Erasmus von Rotterdam – ein notwendiges Korrektiv gegen die Verherrlichung von Kriegswaffen

Erasmus hat mit seinem wortgewaltigen Engagement für den Frieden große Denker wie Lew Nikolajewitsch Tolstoi oder Berta von Suttner beeinflusst. Obwohl seine Schriften schon über 500 Jahre alt sind, sind sie brandaktuell, so dass sie weiterhin anregen und aufregen.

Erasmus von Rotterdam (1466–1536) hat zeitlebens den Krieg als Geißel für die Menschheit gebrandmarkt. Seine beiden Friedensschriften „Süß erscheint der Krieg nur den Unerfahrenen“ (1515) und „Die Klage von Frau Frieden“ (1517) sind nicht die ideologischen Gedankenspiele eines unerfahrenen Idealisten im Elfenbeinturm. Diese beiden Schriften sind die Summe eines Menschen im besten Alter, der den Lauf der Welt kennengelernt hatte und nun auf der Höhe seiner Vernunft und Erfahrung sein Resümee zieht.

Seit den Zeiten von Erasmus hat sich die Waffentechnik im wahrsten Sinne des Wortes „mordsmäßig“ weiterentwickelt. Das wird den damit verbundenen Wunsch, das blutige Kriegsschwert zum Guten der Menschen einzusetzen, nicht gerade erleichtert haben. Die Spuren in den Seelen der Menschen, denen man zumutet zu töten, und die Spuren in den Seelen aller Menschen, die vom Krieg betroffen sind, waren schon vor 500 Jahren katastrophal.

Trotzdem bin ich selbst kein Pazifist. Einer ernsthaften Abschreckungsdoktrin zur Friedenssicherung in einem freien, starken und bewährten Bündnissystem kann ich viel abgewinnen. Bei einer überzeugenden rationalen Begründung könnte ich mir sogar die Unterstützung einer Kriegspartei vorstellen, weil ich der theologischen Überzeugung bin, dass die Grundsätze des christlichen Glaubens nicht einfach eins zu eins auf Politik und Gesellschaft übertragen werden dürfen, weil sie dort ansonsten kontraproduktiv großen Schaden anrichten.

Umso wichtiger ist mir Erasmus als Korrektiv für meine eigene Meinung und als Korrektiv für die Filterblase der Politiker- und Waffenlogik. „Unsere Panzer retten Leben“, so lautet der neue Werbespruch der polit-medialen Synchrondenke von kriegsdienstverweigernden Waffenfreunden; ein süßer Slogan. Doch diese süße PR-Klebrigkeit schreit nach Erasmus, der den tödlichen Ernst des Krieges mit tödlich ernsten Worten auf den Punkt bringt. „Süß erscheint der Krieg nur den Unerfahrenen“.

Wenn die WELT vom „Panzer-Endspiel“ spricht (19. Januar 2023), dann erinnert Erasmus daran, dass Krieg niemals ein Spiel ist. Wenn die Werbefilmchen von Rheinmetall den Leopard-Panzer als geschmeidiges Kätzchen vorführen, dann weist Erasmus darauf hin, dass im realen Leben die Leopards schneller als gedacht zu Witwenmachern werden.

Erasmus hat mit seinem wortgewaltigen Engagement für den Frieden große Denker wie Lew Nikolajewitsch Tolstoi oder Berta von Suttner beeinflusst. Obwohl seine Schriften schon über 500 Jahre alt sind, sind sie brandaktuell, so dass sie weiterhin anregen und aufregen:

1) „Es ist jetzt schon soweit gekommen, dass man den Krieg allgemein für eine annehmbare Sache hält und sich wundert, dass es Menschen gibt, die ihn unbedingt verhindern wollen.“

2) „Die allgemeine Weltkrankheit ist es, zu den Waffen zu drängen. Gegen diese Krankheit hilft nicht das Gewöhnen, sondern nur das Entsetzen.“

3) „Ein wahrhaft christlicher Lehrer billigt niemals den Krieg. Vielleicht lässt er ihn manchmal zu, aber wenn, dann nur widerwillig und betrübt.“

4) „Zwei Parteien schlagen sich, manchmal weiß nur Gott warum. Und beide haben am Ende mehr Schaden als Vorteil.“

5) „Friede ist die Quelle allen menschlichen Glücks. Krieg ist die Quelle allen menschlichen Unglücks.“

6) „Jeder, der den Krieg rühmt, rühmt den Teufel.“

7) „Alle Kriege der letzten Zeit wurden ausschließlich um der Herrscher willen geführt. Jedes kleinste Unrecht nutzen diese, um es als Kriegsgrund heranzuziehen. Offiziell behaupten sie natürlich immer, dass sie zum Krieg gegen ihren Willen gezwungen werden. Es ist beschämend, aus welch geringen, welch läppischen Gründen christliche Fürsten die Menschheit in den Krieg treiben.“

8) „Der Brudermord zwischen Christen wird im Krieg zur Heldentat.“

9) „Die Natur stattete viele Tiere mit eigenen Waffen aus, den Stier mit Hörnern, den Löwen mit Pranken, den Eber mit Stoßzähnen, andere mit Gift, wieder andere mit Schnelligkeit. Der Mensch aber ist nackt, zart und schwach. Nichts kann man an den Gliedern sehen, was für einen Kampf oder eine Gewalttätigkeit bestimmt wäre. Er kommt auf die Welt und ist lange Zeit von fremder Hilfe abhängig, kann bloß durch Wimmern und Weinen nach Beistand rufen. Die Natur schenkte ihm freundliche Augen, biegsame Arme zur Umarmung, gab ihm die Empfindung eines Kusses, das Lachen als Ausdruck von Fröhlichkeit, Tränen als Symbol für Sanftmut und Mitleid. Krieg ist gegen die Natur des Menschen.“

10) „Kann je ein Friede so ungerecht sein, dass er nicht besser wäre als selbst der gerechteste Krieg?“

11) „Wer fromm ist, sei aus religiösen Gründen gegen den Krieg.
Wer moralisch ist, sei aus ethischen Gründen gegen den Krieg.
Wer weder fromm noch moralisch ist, sollte gegen den Krieg sein, einfach weil er rechnen kann. Die Kosten des Kriegs auf allen Ebenen sind zu hoch. Um ein viel Geringeres kann der Frieden erkauft werden.“

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Kommentare ( 15 )

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WandererX
1 Jahr her

Wie lebensnah- lebendig, systematisch und abstrakt dieser Mann aus dem Spätmittelater denken konnte: so klar wie die Besten heute und hundertmal besser als die Technokraten heute.

verblichene Rose
1 Jahr her

Lieber Herr Zorn. Ich rechne einen Krieg nicht gegen die/meine (Un-)Vernunft auf. Mein Leben ist nämlich schlicht zu kurz, ein Kriegsende noch geniessen zu können! Und das gilt in beiden Fällen, nämlich ob ich obsiege, oder Verlierer bin. In den Zehn Geboten habe ich übrigens eines entdeckt, dass eigentlich in allen anderen steckt: Es ist das Fünfte Gebot.  Und es steht sehr schlau an dieser Stelle, denn das Brim- wird hier vom Borium getrennt, auf dass man weder dem einen, noch dem anderen widersprechen könnte. Lassen Sie mir aber trotzdem zu, Sie zu versichern, dass ich durchaus in der Lage… Mehr

Lebensfreude
1 Jahr her

Der Artikel macht sehr schön deutlich, dass es in der Ukraine letztendlich keinen Königsweg gibt, der eindeutig und klar richtig ist. Es werden immer Fragen offen bleiben. Es braucht immer Korrektive.

Ede Kowalski
1 Jahr her

„Süß erscheint der Krieg nur den Unerfahrenen.“
Als Jugendlicher wurde ich von meinem Vater (Kriegsteilnehmer als Offizier der Luftwaffe) gewarnt, dass irgendwann wenn die Generation der Miterlebenden nicht mehr da sei, der ganze Wahnsinn von vorne losgehen werde. In den vergangen Wochen habe ich häufig wieder über seine Worte nachgedacht.

Last edited 1 Jahr her by Ede Kowalski
Deutscher
1 Jahr her

Lieber Herr Zorn, wozu brauchen Sie ein Korrektiv Ihres eigenes Denkens? Wenn Sie der Meinung sind, dass man ab und zu das Schwert ziehen muß, dann stehen Sie doch einfach dazu – und sagen Sie: „Jesus hatte nicht recht, Erasmus hatte nicht recht: Krieg ist manchmal notwendig“ Die natürliche, unverfälschte Spiritualität Europas, Sagen-haft in der germanischen Mythologie abgebildet, kennt keinen solchen Zwiespalt. Selbst die Götter kämpfen, wenn es sein muß, denn auch sie sind sterblich. So sie sich aber entschlossen haben, kämpfen sie ohne zu zaudern und zu zögern, ohne Grübelei und Gewissensbisse. Die Botschaft hinter diesem Bild ist klar:… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
achijah
1 Jahr her
Antworten an  Deutscher

Zweifel und Korrektive sind immer gut. Zweifel und Korrektive in Kriegsfragen sind immer sehr gut. Alles, was Sie schreiben, bestätigt mich in dieser Ansicht.

elly
1 Jahr her

General der US-Air-Force erwartet in zwei Jahren Krieg mit ChinaDroht bald ein bewaffneter Konflikt zwischen den USA und China? Ein amerikanischer Vier-Sterne-General bezeichnet das gegenüber Untergebenen als wahrscheinlich – und erteilt konkrete Anweisungen für Schießübungen.“
https://www.spiegel.de/ausland/usa-general-der-us-air-force-erwartet-in-zwei-jahren-krieg-mit-china-a-8a91f347-471b-492f-aba3-a8c47117cb90
und liest man Leserkommentare , dann erkennt man die ganz große Bildungsmisere. In der Schule weder Erasmus, noch ansatzweise Tolstoi oder Berta von Suttner  gelesen.

MartinLa
1 Jahr her

Erasmus war wahrlich ein großer, weiser Mann. Schmerzlich, wie wenig seine Saat aufgeht. Aber mein dank an Sie, Herr Zorn, für diesen Artikel, dem ich vorbehaltlos zustimme.

Klaus Decker
1 Jahr her

Auch wenn es den Lauf der Dinge nicht ändert, es muss immer wieder gesagt werden:
Vom Krieg profitieren nur die, die nicht an die Front müssen. Was hier und heute passiert ist Wahnsinn, der meint, Wahnsinn damit begegnen zu können. Vernunft hat keine Stimme; deshalb müssen wir „Stimmlosen“ unsere Stimme erheben. Dieser Artikel macht Mut dazu!

Urbanus
1 Jahr her

Was ist mit Deutschland passiert? . Eine Frage, die mich jetzt beschäftigt: Sind wir ein unabhängiges Land ?. Seit 1945. Das ist eine ganz wichtige Frage.

Babylon
1 Jahr her

Ich bin froh darüber, dass eine der Oppositionparteien im deutschen Bundestag Erasmus von Rotterdam als Namensgeber für ihre Stiftung gewählt hat. Man wird sich etwas dabei gedacht haben.