Für Konservative und Liberale gibt es viel Grund zur Verbitterung. Doch die christliche Tradition bietet dagegen unter anderem dieses Heilmittel: Die Kunst der Dankbarkeit. Sie wird in vielen Kirchen im Oktober in Form des Erntedankfestes entfaltet und gefeiert.
Liberal-konservative Menschen haben es im Augenblick nicht leicht. Mit der Destabilisierung unserer Energiegrundlagen und Geldwerte wackeln die bürgerlichen Wohlstandsfundamente. Mit der Einschränkung eines freien Diskurses zerbröselt das offene Gesellschaftsideal. Mit der Selbstzerstörung der FDP als liberaler Partei und mit der Selbstzerstörung der CDU/CSU als konservativer Partei ist die bisherige politische Heimat fremd geworden.
Eine Mischung aus Zorn, Ohnmacht, Sorgen, Verzweiflung, Ängsten, Resignation und Verbitterung spricht aus manchen Leserkommentaren. Zurecht! Diese Gefühle und Erregungen sind angesichts der gegenwärtigen Situation wohl allesamt verständlich und begründet.
Und doch will ich all diesen Gemütszuständen ein ausgleichendes Heilmittel unserer Tradition hinzufügen: Die Kunst der Dankbarkeit. Sie wird in vielen Kirchen im Oktober in Form des Erntedankfestes entfaltet und gefeiert.
Die Dankbarkeit will ich also keineswegs als Beruhigungspille verstanden wissen; nach dem Motto: Genieße die Freuden des Lebens und dann überlass das undankbare Geschäft der Politik lieber den anderen. Dankbarkeit wäre dann der süße Weg der Weltflucht. Das würde den Machthabenden sicherlich gefallen; aber es würde die Kraft der Veränderung schwächen.
Wir brauchen Menschen, die Sand im Getriebe einer Sackgassenpolitik sind. Für diese Aufgabe ist jeder politisch Verbitterte geeignet. Aber wenn wir in unserer Gesellschaft für einen neuen positiven liberal-konservativen Weg werben, dann helfen verbitterte Menschen nicht weiter, weil sie eher abstoßend auf Andersdenkende wirken. Dann brauchen wir positive Reformvorschläge und positive 10-Punkte-Programme. Und dann brauchen wir Menschen, die sich bei allem Frust eine positive Ausstrahlung bewahrt haben.
Erstens: Für welche ganz normalen Dinge kann ich dankbar sein? Das einfache Frühstück, die alltägliche Autofahrt, meine Schuhe, mein Bett, den freundlichen Telefonanruf. Glück darf auch klein sein.
Zweitens: Gab es in der letzten Zeit etwas außergewöhnlich Schönes, von dem ich möchte, dass es noch heute in mein Leben hineinstrahlt? Der tolle Tagesausflug, die tiefe menschliche Begegnung, das besondere Essen. Glück darf auch groß sein.
Und drittens: Über welche Lebensfundamente darf ich dankbar sein? An dieser Stelle kommt bei mir der christliche Glaube ins Spiel, der mir im Leben und im Sterben ein fester Anker und Hafen ist. Glück darf auch tief gehen.
„Muss ich erst weinen, muss ich um Menschen trauern
und böse Worte erst über’m Grab bedauern,
bevor ich merke, was ich an andern habe,
sind Menschen erst im Grabe schön?
Muss ich erst hungern, erst mit gebroch’nem Willen
nach allem greifen, um meinen Bauch zu füllen,
bevor ich schmecke, was ich oft nur verschlinge,
macht erst die Sehnsucht Dinge klar?
Muss ich erst krank sein, erst meine Kraft verlier’n
und unter Schmerzen erst meine Grenzen spür’n,
bevor ich sehe, was ich jetzt an gesunden
und unbeschwerten Stunden hab?
Nein, ich will heute schon schmecken,
ich will heute schon fühlen,
ich will sehen, was gut ist, ehe ich es verlier.
Ich will Gott heute schon danken,
will ihn heute noch loben,
will ihm heute noch sagen: Du bist gut zu mir!“
(„Erntedanklied“ von Manfred Siebald)
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Die biblischen Psalmen kennen den Zusammenklang von Klage und Dankbarkeit. Sehr wohl wissen sie ein Lied davon zu singen, dass „die Frevler gedeihen / und alle, die Unrecht tun, wachsen“ (Psalm 92,8), aber fast immer schließen sie mit einem Bekenntnis der Zuversicht und Dankbarkeit gegenüber Gott, durch welchen „auseinander getrieben werden alle, die Unrecht tun“ (Vers 10) und „Der Gerechte gedeiht wie die Palme“ (Vers 13). Dankbarkeit im biblischen Sinne blickt nicht nur zurück, sondern auch nach vorn. Und bei Liederdichtern wie Paul Gerhardt, Jochen Klepper oder Dietrich Bonhoeffer, die selbst schlimme Zeiten der deutschen Geschichte erlebten, kommt etwas von… Mehr
Dankbarkeit. Das ist sicher das was einem entgegenschlägt wenn man beispielsweise mitten in der Nacht von einem (linken)“Freund“ einen Anruf erhält um ihn von einer Partynacht abzuholen, mit der lautstarken „Begrüßung“: „na du Menschenhasser“, was sein näheres Umfeld(auch meine Freunde) natürlich „ganz nebenbei“ aufschnappt. Welche Intention hatte nun der Anruf? Der Anrufer(mein „Freund“) steht politisch weit links, mit extremistischen Zügen. Er und ich wissen um unsere jeweiligen politischen Ansichten. Wie geht man nun mit solchen „Freunden“/Mitenschen um, wenn man geistig gesund bleiben will? (Ich habe ihn natürlich abgeholt. Jedoch:) Dankbarkeit ist die unpassendste Vokabel die einem dazu in diesen Zeiten… Mehr
Also, ich hätte den Freund wohl stehenlassen. Ich lasse mich nicht denunzieren und beschimpfen ohne Reaktion von mir – allein schon aus Gründen der Selbstachtung. Dankbarkeit heisst eben nicht, angebrachten Zorn runterschlucken. Nicht umsonst heiße ich mit Nachnamen Zorn!
Ich denke nicht, dass Dankbarkeit die richtige Reaktion auf Unglück und Niedergang ist. Die bessere Antwort gibt das Judentum im Buch Hiob, der Perle der Weltliteratur: Nach allem erfahrenen Unglück und Leid erkennt Hiob, „dass Gott Gott ist.“ Hiob war also zum Glück nicht dankbar, sondern er begriff schweren Herzens, dass der Mensch sein Schicksal anzunehmen hat, – auch, wenn Gott fern ist. Und in diesem Akzeptieren-Können von Leid und Unglück liegt für den dennoch auf Gott Vertrauenden so etwas wie Trost und Sinn.
Danke für Ihren Galgenhumor. Eine wunderbare Gabe!
„Und doch will ich all diesen Gemütszuständen ein ausgleichendes Heilmittel unserer Tradition hinzufügen: Die Kunst der Dankbarkeit. Sie wird in vielen Kirchen im Oktober in Form des Erntedankfestes entfaltet und gefeiert.“
Der Erntedank ist nicht eine kirchliche Tradition, sondern ist langem in der europäischen Kultur verankert.
Korrekt. Die Tradition ist weit älter als die Kirche. Aber es beschränkt sich nicht auf Europa. Alle alten Religionen kannten diese Tradition. Tatsächlich drehten alle sich genau darum, es ist der natürliche Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Worum geht es wohl im Mythos von Isis und Osires? Oder – noch eindeutiger -bei Hades und Persephone? Das Christentum hat es nur erstmals auf eine (reale menschliche) Person (Jesus) angewandt. Warum feierten unsere Vorfahren die Sonnenwenden und Äquinoktien (Beltaine und Samhain)? Das Frühlingsäquinoktium (Beltaine) ist der Beginn der neuen Zeit des Lebens. Die Sommersonnenwende ihr Höhe- und Wendepunkt. Das Herbstäquinoktium (Samhain… Mehr
Es gibt Kirche und Dankrituale außerhalb der Amtskirche, wenn diese versagt.
Kirche und Erntedankrituale dürfen sich ruhig auch von der Amtskirche entfernen, wenn diese versagt.
Dürfen sie das, wie gnädig, Herr Zorn!
Die beste Voraussetzung, um Dankbarkeit zu empfinden, ist für mich die Fähigkeit, sich zu freuen. Auch deshalb ist ein Leben mit Kindern so bereichernd. Die Freude über ein schön gefärbtes herbstliches Blatt, die Freude überhaupt lernt mit Kindern noch einmal neu. Freude und Dankbarkeit sind d a s Mittel gegen Zynismus. Auch ich erlebe in dieser Zeit viel Verzweiflung und Angst. Aber noch kann ich mich freuen. Danke, lieber Gott.
Zynismus an sich ist nichts Schlechtes. Man sollte sich nur hüten, zum Zyniker zu werden, denn ein Zyniker ist ein Mensch, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt.
Hm, wie sag ich es bloß unumwunden? Danke für die Weizenernte, die leider kaum Backweizen eingefahren hat, Düngemittelverordnung verhinderte dies wirksam. Im nächsten Jahr spielt das eh keine Rolle mehr, da Düngemittel unbezahlbar geworden sind. Danke für unbezahlbare Energie. Danke für die Preissteigerungen bei Lebensmitteln überhaupt. Danke für die Mietsteigerungen. Danke für die Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge. Danke für die Verschuldungsorgien des Staates (100 Milliarden BW Sondervermögen, 200 Milliarden Doppelwumms). Danke für Exportgenehmigungen deutscher Waffen in Kriegsgebiete. Danke für die Energieunsicherheit. Danke für die Insolvenzen. Danke für die zusätzlichen Arbeitslosen. Danke für die Auswanderungswelle. Danke für die Einwanderungswelle. Danke für die… Mehr
Ich bleibe dabei: Wenn Sie über all dem, was Sie ZURECHT beklagen und bekämpfen, nicht verbittern wollen, brauche Sie Positives – und sei es allein aus dem privaten Bereich.
Das Christentum ist Teil des Problems, nicht des Positiven.
Auf euren Dogmen beruhen doch die ganzen gutmenschlichen „Werte“ überhaupt, welche uns heute in Form von politischem Wahnsinn täglich um die Ohren gehauen werden.
Wir leben derzeit in den USA. Hier wird seit Anbruch des Herbstes das Erntedankfest (Thanksgiving) vorbereitet. „Be thankful“ steht an beinahe jeder Ecke. Hier lebt man diesen Glauben noch, auch wenn es hier mehr Glaubensrichtungen und Kirchen gibt, als Smarties in einer Packung. Wenn wir nach Deutschland schauen, sind wir traurig, wütend und frustriert. Hier sind wir dankbar dafür, dass wir herkommen durften und zunächst bleiben dürfen. Hier sind wir dankbar, dass wir wieder frei leben dürfen und selbst entscheiden, ob wir uns testen, spritzen oder mit Maske herumlaufen wollen. Die Kinder sind dankbar, dass sie hier an die Uni… Mehr