Der Moralist ist nicht der Ansicht, dass seine Kritiker Unrecht haben, sondern dass sie Blasphemie betreiben. Der Moralist zieht deshalb Brandmauern hoch. Dagegen ist eine Entmoralisierung der Politik und des christlichen Glaubens der beste Weg zu einer echten, bereichernden, abwägenden, argumentierenden, gesellschaftsförderlichen Moral.
„Die Aufgabe der Kirche ist es, die christlichen Werte hochzuhalten“, sagte mein Kirchenchef der Zeitung. „Nächstenliebe, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, dafür steht Kirche ein.“ Alle nicken andächtig und brav mit dem Kopf, obwohl Menschen unter diesen vier Container-Werten sehr vieles und oft vollkommen Gegensätzliches verstehen.
Die Kirche hat sich selber zur Moralinstitution degradiert. Werte, Haltung und Charakterstärke bekommen etwas frommen Flair und klerikalen Anstrich; schon ist die Verbürgerlichung des christlichen Glaubens in der moralischen Selbstverwirklichung zusammengebastelt. Aus dem Reich Gottes ist das menschlich-allzumenschliche Reich der Gutmenschen geworden. Leistungsmoral hat in der Pseudokirche des praktischen Christentums Hochkonjunktur.
Allerdings ist Kirche als Moralinstitution überflüssig. Die bundesdeutsche Durchschnittsmoral wird heute nicht mehr von der Kirche, sondern von der Bundesmoralanstalt bestimmt. Diese reicht von Frank-Walter Steinmeier über Robert Habeck und Thomas Haldenwang bis hin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dort wird allen Bundesbürgern unmissverständlich das Wissen vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen (vgl. Genesis 3) eingetrichtert und angedroht. Dem korrespondiert eine ruhiggestellte Bevölkerung, die sich nicht nur in Coronazeiten dankbar von Regierungen in Gewahrsam nehmen lässt.
Moralkirchen in Deutschland versuchen als ergebene Unterbehörde in dem weiten Geflecht der Bundesmoralanstalt ihren neuen Platz zu finden. So kämpft Kirche um ihr eigenes Überleben.
Aber eine Kirche, die um sich selber und ihre Selbsterhaltung kreist, ist ein Verein und keine Kirche mehr. „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus“ (2. Korinther 4,5).
Eine Kirche, die lediglich die Moral der Bundesmoralanstalt nachplappert, ist mit 12,43 Milliarden Euro Kirchensteuerzahlungen (2023) deutlich überfinanziert.
Eine Kirche, die auf einem moralinsauren Fundament steht, ist auf Sand gebaut.
Gott sei Dank hat Martin Luther das transmoralische Wesen der Kirche ins Licht gerückt: Allein Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt, ist allein die Gnade und allein der empfangende Bettlerglaube, das ist Anfang, Mitte und Ziel des christlichen Glaubens. Angesichts der tragischen Dimension des Lebens hilft keine noch so gutmenschliche Moral. Da hilft nur der Zauber des Glaubens mit seinen tröstenden und tragfähigen existenziellen Zusagen Gottes in seinem Wort. Luther hat die Moral dahin gestellt, wo sie hingehört. Immer nur auf den nachgeordneten Rängen.
Ich liebe es, zu Allerheiligen und Allerseelen bei einbrechender Dunkelheit auf den Friedhof zu gehen. Mich faszinieren die unzähligen Lichter an den Gräbern. Diese berühren mein Herz in all seiner Betrübnis. Im Angesicht von Tod, Leid und Schuld komme ich mit Willenskraft nicht weiter. Auch das moralische Sonderangebot der Scharlatane, dass allein schon der gute Wille zählt, vermag nicht zu tragen.
Ich brauche Licht. Licht von oben. Aus der Ewigkeit. Licht inmitten der Gräber. Licht in meiner Dunkelheit.
Beim Glauben geht es um die Lebenswette, vor die jeder Mensch auf diesem Planeten gleichermaßen gestellt ist. „Worauf setzt du im Leben und im Sterben? Woher erwartest du dein wichtigstes Licht?“
Kirchen mögen im Schlepptau der Bundesmoralanstalt auf Moral setzen. Doch der christliche Glaube setzt im Antlitz Jesu Christi auf das Licht Gottes. Gratis. Geschenkt. Stärker als die Dunkelheit. Stärker als der Tod.
„Gott, öffne die Augen meines Herzens für dein Licht!“
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Danke, Herr Zorn, diese Kirche braucht niemand!