssen uns unterhaken!“ Unterhaken setzt immer voraus, dass die Richtung klar ist und man in eben diese Richtung gehen möchte. Ich möchte mich von Niemandem in eine von diesem Niemand ‚merkelwürdig‘ alternativlos vorgegebene Richtung zerren lassen und nicht bedroht werden durch einen linken Haken. Wer macht das dem gottlos ‚göttlichen’ Herrn Scholz klar?

Wittgenstein
2 Jahre her

Lieber Herr Zorn!

Am Ende stirbt jeder für sich allein!

„Get Back to where you once belonged“ wäre eine Antwort auf „You never walk alone“!

Am Ende kann man nur sich selbst vollständiges Vertrauen schenken.

Darum wäre es die vornehmte Aufgabe des Staates die Menschen so unabhängig und stark wie möglich zu machen.

Auf das „Geschwätz“ der Politiker wie Scholz, Habeck und anderen jedenfalls, die Massenmörder wie einen Mao, Stalin oder deren intellektuellen Kopf Marx zu ihren Vorbildern zählen oder zählten sollte niemand einen Pfifferling geben!

Das sind GOTTLOSE Gestalten und Menschenfeinde!