Eine eher humorvolle biographische Eigenheit macht Pfarrer Achijah Zorn fruchtbar für den gesellschaftspolitischen Diskurs. In diesem Vorwort gehen Heiteres und Bitterernstes nahtlos ineinander über.
Mein Vater konnte kein Kaugummi leiden. Kaugummi war für ihn ein Zeichen von Primitivität und Unterschicht. Dementsprechend war in unserer Familie Kaugummi ein Tabu. Ohne dass mir das bewusst wurde, hatte ich die Anti-Kaugummi-Haltung internalisiert und bis zu meinem 17. Lebensjahr kein einziges Kaugummi gekaut. Viele elterliche Moralismen stehen jederzeit im Unterbewussten unserer Seele parat und bestimmen unseren Alltag mehr, als wir denken.
Eines Tages bekam ich mit, wie mein Vater einem Bekannten stolz erzählte: „Das war eines meiner drei wichtigsten Erziehungsziele, dass meine Kinder kein Kaugummi kauen. Und das habe ich erreicht.“ Erst durch diese Aussage meines Vaters bin ich hellhörig geworden und habe mich gefragt: Hat das Kaugummi wirklich diesen großen Stellenwert, den ihm mein Vater zugebilligt hat? Geht es beim Kaugummi nicht schlicht und einfach um eine Abwägungsfrage oder Geschmacksfrage? Wird das dem Kaugummi wirklich gerecht, dass mein Vater es durch seine Überbetonung quasi zu einer Gewissensfrage gemacht hat?
Seitdem kaue ich hin und wieder ein Kaugummi. Es ist zwar immer noch nicht mein Ding. Aber ich habe mein Gewissen an dieser Stelle von dem väterlichen Moralismus und Gewissensdruck befreit. Aus einer Gewissensfrage ist eine Abwägungsfrage geworden.
Ein Weg, der auch gesellschaftlich hilfreich sein könnte:
- Mögen Wärmepumpen von einer Gewissensfrage des grünen Übervaters Habeck wieder zu einer Abwägungsfrage in der jeweiligen spezifischen Wohnsituation werden.
- Mögen Impfungen von einer Gewissensfrage des polit-medialen Komplexes wieder zu einer Abwägungsfrage in der individuellen Patient-Arzt-Beratung werden.
- Möge Gendern von einer Gewissensfrage der ultimativen Geschlechtergerechtigkeit zu einer Abwägungsfrage von Grammatik, Spracheffizienz und Feinfühligkeit werden.
- Und selbst beim Krieg in der Ukraine geht es nicht um eine Gewissensfrage, bei der der gesamte Wertewesten auf dem Spiel steht, sondern schlicht und einfach um eine Abwägungsfrage von unterschiedlichsten nationalen und internationalen Interessen.
Ein Bruder von mir kaut heute ziemlich viel Kaugummi. Er scheint an manchen Tagen ein Ketten-Kaugummi-Kauer geworden zu sein. Hat er sich auch von dem Moralismus unseres Vaters befreit oder ist er immer noch an dessen Vorgaben gebunden, wenn auch in antithetischer Gebundenheit? Mancher Loslösungsprozess von elterlichen Zwängen ist im Gegenteil hängengeblieben.
Wir haben uns wohl erst dann so richtig vom Moralismus befreit, wenn wir uns auch nicht mehr zwanghaft vom Gegenteil angezogen fühlen. Deutschland ist wohl auch dann erst von dem Fremdenhass Nazideutschlands befreit, wenn wir nicht mehr zwanghaft eine antithetische grenzenlose Willkommenskultur befürworten müssen.
Solange jeder rationale Kritiker einer irrationalen Migrationspolitik als „Rassist“ oder „Nazi“ diffamiert wird, scheint das rot-grüne Antifa-Deutschland antithetisch noch tiefer im braunen Sumpf zu stecken, als es dies selber wahrhaben möchte.
In den zugrundeliegenden Denkstrukturen scheint der Weg vom Kaugummi zum Dritten Reich gar nicht so weit zu sein, zumal vielen Menschen dessen Ideologie in antithetischer Form immer noch wie Kaugummi unter den Schuhen zu kleben scheint.
Was wäre das für ein Tag der Befreiung, wenn wir auch in Migrationsfragen endlich von einer moralisierenden Gewissenstyrannei loskämen hin zu einer freiheitlichen Abwägungsvernunft?!
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Ich wage zu bezweifeln, dass das Kauen oder Nichtkauen von Kaugummi eine Frage der Moral ist: Allein die Erwartung Ihres Vaters an Sie stellt noch kein gesellschaftlich oder teilgesellschaftlich erwartetes Verhalten dar. Es bewegt sich damit im Bereich der Erziehung, aber nicht (auch) in der Kategorie der Moral. Von dem m. E. verunglückten Beispiel abgesehen ist das Verhältnis Moral – Gewissen jedoch keine uninteressante Frage. Allerdings tendiere ich dazu, in der Moral eine Technik, ein Werkzeug zu sehen, dass dazu dient, das Gewissen auszuschalten. Wer sich im Einklang mit seinem Gewissen verhält, braucht keine Moral zur Rechtfertigung seines Handelns oder… Mehr
Kaugummi kauen ist die Abtötung des Dranges selber zu denken.
Die Aufmerksamkeit des menschlichen Geistes wird vom Denken auf das Kauen umgeleitet.
„Freiheit ist immer die Freiheit der Anderen„, Rosa Luxemburg, in „Die verratene Revolution“, publiziert 1922 von Paul Levin, geschrieben gegen die entstandene Dikratutur des Leninismus-Stalinismus.
Gessinungsjustiz ist das gleiche wie „Inquisition“, denn das ist die semantische Bedeutung dieses Wortes.
„Jede uneingeschränkte Macht trägt den Keim des Verderbens in sich.“
Wer die Pressefreiheit verbietet wird auch Bücher verbrennen.
Interessant, dass Sie das mit dem Kaugummi erwähnen. Ich glaube, diese Abneigung war so eine Art Abwehrkampf (im Kleinen) bestimmter bürgerlicher Schichten gegen die Amerikanisierung nach dem Krieg. Eine – übrigens sehr christliche und diese Eigenschaft stark nach außen kehrende – Lehrerin von mir war wie der Vater des Autors ausgesprochen stolz darauf, dass ihre Kinder weder Kaugummi kauten noch Comics lasen. Hinsichtlich der Kaugummis gebe ich ihr heute Recht, das muss tatsächlich nicht seint, aus den Lustigen Taschenbüchern habe ich dagegen als Kind viel gelernt.
Die Einstellung finde ich super, denn Druck erzeugt meist Gegendruck. Und je mehr Druck auf dem Kessel ist, desto heftiger entlädt er sich.
Mehr Toleranz, also mir das meine und dir das deine, das hat doch nach 1949 lange gut geklappt. Jetzt kommen plötzlich Sektenideologen, die uns einreden, es gäbe nur die eine richtige Wahl. Es wird immer mehr vorgeschrieben und eingeengt.
Kiffen dürfen wir. Aber nicht mehr offen sagen, was uns ärgert.
Es ist nicht selbstverständlich, so über den Dingen zu stehen, und nach oben wird es immer viel Luft geben. Aber wenn man wieder mal einen Schritt weiter ist, ist es wunderbar wie ein wertvolles Geschenk, das man sich nicht vorstellen konnte.
Ich lese Ihre „Vorworte zum Sonntag“ immer wieder gerne, Herr Pfarrer Zorn..
Sozusagen als Auftakt zum darauffolgenden Sonntag.
Sinnstifdende Beiträge von Ihnen, Herr Pfarrer Zorn, sind immer wieder eine Initialzündung, sich seine eigenen Gedanken zu den darin enthaltenden Themen zu machen.
Besonders hübsch die Konjunktion Kaugummi, antithetisches Verhalten – und das viele Jahre später. Vielleicht braucht es manchmal den Befreiungsschlag vom eigenen Gehorsam…
Ihnen einen gesegneten Sonntag. .
Wären Sie mein Pfarrer, Herr Zorn, dann wäre ich wahrscheinlich noch in der Kirche 🙂
Schön, wenn wir über dieses Vorwort in einer Gemeinschaft des christlichen Glaubens verbunden sind, die ernsthaft darum ringt, den christlichen Glauben und seine reichhaltige Tradition liberal-konservativ ernst zu nehmen.